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FLEISCH! Oder: über Vegetarier

Ich bin einer von denen, die über Vege­ta­ri­er-Wit­ze lachen kön­nen.

Bue­nos Aires, Argen­ti­ni­en,
Ich bin mit Rei­se­be­glei­te­rin Natha­li in einem der bes­ten Fleisch-Restau­rants von Bue­nos Aires. (Iro­ni­scher­wei­se hat es einen nord­ame­ri­ka­ni­schen Besit­zer, aber das ist ein ande­res The­ma.) Soeben wur­de der Haupt­gang ser­viert: Ech­tes argen­ti­ni­sches Hüft­steak. Ich habe „sehr saf­tig“ bestellt. Genau wie die Öster­rei­che­rin, die mit an unse­rem Tisch sitzt. Ihrem geschul­ten Gour­met-Auge fällt sofort auf, dass das Fleisch ein paar Sekun­den zu lan­ge in der Pfan­ne war. Es ist nicht mehr ganz so blu­tig saf­tig wie es sein könn­te. Der Kell­ner ist pein­lich berührt und um Scha­dens­be­gren­zung bemüht. Natür­lich wird nach­ge­lie­fert. Ich muss schmun­zeln. Was wohl mei­ne Vege­ta­ri­er-Freun­de aus Kolum­bi­en zu die­ser Sze­ne sagen wür­den?

„Muy hugoso“ steht für „sehr saftig“

Über mein gestör­tes Ver­hält­nis zu Gemü­se

Ich habe nichts gegen Gemü­se. Wirk­lich nicht. Es ist nur so, dass es mir eigent­lich nicht rich­tig schmeckt. Gemü­se müss­te ange­pass­ter sein, damit ich es mag. Mehr wie Fleisch, oder zumin­dest wie Obst. Nicht so herb, und mit mehr Süße.
Als ich in Ber­lin lebend erst­ma­lig in einer Eis­die­le gefragt wur­de, ob ich denn eine vega­ne Waf­fel möch­te, war ich kurz davor laut los­zu­la­chen, um dann aber doch demons­tra­tiv und hör­bar „Nein!“ zu sagen.
War­um ich so into­le­rant bin? Viel­leicht liegt es dar­an, dass die böse Ver­tre­tungs-Kin­der­gärt­ne­rin mich damals tat­säch­lich gezwun­gen hat mein Rote-Bee­te-Kom­pott kom­plett auf­zu­es­sen, damit ich raus spie­len darf. Oder dar­an, dass mei­ne per­sön­li­che Geschich­te mit dem schö­nen Vege­ta­ri­er-Ex-Freund nicht so ende­te, wie ich woll­te. Wie auch immer.
Wer in einem Restau­rant in Süd­ame­ri­ka fragt, ob es auch etwas ohne Fleisch gibt, bekommt in der Regel Gerich­te mit Huhn oder Fisch ange­bo­ten. Ich hät­te jeden­falls nie­mals gedacht, dass mir aus­ge­rech­net in Kolum­bi­en eine Lek­ti­on zum The­ma Tole­ranz erteilt wird.

Mei­ne Vege­ta­ri­er-Freun­de aus Kolum­bi­en

Doña Patricia macht Mittagspause

In der klei­nen Stadt Fusa­ga­su­gá, Kolum­bi­en,
„Hare Krish­na, Hare, Hare“ . Die Musik spielt in einer mono­to­nen End­los­schlei­fe. Doña Patri­cia und ich sind in einem Hip­pie-Schup­pen Mit­tag essen. Sie geht hier ganz gern mal hin. Ich löf­fe­le die gras­grü­ne Vor­sup­pe. Sie schmeckt … gesund.

vegetarier-heterosexuell-kolumbien

In einem hip­pen vege­ta­ri­schen Restau­rant in Medel­lin, Kolum­bi­en
Phil­ipp und sein Busi­ness Part­ner Mar­kus neh­men mich mit zum Abend­essen. Man sieht es den Leu­ten eben nicht an. Zwei gestan­de­ne hete­ro­se­xu­el­le Män­ner. Mit dem Mut sich in der einst gefähr­lichs­ten Stadt der Welt mit einem Rei­se­bü­ro selbst­stän­dig zu machen. Und dann sind das Vege­ta­ri­er. Der eine sogar Vega­ner. Aller­dings muss ich zuge­ben, dass mein „Bur­ger“ echt lecker ist. Pil­ze machen halt auch wie­der viel wett.

