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Erinnerungen eines Autos

„Gelän­de­wa­gen, ideal für Back­pa­cker, mit Matratze und Cam­ping­aus­rüs­tung, Aus­tra­lien-erprobt und abso­lut sicher sucht lie­be­vol­len Besit­zer für gemein­same Aben­teuer.“ Jedes Jahr aufs Neue hängt so eine Anzeige an den schwar­zen Bret­tern der aus­tra­li­schen Back­pa­cker-Hos­tels, um mich wie­der los zu wer­den. Dar­un­ter prangt ein Foto von mir. Her­aus­ge­putzt und in Top­form stehe ich bei Son­nen­un­ter­gang am Cable-Beach in Broome oder auf den unweg­sa­men Dschun­gel­pfa­den von Fraser Island. Ich ver­spre­che Aben­teuer, Action, Spaß! Ich bin das, was Du brauchst, wenn Du Deine Aus­tra­lien-Rund­reise wirk­lich zu einem unver­gess­li­chen Erleb­nis machen willst! Fahr mit mir durch meter­hohe Flüsse, hab wil­den Sex auf mei­ner Rück­bank und schick mich anschlie­ßend in die Wüste! Kein Pro­blem – mit mir kannst Du alles machen! … Aber jetzt mal Klar­text, Freund­chen. Ich suche kei­nen lie­be­vol­len Besit­zer für gemein­same Aben­teuer und bevor Du Dich zum Kauf ent­schließt, soll­test Du eines wissen…

Geländewagen Offroad

… Ich bin alt. Ich bin ein Mitsu­bi­shi Pajero Turbo Die­sel Bau­jahr 1989. Ich bin schon auf den aus­tra­li­schen Stra­ßen unter­wegs gewe­sen, als Du noch nicht mal gebo­ren warst! Und ich bin es leid. Ich habe die­sen gott­ver­damm­ten roten Kon­ti­nent in den letz­ten zehn Jah­ren vier­zehn Mal umrun­det, habe mir dabei zwei Mal den Küh­ler ver­beult, drei Kän­gu­rus auf der Wind­schutz­scheibe gehabt, elf platte Rei­fen ver­zeich­net und unge­fähr zehn Mil­lio­nen Flie­gen geges­sen! Ich. Kann. Nicht. Mehr. Ich meine, hast Du Dir mal mei­nen Kilo­me­ter­stand ange­se­hen?! Ich habe 300.000 auf dem Buckel! Und jedes Mal wenn es wie­der zum TÜV geht, bete ich, dass ich die­ses Mal bitte, bitte aus­ran­giert werde.

Doch bis heute Fehl­an­zeige. Ich bin eben Aus­tra­lien erprobt und abso­lut sicher. Und den­noch: In Dei­ner Hei­mat wür­dest Du dem­je­ni­gen einen Vogel zei­gen, der Dir so eine ros­tige Karre wie mich andre­hen wol­len würde! Aber Down Under ist Dir das egal. Du willst Dei­ner behü­te­ten Kind­heit ent­flie­hen, willst, dass etwas schief geht, begibst Dich absicht­lich in Gefahr, tust dies aber auch nur halb­her­zig, denn immer­hin ist Aus­tra­lien kein Ent­wick­lungs­land in Süd­ame­rika, son­dern ein zivi­li­sier­ter, west­li­cher Kon­ti­nent mit Demo­kra­tie, Dol­lar und Drive-In. Was soll Dir hier schon pas­sie­ren, wäh­rend Du Bana­nen pflückst, in Back­pa­cker-Bars zwei Bier zum Preis von einem bestellst und über Face­book Deine neus­ten Fotos vom Segel­aus­flug in Air­lie Beach online stellst?! Aber was ver­stehe ich schon davon?

