Verlaufen erlaubt – Wie ich irgendwo zwischen Anden und Amazonas mein Herz verlor

„Ich glaube, ich habe mich verliebt …“

„Verliebt?! Wie – du hast dich verliebt?“ Die Kids vom Hogar Semillas de Jesús starren mich mit großen Augen an. Neugierig, leicht schockiert. „Na sag schon, Antonia! Wer ist es?“, drängt mich eines der jüngeren Mädchen und zupft aufgeregt an meinem Arm, während ich verträumt aus dem Fenster schaue. „Na, schau doch mal raus. Ich habe mich definitiv in diese Berge verkuckt.“ Sie lässt enttäuscht meinen Arm los. Augenrollen. Das war nicht die Antwort, auf die sie gehofft hatte. Eher auf ein bisschen chisme – spanisch für Tratsch.

Was sie nicht wissen: Für mich, ein Kind aus dem flachen Mittelfranken, sind diese riesigen, fast ehrfurchtgebietenden Anden nicht einfach nur Landschaft – sie sind ein neues Zuhause geworden. Seit über einem halben Jahr darf ich das Valle Sagrado, das Heilige Tal der Inka, meine Heimat nennen. Nicht weit entfernt von Cusco, der ehemaligen Inkahauptstadt, lebe und arbeite ich durch das Weltwärts-Programm, organisiert vom Kindermissionswerk „Die Sternsinger“, als Freiwillige in einem entwicklungspolitischen Freiwilligendienst.

Bei der Vorstellung der verschiedenen Einsatzstellen, während der Vorbereitung auf mein Jahr im Ausland blieb mein Blick sofort an diesem Ort hängen. In den Bergen. Berge – sie haben mich schon immer fasziniert. Früher habe ich Bücher über Expeditionen zum Mount Everest verschlungen, sämtliche National Geographic-Dokus über Bergsteiger gesehen – und mein erstes eigenes kleines Abenteuer war ein Monat Arbeit auf einer DAV-Hütte.

Und heute? Trinke ich meinen Kaffee auf einer kleinen Terrasse mit Blick auf die Anden. Mit einem Gipfelkreuz im Blick, auf dem ich sogar schon stand.

100 Prozent Bergfeeling – die gewaltige Andenlandschaft Perus, die einen einfach in den Bann zieht.

Peru überrascht – immer wieder

Wenn du noch dran bist mit Lesen: Respekt! Vielleicht hast du dich auch in eine Landschaft verliebt. Und falls nicht – warte ab, ich hab da noch ein paar Peru-Trümpfe im Ärmel.

Was ich eigentlich erzählen will: Ich dachte, die Anden würden mein großes Naturhighlight in Peru werden. Und ja – sie stehen definitiv auf Platz 1. Auch, weil ich schon auf über 4.000 Metern unterwegs sein durfte. Aber Peru wäre nicht Peru, wenn es sich nicht selbst noch übertreffen würde. Wusstest du zum Beispiel, dass Peru fast karibische Strände hat? Dass du in Sanddünen mit einem Buggy herumdüsen kannst wie in einem Actionfilm? Oder dass du im Dschungel auf einem Amazonasarm zu deiner Unterkunft schipperst, als wärst du Teil eines Expeditionsfilms? Und dann auch noch eine Bergwelt wie aus dem Bilderbuch?

Ich weiß. Kopfschütteln erlaubt. Aber hey – Bienvenidos a Perú! Ein Land, dass sich in drei unterschiedlichen Klimazonen aufteilen lässt: die Costa, die Sierra und die Selva. Peru ist fast 3,5 Mal so groß wie Deutschland. Und jede Ecke ein eigenes kleines Universum.

Adrenalin in der Wüste

Oktober. Sonnenbrille auf, Cappy fest, Halstuch gegen den Wüstenwind. Ich sitze mit Danni, einer anderen Freiwilligen, in einem Sandbuggy in der Nähe von Huacachina – einer kleinen Oase mitten in der peruanischen Wüste. Wir klammern uns aneinander, lachen ununterbrochen – Adrenalin pur. Unser Fahrer? Hat Benzin im Blut. Er rast über die Dünen, als wären wir in einer Mischung aus Wüstenrallye und Freizeitpark. Uns fliegt der Sand ins Gesicht, wir lachen, schreien und halten uns gegenseitig fest. Am Ende steigen wir aus, staunen über die untergehende Sonne, die die Wüste in ein goldrotes Farbenmeer verwandelt – eine Kulisse wie gemalt. Ich schicke ein Video in die Familien-WhatsApp-Gruppe: „Doni, wie sie die Sanddünen runterrutscht.“ Das bin ich. Verrückt, glücklich, sandig. Ich – in der Wüste. Was für ein Erlebnis.

Und das Beste? Diese Erlebnisse sind sogar gut erreichbar: Vier Stunden Busfahrt von Lima, etwa 60 Soles (rund 15 Euro) geht es nach Ica. Und du bekommst obendrauf noch die Islas Ballestas mit Humboldt-Pinguinen, die Nähe zu den mysteriösen Nazca-Linien – und eben: Wüste. Sonne. Freiheit.

