„Ich mache mal Urlaub in Panama“ ist ein Satz, den nicht viele Leute sagen. Vom Pana­ma­ka­nal haben man­che zwar schon gehört, ebenso von Janoschs Kin­der­buch „Oh, wie schön ist Panama“ – die lehr­rei­che Geschichte vom Klei­nen Tiger und dem Klei­nen Bären, die nach Panama auf­bre­chen. Aber sich Panama mal mit eige­nen Augen anschauen, das wol­len die Wenigs­ten. Ich schon.

Alt ist schön

Es gibt viele Städte auf der Welt, die sehen auf den ers­ten Blick ziem­lich ähn­lich aus. Mehr oder weni­ger gigan­tisch und ein­schüch­ternd und iden­tisch unkrea­tiv. Mit unzäh­li­gen Wol­ken­krat­zern aus Beton und Glas, mit wie Amei­sen umher­wu­seln­den Men­schen, die bei egal wel­chem Wet­ter graue Anzüge oder Kos­tüme tra­gen. Denke ich mir, als ich früh am Mor­gen und vom Jet­lag gepei­nigt in einem zehn­ten Stock in Panama Stadt auf­wa­che. Der angeb­lich ers­ten Sied­lung ent­lang des Pazi­fik, 1519 erbaut. Es glit­zert und leuch­tet nicht so bunt wie in Tokyo und New York City, dafür sind ein­zelne Bara­cken oder Bun­ga­lows zwi­schen die Rie­sen dahin­ge­wür­felt. Ob sie jemals Sonne abbe­kom­men? Die schält sich aus einer Dunst­schicht her­vor, als ich nach drau­ßen trete.

Von Punta Pai­tilla, wo ich wohne, könnte ich die Küs­ten­pro­me­nade ‚Cinta Cos­tera‘, über­setzt Küs­ten­gür­tel, meh­rere Kilo­me­ter lang bis zur Alt­stadt, Caso Viejo, ent­lang­lau­fen. Aber die Luft zieht mir schon um sie­ben Uhr mor­gens beim Ste­hen eine Schweiß­schicht über Gesicht und Kör­per. Ein Taxi für ein­mal die Straße run­ter­fah­ren kos­tet trotz fort­ge­schrit­te­ner Ver­hand­lungs­künste auf Spa­nisch fünf Dol­lar – denn ja, in Panama ist der US-Dol­lar offi­zi­elle Wäh­rung. Dane­ben gibt es den Bal­boa, die Lan­des­wäh­rung, nur in Mün­zen. Ich steige am Mer­cado de Maris­cos aus, dem Fisch­markt, vor den Toren von Casco Viejo. „Du bist schön“, ruft mir ein jun­ger Mann vor dem Markt zu und zau­bert ein ers­tes Lächeln auf mein vom weni­gen Schlaf zer­knautsch­tes Gesicht. Im Hafen düm­peln Fischer­boote auf dem ruhi­gen Was­ser, dahin­ter thro­nen in der Ferne die Wol­ken­krat­zer des Geschäftsviertels.

Auf dem Küs­ten­gür­tel werde ich fast umge­lau­fen. Immer mehr schwer schwit­zende Män­ner und Frauen hecheln an mir vor­bei, die Num­mern auf den Shirts tra­gen und ehr­gei­zig am Vor­der­mann dran­kle­ben. Dazwi­schen mischen sich Spa­zier­gän­ger, Rad­fah­rer und andere Touristen.

Der Hoch­haus-Dschun­gel liegt hin­ter mir, ich freue mich auf etwas „Altes“. Auf einen Teil von Panama Stadt, der 1673 nach voll­kom­me­ner Zer­stö­rung des vor­he­ri­gen Panamá Viejo, des alten Panama – von dem heute wei­ter öst­lich nur noch ein paar Rui­nen am Pazi­fik ste­hen – erst­mals Gestalt annahm. 1997 wurde die Alt­stadt, die man nach dem Modell einer Ein­ge­bo­re­nen-Sied­lung als recht­ecki­ges Plan­qua­drat anlegte, zum UNESCO-Welt­kul­tur­erbe erklärt. Nun liegt sie ver­schla­fen an einem Sonn­tag­mor­gen vor mir. Einige Kolo­ni­al­häu­ser mit ihren guss­ei­ser­nen Bal­ko­nen erstrah­len unter Putz, den man fast noch rie­chen kann, andere wir­ken wie fami­lien- und freun­des­lose Hun­dert­jäh­rige im Alters­heim, wie­der andere sind ein­ge­rüs­tet und dür­fen sich auf einen Face­lift freuen. Und ich mich auf Gonzo, einen Rei­se­füh­rer von Urban Adven­tures, Stadt­er­kun­dungs­tou­ren von Intr­epid Tra­vel, der mir an die­sem Mor­gen Pana­mas Alt­stadt und den Kanal zei­gen wird.

