In 18 Tagen mit dem Containerschiff über den Pazifik

Welcome on board!

„Wel­co­me on board! My name is Kyh­le and I’m the Deck Cadet.“ Wir ste­hen am obe­ren Ende der etwas wacke­li­gen Gang­way. Ich mache noch einen Schritt und ste­he end­lich auf dem Con­tai­ner­schiff. Wir sind an Bord! Eine jun­ge Frau lächelt mich freund­lich an und streckt mir ihre Hand ent­ge­gen. Ich bin posi­tiv über­rascht, eine Frau auf dem Con­tai­ner­schiff anzu­tref­fen, hat­te ich mich bereits dar­auf ein­ge­stellt, allei­ne unter Män­nern den Pazi­fik zu über­que­ren. Ich schaue mich neu­gie­rig um, aber Kyh­le führt uns schon ins Decks­haus hin­ein und über­gibt uns an ihre Kol­le­gen. Chief Offi­cer Dima, ein brei­ter, gro­ßer Mann in unse­rem Alter, stellt sich vor und schüt­telt uns die Hand. Doch auch er hat aktu­ell kei­ne Zeit und über­trägt Third Offi­cer Her­bert, uns unse­re Kabi­ne zu zei­gen.

Gemein­sam mit Her­bert fah­ren wir mit einem Auf­zug sechs Stock­wer­ke nach oben. Wir ste­hen in einem lan­gen Gang mit glän­zen­dem Lin­ole­um­bo­den. Vor Zim­mer 703 blei­ben wir ste­hen. Her­bert öff­net die Türe. Sebas­ti­an und ich bli­cken in einen etwa 20 Qua­drat­me­ter gro­ßen Raum. Links führt eine Türe in ein klei­nes Bade­zim­mer, dane­ben ver­steckt sich ein Dop­pel­bett in der Zim­mer­ecke. Rechts steht ein Schrank, es gibt einen Schreib­tisch und ein Sofa. Die Möbel sind fest­ge­schraubt und der Schreib­tisch­stuhl mit einer Ket­te am Boden befes­tigt. Das Zim­mer ist gemüt­lich, hier wer­den wir uns bestimmt wohl­füh­len. Ein­zig scha­de ist, dass wir nicht aufs Meer, son­dern auf eine Wand aus Con­tai­nern bli­cken. Die ande­ren Türen im Flur füh­ren in drei wei­te­re Pas­sa­gier­ka­bi­nen, zwei Not-Offi­ziers­ka­bi­nen, einen Pas­sa­gier­auf­ent­halts­raum sowie in den Wasch­raum, in dem allei­ne für die Pas­sa­gie­re zwei Wasch­ma­schi­nen und ein Trock­ner bereit­ste­hen.

Her­bert lässt uns auf einem kur­zen Rund­gang in den Auf­ent­halts­raum für uns Pas­sa­gie­re schau­en: Ein run­der Tisch mit vier Stüh­len, ein gro­ßes Eck­sofa und ein rie­si­ger Fern­se­her befin­den sich dar­in. Von hier aus kön­nen wir raus aufs Meer bli­cken. Drei Eta­gen wei­ter oben gibt es einen Fit­ness­raum mit einer Han­tel­bank, Klimm­zug­stan­gen und ande­ren Gerä­ten, ganz unten im Decks­haus steht eine Tisch­ten­nis­plat­te, ein Step­per und ein Fahr­ra­d­er­go­me­ter. Damit steht unse­rem Sport­pro­gramm also nichts im Wege.

Auch Her­bert muss bald wie­der los und ver­ab­schie­det sich von uns, nach­dem er sich ver­ge­wis­sert hat, dass wir wie­der zurück in unser Zim­mer fin­den. Das Wohn­haus auf unse­rem Schiff CMA CGM Jac­ques Joseph hat 11 Eta­gen und jede von ihnen sieht gleich aus.

Leo und Sebastian von eins2frei bei der Ausreise aus China.

