Leonards Insel

Auf Hydra begann sie, die gro­ße Lie­bes­ge­schich­te. Nicht mei­ne eige­ne, nein, aber eine erzäh­lens­wer­te. Vor einem hal­ben Jahr­hun­dert betrat ein unbe­kann­ter Dich­ter die Insel und kauf­te sich für 1500 Dol­lar eine Hüt­te in den Hügeln. Eines Tages erblick­te er eine wun­der­schö­ne, nor­we­gi­sche Frau im Lebens­mit­tel­la­den, in den Hän­den hielt sie Milch und Mine­ral­was­ser. Er bat sie mit­zu­kom­men. Und sie folg­te ihm. Acht Jah­re spä­ter ende­te ihre Bezie­hung und der jun­ge Dich­ter schrieb ein Abschieds­lied, das in die Musik­ge­schich­te ein­ge­hen soll­te. Es hieß »So long Mari­an­ne« und der Mann, dem es ein­fiel, war Leo­nard Cohen.

Hydra – einst Pira­ten­nest, dann Insel der Künst­ler und jetzt Hap­py Place der High Socie­ty. Das 2000-Ein­woh­ner-Eiland ist mit sei­nen stei­len Dorf­gäss­chen, Segel­böt­chen und Taver­nen ein grie­chi­sches Post­kar­ten­idyll. Ein St. Tro­pez der Ägä­is. Es gibt nur zwei Far­ben, Blau und Weiß. Asphalt und Plas­tik­stüh­le sind ver­bo­ten. Dafür bum­meln hier öfters mal Kate Moss und Star­fo­to­graf Jür­gen Tel­ler durch die Sträß­chen.

Ich ste­he an Deck des Schiffs und las­se mir die sal­zi­ge See­luft um die Nase wehen. Hydra liegt vor mir wie eine Ver­hei­ßung. Hen­ry Mil­ler war weni­ger blu­mig. »Wie ein gewal­ti­ger ver­stei­ner­ter Brot­laib« schrieb er 1939, als er die Insel vom Was­ser aus erblick­te.
Ich klet­te­re aus dem Boot und kom­me sogleich zur Ruhe. Hier im Hafen hat es nie­mand eilig, hier sitzt man in der Son­ne und trinkt einen Ouzo, hier fah­ren kei­ne Autos, son­dern Maul­tie­re klap­pern über das Kopf­stein­pflas­ter. Herr­li­che Vil­len und schlich­te wei­ße Häus­chen sta­peln sich den Berg­hang hin­auf.

Im 18. Jahr­hun­dert war Hydra bekannt für Han­del und Schiff­fahrt, doch schon bald geriet das klei­ne Para­dies in Ver­ges­sen­heit. Das änder­te sich erst wie­der 1957, als Sophia Loren im Film »Der Kna­be auf dem Del­phin« nach Schwäm­men tauch­te.
Und dann kamen sie alle: Gre­ta Gar­bo im Bade­an­zug, Gun­ter Sachs auf sei­ner Yacht, Hen­ry Fon­da mit Wein­glas. Und eben auch Leo­nard Cohen. Damals war das Leben hier noch bil­lig und der jun­ge Dich­ter lieb­te jene Beschei­den­heit, sie inspi­rier­te ihn. 1962 wur­den Strom­mas­ten vor sei­nem Haus hoch­ge­zo­gen und Cohen geriet in Panik vor der dro­hen­den Moder­ni­sie­rung. Doch als er beob­ach­te­te, wie sich Vögel auf das Kabel setz­ten und zwit­scher­ten, beru­hig­te er sich und schrieb ein Lied. »Bird on a wire«. Ein Welt­hit.

Die Stars brach­ten Hydra letzt­lich nicht nur Anse­hen, son­dern die mitt­ler­wei­le höchs­ten Grund­stück­prei­se Grie­chen­lands. Allein die Rei­chen und Schö­nen kön­nen sich ein Leben im Him­mel leis­ten. Und die vie­len Kat­zen, die hier her­um streu­nen.

Leo­nard Cohen und Mari­an­ne Ihlen gibt es nicht mehr. Als Cohen von dem Krebs­lei­den sei­ner gro­ßen Lie­be erfuhr, schrieb er ihr einen letz­ten Brief:
»Ich den­ke, ich wer­de dir sehr bald fol­gen. Wis­se, dass ich so dicht hin­ter dir bin, dass du mei­ne Hand berüh­ren kannst, wenn du dei­ne Hand aus­streckst.«
Man sagt, Mari­an­ne hät­te ihre Hand tat­säch­lich aus­ge­streckt, als Freun­de ihr die­se Zei­len vor­la­sen. Zwei Tage spä­ter stirbt sie. 2016 folgt ihr Leo­nard Cohen.

Ich blei­be noch eine Wei­le auf dem »ver­stei­ners­ten Brot­laib« und wün­sche mir ein Häus­chen in den Hügeln. Es duf­tet nach Meer und Kuchen. Ein Maul­tier niest, die ers­ten Lämp­chen leuch­ten und ich set­ze die Kopf­hö­rer auf. Mor­gen rei­se ich ab. Zurück aufs Fest­land. So long Hydra. Auf bald.

Now so long, Mari­an­ne, it’s time that we began
to laugh and cry and cry and laugh about it all again.

 

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Antworten

  1. Avatar von Nadine Pungs

    Lie­be Ilon­ka, ich dan­ke dir.
    Ja, »ver­schla­fen« ist es immer noch, wenn auch nicht mehr so güns­tig wie vor eini­gen Jah­ren, schät­ze ich. 😉
    Lie­be Grü­ße
    Nadi­ne

  2. Avatar von Ilonka Lohr
    Ilonka Lohr

    Dan­ke Nadi­ne für den Bericht und die Bil­der.
    Macht Erin­ne­run­gen wach, ich war 1991 da, es hat sich wohl nicht viel ver­än­dert.
    Damals war es noch sehr ver­schla­fen, aber wun­der­schön.
    Wir waren pri­vat unter­ge­bracht, mei­ne Freun­din die in Athen lebt hat mich beglei­tet und so war alles ganz Isi.
    LG

  3. Avatar von Micha
    Micha

    Wun­der­schön zu lesen!

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