Alt­stadt­er­kun­dung mit einem Rockstar

Laufe ich allein durch eine Stadt, sehe ich viele Fas­sa­den und lichte sie mit mei­ner Kamera ab. Habe ich einen Ein­hei­mi­schen an mei­ner Seite, schaue ich ab und zu mal hin­ter die Mau­ern und meine Fotos erzäh­len mir danach Geschich­ten. Gonzo, ein pum­me­li­ger Pana­meño Mitte 30, arbei­tet seit eini­gen Jah­ren als Tour­guide und stammt ursprüng­lich aus Colón, genau gegen­über von Panama Stadt am Kari­bi­schen Meer und am ande­ren Ende des Pana­ma­ka­nals. Aller­dings hat er nicht immer mit Tou­ris­ten gear­bei­tet. „Ich bin eigent­lich Musi­ker, war ein ech­ter Rock­star!“, erzählt er stolz und berich­tet von sei­nen wil­den Zwan­zi­gern, als er noch lange Haare und viele Frauen hatte, von Alko­hol und Dro­gen und Spaß lebte. Zwar spiele und singe er noch immer, aber zum Glück hänge sein Über­le­ben jetzt nicht mehr davon ab. Dafür aber von sei­nem Wis­sen über Panama Stadt, unter ande­rem über die fünf Kir­chen in Casco Viejo, die zwi­schen den Kolo­ni­al­häu­sern her­vor­ste­chen. Dar­un­ter ist die Igle­sia de la Mer­ced von 1680 die ein­zige, die noch ihre Ori­gi­nal­fas­sade aus Zei­ten von Panama Viejo auf­weist. Ent­täuscht stehe ich an der Plaza de la Inde­pen­den­cia, dem Unab­hän­gig­keits­platz, vor der Kathe­drale Basí­lica Santa Maria la Anti­gua de Panamá, die von Dach bis Fuß ein­ge­rüs­tet ist. „2019 kommt der Papst zu uns, dafür wird sie jetzt auf­ge­bre­zelt“, weiß Gonzo. Dumm gelau­fen für mich.

Mein per­sön­li­ches Lieb­lings­bau­werk ist Arco Chato, über­setzt ‚Fla­cher Bogen‘. Dabei ist der Begriff Bau­werk über­trie­ben, han­delt es sich doch viel­mehr um den Über­rest einer Ruine. Um einen Bogen, der zum 1756 abge­brann­ten Klos­ter Santo Dom­ingo gehörte. „Diese Ruine blieb bis 2003 ohne jeg­li­che Stütze ste­hen“, berich­tet Gonzo, „gehört sogar zum UNESCO-Welt­kul­tur­erbe. Dem Arco Chato ist es zu ver­dan­ken, dass der Kanal in Panama gebaut wurde und nicht in Nica­ra­gua.“ Wieso? Dass so eine fra­gil erschei­nende Ruine über Jahr­hun­derte unver­sehrt ste­hen blei­ben konnte, sei ein Beweis für den siche­ren Boden Pana­mas gewe­sen, ohne grö­ßere Erschüt­te­run­gen oder Erd­be­ben. Bei­des gebe es im vul­kan­rei­chen Nica­ra­gua weit­aus mehr. „Aber 2003, da brach­ten wir den Bogen selbst zum Ein­stür­zen. Und weißt du wie?“ Gonzo lächelt spitz­bü­bisch, fast ein biss­chen froh. „Durch ein Rock­kon­zert! Es fand in der Ruine statt, und die Musik und Leute waren so wild, dass der Bogen zusam­men­brach.“ Aller­dings sei das Monu­ment danach mit den Ori­gi­nal­stei­nen wie­der auf­ge­baut wor­den. Und nein, es war lei­der nicht Gon­zos Stimme, wel­che die alten Steine bis ins Mark erschütterte.