Im Hafen

Die Crew ist heu­te am Hafen­tag voll im Ein­satz. Um 12 Uhr gibt es Mit­tag­essen und wir ler­nen eini­ge wei­te­re Besat­zungs­mit­glie­der ken­nen, aber ande­re müs­sen arbei­ten. Mit uns sind 28 Per­so­nen an Bord, dar­un­ter neben mir zwei wei­te­re Frau­en. Die Crew stammt aus der Ukrai­ne, aus Russ­land und von den Phil­ip­pi­nen. Und auch ein wei­te­rer Pas­sa­gier wird mit uns den Pazi­fik über­que­ren: Der 65-jäh­ri­ge Ron aus den USA ist pen­sio­nier­ter Berufs­sol­dat und hat das Rei­sen auf Con­tai­ner­schif­fen zu sei­nem Hob­by gemacht. Jac­ques Joseph ist für ihn bereits das vier­te Fracht­schiff, auf dem er mit­fährt und er wird die gesam­te Rou­te die­ses Schiffs beglei­ten. Das heißt, dass er drei Mona­te lang an Bord leben wird.

Abled Sea­man Jason nimmt unse­re Rei­se- und Impf­päs­se ent­ge­gen, die­se wird der Kapi­tän für die Über­fahrt an sich neh­men. „How long are you on board alre­a­dy?“, fra­gen wir ihn. “9 months! The­se are my last days!” Neun Mona­te immer auf die­sem Schiff zu sein – wir kön­nen uns nicht vor­stel­len, wie das sein muss. „End­lich kom­me ich hier run­ter“, lacht Jason. „End­lich mal wie­der Grün sehen! Mal wie­der was ande­res essen. Und end­lich kein Meer mehr! Mit der Zeit kriegt man einen Knacks, wenn man so lan­ge an Bord ist“. Jason blickt nach­denk­lich durch das Fens­ter auf den Hafen. Heut­zu­ta­ge gibt es auf den Con­tai­ner­schif­fen immer­hin Inter­net, man kann mit Fami­lie und Freun­den in Kon­takt blei­ben. Aber trotz­dem ver­passt man zu Hau­se unglaub­lich viel.

Unser ers­ter Tag auf dem Con­tai­ner­schiff geht schnell vor­bei. Wir besu­chen die Brü­cke, auf der aktu­ell nie­mand ist, denn wir lie­gen immer noch fest ver­täut im Hafen von Qing­dao. Wir schau­en uns in Ruhe alle 11 Stock­wer­ke des Wohn­hau­ses an, drau­ßen auf dem Schiff dür­fen wir heu­te nicht her­um­lau­fen, denn ohne Unter­bre­chun­gen wer­den Con­tai­ner ein- und aus­ge­la­den.

Ich erin­ne­re mich an den Hin­weis des Hafen­agen­ten, der vor­hin mein­te, wir dür­fen an den Pier gehen, solan­ge wir unse­re Hel­me tra­gen. Also zie­hen wir unse­re Jacken an, holen die zwei wei­ßen Hel­me aus dem Schrank, mar­schie­ren die Gang­way nach unten und haben wie­der Land unter den Füßen. Um uns her­um arbei­ten rie­si­ge Krä­ne, wer­den Con­tai­ner durch die Lüf­te geho­ben, fah­ren Last­wa­gen. Wir schau­en in alle Rich­tun­gen, über­que­ren den Zebra­strei­fen und lau­fen aus dem Tru­bel hin­aus ans Ende des Piers. Das Wet­ter ist traum­haft und wir kön­nen kaum glau­ben, dass wir in Chi­na, wo sonst alles so kon­trol­liert und über­wacht wird, ein­fach am Con­tai­ner­ha­fen her­um­lau­fen dür­fen.

Wir genie­ßen den Blick auf unser Schiff, beob­ach­ten die Bela­de­tä­tig­kei­ten aus eini­ger Ent­fer­nung und nut­zen die Zeit vor allem für Fotos. Wir freu­en uns noch über unse­re uner­war­te­te Frei­heit, da mar­schiert ein gro­ßer chi­ne­si­scher Sicher­heits­an­ge­stell­ter auf uns zu und infor­miert uns unmiss­ver­ständ­lich auf Eng­lisch, dass wir wie­der an Bord zu gehen haben. Also doch.

