Fünf Jahre nach dem Vulkanausbruch

Und wenn plötz­lich… 

…der Berg vor dei­ner Haus­tür gar kein Berg, son­dern ein Vul­kan ist…

…die­ser Vul­kan aus­bricht und sei­ne Asche 30 km hoch in den Him­mel spuckt und damit fast ein gan­zes  Jahr nicht mehr auf­hört…

…Erd­be­ben, Asche, Schlamm­strö­me und Über­schwem­mun­gen den Ort, den du mal Hei­mat nann­test, so sehr zer­stört haben, dass die Behör­den dein Zuhau­se ein­fach 10 km wei­ter im Nor­den neu auf­bau­en wol­len…

…alle sagen, dass sich all die Anstren­gun­gen ein­fach nicht mehr loh­nen, weil es dei­ne Hei­mat doch gar nicht mehr gibt.

Und du gehst trotz­dem zurück.

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Fast fünf Jah­re nach dem Vul­kan­aus­bruch des Chai­téns, sind knapp 400 Ein­woh­ner der eva­ku­ier­ten Klein­stadt im chi­le­ni­schen Süden zurück­ge­kehrt. 400 von über 3.500.

Es sind haupt­säch­lich alte Men­schen, denen wir in Chai­tén begeg­nen. Men­schen, die sich von ihrer Hei­mat nicht tren­nen konn­ten; nicht tren­nen woll­ten. Obwohl es die­se doch gar nicht mehr gab. Obwohl die Stadt heu­te nur noch einen Bruch­teil ihrer Ein­woh­ner hat, hat sich kein neu­er Stadt­kern gebil­det. Neue Häu­ser wur­den gebaut. Jedoch fast immer nur einen Stein­wurf ent­fernt von dem ehe­ma­li­gen, dem zer­stör­ten Haus.

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Neue Häu­ser ste­hen inmit­ten ver­las­se­ner Häu­ser. Doch noch immer domi­niert die Zer­stö­rung. Zer­bors­te­nes Holz, zer­bro­che­nes Glas. Wohin man blickt. Hier, in der pata­go­ni­schen Idyl­le, direkt am Meer gele­gen, von Ber­gen gesäumt. Wir gehen zum Strand. Fei­ner Sand, das blaue Meer und grü­ne Hügel. Hier scheint noch alles in Ord­nung.

Wir gehen ein paar Schrit­te. Ich stol­pe­re. Bli­cke zurück. Wor­über ich gestol­pert bin? Über einen Zaun. Um genau­er zu sein, über die äußers­te Spit­ze eines Holz­pfahls, die kaum sicht­bar aus dem Sand hin­aus­ragt. Und dann wird es mir plötz­lich klar. Das hier ist gar kein fei­ner Sand­strand. Das hier ist Asche.

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Dächer. Bald sehen wir noch Dächer, die aus der Asche ragen. Die Asche hat gan­ze Häu­ser ver­schluckt. Unter sich begra­ben. Der Blick in die zer­sprun­ge­nen Fens­ter­schei­ben. Man möch­te nie­mals füh­len müs­sen, was die Bewoh­ner bei die­sem Anblick füh­len muss­ten.

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Bei ein­gien Häu­sern türmt sich die Asche bis unters Dach. Quillt aus den Fens­tern. Nichts ist mehr übrig von dem Leben, das man einst hat­te. Eini­ge Bewoh­ner haben ihre Häu­ser leer geräumt, sau­ber gefegt, auf­ge­räumt. Ande­re hin­ge­gen sehen aus, als sei­en sie eben erst ver­las­sen wor­den. Der Kaf­fee­be­cher steht noch auf dem Nacht­tisch neben dem Bett. Die Fotos der Kin­der hän­gen noch an der Wand. Doch Schlamm, Was­ser und Asche haben ihre Spu­ren hin­ter­las­sen.

