Entlang der Straße der Kasbahs

Die Son­ne brennt unbarm­her­zig, als wir das süd­li­che Ziel unse­rer Marok­ko-Rei­se errei­chen; die Oasen­stadt Zago­ra. Zwei­und­fünf­zig Tages­mär­sche nach Tim­buk­tu: das aus­geb­li­che­ne Schild ver­weist auf die legen­dä­re Kara­wa­nen­rou­te, die aus Mali kom­mend über Mar­rak­ech an die Atlan­tik­küs­te führt. Mit etwa neun Mil­lio­nen Qua­drat­ki­lo­me­tern Flä­che ist die Saha­ra die größ­te Wüs­te der Erde. Ein unwirt­li­ches, schwer zu durch­drin­gen­des und mit­un­ter töd­li­ches Meer aus Geröll und Sand. Trotz wid­ri­ger Umstän­de zogen seit jeher Kara­wa­nen von Oasen­stadt zu Oasen­stadt quer durch die Wüs­te. Aus dem Süden trans­por­tier­ten sie vor allem Gold, Elfen­bein und Skla­ven. Im Tausch dafür brach­ten sie Kera­mik, Tex­ti­li­en und Metall­wa­ren zurück in den Sahel. Dabei wech­sel­ten nicht nur Waren die Besit­zer, auch kul­tu­rell begeg­ne­ten sich die Völ­ker. Spra­chen und Reli­gio­nen ver­schmol­zen.
Bis zu 5000 Kame­le und Hun­der­te von Men­schen konn­te eine Kara­wa­ne umfas­sen: eine enor­me logis­ti­sche Her­aus­for­de­rung, und gleich­zei­tig ein attrak­ti­ves Ziel für Über­fäl­le. Befes­tig­te und siche­re Unter­künf­te sowie Schutz­ver­trä­ge mit der loka­len Bevöl­ke­rung waren essen­zi­ell und führ­ten zum Bau der Kas­bahs (Fes­tun­gen) und Ksars (befes­tig­te Dör­fer) ent­lang der eins­ti­gen Han­dels­rou­ten. Vor allem im Süden Marok­kos las­sen sich unzäh­li­ge der ursprüng­li­chen, zum Teil jahr­hun­der­te­al­ten Lehm­bur­gen bewun­dern.

Zurück zum Anfang. Die Rei­se ent­lang der Rou­te der Kas­bahs beginnt mit der Pas­sa­ge des legen­dä­ren Tizi-n-Tich­ka-Pass im Hohen Atlas. Der Gebirgs­pass teilt Marok­ko in zwei Hälf­ten – den grü­nen, moder­nen Nor­den und den abge­schie­de­nen, tra­di­tio­nel­len, tro­cke­nen Süden. Ent­lang von majes­tä­ti­schen Zedern und Wal­nuss­bäu­men folgt unser Bus der gewun­de­nen Stra­ße auf 2260 Meter Höhe. Das Berg­pan­ora­ma fun­kelt in der Mor­gen­son­ne. An der der Pis­te laden Ter­ras­sen­ca­fés zu einer Rast with a view ein. Die ers­te von vie­len Mög­lich­kei­ten das Natio­nal­ge­tränk schlecht­hin zu ver­su­chen, „Marok­ka­ni­schen Whis­key“: Grü­ner Gun­pow­der-Tee mit Nana-Min­ze und viel Zucker. Die­ser ist gera­de bei den stünd­lich stei­gen­den Tem­pe­ra­tu­ren eine erquick­li­che Erfri­schung.

Am Fuße des Atlas emp­fängt uns die wohl bekann­tes­te Ksar Marok­kos: Aït Ben­had­dou. Die Lehm­stadt schmiegt sich an einen Berg­hang am Ufer des Asif Mel­lah, des­sen Fluss­bett im Som­mer aus­ge­trock­net ist. Enge Gas­sen vol­ler Tep­pich- und Kera­mik­händ­ler füh­ren durch den zum UNESCO-Welt­kul­tur­er­be zäh­len­den Orts­kern hoch auf den Hügel, auf dem die Über­res­te einer statt­li­chen Kas­bah thro­nen. Neben der Alt­stadt sticht eine beson­de­re Bau­stel­le her­vor. Ein Colos­se­um im Minia­tur­for­mat ist im Ent­ste­hen, für die Fort­set­zung des Hol­ly­wood-Block­bus­ters „Gla­dia­tor“. Aït Ben­had­dou ist eine berühm­te Set­ku­lis­se. Die Lis­te der Fil­me reicht von „Law­rence von Ara­bi­en“ über „James Bond“ bis hin zu „Game of Thro­nes“. Film­fans kön­nen auf der Wei­ter­fahrt nach Ouar­za­za­te einen Abste­cher zu den nahe gele­ge­nen Atlas Film Stu­di­os machen, dem Zen­trum der marok­ka­ni­schen Film­in­dus­trie. Tra­gi­scher­wei­se wur­de Aït Ben­had­dou wie zahl­lo­se wei­te­re Orte im schwe­ren Erd­be­ben vom 8. Sep­tem­ber 2023 beschä­digt. Mein Besuch fand weni­ge Wochen vor­her statt.