Leo und Sebastian von eins2frei vor ihrem Containerschiff in China.

300 Meter lang und 50 Meter breit ist Jac­ques Joseph und gehört mit die­sen Maßen zu den gro­ßen Con­tai­ner­schif­fen. Voll bela­den und mit viel Tief­gang erscheint mir das Con­tai­ner­schiff aller­dings trotz­dem ziem­lich klein. Hof­fent­lich bringt es uns sicher über den Pazi­fik!

Mei­ne größ­te Sor­ge bei die­ser Oze­an­über­que­rung ist ein gro­ßer Sturm. Schon seit einem Weil­chen schaue ich kei­ne Fil­me mehr an, bei denen es um Schiffs­un­glü­cke geht oder die auf dem Meer spie­len. Ich muss mei­ne Fan­ta­sie ja nicht noch mehr anfa­chen. Aber natür­lich habe ich vor zig Jah­ren Tita­nic gese­hen (und das mehr als ein­mal…) und ken­ne You­tube-Vide­os, bei denen rie­si­ge Wel­len über ein Schiff schla­gen und die Sicht auf das Gesche­hen an Bord selbst von der Brü­cke aus unmög­lich machen. So etwas will ich auf gar kei­nen Fall erle­ben! Die Sor­ge unse­rer Freun­de und Fami­li­en war eher die Lan­ge­wei­le. „Was macht ihr da die gan­ze Zeit, 18 Tage lang?“ Doch schon bald mer­ken wir: Die­se Sor­ge ist unbe­grün­det, lang­wei­lig wird es uns nicht wer­den.

Eigent­lich hieß es, wir wer­den um 18 Uhr able­gen. Doch wir spü­ren kei­ner­lei Bewe­gung des rie­si­gen Schiffs. Nach dem Abend­essen lau­fen wir durchs Trep­pen­haus zu Fuß die sie­ben Stock­wer­ke hoch auf die Brü­cke und kom­men außer Atem an. Um ein­tre­ten zu kön­nen, geben wir an der Türe einen Zah­len­code ein – eine Sicher­heits­maß­nah­me, falls sich uner­laubt frem­de Per­so­nen an Bord befin­den soll­ten.

Dun­kel­heit emp­fängt uns, es ist mucks­mäus­chen­still. Ab und an gibt der Kapi­tän Anwei­sun­gen. Lang­sam gewöh­nen sich mei­ne Augen an die Dun­kel­heit und ich erken­ne ihn und zwei wei­te­re Per­so­nen mit Fern­glä­sern aus dem Fens­ter schau­en. Erst da wird uns klar, dass wir die Abfahrt des Schiffs glatt ver­passt haben! Der Hafen Qing­da­os liegt bereits hin­ter uns und wir fah­ren soeben an der beleuch­te­ten Sky­line vor­bei. Vom Außen­bal­kon der Brü­cke erken­nen wir das Olym­pia-Segel­zen­trum, an dem wir vor nicht all­zu lan­ger Zeit spa­zie­ren waren.

Tschüss Chi­na, tschüss Asi­en! Nach 20 Mona­ten geht in die­sem Moment der ers­te Abschnitt unse­rer Rei­se zu Ende.

Unser Alltag an Bord

Der All­tag an Bord folgt fes­ten Zei­ten: Früh­stück ist um 7 Uhr mor­gens, Mit­tag­essen um 12 Uhr, Abend­essen um 18 Uhr. In der Zeit zwi­schen Früh­stück und Mit­tag­essen besu­chen wir täg­lich die Brü­cke, las­sen uns von den Offi­zie­ren die Gerä­te und Moni­to­re erklä­ren, bli­cken hin­aus aufs Meer, lesen in Büchern über Wind­stär­ken und Wel­len­be­schaf­fen­heit und beob­ach­ten die Crew bei ihrer Arbeit. Im Anschluss schrei­be ich Tage­buch oder mache eine Lek­ti­on in mei­ner Spa­nisch-App, Sebas­ti­an spielt Gitar­re. Meist gibt es dann schon Mit­tag­essen.

