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Die unsichtbare Stadt – Santiago de Chile

Der Anflug sucht sei­nes­glei­chen. Von Argen­ti­nien kom­mend, wird kurz vor der nahen­den Anden­kor­dil­lere das letzte mal der Gang mit dem Ser­vice­trolly abge­lau­fen. Auch nach 13 Stun­den Flug sehen die Ste­war­des­sen makel­los aus. Der rote Lip­pen­stift hat zu erst meine Auf­merk­sam­keit, dahin­ter schim­mert das Zahn­weiß wie reins­tes Elfen­bein. Die Kos­tüme fal­ten­los, als hät­ten sie im Ste­hen geschla­fen. Mein Gesicht dage­gen so zer­klüf­tet und furchig, wie das Pro­fil der nahen­den Berge, Spu­ren einer schlaf­lo­sen Nacht. Wie immer war die Media­thek zu stark, und meine Ver­nunft unent­schie­den, wie eine Fahne im Wind.

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Nach­dem alle umsorgt sind, die Ansage, wäh­rend des gesam­ten Flu­ges über die Cor­dil­lere ange­schnallt zu blei­ben, was ca. 45 Minu­ten dau­ert, zu unbe­re­chen­bar die Tur­bu­len­zen, auch im 21. Jahr­hun­dert, auch mit all der Tech­nik. Die Sonne geht auf, die ers­ten Strah­len strei­cheln die schnee­be­deck­ten Berg­rü­cken, die majes­tä­tisch anmu­ten, als wür­den sich dar­un­ter rie­sige Urvie­cher in ihrem Win­ter­schlaf wähnen.

Es kommt immer wie­der zu hef­ti­gen Tur­bu­len­zen, auf dem Bild­schirm vor mir flim­mert „Boy­hood“ und ich lasse mir meine Ner­vo­si­tät nicht anmer­ken. – 1972 stürzte wei­ter süd­lich der Flug 571 der Fuerza Aérea Uru­guaya auf 4000 Meter Höhe in den Anden ab. An Bord die fünf Köp­fige Crew und 40 Pas­sa­giere, die aus uru­gay­ischen Rug­by­spie­lern und ihren Ange­hö­ri­gen bestan­den. Als das „Wun­der der Anden“ in die Geschichte ein­ge­gan­gen. 16 Men­schen über­leb­ten, weil sie Men­schen­fleisch aßen.

Die Ste­war­dess lässt mich das letzte Mahl vor der Lan­dung aus­wäh­len, Sand­wich mit Käse oder Schin­ken. Ich wähle das Käsebrot.

Foto 4(2) Neues Sant­iago – die Ken­nedy Strasse, gerahmt von Neu­bau­ten und den ent­fern­ten Anden

Die Lan­dung ist gelun­gen, der Jour­na­lis­ten­tross kommt nur schwer in Bewe­gung, dem Ältes­ten von uns ist sein Gepäck abhan­den gekom­men. Nach lang­wie­ri­ger Fahn­dung, spä­ter die Bestä­ti­gung, der Kof­fer steht ein­sam und allein in Frank­furt am Main.

Sant­iago begrüßt uns mit einem makel­lo­sen Him­mel. Es ist Anfang Dezem­ber, der Hoch­som­mer steht mit einem Fuß in der Tür. In unse­ren Gesich­tern vor­weih­nacht­li­che Nord­eu­ro­päi­sche Blässe, ein Bild, was den Ver­gleich mit einer Käse­theke nicht scheuen muss. Alle flat­tern mit den Augen, lich­t­ent­wöhnt, vom hei­mi­schen Winter.

Wir che­cken im vor­neh­men Hotel „The Sin­gu­lar“, im schö­nen Stadt­teil Last­ar­ria, ein.  Euro­pä­isch wir­ken die Gas­sen hier, kleine Geschäfte, mit viel Liebe zum Detail, die zum Fla­nie­ren einladen.

Foto 2(1)Zar­ter Tin­ten­fisch zum Mit­tag – im Mes­tizo, direkt am Par­que Bicentenario

DSC_0203  Der Park Bicen­ten­ario –   „La Bús­queda“ (Die Suche) von Hernán Puelma misst 20 m Höhe und wiegt 20 Tonnen 

Wenig spä­ter treffe ich eine gute Freun­din, die in Sant­iago groß gewor­den ist. Sie zeigt mir Last­ar­ria, berich­tet über den stän­di­gen Ver­gleich Chi­les mit sei­nem Nach­bar­land Argen­ti­nien, und des­sen Haupts­adt Bue­nos Aires. Sant­iago sei lange nicht so ver­rückt und pul­sie­rend wie die Argen­ti­ni­sche Mil­lio­nen­stadt. Auch fehle den Män­nern hier die Lei­den­schaft, ver­geb­lich warte man in der Bar auf eine Initia­tiv­hand­lung der minos. Die Argen­ti­nier wür­den das eis­kalt aus­nut­zen, sie neh­men den Ein­hei­mi­schen die Hüb­sches­ten Frauen weg, erzählt sie lachend. Die Chi­le­nen tauen lang­sa­mer auf, zum Aus­ge­hen brau­chen sie oft ein paar Gläs­chen, „eigent­lich sind wir alle Alko­ho­li­ker“ kommt es ihr über die Lip­pen, wäh­rend am Río de la Plata schon der Duft eines Espres­sos die Men­schen in Wal­lung bringt.