Auch in Ouar­za­za­te, dem „Tor zur Wüs­te“ hat das Erd­be­ben Spu­ren hin­ter­las­sen. Eine grö­ße­re Zer­stö­rung blieb zum Glück aus, auch wenn die präch­ti­ge Kas­bah Taour­irt des einst mäch­ti­gen Ber­ber­fürs­ten T’hami El Glaoui Ris­se erlit­ten hat.

Oft füh­le ich mich auf die­ser Fahrt wie auf einer Rei­se in die Ver­gan­gen­heit. Das Leben hier ist recht ein­fach und sehr tra­di­tio­nell. Umso mehr ste­chen all die fort­schritt­li­chen Pro­jek­te her­vor, beson­ders im Bereich der erneu­er­ba­ren Ener­gien. Futu­ris­tisch mutet das Kraft­werk Moor mit sei­nem rie­si­gen Solar­tower an, zehn Kilo­me­ter vom Stadt­zen­trum ent­fernt gele­gen. Solar­ener­gie gilt hier als gro­ßes Zukunfts­ver­spre­chen. Die Son­nen­ein­strah­lung hat hier einen der höchs­ten Wer­te welt­weit, bei prin­zi­pi­ell 365 Tagen Son­nen­schein im Jahr.  
Auf dem Weg zu unse­rem Nacht­quar­tier pas­sie­ren wir die Rosen­stadt El Kel­aa, bekannt für die Pro­duk­ti­on von Rosen­was­ser und Rosen­öl. Am ers­ten Frei­tag im Mai wird nach der Rosen­blü­ten­ern­te das drei­tä­gi­ge Rosen­fest gefei­ert, mit der Wahl der Rosen­kö­ni­gin als Höhe­punkt.
Kurz vor Däm­me­rung errei­chen wir unser Hotel mit Blick auf das grü­ne Dades-Tal, über dem die Oasen­stadt Bou­mal­ne auf einem Wüs­ten­pla­teau liegt. Nach dem Abend­essen gön­ne ich mir noch einen Minz­tee, bevor ich in einen tie­fen Schlaf ver­sin­ke.

Der Tag beginnt früh. Die Stra­ße der Kas­bahs ist lang und in Marok­ko gel­ten stren­ge Ver­kehrs­re­geln. Gerast wird hier nicht. Mir gefällt das gut. Gemäch­lich fin­den wir unse­ren Weg durch die Geröll­wüs­te. Durch die Pan­ora­ma­fens­ter des Bus­ses habe ich einen per­fek­ten Blick auf das wun­der­schö­ne Far­ben­spiel der Saha­ra. Schon aus der Fer­ne sticht die Wüs­ten­stadt Ting­hir her­vor, wohl eine der schöns­ten Pal­men-Oasen Marok­kos. Oasen sind kom­ple­xe Gebil­de und kön­nen dank inten­si­ver Ter­ras­sen­wirt­schaft sehr ergie­big sein. Typisch für sie ist der drei­tei­li­ge Stock­werk­bau: auf der unters­ten Ebe­ne wer­den Getrei­de, Gemü­se, Reis und Fut­ter­pflan­zen ange­baut, dar­über nied­ri­ge Bäu­me, wie Fei­gen oder Gra­nat­äp­fel. Außen bie­ten Dat­tel­pal­men Schat­ten. Dat­tel­pal­men sind die wich­tigs­ten Pflan­zen Marok­kos. Bis zu 1000 Jah­re alt kann eine Pal­me wer­den. Dat­teln bil­den dank ihres hohen Zucker- und Nähr­stoff­ge­halts die Grund­la­ge der noma­di­schen Ernäh­rung und sind begehr­tes Han­dels­gut. Die tra­di­tio­nel­le noma­di­sche Lebens­wei­se ist auch in Marok­ko im Nie­der­gang begrif­fen. Der Süden ist beson­ders von der Land­flucht betrof­fen. Vie­le Ber­ber geben ihr Noma­den­tum auf, die Jugend zieht es in die gro­ßen Städ­te im Nor­den. Die Dat­tel­pal­me und ihre Früch­te haben jedoch wenig an Bedeu­tung ver­lo­ren und gel­ten als natio­na­les Hei­lig­tum. Sie sind beson­ders im Rama­dan beliebt.

