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Lost and Found – auf Fogo Island

Es gibt Orte auf der Welt, die erfreuen uns mit ihrer Schön­heit, ihrem zau­ber­haf­ten Ant­litz. Regio­nen und Desti­na­tio­nen, zu denen wir gerne rei­sen, weil wir uns dort wohl füh­len, wir abschal­ten kön­nen, weil wir dort gerne sind. Sol­che Urlaubs­orte kann man wei­ter­emp­feh­len, davon schwär­men – vom guten Essen, dem tol­len Strand, der Herz­lich­keit der Men­schen – und der nächste Rei­sende wird es wahr­schein­lich nach­emp­fin­den können.Aber es gibt auch echte Sehn­suchtsorte. Plätze, die etwas mit uns machen. Die uns nach­hal­tig ver­än­dern. Sehn­suchtsorte sind viel indi­vi­du­el­ler. Manch­mal ist es nur die­ser eine Augen­blick, der alles ver­än­dert – und der alles bedeu­tet… Ich bin sicher, jeder hat solch einen beson­de­ren Ort im Sinn, wenn er zurück­denkt an die Rei­sen, die er im Leben schon gemacht hat. Von die­sen Orten zeh­ren wir und keh­ren zurück ange­füllt mit Ein­drü­cken und Gefüh­len. Und gleich­zei­tig las­sen wir auch immer ein Stück von uns selbst zurück unterwegs.

Der Ort am Ende der Welt

Einer die­ser ganz beson­de­ren Orte auf der Welt ist für mich die kleine Insel Fogo Island. Mit­ten im eis­kal­ten und rauen Nord­at­lan­tik liegt das Eiland rund 15 Kilo­me­ter vor der Küste Neu­fund­lands. Weni­ger als 2.500 Ein­woh­ner leben in den vier Gemein­den – und es wer­den immer weni­ger. Denn das Leben auf Fogo ist nicht leicht. Schwere Stürme suchen die Küste regel­mä­ßig heim. Wäh­rend die Insu­la­ner frü­her gut vom Fisch­fang leben konn­ten, ist dies heute kein ein­träg­li­ches Geschäft mehr. Der Tou­ris­mus scheint die letzte Ret­tung. Eis­berge zie­hen im Früh­som­mer am Hori­zont ent­lang. Dann kom­men auch die Wale – und mit ihnen die Besu­cher. Aber Fogo ist alles andere als ein über­lau­fe­ner Hot Spot zum Ice­berg- und Wha­le­wat­ching. Im Gegen­teil. Ruhig ist hier, bei­nahe still. Nur der Wind bläst uns ordent­lich um die Ohren.

Fogo Island liegt am Ende der Welt, im wahrs­ten Sinne des Wor­tes! Denn es gibt tat­säch­lich noch Men­schen, die glau­ben, die Welt sei eine Scheibe. Und diese Flat Earth Society weiß auch zu sagen, an wel­chen Orten auf der Erde man die vier Ecken (oder Enden) der Welt fin­den kann: auf Neu­gui­nea, auf den Ber­mu­das, im grie­chi­schen Hydra – und eben auf Fogo Island! Natür­lich ist das gro­ßer Blöd­sinn, aber wenn man ein­mal alleine am Abend zum Son­nen­un­ter­gang auf den Gip­fel des Brims­tone Head gestie­gen ist und die unend­li­che Ferne des Oze­ans betrach­tet hat, dann kann man zumin­dest die Sehn­sucht der Men­schen nach Ant­wor­ten nach­voll­zie­hen: Was ist am Ende des Hori­zonts? Was kommt danach? Wohin führt mich die­ser Weg?

Auf Fogo ver­liert man leicht das Gefühl für Ferne und Distan­zen. Aber man gewinnt zugleich das wun­der­bare Ver­trauen daran, dass es eben immer irgendwo weitergeht…

Verloren: das Zeitgefühl
Gefunden: Unendlichkeit

Auf Fogo Island gibt es nur sehr wenige aus­ge­wie­sene Wan­der­wege. Bei einer die­ser Wan­de­run­gen, dem Turpin’s Trail auf knapp 8 Kilo­me­tern ent­lang der Küste von Til­ting, wurde uns recht ein­drück­lich bewusst, wie wenig Ferne und Distan­zen auf Fogo zäh­len – zumin­dest nicht in dem Maße, wie wir sie ken­nen. Wir star­ten am frü­hen mor­gen bei Son­nen­schein auf den gut mar­kier­ten Pfa­den. Und mer­ken schon bald dar­auf, dass wir wohl ver­lo­ren gehen wer­den! Zu schön der Aus­blick rechts und links, der uns immer wie­der ver­lei­tet, den Weg zu ver­las­sen. Was ist das für ein Haus? Wie kommt es aus­ge­rech­net hier her? Wohnt hier jemand oder ist das Kunst?