Erschöpft vom Vor­mit­tags­pro­gramm machen wir einen kur­zen Mit­tags­schlaf, spa­zie­ren im Anschluss bei gutem Wet­ter außen auf dem Schiff her­um und begin­nen dann mit der Arbeit am Blog. Wir schrei­ben Berich­te, suchen Fotos raus, bear­bei­ten sie und berei­ten alles so vor, dass wir die Inhal­te nach unse­rer Ankunft in Mexi­ko rasch ver­öf­fent­li­chen kön­nen. Und dann ist es meist schon wie­der 18 Uhr und wir gehen zum Abend­essen. Die Aben­de ver­brin­gen wir mit einer Par­tie Tisch­ten­nis, wer­den ein­mal von der phil­ip­pi­ni­schen Crew zum Karao­ke ein­ge­la­den und schau­en manch­mal auf dem gro­ßen Fern­se­her in unse­rem Auf­ent­halts­raum einen Film an.

Die Tage sind voll und wer­den von Tag zu Tag anstren­gen­der. Denn jeden zwei­ten Tag wird die Uhr um eine Stun­de vor­ge­stellt, gefühlt gibt es das Früh­stück damit jeden zwei­ten Tag bereits um 6 Uhr. Mein Kör­per kommt bei die­sen vie­len Zeit­um­stel­lun­gen nicht so schnell hin­ter­her. Zum ers­ten Mal auf die­ser Rei­se erle­ben wir einen Jet­lag. Wäh­rend wir mor­gens nicht aus dem Bett kom­men, kön­nen wir abends nur schwer ein­schla­fen, denn wir sind noch nicht müde.

Es wird ungemütlich

„Auf­grund von schlech­tem Wet­ter ändern wir unse­ren Kurs“, infor­miert uns Chief Offi­cer Dima, als wir mor­gens auf die Brü­cke kom­men. Wir schau­en uns beun­ru­higt an. Es wird doch hof­fent­lich nicht mein größ­ter Schre­cken ein­tre­ten? Dima erklärt uns, dass eine Ree­de­rei vesucht, Risi­ken zu mini­mie­ren und sie, statt Con­tai­ner im Unwet­ter zu ver­lie­ren, lie­ber einen Umweg des Schiffs in Kauf nimmt. Der ein­zi­ge qua­si unver­schieb­ba­re Ter­min auf der aktu­el­len Rou­te ist die Fahrt durch den Pana­ma-Kanal. Die­se wird schon Wochen im Vor­aus gebucht und kos­tet etwa 100.000 Euro. Falls sich das Schiff durch Unwet­ter auf dem Pazi­fik ver­spä­tet, wer­den eher die Stopps in Mexi­ko und an der Pazi­fik­küs­te Pana­mas aus­ge­las­sen, als den Ter­min für den Pana­ma-Kanal plat­zen zu las­sen. „Und wo wür­den wir dann aus­stei­gen, falls das pas­sie­ren soll­te?“, fragt Sebas­ti­an. „Tja, dann wärt ihr in Pana­ma statt in Mexi­ko“, lacht Dima. Das wäre was, den­ke ich mir…

Tat­säch­lich wird das Wet­ter in den kom­men­den Stun­den schlech­ter, doch hat mit mei­nen Hor­ror­vor­stel­lun­gen der Rie­sen­wel­len zum Glück nichts zu tun. Das Haup­t­un­wet­ter umschif­fen wir, auf der Wet­ter­kar­te ist die­ser Bereich dun­kel­rot ein­ge­färbt. Wir fah­ren aktu­ell durch den oran­gen Bereich.