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Ich bin nur ein alter Gelän­de­wa­gen. Und ich bin müde. Mein ers­ter Besit­zer war ein aus­tra­li­sches Urge­stein namens Tom Bald­win. Er kam aus Ten­n­ant Creek im Nor­t­hern Ter­ri­tory und fuhr mich aus­schließ­lich über die asphal­tier­ten Stra­ßen sei­ner Hei­mat­stadt, die er – wie die meis­ten Aus­tra­lier – noch nie in sei­nem Leben ver­las­sen hatte. Das war lang­wei­lig. Ich geb’s ja zu. Und ja, viel­leicht war ich ein biss­chen froh, als er irgend­wann im Suff von einem Road­t­rain über­fah­ren wurde und ich dar­auf­hin in den Besitz mei­nes ers­ten Back­pa­ckers über­ging. Das waren noch Zei­ten! Ich wurde damals von einem ver­rück­ten Fran­zo­sen namens Romaine gekauft, den ich auf sei­ner Reise ein­mal um den gan­zen Kon­ti­nent beglei­tete. Er nannte mich immer „Buddy“, mit die­sem herr­li­chen fran­zö­si­schen Akzent. Das gefiel mir. Klar hat­ten wir anfangs ein paar Sprach­bar­rie­ren, aber nach eini­ger Zeit wusste ich, dass der Aus­ruf „Merde“ ein siche­res Zei­chen für Kom­pli­ka­tio­nen war. Das war im Übri­gen meis­tens der Fall, wenn Romaine mal wie­der auf der fal­schen Stra­ßen­seite fuhr. Holy Shit! Damals stand ich kurz vor einem Herz­in­farkt! Aber mitt­ler­weile weiß ich natür­lich, dass alle Euro­päer außer den Bri­ten Geis­ter­fah­rer sind.

Und trotz­dem: Romaine und ich waren wie Pech und Schwe­fel! Wir fuh­ren zusam­men am end­lo­sen Cable Beach in Broome ent­lang und hör­ten „Por­ce­lain“ von Moby in der End­los­schleife! Er zeigte mir in Mar­ga­ret River, wie man surft und ich fuhr ihn durch die pul­sie­ren­den Metro­po­len Perth und Mel­bourne! Sogar die Haupt­stadt Can­berra haben wir unsi­cher gemacht und schließ­lich Sil­ves­ter auf der Har­bour Bridge in Syd­ney gefei­ert! Doch nach einem Jahr vol­ler Party und Aben­teuer flog Romaine zurück nach Frank­reich, um BWL zu stu­die­ren und ich gehörte plötz­lich zwei deut­schen Mäd­chen aus Ham­burg, die mich „La Paloma“ tauften.

Geländewagen Broome

In den nächs­ten Jah­ren wech­selte ich mei­nen Namen so häu­fig wie mein Öl.  Fran­kie, Ele­fan­ten­roll­schuh, Old Shat­ter­hand, Heidi Klum, Klaus, Pamela, Tre­cker… Und immer wie­der fuhr ich von oben nach unten, von links nach rechts, von Ost­küste zu West­küste und umge­kehrt. Die Stre­cke Syd­ney-Cairns fahre ich schon lange im Schlaf und auf der Fähre nach Fraser Island ist ein Stamm­platz für mich reser­viert. Ich spre­che inzwi­schen alle roma­ni­schen Spra­chen flie­ßend und unter mei­nem Bei­fah­rer­sitz ver­ste­cken sich ein Flip Flop, ein Rei­se­ta­ge­buch, ein benutz­tes Kon­dom und ein nagel­neuer Ipod-Touch. Ich bin leicht inkon­ti­nent und ver­liere Öl, ich habe eine Seh­schwä­che und manch­mal ver­gesse ich recht­zei­tig zu brem­sen, auch wenn Du mich noch so sehr trittst.

