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Mit dem Kanu auf den Spuren des Klondike-Goldrausches

Intensiver als auf dem Yukon-River lässt sich die Geschichte der Goldsucher in Kanada und Alaska nicht nacherleben. Vorbei an gestrandeten Schaufelraddampfern und 120 Jahre alten Verpflegungsstationen paddeln wir mit unseren Kanus vom kanadischen Whitehorse in Richtung Dawson. Ein packender, abenteuerlicher und dennoch erstaunlich entspannender Trip auf einem Fluss, der Geschichte schrieb.

Der Pilot dreht noch eine lange Kurve über den Fluss­land­schaf­ten des Yukon, ehe er lan­det. An den bei­den Kufen des Was­ser­flug­zeu­ges sind die Kanus fest­ge­zurrt. Sie wer­den eine knappe Woche lang unser ein­zi­ges Fort­be­we­gungs­mit­tel auf den Spu­ren des Gold­rau­sches von 1896 sein. Auf einer Fluss­tour, die auch für Kanu-Neu­linge geeig­net ist, und von der Pro­vinz­haupt­stadt Whi­te­horse aus in Rich­tung des legen­dä­ren Daw­son City führt. 

Keine Stunde spä­ter ste­chen wir, vier vier Frauen und fünf Män­ner, unsere Pad­del erst­mals ins Was­ser. Der Yukon River, der durch die gleich­na­mige kana­di­sche Pro­vinz mit kräf­ti­ger Strö­mung in Rich­tung Alaska fließt, ist zwar 3120 Kilo­me­ter lang, tou­ris­tisch inter­es­sant sind aller­dings vor allem die 740 Fluss­ki­lo­me­ter zwi­schen Whi­te­horse und Dawson. 

Erst nach vier Stun­den errei­chen wir ein ers­tes Dörf­chen. Wie zu erwar­ten, ist es ver­las­sen. Die bis zu 120 Jahre alten Holz­hüt­ten aus der Gold­grä­ber­zeit rot­ten vor sich hin, bie­ten aber zumin­dest teil­weise noch ein fes­tes Dach über dem Kopf. Sogar Töpfe und Metall­schüs­seln lie­gen auf dem Boden, Regale und ein Herd sind auch noch vor­han­den. Theo­re­tisch könn­ten wir sogar sofort zu kochen beginnen.

Der Besuch des Ortes ist wie die Zeit­reise in eine ver­gan­gene Epo­che. Wer die Augen schließt, kann sich die Geräu­sche im Tele­gra­fen­amt, das Klap­pern der Koch­töpfe in den Hüt­ten und die Rufe der Arbei­ter des Ortes gut vor­stel­len, der hier ein wich­ti­ger Ver­sor­gungs­pos­ten auf dem Weg nach Daw­son war. Und vor allem das Schreien und die Auf­re­gung der Kin­der, wenn ein schon von wei­tem hör­ba­res, cha­rak­te­ris­ti­sches Stamp­fen einen Schau­fel­rad­damp­fer ankündigte.

Von den einst über 50 wei­ßen Schif­fen, die den Yukon hin­auf und hin­un­ter fuh­ren, ist kei­nes mehr in Betrieb. Umso span­nen­der, dass die im Jahr 1908 gebaute SS Nor­com noch heute auf der Fluss­in­sel der Hoot­al­inqua Tele­graph Sta­tion liegt. Gut 100 Meter vom Fluss­ufer ent­fernt ver­rot­tet das einst so stolze Schiff lang­sam. Die Nor­com ist ein ein­sa­mer, dem Ver­fall geweih­ter Riese. 

Als unser Kanu-Guide Nial am Abend des ers­ten Tages eine Spray­dose in die Höhe hält und sein sonst so offe­nes Lächeln aus­bleibt, wis­sen wir, dass er es ernst meint. „Wer auf die Toi­lette geht, nimmt das Bären­spray mit“, stellt der Kana­dier klar: „Das kann eure Lebens­ver­si­che­rung sein.“ Als eine Mit­rei­sende kurz vor der Däm­me­rung am san­di­gen Fluss­ufer die noch rela­tiv fri­schen Spu­ren von Bären­tat­zen ent­deckt, weiß jeder, wie ernst Nials Anwei­sung zu ver­ste­hen ist. Längst haben wir die Kom­fort­zone ver­las­sen, das ist jetzt klar. Wer auf die Toi­lette muss, nimmt den Spa­ten der Gui­des und gräbt sich hin­ter den Büschen abseits des Camps ein klei­nes Loch, Zäh­ne­put­zen oder Waschen ist nur mit dem eis­kal­ten Fluss­was­ser mög­lich, und die Han­dys haben schon lange kei­nen Emp­fang mehr. Nial kocht außer­dem. Meist ist das Essen recht gehalt­volle Nah­rung, und der Kana­dier weiß, warum das not­wen­dig ist. Ist das Pad­deln für Unge­übte ohne­hin schon schwie­rig, wird es in den nächs­ten Tagen bei Gegen­wind rich­tig anstren­gend. Das Wei­ter­kom­men ist dann nichts ande­res mehr als ein lan­ger, zeh­ren­der Kampf.