Doch obwohl mich der Blick aus dem Fens­ter glück­li­cher­wei­se nicht in Angst ver­setzt, ist das Schiff in Bewe­gung. „Rol­ling“ nennt das die Crew und es bezeich­net das Hin- und Her­schwan­ken des Schiffs von rechts nach links. Manch­mal auch von vor­ne nach hin­ten oder von hin­ten links nach vor­ne rechts. Oder eher im Kreis. Schein­bar haben wir noch ein „gutes“ rol­ling erwischt, denn Jac­ques Joseph legt sich ganz lang­sam nach rechts, ver­harrt einen Moment und bewegt sich dann gaaa­anz lang­sam nach links. Im Gang gera­de­aus gehen klappt trotz­dem nicht, wir bei­de tor­keln wie die Betrun­ke­nen durch unser Stock­werk. Auch unse­re Bana­nen, die wir im Zim­mer mit einer Schnur ange­bun­den haben, schau­keln wie ein Pen­del hin und her.

Als wir abends im Bett lie­gen, ver­än­dert sich die zuvor noch lus­ti­ge Situa­ti­on für mich. An Schlaf kann ich so nicht den­ken. Obwohl ich auf dem Bauch lie­ge, wie uns Koch Jose­li­to und Ste­ward Roger gera­ten haben, zie­hen unsicht­ba­re Kräf­te an mir. Ich wer­de in die Matrat­ze gedrückt, nach rechts gezo­gen, nach links gescho­ben, immer hin und her. Mei­ne Gedan­ken machen sich selbst­stän­dig und bei jedem Wen­de­punkt hal­te ich die Luft an, ob Jac­ques Joseph auch wirk­lich wie­der in die ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tung schwankt und nicht ein­fach umkippt. Bis zu 18 Grad rollt das Schiff aktu­ell hin und her.

Wir befin­den uns inzwi­schen mit­ten auf dem Pazi­fik, heu­te ist Tag 6. Vor­hin erklär­te Offi­zier Her­bert uns die nau­ti­sche Kar­te und damit weiß ich, dass sich aktu­ell 5000 Meter Was­ser unter uns befin­den. Wenn wir hier in See­not gera­ten, kann uns nie­mand hel­fen. Sebas­ti­an schlum­mert bereits fried­lich neben mir. Ihm macht das Geschau­kel nichts aus und er hat ein fes­tes Ver­trau­en in unser Schiff und die Fähig­kei­ten der Crew. Auch ich ver­su­che, mich auf posi­ti­ve­re Gedan­ken zu kon­zen­trie­ren und schla­fe schließ­lich doch ein.

Das Leben der Seemänner und ‑frauen

„How is life?“, fragt uns Offi­zier Jona­than, als wir die Brü­cke betre­ten. Mor­gens haben meis­tens er und Kadet­tin Khyle Dienst, ich mag die bei­den. Immer gut drauf und immer bereit, uns etwas zu erklä­ren. „Naja, die Nacht ging so“, muss ich zuge­ben. Die bei­den lachen. Khyle gesteht, dass auch ihr immer mal wie­der schlecht wird, wenn das Schiff zu rol­len beginnt. Ich selbst füh­le mich wie nach einer durch­fei­er­ten Nacht, wenn der Magen am nächs­ten Mor­gen noch flau ist und man eine blei­er­ne Müdig­keit spürt. „Und wie geht’s euch?“, fra­gen wir die bei­den zurück. „It’s bor­ing“, ist Jona­t­hans ein­zi­ge Ant­wort. Jetzt, mit­ten auf dem Pazi­fik, ist nichts mehr los. Kein ein­zi­ges Schiff wird vom Radar ange­zeigt und der Auto­pi­lot über­nimmt die Steue­rung. Jona­than und Khyle schau­en immer wie­der mit ihren Fern­glä­sern aufs Was­ser, haben ansons­ten aber Zeit, sich mit uns zu unter­hal­ten.

Als Chief Offi­cer Dima auf die Brü­cke kommt, ändert sich die Atmo­sphä­re. Mit den „white peo­p­le“, wie die phil­ip­pi­ni­sche Crew ihre Kol­le­gen aus der Ukrai­ne und aus Russ­land bezeich­nen, sind sie nicht so ent­spannt wie mit uns. Aber wir haben als Pas­sa­gie­re einen Son­der­sta­tus an Bord. Dima bespricht sich mit Jona­than und Kyle und ich blei­ben am Fens­ter zurück.