Unser nächs­ter Stopp ist eines der High­lights in Süd­ma­rok­ko: die Todra-Schlucht mit ihren stei­len, bis zu 300 Meter hohen Fels­hän­gen. Die Durch­fahrt mit dem Auto ist gesperrt. So lässt sich die beein­dru­cken­de Land­schaft bei einem Spa­zier­gang bewun­dern.

Je wei­ter süd­lich unse­re Rei­se geht, des­to wüs­ter wird die Land­schaft. Die Pal­men­hai­ne wei­chen einer Geröll­wüs­te, ers­te Dünen sind aus­zu­ma­chen. In Ris­sa­ni, einer Wüs­ten­stadt am Ran­de der Saha­ra, besich­ti­gen wir den far­ben­fro­hen Souk, den Markt, der hier täg­lich statt­fin­det. Wir win­den uns durch enge Gas­sen vol­ler Gewür­ze, Klei­dung, Hand­werks­kunst, leben­der und toter Tie­re und Werk­zeu­ge. Auch medi­zi­ni­sche Dienst­leis­tun­gen wie das Schröp­fen und Natur­heil­mit­tel wer­den ange­bo­ten.

Mit­tags stei­gen wir in Jeeps, mit denen wir Rich­tung Wüs­te düsen. Die Nacht wer­den wir in einem luxu­riö­sen Zelt­camp in der Wüs­te Merz­ou­ga ver­brin­gen. Unser Fah­rer hat sicht­lich Spaß dar­an, durch die end­lo­sen Sand­dü­nen zu rasen. Der Aus­blick ist sur­re­al und wird sekünd­lich magi­scher. Im Camp wer­den wir mit Tee und Gebäck begrüßt, bevor wir den Son­nen­un­ter­gang im end­lo­sen Wüs­ten­sand genie­ßen. Einem gesel­li­gen Abend­essen folgt ein Trom­mel­kon­zert unterm fun­keln­den Ster­nen­him­mel. In mei­nem stil­voll ein­ge­rich­te­ten Zelt fal­le ich in einen erhol­sa­men Schlaf. Ger­ne wür­de ich hier län­ger blei­ben. Die Stil­le und die Schön­heit der Wüs­te sind etwas ganz Beson­de­res. Die Nacht in der Wüs­te ist defi­ni­tiv mein Höhe­punkt die­ser Rei­se.

Wo heu­te Wüs­te ist, war einst Meer. Davon zeu­gen noch heu­te Fos­si­li­en wie die Tri­lo­bi­ten aus dem Devon von vor etwa 360 Mil­lio­nen Jah­ren. Bedeu­ten­de Foss­il­la­ger­stät­ten fin­den sich in der Nähe der Dat­tel­pal­men­oa­se Alnif, wo wir unse­ren Mor­gen­kaf­fee ein­neh­men auf der Wei­ter­fahrt nach Zago­ra, dem Ziel unse­rer Rei­se.
Ein letz­ter Stopp führt in die Oasen­stadt Tame­g­rou­te, bekannt für die „Grü­ne Kera­mik“, die hier noch sehr tra­di­tio­nell her­ge­stellt wird. Gan­ze Fami­li­en arbei­ten zusam­men. Geschicht­lich ist die Stadt ein wich­ti­ges Zen­trum des reli­giö­sen Ler­nens und Sitz eines der größ­ten Sufi-Orden der isla­mi­schen Welt. Die Biblio­thek des Ordens ist mit ihren Tau­sen­den von Hand­schrif­ten die bedeu­tends­te in Nord­afri­ka. Wer die Bücher zu den The­men Theo­lo­gie, Astro­no­mie, Geo­gra­phie und Phar­ma­ko­lo­gie stu­die­ren möch­te, benö­tigt eine Geneh­mi­gung der marok­ka­ni­schen Regie­rung. Optisch macht die nüch­ter­ne Biblio­thek kei­nen gro­ßen Ein­druck. Die Bücher befin­den sich alle hin­ter Glas, ein paar weni­ge Bei­spiels­sei­ten und Kal­li­gra­phien sind aus­ge­stellt. Eine Füh­rung durch die Gebäu­de der Bru­der­schaft ist jedoch äußerst inter­es­sant.

