Schon als klei­nes Mäd­chen, mit Locken am Kopf und unver­schämt viel Ener­gie in den Glie­dern, stapfte ich, Wan­der­lie­der sin­gend, hin­ter mei­ner Fami­lie auf den Berg. Mit dem Älter­wer­den wech­sel­ten Wohn­orte und Freun­des­kreise und die Anfor­de­run­gen stie­gen. Und ich? Ich stieg wei­ter auf Berge. Weil es, unge­ach­tet dem, was die Welt von mir wollte immer den gewünsch­ten Effekt brachte. In Lern­pau­sen, nach der Arbeit oder am Wochen­ende: Eine Wan­de­rung auf ver­trau­ten Wegen bringt das Herz zu schla­gen und putzt die Gedan­ken aus den Hirnwindungen.

Der Hausberg, das Hausmittel gegen alles

Dass es ihm gut tut, merkt jeder, der auf einen Berg steigt. Darum bestei­gen Salz­bur­ger den Unters­berg, Züri­cher den Üet­li­berg, Münch­ner den Plan­ken­stein. Wan­dern hilft nach­weis­lich, Depres­si­ons­sym­ptome zu ver­rin­gern. Sui­zid­for­scher emp­feh­len es sogar als zusätz­li­che The­ra­pie­form. Denn beim Wan­dern ent­steigt man Schritt für Schritt sei­nen Sor­gen. Das ist alpen­län­di­sches Urwis­sen. Nicht umsonst ist, wer eine schwere Zeit über­stan­den hat, Über den Berg. Und, dass es berg­auf geht, wenn sich die Dinge bes­sern ver­steht sich von selbst.

Auf Rei­sen, wenn Rou­tine und Ver­traut­heit sinn­ent­leerte Begriffe gewor­den sind, fehlt mir die gewohnte Wan­de­rung auf mei­nen Haus­berg beson­ders. Umso glück­li­cher war ich, als ich lernte, dass auch Ecua­dors Haupt­stadt Quito, die­ses char­mante, ver­smogte Mons­ter ihren eige­nen Haus­berg hat: den Rucu Pichin­cha. Der ist zwar zwei­tau­send Meter höher, als meine Berge zuhause. Könnte aber ebenso funktionieren.

Erst einmal fliegen

Es gibt zwei Vari­an­ten den Rucu Pichin­cha zu bestei­gen. Die Erste ist, von der Tal­sta­tion der Gon­del, Tele­fe­riQo genannt, auf einer Höhe von 3117 Metern los­zu­wan­dern. Mein Freund und ich ent­schei­den uns für die Fahrt zur Berg­sta­tion. Sie bringt uns weg von den Bus­sen, die uns ihre Abgase ins Gesicht bla­sen. Weg von den Stra­ßen­ver­käu­fern, die USB-Adap­ter, Guja­banana oder Coca­e­x­trakt laut­stark mit „One dol­lar, one dol­lar, one dol­lar!“ anprei­sen. Weg von Prunk­bau­ten und Armut. Weg von Hoch­häu­sern, Ein­kaufs­zen­tren, von Essens­stän­den und Taxis. In 18 Minu­ten schrumpft die Metro­pole und die Natur erobert sich ihren Platz zurück. Und alles Men­schen­ge­machte bleicht aus.

Von der Berg­sta­tion muss man dann inne­hal­ten und die Aus­maße der Mil­lio­nen­me­tro­pole Quito bestau­nen, die sich wie eine fette Schlange durch das Tal zieht. Hier, auf knapp 3996 Metern, passt die Per­spek­tive wie­der. Die Stadt klein, wir ganz groß und erha­ben. Doch ein Stück wei­ter wol­len wir noch, genau genom­men 750 Meter höher. Also dre­hen wir Berg­sta­tion und Stadt­trei­ben den Rücken zu und haben den Rucu Pin­chin­cha und sei­nen jün­ge­ren, aber grö­ße­ren Bru­der, den Guagua Pichin­cha im Blick.