Vier Tage dau­ert unsere Tour und wir legen in die­ser Zeit gut 200 Fluss­ki­lo­me­ter von Whi­te­horse bis Little Sal­mon zurück. Danach steht ein Trans­fer nach Daw­son auf dem Pro­gramm. Hät­ten wir drei Tage mehr Zeit, wür­den wir mit dem Kanu direkt in der eins­ti­gen und heu­ti­gen Gold­grä­ber­stadt ankommen. 

Doch jetzt genie­ßen wir noch das Dahin­glei­ten auf dem Fluss. Es hat etwas Medi­ta­ti­ves, die­ses rhyth­mi­sche Ein­tau­chen der Pad­del in das Was­ser, die abso­lute Ruhe, die allen­falls von den Rufen der weni­gen Vögel unter­bro­chen wird. Immer wie­der krei­sen Weiß­kopf­see­ad­ler über dem Fluss oder sit­zen auf Baum­stümp­fen und beob­ach­ten die Padd­ler. Die wie­derum bestau­nen die unend­li­che Weite der Fluss­land­schaf­ten, deren Ufer mal fla­cher, dann wie­der ber­gi­ger sind oder wie rie­sige Dünen direkt vom Was­ser aus gut 40 Meter hoch aufragen. 

Das Wis­sen, tage­lang fernab jeder Besied­lung unter­wegs zu sein, ist beru­hi­gend und schärft die Sinne für das Wesent­li­che: Den Fluss und die Natur. Es ist erstaun­lich: Wenn noch Monate spä­ter ich die Augen schließe und mich zurück­er­in­nere, sind der fri­sche Geruch des Was­sers oder das Pras­seln der Kie­sel unter dem Kanu, die vom Fluss mit­ge­tra­gen wer­den, nach wie vor so prä­sent, als würde die Tour auch jetzt noch andau­ern – und immer wei­ter­füh­ren. Nach Alaska und am Ende in die eisi­gen Wei­ten des Beringmeeres. 

Infos zum Territorium Yukon

Das mit ins­ge­samt 38000 Ein­woh­nern sehr dünn besie­delte Ter­ri­to­rium Yukon im Nord­wes­ten Kana­das ist vor allem auf­grund des Gold­rau­sches ab dem Jahr 1896 bekannt. Mehr als 100000 Men­schen kamen aus der gan­zen Welt ange­reist, um Gold zu schür­fen. Die Stadt Whi­te­horse ist die Haupt­stadt des Ter­ri­to­ri­ums. Ab Whi­te­horse fuh­ren die gro­ßen Schau­fel­rad­damp­fer den Yukon hin­un­ter ins Gold­grä­ber­städt­chen Daw­son. Es war die ein­zige Mög­lich­keit, Men­schen, Ver­pfle­gung, Waren – und letzt­lich auch das Gold – zu transportieren.

Wei­tere Infor­ma­tio­nen: Die Ein­reise nach Kanada ist für Tou­ris­ten bis zu sechs Monate mit einem Rei­se­pass visum­frei. Aller­dings muss für die Anreise per Flug­zeug vor Rei­se­an­tritt eine elek­tro­ni­sche Ein­rei­se­er­laub­nis (elec­tro­nic Tra­vel Aut­ho­riza­tion – eTA) ein­ge­holt werden. 

Frem­den­ver­kehrs­amt:  Depart­ment of Tou­rism & Cul­ture. Govern­ment of Yukon. Lupi­nen­weg 37. 60433 Frank­furt Ger­many. Die Inter­net­seite travelyukon.com ist zumin­dest teil­weise auf Deutsch. 

Anreise: In den Som­mer­mo­na­ten flog Con­dor in den Zei­ten vor Corona von Frank­furt aus jeweils sonn­tags non-stop in gut neun­ein­halb Stun­den nach Whi­te­horse. Preis: ca. 800 Euro. Auch Air Canada fliegt ab Deutsch­land über Van­cou­ver nach Whi­te­horse. Preis: ca. 800 Euro. 

Rei­se­zeit: Die beste Rei­se­zeit ist im Som­mer von Juni bis September. 

Tou­ren: Kanu­trips auf dem Yukon orga­ni­siert unter ande­rem Ruby Range Adven­ture. Die Kos­ten für 15 Tage von Whi­te­horse bis Carmacks mit Trans­fers, Aus­rüs­tung  und Ver­pfle­gung betra­gen gut 1600 Euro. Inter­net: rubyrange.com.

Cate­go­riesAlaska Kanada
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Gerhard von Kapff

Gerhard ist eigentlich Sportredakteur. Zumindest bis vor Kurzem, ehe er kündigte und beschloss, noch einmal etwas Anders im Leben zu machen. Da er es ohnehin noch nie lange zuhause ausgehalten hatte, ehe er wieder mit dem Flugzeug, Zelt oder Wohnmobil unterwegs war, schien es logisch, nun endgültig Reisejournalist zu werden. Denn über Reisen hat er schon immer geschrieben. Mal in einem Buch über eine Alpenüberquerung von München nach Venedig mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen (8 und 10 Jahre), dann wieder in vielen Texten für Tageszeitungen. Heute hat ihn die Leidenschaft gepackt, vor allem mit dem Rad anstrengende Touren quer durchs südliche Afrika oder im Himalaya zu wagen – und seinen Lesern zu zeigen, dass sie das auch können. Ein wunderbar-inspirierendes Vergnügen, findet er. Und viel spannender als Profisport.

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