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Die Stim­mung ist merk­wür­dig. Immer noch scheint Chai­tén eine ver­las­se­ne, eine zer­stör­te Geis­ter­stadt zu sein. Und doch sieht man hier und da einen Men­schen. Strom, Was­ser, ja sogar das Inter­net funk­tio­niert wie­der. Seit eini­ger Zeit gibt es sogar eine Bank. Vom Ein­gang der neu­en Poli­zei­wa­che blickt man nun direkt auf den Vul­kan.

Im Super­markt sind die Rega­le spär­lich gefüllt. Suchen­de streu­nern durch die ver­staub­ten Rei­hen. In der Mit­te des Ladens klafft ein rie­si­ges Loch. Der obli­ga­to­ri­sche Stra­ßen­hund von dem Ein­gang fletscht ver­stört die Zäh­ne.

Die Kata­stro­phe bleibt nicht nur sicht­bar, son­dern auch spür­bar. Nicht nur auf den Stra­ßen, nicht nur beim Anblick der zer­stör­ten Häu­ser. Über dem Ort liegt dumpf das all­ge­gen­wär­ti­ge Gefühl, dass man von heu­te auf mor­gen alles ver­lie­ren kann. Den­noch: Im Gegen­satz zu den Behör­den haben die Zurück­ge­kehr­ten ihr Chai­tén nicht auf­ge­ge­ben. Sie glau­ben an eine neu geschaf­fe­ne Hei­mat – Auf­er­stan­den wie der Phö­nix aus der Asche.

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Antworten

  1. Avatar von sib
    sib

    Immer wie­der mal durch­fors­te ich das Inter­net nach Berich­ten oder Bil­dern aus dem jet­zi­gen Chai­ten, da ich jeman­den vor vie­len Jah­ren beim Urlaub in Chi­le ken­nen lern­te, der in die­sem Ort leb­te, und dadurch auch die Pro­ble­me der Bür­ger mit der Regie­rung mit­be­kom­men habe. Und auch den Zwie­spalt zwi­schen Neu­an­fang an einem »siche­ren Ort« oder Rück­kehr… Wer so etwas nicht selbst mit­er­lebt hat, kann die Gefüh­le schwer nach voll­zie­hen. Dan­ke für die­sen kur­zen Ein­blick ins heu­ti­ge Chai­ten. Er stimmt trau­rig aber auch irgend­wie hoff­nungs­voll.

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      Auch wir waren hin und her geris­sen. Es ist schön zu sehen, wie stark sich die Men­schen mit ihrer Hei­mat ver­bun­den füh­len und was sie alles in Kauf neh­men. Ande­rer­seits fra­gen wir uns auch, ob sich das alles wirk­lich lohnt. Und was pas­siert, wenn der Vul­kan wie­der bro­delt?

  2. Avatar von Oli

    Vie­len Dank für die­se tol­le Repor­ta­ge. Ich habe vor kur­zem Bil­der einer ganz ähn­li­chen Stadt gese­hen, die auch teil­wei­se von einem Vul­kan ver­wüs­tet wur­de und wo die Leu­te wie­der in ihre alte Hei­mat zurück­kehr­ten. Das war irgend­wo im Grenz­ge­biet zwi­schen den Salo­mo­ni­schen Inseln und Papua Neu­gui­nea.

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      Wir freu­en uns, dass dir der Bei­trag gefällt, Oli. Die Kraft der Natur­ge­wal­ten ist schon etwas Unglaub­li­ches. Aber Hei­mat bleibt Hei­mat. Nie­mand mag sich gern davon tren­nen und für eini­ge ist es gänz­lich unmög­lich.

  3. Avatar von Ute

    Die Natur­ge­wal­ten sind schon beein­dru­ckend, dein Bericht und die Fotos auch!

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      Dan­ke, Ute. Wir freu­en uns, dass dir unser Bei­trag gefal­len hat.

  4. Avatar von Elisaveta

    Ganz gro­ßes Repor­ta­gen-Kino, dan­ke für die­sen Ein­blick in die unbe­kann­ten Sei­ten von Pata­go­ni­en. Sehr bewe­gend.

    1. Avatar von Morten & Rochssare

      Sehr ger­ne. Schön, dass dir der Bei­trag gefal­len hat.

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