Die Schön­heit im Umbe­kann­ten

Der Kühlschrank von Agnes, einer deutschen Veganerin in Kolumbien

Der Kühl­schrank von Agnes, einer deut­schen Vega­ne­rin in Kolum­bi­en

In einem Super­markt in Bogo­tá, Kolum­bi­en
Miguel und ich sind bei der deut­schen Agnes zum Abend­essen ein­ge­la­den. Sie ist Vega­ne­rin. Da wir über Nacht blei­ben, will ich mir fürs Früh­stück noch etwas zu essen mit­neh­men. Müs­li habe ich schon. Jetzt suche ich Milch. Echt unglück­lich, dass alle Milch-Packun­gen hier so ein pro­vo­kan­tes Kuh-Motiv haben.

Etwas spä­ter am Ess­tisch von Agnes
Wir bestrei­chen unser Brot mit selbst­ge­mach­ten vega­nen Pas­ten und bele­gen es mit mir unbe­kann­ten Gemü­se-Sor­ten. Wow! Das ist wirk­lich lecker. Wirk­lich! Und alles ist so herr­lich bunt.

Ein veganes Festmahl

Am nächs­ten Mor­gen
Miguel, der schon immer in Bogo­tá gelebt hat, zeigt mir einen sei­ner Lieb­lings­or­te. Einen Groß­markt für Lebens­mit­tel. Fach­kun­dig geht er mit mir durch die prall gefüll­ten Gemü­se-Hal­len. Es ist, als wür­den wir in Bil­dern eines expres­sio­nis­ti­schen Malers spa­zie­ren gehen. So, als wäre die Welt in einen Farb­topf gefal­len.
Ich wer­de die Namen all der unbe­kann­ten Gemü­se-Arten wie­der ver­ges­sen. Aber ich erin­ne­re mich bis heu­te an die Far­ben.

buntes kolumbianisches Gemüse

Schönheit

Ein paar Wochen spä­ter in der Hei­mat des kolum­bia­ni­schen Kaf­fees

Mani­za­les, Kolum­bi­en
Die pri­va­te Tour der Kaf­fe­plan­ta­ge, die mir die US-Ame­ri­ka­ne­rin Aman­da orga­ni­siert hat, endet mit einem Essen. Groß­mutter Espe­ran­za hat gekocht. Sie ent­schul­digt sich, dass es kein Fleisch gibt, und fragt mich, ob sie mir noch ein Ei bra­ten soll. Ich win­ke ab. Das Essen sieht sehr schön bunt aus. Espe­ran­za ergänzt, dass alles, was wir heu­te essen, selbst ange­baut ist. Jetzt bin ich neu­gie­rig.

Großmutter Esperanza hat gekocht …

… und es ist köstlich.

Über Tole­ranz

Am Abend im Apart­ment von Aman­da,
Auch Eng­lisch-Leh­re­rin Aman­da ist Vege­ta­rie­rin. Sie ist aller­dings kei­ne Meis­ter­kö­chin. Ihre Haus­häl­te­rin berei­tet ihr ein­mal pro Woche ein paar Gerich­te für spä­ter zum warm machen.

US-Amerikanerin Amanda mit ihrem Veggie Snack der Woche

Aman­da ist eine Meis­te­rin der Wor­te. Sie bezeich­net sich selbst als „word smith“ „Wort­schmied.“ Ich erzäh­le ihr von einer Geschich­te, die ich irgend­wann mal für mein Blog schrei­ben will. Eine Geschich­te, in der es auf den ers­ten Blick um mein Ver­hält­nis zu Vege­ta­ri­ern geht. Die aber eine tie­fe­re Bedeu­tung haben soll. Eine Geschich­te über Tole­ranz. Aman­da unter­bricht mich. Etwas miss­fällt ihr. Sie stört sich an dem Wort „Tole­ranz“. Ich weiß nicht mehr was sie genau gesagt hat, aber fol­gen­des bleibt bei mir hän­gen: „Tole­ranz ist kei­ne Bezie­hung auf Augen­hö­he. Tole­rant sind die, die mit schö­nen Wor­ten und mit­lei­di­gen Augen auf Min­der­hei­ten her­ab­bli­cken und sich gut füh­len, weil sie nichts Böses sagen. Akzep­tanz ist das wich­ti­ge­re Wort.“

Man muss sicher nicht alles tole­rie­ren oder auch akzep­tie­ren …

Aber manch­mal lohnt es sich in Din­gen, die man nicht mag oder nicht ver­steht, nach etwas Schö­nem Aus­schau zu hal­ten.

Unab­hän­gig davon bin ich wei­ter­hin ein Fleisch-Freund … und fin­de Vege­ta­ri­er-Wit­ze immer noch ten­den­zi­ell lus­tig.

Dein Gre­go­ry Jones

* Wer darf eigent­lich Wit­ze über dei­ne Lieb­lings-Min­der­heit machen? Oder ist es zu schmerz­haft dar­über zu scher­zen?

Sehr viel Schönheit

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