Wenn man durch Casco Viejo immer wei­ter bis zum Meer läuft, erreicht man im Süden einen Zip­fel mit der Plaza de Fran­cia und dem Paseo de las Bóve­das, einem Ensem­ble von Bau­wer­ken, die eine Mauer rund um den Platz bil­den. Auf die­ser kann man wun­der­bar fla­nie­ren und sich von aller­hand Markt­ge­schrei der Sou­ve­nir­ver­käu­fer beschal­len las­sen. Es gibt alles von unech­ten und ech­ten Panama-Hüten bis zu einer Menge Kram made in China. Die Plaza de Fran­cia selbst ist nicht mal ein Jahr­hun­dert alt, wurde zwi­schen 1921 und 1922 gegrün­det, um der fran­zö­si­schen Firma zu geden­ken, die sich als erste am Bau des Pana­ma­ka­nals ver­suchte. Ein 18 Meter hoher Obe­lisk domi­niert die Mitte des Plat­zes, an der Spitze ein gäli­scher Hahn, das Sym­bol Frank­reichs. Rund um den Obe­lisk treffe ich Fer­di­nand de Les­seps, Arman Reclus, Lucien Bona­parte Wyse, León Boyer und Pedro J. Sosa, die alle­samt bedeu­tende Rol­len für den ers­ten Kanal­bau-Ver­such spiel­ten. Oder zumin­dest deren Büsten.

Und nach­dem ich so viel über den berühm­ten Pana­ma­ka­nal gehört habe und doch fast nichts über ihn weiß, geht es als Nächs­tes end­lich mit Gonzo dort­hin: zur Mira­flo­res Schleuse. Der Haupt­at­trak­tion von Panama.

Der Pana­ma­ka­nal und was er mit Eis­ber­gen in Neu­fund­land gemein hat

Wer das tou­ris­ti­sche High­light eines Lan­des besucht, kann nicht erwar­ten, es in Ruhe und Abge­schie­den­heit zu genie­ßen. So ver­wun­dert es nicht, dass ich mir auf der Aus­sichts­platt­form der Mira­flo­res-Schleuse ein paar blaue Zehen hole und meine Rip­pen immer wie­der spon­tane Bekannt­schaft mit Ellen­bo­gen aus aller Welt machen. Die Auf­re­gung ist groß, als ich ankomme: Ein Con­tai­ner­schiff steht in der Schleuse, bereit zur Wei­ter­fahrt. Zheng Bang aus Hong Kong. Und Energy Pro­tec­tor Dou­glas steht auch schon in den Startlöchern.

Der Ham­mer! Noch nie habe ich mich so dar­auf gefreut, ein Schiff beim Wei­ter­s­chip­pern beob­ach­ten zu dür­fen. Von hier oben, zwi­schen den wuseln­den Tou­ris­ten, einen leich­ten Schweiß­hauch in der Nase und Gebrab­bel auf min­des­tens zwan­zig ver­schie­de­nen Spra­chen im Ohr, könnte man fast ver­ges­sen, was es hier wirk­lich zu sehen gibt. Denn er ist eine der bedeu­tends­ten Was­ser­stra­ßen der Welt, der fast 82 Kilo­me­ter lange Pana­ma­ka­nal, der seit 1914 den Pazi­fik-Hafen Bal­boa mit Colón am Atlan­tik ver­bin­det. Die Stadt, aus der Gonzo stammt.