„Wie kommt es, dass du auf einem Con­tai­ner­schiff arbei­test?“ Die­se Fra­ge inter­es­siert mich schon vom ers­ten Tag an. Die 19-jäh­ri­ge Khyle erzählt von ihrer Aus­bil­dung. Zwei Jah­re war sie bereits auf der Kadet­ten­schu­le auf den Phil­ip­pi­nen, nun muss sie ein Jahr zur See fah­ren und ler­nen. Sechs Mona­te ist sie schon an Bord, sechs wei­te­re Mona­te lie­gen noch vor ihr. Im Anschluss muss sie für ein wei­te­res Jahr zur Kadet­ten­schu­le gehen und kann sich dann an Bord in der Hier­ar­chie hoch­ar­bei­ten.

Eigent­lich war ihr Wunsch, Medi­zin zu stu­die­ren. Doch das dau­ert 10 Jah­re und statt wie auf der Kadet­ten­schu­le etwas Geld zu ver­die­nen, zahlt man drauf. „Let’s be prac­ti­cal“, mein­ten ihre Eltern zu ihr und schick­ten sie auf die Kadet­ten­schu­le. Ihr Vater ist selbst sea­fa­rer und kennt das Geschäft. Ich bin über­rascht, dass er sie in eine sol­che Män­ner­do­mä­ne geschickt hat. Khyle erzählt, dass in ihrer Kadet­ten­schu­le auf 400 Män­ner 18 Frau­en kamen. Doch hat sie es auf Jac­ques Joseph gut getrof­fen, denn mit ihr ist noch Chris­ti­ne als zwei­te Kadet­tin an Bord. Auch wenn die­se im Maschi­nen­raum arbei­tet und Khlye auf der Brü­cke, ver­brin­gen sie ihre freie Zeit gemein­sam. Fünf bis zehn Jah­re kann sie sich vor­stel­len, zur See zu fah­ren, dann will sie aber lie­ber etwas ande­res machen. Fami­li­en­kom­pa­ti­bel ist der Job ja nicht gera­de.

Eini­ge Tage spä­ter kön­nen wir Offi­zier Her­bert die glei­che Fra­ge stel­len. „It’s good money!“ Her­bert besitzt mitt­ler­wei­le drei Häu­ser und zwei Autos auf den Phil­ip­pi­nen und zeigt stolz Fotos von daheim. Sei­ner Fami­lie geht es gut. Auch Dima aus der Ukrai­ne teilt die­se Ein­schät­zung über sei­ne Moti­va­ti­on. Auf See ver­dient er sehr viel mehr als in der Ukrai­ne in einem nor­ma­len Job. Die Ein­satz­zei­ten auf See vari­ie­ren aber sehr je nach Her­kunfts­land und Arbeits­ver­tag. Wäh­rend die Besat­zung aus der Ukrai­ne und aus Russ­land meist „nur“ drei Mona­te an Bord bleibt, gilt für die phil­ip­pi­ni­sche Crew ein ande­rer Ein­satz­plan: Bis zu 9 Mona­te arbei­ten sie am Stück an Bord, ohne Wochen­en­de, ohne Urlaub, Tag für Tag, Monat für Monat.

Sebastian von eins2frei auf der Brücke des Cotainerschiffs.

18 Tage auf See

Jeden Mor­gen kurz vor dem Früh­stück tra­gen wir auf unse­rer Welt­kar­te unse­re momen­ta­ne Posi­ti­on ein. Trotz zwei­ma­li­ger Kurs­än­de­run­gen wegen Unwet­tern nähern wir uns unauf­hör­lich Ame­ri­ka. An eini­gen Tagen war es drau­ßen eis­kalt und ein star­ker Wind pfiff uns durch die Haa­re. Doch heu­te an Tag 14 ist es auf ein­mal so warm, dass ich im T‑Shirt nach drau­ßen gehen kann.