Was auf 4000 Metern noch wächst

Der erste Teil des Weges ist zwei Meter breit und gut bewan­dert. Sanft steigt er Rich­tung Gip­fel an. Der Rucu Pin­chin­cha sei ein leich­ter Berg schrieb unser Wan­der­füh­rer. Den muss wohl jemand aus Ecua­dor ver­fasst haben. Jemand, durch des­sen Adern mehr rote Blut­kör­per­chen flie­ßen als durch meine. Ich muss ob der Höhe alle paar Meter mit den Hän­den auf den Knien nach Luft rin­gen. Bleibt also nur eines zu tun: Sich ein­zu­re­den, dass die erste halbe Stunde jeder Wan­de­rung anstren­gend ist.

Auch die Koli­bris, die mir, anschei­nend aus rei­ner Freude, um den Kopf schwir­ren, len­ken mich von mei­ner ste­chen­den Lunge ab. Wo die in die­sen Höhen wohl Nek­tar fin­den? Die Vega­tion auf knapp 4000 Metern besteht vor allem aus tro­cke­nen Sträu­chen. Wenn der Wind durchs sie streicht, sehen ihre dün­nen Stränge wir flüs­si­ges Gold aus. Nach einer Stunde Marsch habe ich mei­nen Ryth­mus gefun­den. Gehen, atmen, mit der Hand durch die Sträu­cher strei­chen, Jacke aus­zie­hen, wegen eines Luft­sto­ßes zit­tern, Jacke wie­der anzie­hen. Schritt für Schritt weicht das Gold einem wei­chem, schwar­zen Gestein, das von gift­grü­nem Moos über­wach­sen ist. Unter mei­nen Fin­gern fühlt es sich fest an, fast wie Kunst­ra­sen. Auf dem Moos tum­meln sich kleine Blu­men in rosa, blau, weiß. Die Far­ben lässt sich die Natur auch auf die­ser Höhe nicht nehmen.

Von Todespässen und Sandwegen

Als wir vor einem Weg­wei­ser Pause machen, stapft ein jun­ger Mann in neon­far­be­nen Sport­kla­mot­ten, mit Was­ser­sack auf dem Rücken und UV-Brille auf der Nase an uns vor­bei. Ihm folgt eine Gruppe viel­leicht 18 Jahre jun­ger Män­ner. Ihre leicht son­nen­ver­brannte Haut und kur­zen Hosen outen sie als eng­li­sche Tou­ris­ten. Berg­erfah­ren schei­nen sie nicht zu sein.

„That is the hig­hest point I have ever been in my life“,
sagt einer.

Und sein Kol­lege, die Nase fast so rot wie seine Haare, über­legt laut die wei­tere Rou­ten­pla­nung:

„I mean we could do the paso de la muerte. But I don´t want to.“

Unver­mit­telt werfe ich einen Blick auf ihre Füße, die in Nike-Turn­schu­hen mit abge­lau­fe­nen Soh­len ste­cken. Ich lasse den Blick auf den bevor­ste­hen­den Wan­der­weg schwei­fen. Es ist eine Flä­che aus glat­tem Sand, aus der schroffe Fel­sen ragen. Ich nicke stumm. Nein, der Todes­pass hört sich unter die­sen Umstän­den wirk­lich alles andere als ver­lo­ckend an. Die Jun­gen gehen vor. Wir fol­gen mit Abstand, klet­tern über große Steine. Dann wird der Weg san­di­ger und jeder Schritt ein klei­ner Kraft­akt. Bis zu die­sem Punkt konnte sich die Flora hal­ten. Jetzt sehen wir nur mehr Fel­sen und Sand. Jeder große Schritt vor­wärts bedeu­tet ein klei­ner Schritt zurück. Wir müs­sen fest auf­tre­ten, um Halt zu fin­den. Nach einer gefühl­ten Ewig­keit ist der Blick zurück ernüch­ternd: Wir haben nur wenige hun­dert Meter geschafft. Wie es den Jun­gen mit den Nikes jetzt wohl geht?