Kommt ein Schiff vom Atlan­tik aus rein, wird es in Colón durch die Gatún-Schleu­sen auf das Niveau des Gatún­sees 26 Meter über dem Mee­res­sspie­gel geho­ben. Wei­ter geht es dank aus­ge­bag­ger­ter Was­ser­rin­nen durch den Gatun­see und den Río Chagres, durch die zwei­ten von drei Schleu­sen, Pedro-Miguel, um an den Mira­flo­res-Schleu­sen, wo ich stehe, wie­der auf Höhe des Pazi­fiks her­ab­ge­las­sen zu wer­den und, als wäre nichts gewe­sen, in den nächs­ten Ozean zu glei­ten. Das Ganze dau­ert an die 15 Stun­den. Die Alter­na­tive wäre eine etwas 30-tägige Fahrt über das Tau­sende Kilo­me­ter ent­fernte Kap Hoorn an der Spitze Süd­ame­ri­kas. Um einen Monat Fahrt­zeit zu spa­ren, ble­chen Kapi­täne der pro Tag etwa 40 pas­sie­ren­den Con­tai­ner- und Oze­an­rie­sen locker 250.000 US-Dol­lar, maxi­mal circa 400.000 Dol­lar. Je grö­ßer das Schiff und je schnel­ler es gehen soll, desto teu­rer wird es.

„Unter der Lei­tung von Fer­di­nand de Les­seps began­nen erst­mals die Fran­zo­sen 1881 mit dem Kanal­bau“, erzählt Gonzo. Ich denke an die Plaza de Fran­cia in Casco Viejo und die Büs­ten jener muti­gen Män­ner. „Aber sie unter­schätz­ten die geo­lo­gi­schen Ver­hält­nisse und die Gefahr durch Tro­pen­krank­hei­ten.“ In nur acht Jah­ren seien an die 22.000 Arbei­ter an Mala­ria oder Gelb­fie­ber gestor­ben und die Kanal­ge­sell­schaft ging bank­rott. Erst 1904 nah­men die USA unter  Prä­si­dent Theo­dore Roo­se­velt die Sache noch­mals in Angriff. Damals gehörte Panama noch zu Kolum­bien, also musste schnell eine Revo­lu­tion ange­zet­telt wer­den, um die Kolum­bia­ner los­zu­wer­den und eine Washing­ton wohl­ge­son­nene Regie­rung auf­zu­stel­len. Ende 1903 lan­de­ten US-Trup­pen in Panama und besetz­ten die Kanal­zone, deren Kon­trolle der neue Staat Panama den USA ver­trag­lich zusicherte.

Das teu­erste Bau­pro­jekt der USA ver­schlang 375 Mil­lio­nen Dol­lar, die heute min­des­tens 30 Mil­li­ar­den Dol­lar wert wären – und noch­mals knapp 6.000 Men­schen­le­ben. „Men­schen aus aller Welt kamen nach Panama, um am Kanal zu arbei­ten“, berich­tet Gonzo wei­ter. „Dar­un­ter etwa 35.000 Män­ner aus der Kari­bik und 6.000 Ame­ri­ka­ner. Wuss­test du, dass es in der Kanal­zone eine strenge Ras­sen­tren­nung gab?“ Wusste ich nicht. Die Wei­ßen seien in Gold bezahlt wor­den und hät­ten eine Gesund­heits­ver­sor­gung sowie Hei­mat­ur­laub bekom­men. Schwarze hät­ten nur Sil­ber erhal­ten, in Bara­cken gelebt und häu­fi­ger an Tro­pen­krank­hei­ten gelit­ten. Wer Glück hatte und gesund blieb, konnte sich spä­ter viel­leicht im Hei­mat­land ein klei­nes Grund­stück leisten.

Und wie lange behiel­ten die USA die Kon­trolle über die Kanal­zone? „Bis 1999. Dann über­nahm Panama die Was­ser­straße offi­zi­ell. Die USA woll­ten vor allem ihre Pro­dukte zu güns­ti­gen Prei­sen in alle Welt ver­schif­fen, wir Pana­me­ños wol­len damit Geld ver­die­nen“, weiß Gonzo. Wir wer­den vom Tuten eines Schiff­horns unter­bro­chen. Ich quet­sche mich zwi­schen andere Neu­gie­rige an die Brüs­tung und sehe die 1913 fer­tig­ge­stell­ten, 1,7 Kilo­me­ter lan­gen Mira­flo­res Schleu­sen. „Sie haben einen Hub von 16,5 Metern und müs­sen einen Höhen­un­ter­schied von 13 bis 19 Metern aus­glei­chen“, höre ich Gozos Stimme. Dabei dauere das Fül­len oder Lee­ren einer Schleu­sen­kam­mer circa acht Minu­ten, ein kom­plet­ter Schleus­vor­gang sogar 30 Minu­ten. Fas­zi­niert beob­achte ich, wie die Schiffe von meh­re­ren Trei­de­loks durch die Schleuse gezo­gen und damit auch sta­bi­li­siert wer­den. Es scheint so ein­fach. Dabei dau­erte es zehn Jahre, bis das große Meis­ter­werk fer­tig war. Und plötz­lich muss ich an die Eis­berge den­ken, die ich vor weni­gen Mona­ten in Neu­fund­land gese­hen habe. Daran, dass man immer nur eine win­zige Spitze des Eis­bergs wahr­nimmt, weil 90% der Masse unter Was­ser ver­bor­gen lie­gen. Daran, dass man das, was wirk­lich zählt, kaum bemerkt. Wie 28.000 ver­lo­rene Menschenleben.