Ein letz­ter Abend am Ran­de der Saha­ra, und wir machen uns auf den Rück­weg gen Mar­rak­ech, der „Per­le des Südens“. Am Bus­fens­ter zieht die traum­haf­te Kulis­se aus Sand, Stein und Pal­men vor­bei, ein Far­ben­spiel aus braun-grau-grün. Wei­ter geht es über den Tizi-n-Tich­ka-Pass, hin­ein in die pul­sie­ren­de Groß­stadt.
Nach einer Woche im men­schen­lee­ren Süden sind das Gewu­sel und das Stim­men­ge­wirr fast eine Über­for­de­rung. Beim Abend­essen hoch über den Dächern der Medi­na ver­fliegt die Anspan­nung jedoch schnell. Im tra­di­tio­nel­len Restau­rant Dar Nej­ja­ri­ne wer­den köst­li­che nord­afri­ka­ni­sche Spe­zia­li­tä­ten ser­viert. Den Blick auf das Mina­rett der Kou­toui­ba-Moschee im Son­nen­un­ter­gang gibt es gra­tis dazu.

Am nächs­ten Mor­gen stür­zen wir uns in das Gewim­mel der Medi­na, mit ihren engen Gas­sen und bun­ten Souks. Aus­ge­feil­te Hand­werks­kunst, Gewür­ze, Tep­pi­che und Tex­ti­li­en wer­den in spek­ta­ku­lä­rer Kulis­se feil­ge­bo­ten. Wer hier nicht in einen Kauf­rausch ver­fällt, ist wahr­haft von stand­haf­ter Natur. Feil­schen gehört jedoch zwin­gend dazu. Mein Gui­de emp­fiehlt, Waren auf etwa die Hälf­te des Prei­ses her­un­ter­zu­han­deln.
In Mar­rak­ech über­ra­schen die Besu­cher hin­ter schlich­ten ocker­far­be­nen Häu­ser­fron­ten opu­len­te Riads und Paläs­te: eine wahr­haf­te Fül­le von Pflan­zen, Mosai­ken und bemal­ten Zedern­holz. Man soll­te sich ein wenig Zeit neh­men durch die Gas­sen zu schlen­dern und all die Gerü­che und Klän­ge auf­zu­sau­gen, sowie die archi­tek­to­ni­schen Meis­ter­wer­ke zu bestau­nen. Zu nen­nen sind hier der Bahia-Palast, die Saa­dier-Grä­ber mit ihren auf­wän­dig ver­zier­ten Mau­so­leen und die beein­dru­cken­de mit­tel­al­ter­li­che Stadt­mau­er.
Auch Gebäu­de in Mar­rak­ech sind durch das Erd­be­ben in Mit­lei­den­schaft gezo­gen wor­den. So war etwa der Bahia-Palast für meh­re­re Wochen geschlos­sen. Er wur­de im Okto­ber wie­der eröff­net.

Das letz­te Abend­essen die­ser Rei­se genie­ßen wir im his­to­ri­schem Gemäu­er des „Dar Essa­lam“, das auch schon als Film­ku­lis­se für Alfred Hitch­cocks „Der Mann, der zu viel wuss­te“ dien­te. Zu Pas­te­te und Cous­Cous wird tra­di­tio­nel­le marok­ka­ni­sche Musik und Bauch­tanz dar­ge­bo­ten. Wer sich nicht recht­zei­tig in Sicher­heit bringt, muss auch selbst die Hüf­ten schwin­gen.
Beschwingt lau­fen wir in die laue Som­mer­nacht direkt zum zen­tra­len Platz Jemaa El Fna, wo in einem bun­ten Trei­ben Händ­ler, Schlan­gen­be­schwö­rer, Wahr­sa­ge­rin­nen und Musi­kern laut­stark um Kund­schaft buh­len. Eine wun­der­vol­le, ohren­be­täu­ben­de Kako­pho­nie. Ein letz­ter Blick zurück, ein letz­ter süßer Minz­tee im Glas – dann heißt es Abschied­neh­men: bes­lä­ma

Vie­len Dank an Gebe­co und Roy­al Air Maroc für die Ein­la­dung auf die­se Rei­se.
Gebe­co bie­tet 10 Rei­sen nach Marok­ko an. Dar­un­ter vier Erlebnis‑, zwei Stu­di­en- und je eine Wan­der-und Rad­rei­se sowie zwei Pri­vat­rei­sen. Zwei der Rei­sen fin­den in der Klein­grup­pe statt.

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Antwort

  1. […] die Augen offen zu hal­ten. Die lehm­far­be­nen Häu­ser, die wir pas­sie­ren, erin­nern an mit­tel­al­ter­li­che Rui­nen. „Da sind sie“, sagt Madi­ta unver­hofft und zeigt aus dem Fens­ter. Sie meint die Atlas […]

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