Am Ende des Sand­fel­des sehen wir sie wie­der. Um uns tür­men sich pech­schwarze Fel­sen auf. Der Wind schnei­det um unsere Nasen­spit­zen. Mit der Sohle mei­ner Wan­der­stie­fel stütze ich mich an den Fel­sen ab, wäh­rend ich mit den Hän­den Halt suche. Das funk­tio­niert gut. Die glat­ten Soh­len des jun­gen Eng­län­ders, der sich wenige Meter vor mir abmüht, machen mir Sor­gen. Er hat das Klet­tern auf­ge­ge­ben und ver­sucht nun auf allen Vie­ren vor­an­zu­kom­men. Man­che Pas­sa­gen springt er eher, als zu stei­gen. Sein Gesicht ist knall­rot. Roter sind nur die von der Kälte geplag­ten Arme. Ein Blick auf seine Hüf­ten, doch er hat sich weder Jacke noch Pull­over umge­bun­den. Als das Gelände kurz abflacht, biete ich ihm mei­nen Pull­over an. Ich ver­su­che es mit „Der ist hand­ge­strickt von mei­ner Mama“, „Ech­tes Schafs­fell“ und „Ich brau­che ihn wirk­lich nicht“. Er würde so oder so über­le­gen umzu­dre­hen, winkt er ab.

Dieses altbekannte High

Uns hat das Gip­fel­fie­ber fest in den Klauen. Nur noch ein biss­chen Klet­tern, Schnau­fen und Frie­ren, dann wird, ja, dann muss der Gip­fel hin­ter die­sen Fel­sen auf­tau­chen. Ich genieße die Kon­zen­tra­tion, die ein­setzt, wenn man weiß, dass Feh­ler schmer­zen wür­den. Die Füße suchen Halt, die klam­men Fin­ger ebenso. Der Atem geht stoß­weise. Und dann habe ich das Gip­fel­schild im Blick. Auf ihm ein­gra­viert die Zahl, an der ich mich zuhause an schlech­ten Tagen hoch­zie­hen werde: 4829.

Für ein Gip­fel­foto wird spä­ter Zeit sein. Jetzt ras­ten wir. Auch die letzte Reihe im Kino, so durch­ge­ses­sen die Ses­sel auch sein mögen, könnte nicht beque­mer sein. Und obwohl der Blick auf die Stadt von zähen Wol­ken ver­hängt wird, ist die Aus­sicht fes­selnd. Jetzt segelt ein Vogel auf uns zu. Dass Haupt­städ­ter und Tou­ris­ten hier gleich­sam ihre Sie­ges­mahl­zeit ver­spei­sen, ist ihm auch nicht ent­gan­gen. Auf der Suche nach Brö­seln spa­ziert er, kaum eine Armes­länge ent­fernt, seine Kreise. Und wäre das nicht beein­dru­ckend genug, dre­hen wir uns um. Da klet­tern die jun­gen Bri­ten die letz­ten Meter zum Gip­fel, recken die Arme zum Him­mel, schie­ßen schwer atmend Gip­fel­fo­tos. Weil das schlimmste geschafft ist, und weil der Wind hier umso bei­ßen­der pfeift wird mein Pull­over-Ange­bot jetzt angenommen.

Wie der sam­tene Vor­hang eines Thea­ters geben die Wol­ken den Blick auf Quito frei. Wäh­rend der Wind Trä­nen in unsere Augen zeich­net, schwit­zen Men­schen dort unten im Smog. Wenn man am Kon­zept moder­ner Zivi­li­sa­tion zwei­feln will, ist jetzt der pas­sende Moment dafür. Autos hupen, die Lese­ge­räte an den Super­markt­kas­sen pie­pen, Fern­se­her dröh­nen. Was küm­mert es uns hier? Und da ist es wie­der, die­ses leicht über­heb­li­che, aber sehr befrei­ende Hausberggefühl.

Cate­go­riesEcua­dor
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Laura Anninger

Laura Anninger staunt gerne und lernt auf ihren Reisen am Meisten von Einheimischen, die ihr einen kleinen Einblick in ihre Kultur eröffnen.
Wenn ihr das Journalismus-Studium keine Zeit für große Abenteuer lässt, entdeckt sie die Berge ihrer Heimat Österreich. Und staunt und lernt auch dabei viel.

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