Mit den Tem­pe­ra­tu­ren ändert sich auch das Aus­se­hen des Mee­res: Von grau, auf­ge­wühlt und wel­lig ist es heu­te tief­blau und ganz ruhig. „Da war was! Ich schwör’s!“ Sebas­ti­an zeigt auf­ge­regt auf eine Stel­le im Meer. Und auch ich sehe nicht all­zu weit ent­fernt eine Fon­tä­ne auf­stei­gen. Wale! Doch lei­der sind die­se zwei Fon­tä­nen das Ein­zi­ge, was wir von den Walen sehen. Aber dafür ent­de­cken wir einen gro­ßen Hai, der für einen kur­zen Moment direkt neben dem Schiff schwimmt und vie­le flie­gen­de Fische. Je näher wir dem noch nicht zu sehen­den Fest­land kom­men, des­to häu­fi­ger krei­sen Möwen um unser Schiff her­um und las­sen sich auf den Con­tai­nern sit­zend ein Weil­chen mit­neh­men.

An unse­rem letz­ten Tag auf See machen wir alles, was wir unbe­dingt noch erle­di­gen woll­ten: Wir inter­view­en Dima zu Con­tai­ner­schif­fen, zur Fracht, zum Leben an Bord, zu allem, was uns inter­es­siert und schrei­ben sei­ne Ant­wor­ten auf. „Schreibt ihr für die Schü­ler­zei­tung?“, neckt er uns. Aber wie sonst sol­len wir uns die Fül­le an Infor­ma­tio­nen mer­ken? Auf­schrei­ben ist für uns die ein­zi­ge Lösung.

Mit­tags essen wir ein letz­tes Mal mit der phil­ip­pi­ni­schen Crew und freu­en uns über das über­aus lecke­re Essen. Wäh­rend die Ukrai­ner täg­lich zwei­mal täg­lich Fleisch essen wol­len, sagt uns das Essen im zwei­ten Spei­se­saal heu­te mehr zu. Und auch die Stim­mung ist hier ent­spann­ter. Bei den Fili­pi­nos wird viel gere­det und gelacht. Im ande­ren Spei­se­saal herrscht manch­mal ein unan­ge­neh­mes Schwei­gen. 10 Per­so­nen sit­zen dann am glei­chen Tisch und schau­feln schwei­gend ihr Essen in sich hin­ein. Da fin­de ich es bei der phil­ip­pi­ni­schen Crew net­ter.

Sebas­ti­an spielt mit eini­gen Män­nern der Besat­zung Bas­ket­ball, denen es nun end­lich warm genug dafür ist. An all den Sams­ta­gen davor war es ihnen zu win­dig, zu reg­ne­risch oder ein­fach nicht das Wet­ter, an dem ein Fili­pi­no drau­ßen Sport machen wür­de. Doch heu­te passt alles und etwa 10 Per­so­nen toben sich auf dem hin­te­ren Deck ordent­lich aus.

Als wir abends ins Bett gehen, ste­hen unse­re Ruck­sä­cke bereits gepackt an der Wand. Mor­gen wer­den wir in Mexi­ko ankom­men. Ich kann es nicht wirk­lich glau­ben.

Bienvenidos a México!

Am nächs­ten Mor­gen lau­fe ich im Schlaf­an­zug zum Auf­ent­halts­raum und schaue aus dem Fens­ter. Land in Sicht! Nach 14 Tagen nur Was­ser um uns her­um! Wir sprin­gen in unse­re Kla­mot­ten und gehen noch vor dem Früh­stück auf die Brü­cke. Doch bis der Lot­se an Bord kommt, um das Schiff in den Hafen zu beglei­ten, soll es noch eine Stun­de dau­ern. Also früh­stü­cken wir erst­mal.

Als wir zurück auf die Brü­cke kom­men, trifft der Lot­se gera­de ein. Wir nähern uns Man­z­a­nil­lo gemäch­lich, aber ste­tig. Pal­men tau­chen am Ufer auf, hin­ter der Stadt erhe­ben sich Ber­ge. Es ist so grün hier! Vögel flie­gen über das Schiff. Ich hat­te mir Mexi­ko anders vor­ge­stellt. Eher tro­cken und ver­brannt. Mit Kak­teen. Aber hier sieht es rich­tig tro­pisch aus. Und es ist schwül-heiß.