Noch brei­ter, noch tie­fer – die Kanalerweiterung

Bekannt­lich ist es ja lang­wei­lig, wenn etwas zu lange ver­än­de­rungs­los ein­fach rum­steht. Erst recht, wenn man daran her­um­bas­teln und damit eine Menge neuer Kohle schef­feln kann. Und so konnte man natür­lich auch den Pana­ma­ka­nal nicht in Ruhe las­sen. Konn­ten zunächst nur Schiffe mit schlap­pen 4.400 Con­tai­nern an Bord den Kanal befah­ren, dür­fen seit dem 26. Juni 2016 sogar 14.000 Con­tai­ner mit. Jetzt schip­pern nicht nur Bana­nen und Ana­nas aus Süd­ame­rika, Öl aus Bra­si­lien und Autos aus Deutsch­land über den Kanal, son­dern bei­spiels­weise auch Flüs­sig­gas. Noch bes­ser: 96 Pro­zent der Schiffe, die so auf den Welt­mee­ren unter­wegs sind, kön­nen nun durch den Pana­ma­ka­nal geschleust wer­den. Wur­den zuvor nur 300 Mil­lio­nen Ton­nen pro Jahr durch Mit­tel­ame­rika geschifft, sol­len es in Zukunft 600 Mil­lio­nen Ton­nen sein.

Eigent­lich sollte die Erwei­te­rung, mit der 2007 begon­nen wurde, zum 100. Geburts­tag des Kanals im Jahr 2014 abge­schlos­sen sein. Aber wie schon Mur­phy wusste: Immer, wenn etwas schief­ge­hen kann, geht es auch schief. Die Zemen­tar­bei­ten began­nen spät, es gab Pro­bleme mit der Ver­an­ke­rung eines 2,3 Kilo­me­ter lan­gen Dam­mes. Schon die Zah­len, die sich um die Erwei­te­rung ran­ken, machen mich schwin­de­lig:  40.000 Arbei­ter räum­ten 150 Mil­lio­nen Kubik­me­ter Erde und Geröll ab und ver­bau­ten zwölf Mil­lio­nen Ton­nen Zement und 192.000 Ton­nen Stahl. Und das für neue Schleu­sen, die über 420 Meter lang, 55 Meter breit und 18,3 Meter tief sind, mit bis zu 33 Meter hohen und zehn Meter dicken Toren. Für 5,25 Mil­li­ar­den US-Dol­lar. Mann oh Mann. Aber die Leute woll­ten das, wie ein Volks­ent­scheid 2006 ergab. Klar, denn der Kanal ist nun mal das wirt­schaft­li­che Herz Pana­mas. Außer­dem dür­fen die Pana­me­ños dank die­ser Erwei­te­rung nun auch übers Meer rund um das kolo­niale Juwel von Panama Stadt fah­ren und sich für einige Minu­ten wie Gott auf Rädern füh­len. „All den Schlamm, der für die Erwei­te­rung abge­tra­gen wurde, nutzte man, um den Küs­ten­gür­tel rund um Casco Viejo zu bauen“, hat mir Gonzo schon am Vor­tag erzählt.