Die Wüste- ein Meer aus Sand.

Paradiesische Küsten im Norden

Anfang Januar hat es mich in den Norden verschlagen – an einen Ort, der fast zu schön ist, um wahr zu sein. Orte wie Punta Sal oder Máncora liegen dort, wo Peru sein tropischstes Gesicht zeigt. Morgens Frühstück auf der Terrasse, direkt mit Blick aufs Meer. Krebse flitzen durchs Bild, Wellen rauschen, und ich – mittendrin. Wie im Film.

Ich durfte dort mit einer deutsch-peruanischen Familie die Ferien verbringen, die mich aufgenommen hat wie ein weiteres Familienmitglied. Zusammen entdeckten wir die Wunder des peruanischen Nordens: fliegende Fischschwärme, eine durchnässte Eule am Strand, unzählige Vögel – und mein persönliches Highlight: Mit Schildkröten schwimmen.

So springe ich also ins Wasser – mit einer knallroten Schwimmweste bepackt und etwas unsicher unterwegs. Und dann taucht sie auf: eine riesige Schildkröte, der Panzer mit Algen bewachsen, schwebt direkt an mir vorbei. Ich halte den Atem an. Surreal. Wunderschön. Und still danke ich dem Leben für diesen Moment.

Sonne, Salz, der Pazifik und unglaubliche tierische Begegnungen- die nordperuanische Glücksformel.

Mitten im Dschungel: drei goldene Regeln

Und als wäre all das nicht schon genug gewesen, hat Peru noch eine ganz neue Seite gezeigt: den Amazonas. Denn zu Ostern kam meine Familie mich besuchen. Zuerst erkundeten wir gemeinsam meine Heimat auf Zeit: die Anden. Unter anderem zeigte sich Machu Picchu mystisch, wie aus dem Nebel geboren.

Die verlassene Stadt in den Wolken- Machu Picchu.

Unser nächster Stopp dann: der Dschungel. Unsere Unterkunft? Nur per Boot erreichbar. Eine Stunde fuhren wir flussabwärts den breiten Fluss Madre de Dios entlang. Der Wind zerzauste unsere Haare, unsere Augen saugten alles auf. Puerto Maldonado – eine Region, in der man den Dschungel hautnah erleben kann. Vier Tage lang lebten wir inmitten dieser vibrierenden, feuchten und lebendigen Welt.

Sei leise. Der Dschungel hat seine eigene Musik.
Fass nichts an. Wirklich nichts.
Disfruta. Genieß es.

die drei Regeln im Dschungel

Und das taten wir. Ich sah eine Kaimanmama mit ihren Jungen. Ich fütterte einen Affen (vorsichtig, sehr vorsichtig). Ich kletterte auf einen Aussichtsturm, 25 Meter hoch, und blickte über das endlose Blätterdach des Amazonas. Und ja – wir haben geschwitzt. Gelitten. Gelacht. Und abends sind wir einfach nur ins Bett gefallen. Müde und erfüllt.

Als wir nach diesen Tagen wieder im Boot zurück Richtung Zivilisation fuhren, schaute ich auf meine Familie. Sie saßen wie Hühner auf der Stange nebeneinander. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Meine Geschwister kabbelten sich leise, meine Eltern schauten verträumt auf den Fluss. Ich lächelte. Was für ein Geschenk, solche Momente zu teilen.

Jeder Schritt ein Staunen- Willkommen im grünen Herzen Perus.

Menschen, nicht nur Orte

Ich wollte mit diesem Text eigentlich die Orte zeigen, die ich in Peru entdeckt habe. Bilder formen, Erinnerungen weitergeben. Und ich hoffe, das ist mir ein bisschen gelungen. Aber während ich hier so sitze und schreibe, merke ich: Die Orte sind es gar nicht allein. Es sind die Menschen, mit denen ich sie erleben durfte. Menschen, mit denen ich Wellen gezähmt, Affen gefüttert und Berge bestiegen habe. Und Menschen, mit denen ich Tag für Tag durch die Anden spaziere.

Mein Freiwilligendienst neigt sich dem Ende zu. Und mehr, als ich mir eingestehen will, habe ich Angst. Angst vor dem Vergessen. Deshalb schreibe ich. Aber was noch viel wichtiger ist: Es gibt Menschen, die mir helfen, mich zu erinnern, weil sie dabei waren, mir zugehört haben oder mit mir gemeinsam hier eintauchen.

Denn einen Weltwärts-Freiwilligendienst zu machen, bedeutet für mich vor allem: Beobachten – ohne zu bewerten. Zuhören – ohne sofort zu antworten. Da sein – mitten im Leben. Ein Leben, das sich so sehr von meinem unterscheidet. Und das trotzdem Teil meiner Geschichte geworden ist.

Und ja – vielleicht habe ich mich wirklich verliebt in Peru.


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