Mit dem Zug bis zu den Wolken

„Der Zug fährt zunächst durch die Vor­or­te Sal­tas. Bit­te schlie­ßen Sie die Sicher­heits­git­ter vor den Ferns­tern, da es bereits zu Über­grif­fen gekom­men ist und die Kin­der der Vier­tel den Zug häu­fig mit Stei­nen bewer­fen.“

Die­se Zug­fahrt scheint vie­le Beson­der­hei­ten in sich zu ber­gen. Schon am Vor­tag wird uns ans Herz gelegt, viel zu trin­ken, aus­rei­chend zu schla­fen und auf Alko­hol, Sex sowie auf rotes Fleisch zu ver­zich­ten.

Es ist 6.45 Uhr und wir sit­zen im Tren a las nubes – Im Zug zu den Wol­ken. Ein befremd­li­ches Gefühl besteigt mich, in dem hel­len, mit Neon­licht aus­ge­leuch­te­tem Zug­ab­teil mit wei­ßen Sit­zen und den mas­si­ven, jedoch strah­lend wei­ßen Sicher­heits­git­tern vor den Fens­tern. Drau­ßen ist es noch stock­dun­kel, nie­mand im Abteil spricht – dafür ist es wahr­schein­lich noch zu früh. Nur das lei­se Knat­tern des Zuges ist zu hören. Ich den­ke an den fens­ter­lo­sen Güter­wag­gon Gün­ter Eichs, rech­ne jedoch auch jeder­zeit mit einem auf den Zug ein­pras­seln­den Stein­re­gen.

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In unse­rem Abteil befin­den sich zwei Kran­ken­schwes­tern, die im Not­fall zur Ver­fü­gung ste­hen. Zudem dient ein kom­plet­tes Abteil im Zug der medi­zi­ni­schen Ver­sor­gung im Ernst­fall. Sau­er­stoff steht über­all bereit. Im Moment befin­den wir uns noch in Sal­ta, auf einer Höhe von knapp 1200 Metern – unser Ziel ist jedoch das Via­dukt La Pol­vo­r­il­la auf einer Höhe von 4200 Metern. Auf der ver­gleichs­wei­se kur­zen Stre­cke von knapp 200 Km wird ent­spre­chend ein Höhen­un­ter­schied von 3000 Metern über­wun­den.

Auf der Fahrt schlän­gelt sich der Tren a las Nubes, einer der vier höchs­ten Züge der Welt, durch die atem­be­rau­ben­den Anden. Eine Stre­cke, die von frucht­ba­ren grü­nen Tälern bis hin­auf ins tro­cke­ne Puna-Hoch­land führt. Der Zug pas­siert dabei 29 Brü­cken, 21 Tun­nel, 13 Via­duk­te, 2 Spi­ra­len und 2 Zig­zags. Der eigent­lich benö­tig­te Zahn­an­trieb, der ver­wen­det wird, um gro­ße Höhen­un­ter­schie­de zu bewäl­ti­gen, konn­te aus Geld­man­gel nicht beschafft wer­den. Die Inge­nieu­re kamen jedoch auf die Idee, durch das Sys­tem der Zig­zags, jeweils in Form eines „N“ oder eines „Z“ auf kür­zes­tem Raum, bei mög­lichst gerin­ger Stei­gung, mehr als 50 Meter an Höhe zu gewin­nen.

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Die Son­ne geht über den wei­ten Tabak­fel­dern auf, die wir durch­que­ren. Wir fah­ren durch das grü­ne Ler­ma Tal, das Tor zu den Anden, und durch­que­ren dann die Toro-Schlucht. Der Zug gewinnt hier immer mehr an Höhe, das Kli­ma ändert sich und mit ihm auch die Vege­ta­ti­on. Das sat­te Grün des Tals ver­ebbt, wan­delt sich hin zu tro­cke­nen Sträu­chern. Die Wän­de der engen Toro-Schlucht wer­den immer höher, bis auch die Sträu­cher ver­schwin­den und nur noch meter­ho­he Kak­teen und kah­le Fels­wän­de zu sehen sind.

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Die freund­lich lächeln­de Dame, die eben noch den Kaf­fee reich­te, streift nun wie selbst­ver­ständ­lich durch die Gän­ge und reicht jedem Pas­sa­gier eine Hand­voll grü­ner Koka – Blät­ter. Die Blät­ter der Pflan­ze, die für vie­le Kon­flik­te auf der Welt ver­ant­wort­lich ist, sol­len hier hel­fen, die unan­ge­neh­men Neben­er­schei­nun­gen in die­sen Höhen zu lin­dern. Wir rol­len die Blät­ter zu einer golf­ball­ku­gel­gro­ßen Men­ge zusam­men und behal­ten die­se im Mund. Die Stim­mung im Abteil steigt merk­lich. Die gut betuch­te Frau in der Mit­te des Wag­gons, die eben noch über­leg­te, ob sie Sau­er­stoff ver­ab­reicht bekom­men möch­te, grinst bis über bei­de Ohren.

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Die grau­en Fels­wän­de zei­gen nun ihre ver­schie­den­far­bi­gen Gesteins­schich­ten. Bald schon haben die Ber­ge eine ver­schnei­te Kup­pel. Wir stei­gen immer wei­ter, bis wir durch San Anto­nio de los Cobres fah­ren – die höchs­te Stadt Argen­ti­ni­ens auf 3775 Metern Höhe – und errei­chen dann den End­punkt unse­rer Fahrt. Das Via­dukt la Pol­vo­r­il­la ist über 60 Meter hoch und 220 Meter lang. Allein für die Berech­nun­gen der Stei­gun­gen und Wöl­bun­gen des Via­dukts brauch­ten die Inge­nieu­re drei Jah­re, bevor der eben­falls drei­jäh­ri­ge Bau begann.

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Ins­ge­samt dau­er­te der Bau der gesam­ten Zug­stre­cke, die bis auf die ande­re Sei­te der Anden in Chi­le reicht, 27 Jah­re und wird bis heu­te noch als tech­ni­sche Meis­ter­leis­tung der ers­ten Hälf­te des 20. Jahr­hun­derts gefei­ert.

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Antworten

  1. Avatar von markus

    gera­de freue ich mich noch mehr auf mei­nen sued­ame­ri­ka trip! dan­ke fuer die bil­der!

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      VIel Spass und eine auf­re­gen­de Rei­se wün­schen wir. Alles rich­tig gemacht. Süd­ame­ri­ka ist Bom­be 🙂

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