Bei aller Beschei­den­heit, ich bin die 6.000 $ nicht Wert! Dein Vor­gän­ger hat nur 4.000$ für mich bezahlt und selbst das war bei Wei­tem zu viel! Doch all das willst Du nicht wis­senDeine Augen leuch­ten, als Du mir zärt­lich über die Motor­haube streichst. Und ich ahne, dass ich schon bald wie­der los muss, um neue Aben­teuer zu bestehen, für die ich eigent­lich viel zu alt bin. Aber ich bin nicht Har­ri­son Ford, der es sich aus­su­chen  kann, ob er noch mal in sein Indiana Jones-Kos­tüm schlüp­fen möchte. Mich fragt ja kei­ner. Und wäh­rend Du mich in Byron Bay am Strand geparkt hast, selig auf mei­nem Dach sit­zend eine Tüte rauchst und schon wie­der „Por­ce­lain“ von Moby aus mei­nen Boxen dröhnt, ächzt mir der Rücken und ich sehne mich nach den ruhi­gen Tagen in Ten­n­ant Creek, als der gute, alte Tom und ich nach einem Besuch im Pub leicht beschwipst im Schritt­tempo auf ein­sa­men Stra­ßen nach Hause fuhren…

Geländewagen Front

Cate­go­riesAus­tra­lien
Gesa Neitzel

Eigentlich Fernsehredakteurin, aber viel lieber unterwegs, erzählt Gesa auf ihrem Blog von ihren Reisen um die Welt und vor allem zu sich selbst. In ihren Depeschen geht es um Fernweh, Heimweh, Bauchweh... und all den anderen Wehwehchen, die ein Nomadenleben so mit sich bringt.
In den letzten Jahren hat sie in Berlin gelebt, in Australien einen Jeep durchs Outback gefahren, in Lissabon ihr Herz verloren und in Bali nach ersten Surfversuchen gleich ein Loch im Kopf gehabt.

Gesa ist eine Suchende. Nach was? Das weiß sie selbst nicht so genau. Aber was auch immer es ist - es ist irgendwo da draußen und bis sie es gefunden hat, wird’s hier bestimmt nicht langweilig.

  1. dunja says:

    schoen! bin ja auch fest davon ueber­zeugt, dass autos – und lap­tops und kaf­fee­ma­schie­nen und… – eine seele haben ;-)
    dank dir fuer die­sen ein­blick und falls ich ihn ( oder sie) zufael­lig treffe, gruesse ich von dir
    dunja

  2. Gesa says:

    Wow, Thors­ten! Dich hätte ich gern dabei gehabt, als ich damals das Auto gekauft habe! Aber mit 21 geht man da natür­lich nicht mit so viel Erfah­rung ran. Trotz­dem ist am End alles gut gegangen.
    Viel Spaß bei dei­nem nächs­ten Trip und gute Reise :-)

  3. Thorsten says:

    Die gröss­ten Beden­ken hätte ich noch ange­sichts des Inter­coo­lers (falls die Bil­der genau das beschrie­bene Fahr­zeug beschrei­ben). Ansons­ten sind 300.000 weder in km noch in Mei­len wirk­lich eine Lauf­leis­tung für einen Die­sel. Den kil­len Rum­ste­hen oder Kurz­stre­cke viel schneller.

    Und wer abseits der aus­ge­fah­re­ren Tou­ris­ten­bah­nen unter­wegs ist, ist dank­bar für ein Fahr­zeug, das not­falls auch ein Dorf­me­cha­ni­ker mit Haus­mit­teln in den meis­ten Fäl­len wie­der fahr­klar machen kann. Lei­der wer­den sol­che Fahr­zeuge seit 20 Jah­ren kaum noch gebaut.

    In die­sem Sinne freu ich mich auf den nächs­ten Trip mit mei­nem Isuzu Tro­o­per Bau­jahr 87 – 450.000 km. Der hat noch Lust auf Tau­sende Kilo­me­ter mehr :-)

  4. Hach ja.…da frag ich mich doch wie­der mal was wohl mein alter Nis­san Cam­per­van macht, mit dem ich ein Jahr lang den Kon­ti­nent umrun­det habe. Mitt­ler­weile hätte er wohl 1 Mio. KM auf dem Buckel und liegt wohl auf dem Auto­fried­hof. Immer­hin konnte ich das WA-Kenn­zei­chen ret­ten, das bis heute meine Wand ziert. ♥

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