Fogo über­rascht uns auf ein neues – denn das kleine Haus, dass wir ent­de­cken, gehört tat­säch­lich zu einer Initia­tive für Künst­ler, die im Rah­men einer Stif­tungs­ar­beit die ein­zig­ar­tige Mög­lich­keit bekom­men, in einem von vier außer­ge­wöhn­li­chen Orten auf der Insel für ein hal­bes Jahr zu leben und zu arbei­ten. Ange­regt wurde das Pro­jekt von den Betrei­bern des Fogo Island Inn, des ein­zi­gen „ech­ten“ Hotel auf der Insel (neben eini­gen klei­nen Bed & Break­fast Pen­sio­nen). Das Inn ist dafür dann aber auch gleich eine abso­lute Aus­nah­me­erschei­nung. Ein archi­tek­to­ni­sches Meis­ter­werk. Ein Design-Tem­pel der Luxus­klasse, in dem sich sicher­lich nicht jeder eine Über­nach­tung leis­ten kann (wir zumin­dest nicht…). Das Fogo Island Inn steht für den Neu­an­fang auf der Insel. Für die Zukunft und das Enga­ge­ment, lokal etwas zu bewir­ken, wie wir spä­ter erfah­ren, als wir uns auf ein Getränk in der Bar des Inns ein­keh­ren und dort ins Gespräch kom­men mit Paddy Barry, dem Haus­fo­to­gra­fen des Hotels – ja so etwas kön­nen sich Design­ho­tels leis­ten. Paddy lebt selbst schon viele Jahre auf Fogo und erlebt den Wan­del, der sich auf der Insel voll­zieht als etwas Posi­ti­ves. Gab es noch vor eini­gen Jahr­zehn­ten den Plan, die Insu­la­ner alle­samt auf das Fest­land umzu­sie­deln und die Insel abzu­schot­ten, so hat man nun erkannt, dass die Men­schen auf Fogo schlicht­weg nach Fogo gehö­ren. Zusam­men mit den Stür­men, der Stille und der Weite. Und das Fogo ein Ort ist, an dem auch fremde Men­schen gerne sind. Glück­lich sind. Das Fogo Island Inn beschäf­tigt fast aus­schließ­lich Men­schen von der Insel, unter­stützt die Gemein­den und bringt mit der Kunst auch neue Impulse nach Fogo – und trägt dadurch ein Stück weit dazu bei, die Insel für Neues und für neue Men­schen zu öffnen…

Aber zurück zu unse­rer Wan­de­rung. Selbst beim Schrei­ben über Fogo ver­liert man sich in Gedan­ken… Der Turpin’s Trail offen­bart nicht nur Ein­bli­cke auf besag­tes Künst­ler­stu­dio, son­dern glei­cher­ma­ßen auch auf eine Natur, wie wir sie so an der Küste nicht erwar­tet haben. Wir lau­fen durch dichte kana­di­sche Wäl­der, über­que­ren klare Bach­läufe und errei­chen schließ­lich wie­der die wil­den Klip­pen am Nord­at­lan­tik. Hier ver­wei­len wir, leh­nen uns in einer wind­ge­schütz­ten Ecke an die vom Meer rund gespül­ten Fel­sen, packen die mit­ge­brach­ten Sand­wi­ches aus und lau­schen den Wel­len. Wir tau­schen uns aus – über unsere Ein­drü­cke von Fogo, über Neu­fund­land, über das Rei­sen, über uns, die Zukunft und das, was das Leben so beson­ders macht… Ewig sit­zen wir da und spre­chen, schwei­gen, lachen, hän­gen unse­ren Gedan­ken nach.