Am schöns­ten kann man sich die Erwei­te­rung auf der kari­bi­schen Seite, an der Gatún-Schleuse, zu Gemüte füh­ren. Doch dort­hin muss man erst­mal kom­men, was mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln lang­at­mig und mit einem Miet­wa­gen aben­teu­er­lich ist. Ich mache es ganz anders: Ich möchte den Kanal nicht nur Hin­tern an Hin­tern mit den Tou­ris­ten­mas­sen von Beob­ach­tungs­platt­for­men aus sehen. Des­we­gen gönne ich mir eine Fahrt mit der Panama Canal Rail­way. Ja, mit dem Zug! Zug­fah­ren in Zen­tral­ame­rika ist in etwa so nor­mal wie Bana­nen­pflü­cken an hie­si­gen Bäu­men. Tat­säch­lich ist die Pana­ma­ka­nal-Eisen­bahn die älteste trans­kon­ti­nen­tale Eisen­bahn­stre­cke der Welt und läuft auf gerade mal 76,6 Kilo­me­tern par­al­lel zum Pana­ma­ka­nal. Neben Fracht wer­den auf der Stre­cke heute haupt­säch­lich Tou­ris­ten trans­por­tiert. Glä­serne Pan­ora­ma­wa­gen mit bemal­ten Wän­den, Tep­pich­bö­den und grü­nen Kunst­le­der­so­fas sowie eine Bedie­nung, die in Schwarz-Weiß Snacks und Kaf­fee ser­viert, haben mir der Deut­schen Bahn wenig gemein. Die Fahrt im his­to­ri­schen Luxus­zug dau­ert bis kurz vor Colón etwa 90 Minuten.

Luxus hin oder her, die Nüsse aus dem Snack­pack sind schim­me­lig, und bald fühle ich mich wie in einem glä­ser­nen Käfig. Zum Glück kann man zwi­schen zwei Wag­gons auf einer klei­nen Platt­form drau­ßen ste­hen. Es ist dort, dass ich mich zum ers­ten Mal dem Pana­ma­ka­nal rich­tig nahe fühle. Immer wie­der ver­steckt er sich hin­ter dich­tem Dschun­gel, doch ruck­zuck ist er in vol­ler Pracht wie­der da. Das Was­ser düm­pelt ruhi­ger als das von Rhein oder Elbe in der Mor­gen­sonne vor sich hin, der ein oder andere Rie­sen­kahn schip­pert gemüt­lich darüber.

Gegen­über dem Kanal geht es immer wie­der an Seen vor­bei, über denen noch der Mor­gen­ne­bel hängt. Neben dem Rat­tern der Räder ist es still, die ande­ren Tou­ris­ten sit­zen hin­ter Glas, nur minu­ten­weise gesellt sich jemand zu mir. Und dann, kurz vor Schluss, muss ich lachen: Ein Con­tai­ner­schiff mit der Auf­schrift ‚Ham­burg Süd‘ schip­pert vor­bei. Aus mei­ner Stadt. Vom kari­bi­schen Meer in Rich­tung Pazi­fik. Was für eine kleine Welt.

Dass die Schleu­sen von Gatún brei­ter sind, lässt sich mit blo­ßem Auge erken­nen. Ganz lang­sam öff­net sich eins der mäch­ti­gen Tore für einen blau-wei­ßen Frach­ter, wäh­rend ein Guide per Mikro­fon berich­tet, wie das Schiff heißt, was es gela­den hat und wohin es fährt. Auch ein biss­chen wie die Schiff­be­grü­ßungs­an­lage in Ham­burg, nur, dass in Panama alles dop­pelt so groß und dop­pelt so span­nend ist.

In wei­ter Ferne fah­ren die ‚klei­ne­ren‘ Schiffe in den alten Kanal ein. Nun wäre also alles per­fekt. Wenn sich nicht blö­der­weise Kon­kur­renz ankün­di­gen würde. Nica­ra­gua über­legt, im Gegen­teil zu den mick­ri­gen 82 Kilo­me­tern des Pana­ma­ka­nals gleich eine 278 Kilo­me­ter lange Was­ser­straße zwi­schen Pazi­fik und Atlan­tik zu bauen und eben­falls beim flo­rie­ren­den See­han­del mit­zu­spie­len. Dabei kom­men die Geld­ge­ber die­ses Mal nicht aus den USA, son­dern aus China – Nut­zungs­rechte für ein gan­zes Jahr­hun­dert inklu­sive. Doch bis­her ist noch nicht ein­mal die Spitze die­ses Eis­bergs sichtbar.

Cate­go­riesPanama
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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

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