Auf­ge­regt beob­ach­ten wir alles, was um uns her­um pas­siert. Doch obwohl wir Man­z­a­nil­lo bereits mor­gens um 6 Uhr sehen konn­ten, dau­ert es noch bis 11 Uhr, bis wir von Bord gehen dür­fen. Drei Ein­rei­se­be­am­te kom­men ans Schiff und küm­mert sich zunächst um die Tages­ge­neh­mi­gun­gen für die Crew­mit­glie­der, die heu­te frei­ha­ben und an Land gehen dür­fen. Als die­se ihre Päs­se und Spe­zi­al­be­schei­ni­gun­gen haben, sind wir dran.

In genu­schel­tem Spa­nisch wer­den wir gefragt, wo wir her­kom­men, wie lan­ge wir in Mexi­ko blei­ben und wo wir als ers­tes stop­pen wer­den. Außer „Bien­ve­ni­dos a Méxi­co!”, will­kom­men in Mexi­ko, ver­ste­he ich kaum etwas. Zum Glück spricht Sebas­ti­an flie­ßend Spa­nisch und kann die Kom­mu­ni­ka­ti­on über­neh­men. Direkt an Bord bekom­men wir unse­re Ein­rei­se­kar­ten aus­ge­hän­digt, 180 Tage dür­fen wir uns in Mexi­ko auf­hal­ten. Ein hal­bes Jahr!

Wir ver­ab­schie­den uns von Kapi­tän Volo­dym­yr, von Dima, von Jona­than, Khyle und all den ande­ren tol­len Crew­mit­glie­dern, die uns in den letz­ten 18 Tagen sicher und wohl­be­hal­ten über den Pazi­fik gebracht haben. Mei­ne Angst vor einem schlim­men Sturm war zum Glück unbe­grün­det und lang­wei­lig ist es uns auch nicht gewor­den. Im Gegen­teil waren die ver­gan­ge­nen Tage sehr span­nend und haben uns vie­les Neue ler­nen las­sen.

Vom win­ter­li­chen Chi­na sind wir im schwül­hei­ßen Mexi­ko ange­kom­men und obwohl uns die­se Con­tai­ner­schif­frei­se eigent­lich lang­sam über den Pazi­fik brin­gen soll­ten, kann ich es jetzt trotz­dem noch nicht wirk­lich begrei­fen, dass wir auf ein­mal auf einem neu­en Kon­ti­nent sind und dass ein neu­es Kapi­tel unse­rer Rei­se begon­nen hat.

Leo von eins2frei verlässt das Containerschiff in Mexiko.

Du willst mehr wis­sen über das Rei­sen mit einem Con­tai­ner­schiff? Dann schau in unse­ren Gui­de „Mit dem Con­tai­ner­schiff über den Pazi­fik – So geht’s“, der dir alle Fra­gen beant­wor­tet. Und falls doch noch eine offen geblie­ben ist, schreib uns ger­ne einen Kom­men­tar oder eine E‑Mail.

Wir haben unse­re Pazi­fik­über­fahrt bei der in Ber­lin ansäs­si­gen Rei­se­agen­tur Lang­sam­rei­sen gebucht und waren mit der Leis­tung und dem Buchungs­pro­zess sehr zufrie­den. [Wer­bung]

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Antworten

  1. Avatar von Toby & Anna

    Wie immer super schön und span­nend geschrie­ben! Ich lie­be das Bild von Sebas­ti­an beim Bas­ket­ball spie­len. Unglaub­lich, dass das in einem Schiff auf­ge­nom­men wur­de!

    1. Avatar von Leo Sibeth & Sebastian Ohlert

      Dan­ke ihr zwei! Das Bas­ket­ball­match mit der Crew war eines der High­lights für Sebas­ti­an 🙂

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