Als wir zurück­keh­ren in Rich­tung Til­ting, zurück zum Strand, an dem Kin­der krei­schen, wenn sie einen Fuß ins wenige Grad kalte Was­ser set­zen, und ein paar Cam­per die Som­mer­sonne genie­ßen, da mer­ken wir erst, wie spät es gewor­den ist. Wir haben die Zeit kom­plett aus den Augen ver­lo­ren, uns selbst ver­lo­ren in der Unend­lich­keit von Fogo. Auf der Insel gibt es eine ganz eigene Zeit­rech­nung – ein Leben ohne Uhren, Ter­mine, Ver­pflich­tun­gen. Eine gute Zeit!

Verloren: letzte Zweifel
Gefunden: Zuversicht

Fogo macht etwas mit den Men­schen. Was genau, ist schwer zu beschrei­ben. Und auch Paddy Berry, der Foto­graf aus dem Hotel, konnte mir keine Ant­wort dar­auf geben, warum Fogo anders ist, als der Rest von Neu­fund­land, anders als viele andere Orte auf der Welt. Ist es die ganz eigene Zeit­rech­nung (Neu­fund­land liegt übri­gens exakt vier Stun­den und 30 Minu­ten hin­ter Deutsch­land zurück – die ein­zige Pro­vinz Kana­das mit einem Zeit­un­ter­schied ohne vol­len Stun­den­be­trag)? Ist es die ein­zig­ar­tige Lage an einem der vier Enden der Welt? Ich denke, es ist noch viel mehr als das. Drei Tage auf Fogo Island, abge­schot­tet vom Haupt­land, allein mit weni­gen ande­ren Men­schen, das erdet uns. Man fühlt sich klein gegen­über der Macht der Natur mit ihren Stür­men, ihren unbarm­her­zi­gen Kräf­ten des Mee­res. Selbst wen man wie wir die Insel in der Peak Sea­son bereist, begeg­net man so gut wie nie­man­den. Wir wan­dern alleine auf den Wan­der­we­gen, fah­ren end­lose Stra­ßen ent­lang, ohne dass uns ein Auto ent­ge­gen­kommt. Fogo zwingt uns gewis­ser­ma­ßen, uns mit uns selbst auseinanderzusetzen.

Viel­leicht flie­gen die Gedan­ken auf Fogo freier als anderswo. Gedan­ken über mich selbst, über das, was mir wich­tig ist, über das, was uns als Paar aus­macht. Über die Zukunft und die Ver­gan­gen­heit, über das, was war und das, was noch kommt. Auf Fogo habe ich mich selbst ver­lo­ren – vie­les von dem, das ich dachte, dass es mir wich­tig sei, hat sich als Nich­tig­keit her­aus­ge­stellt. Und ich habe mich neu gefun­den. Ich bli­cke anders auf alles, was mich erwar­tet. Denn ich weiß, bald wird ein neues Kapi­tel auf­ge­schla­gen wer­den. Ein span­nen­des, alles ver­än­dern­des Kapi­tel. Nicht nur für mich. Für uns. Auf Fogo habe ich das Ver­trauen gefun­den, dass alles gut wird. Und viel­leicht ist es das, was einen beson­de­ren Sehn­suchts­ort auszeichnet.
Danke, Fogo.

Hin­weis: Der Besuch in Neu­fund­land und auf Fogo Island erfolgte im Rah­men einer indi­vi­du­el­len Recher­che­reise. Die­ser Arti­kel basiert auf einer Ein­la­dung durch den Tou­ris­mus­ver­band, spie­gelt jedoch unein­ge­schränkt die Mei­nung der Autoren wie­der. Unser Dank gilt auch dem Fogo Island Inn und ins­be­son­dere Paddy Barry für den herz­li­chen Emp­fang und das gute Gespräch. 

Wei­ter­füh­rende Infos rund um Fogo Island, Neu­fund­land & Labra­dor fin­det ihr auch hier:www.newfoundlandlabrador.com

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Katharina & Henryk

Aus dem Background der Berliner Medien- und Agenturwelt kommend wuchs in Katharina und Henryk in den letzten Jahren zunehmend der Gedanke, die bereits so häufig diskutierte Work-Life-Balance in Bezug auf ihr eigenes daily bizz kritisch zu hinterfragen. Ihr gemeinsamer Plan: Den statischen Office-Alltag zwischen Meetings, Calls und Pitches für einige Monate eintauschen gegen ein flexibleres Lebens- und Arbeitsmodell. Auf Reisen gehen, die Welt entdecken, Akkus aufladen – und gleichzeitig produktiv sein. Nun sind sie unterwegs!

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