In einer klei­nen Strasse, die in eine Sack­gasse mün­det, eines trägt den Namen Café Escon­dido, las­sen wir uns auf ein Getränk nie­der. Auf engs­tem Raum, über­wie­gend Ein­hei­mi­sche und ver­ein­zelt Tou­ris­ten. Mir drängt sich der Ver­gleich mit Bar­ce­lona auf, was ich Lisa gegen­über aus­spre­che. Sie rollt mit den Augen, ver­neint und betont, dass wir in Sant­iago, in Chile seien. Ver­le­gen suche ich das Gespräch mit der Bedie­nung und bestelle zwei Bier. Die schüch­terne und zurück­hal­tene Art täuscht, Chi­le­nen sind stolz, schlum­mernde Vulkane.

Wenig spä­ter lan­den wir in der Bar Don Rodrigo. Es ist als wür­den wir eine Schiffs­ka­jüte betre­te­ten. Am Kla­vier ein Musi­ker aus Uru­guay, große, alte Ölge­mälde, von Drei­mas­tern auf unru­hi­ger See, deko­rie­ren die Wände. An der Bar ein akko­rat geklei­de­ter Herr mit Fliege und schwar­zer Weste, der uns jeden Wunsch von den Lip­pen abliest.

Ich trinke abwech­selnd Kunst­mann Bier und Pisco Sour, um Jet­lag und Kul­tur­schock in Ein­klang zu brin­gen. Spä­ter gesellt sich der pololo, der Freund von Lisa hinzu, der mir das Buch Sant­iago Bizarro von Ser­gio Paz ans Herz legt. Sant­iago hat man nicht gese­hen, wenn man dumpf des­sen Sehens­wür­dig­kei­ten mit­tels Check­liste abläuft. Hier ver­wei­len, leben, sich trei­ben las­sen, ‑viele gute Bars ver­ste­cken sich hin­ter geschlos­se­nen Türen- , gibt er zu ver­ste­hen, man müsse also schon etwas inves­tie­ren. Sant­iago sei eine unsicht­bare Stadt, sagt er, die sich nur mit viel Geduld erschlies­sen lasse und so einem fort­schrei­ten­den Puz­zle­spiel gleich, Form anneh­men würde.

Ich kann ihm da nur recht geben, denke mir aber auch, dass es sich so doch mit vie­len Städ­ten auf unse­rem Erden­ball so ver­halte. Wer nicht viel Zeit hat, dem ist Paz‘ Buch ans Herz zu legen. Doch braucht man ein wenig Glück. Jede Neu­auf­lage war bis­her inner­halb weni­ger Tage vergriffen.

Zwei große Dop­pel­bet­ten mit dut­zen­den Hotel­kis­sen erwar­ten mich in dem groß­zü­gi­gen Hotel­zim­mer. Tot­müde von der Reise, und den Ein­drü­cken, falle ich in das Rechte.

Foto 4(1)Blick von der Hotel­ter­rasse: Links der Berg Cris­to­bal, inmit­ten der Stadt, im Hin­ter­grund leuch­ten die Anden

Das obli­ga­to­ri­sche Auf­wa­chen, gefolgt von Kör­per­pflege und einem schnel­len Früh­stück, begehe ich vol­ler Zuver­sicht und feh­ler­frei. Die Anreise sitzt in den Kno­chen, der Kopf hinkt noch hin­ter­her, aber ich habe ja nicht mehr zu tun, als freund­lich zu Lächeln, ein- und aus zu atmen, und ein paar Fotos zu schie­ßen. Zudem hat mich der Abste­cher auf die Dach­ter­rasse zuver­sicht­lich gestimmt. Auf dem Pro­gramm steht der  Mer­cado Vega Poniente, so wie der geschichts­träch­ti­gere Mer­cado Cen­tral.

DSC_0095  Der Mate aus Leder hat ihn ver­ra­ten – der gesprä­chige Herr kommt aus Urugay

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DSC_0082   Ihr wart nicht in Chile, wenn ihr keine Machas pro­biert habt!

DSC_0081 DSC_0078 DSC_0062 DSC_0054Blu­men­meer – die Flo­re­ria Claudita

DSC_0048 Gute und preis­werte Küche, im Mer­cado Vega Poniente

DSC_0044 DSC_0043 DSC_0040 DSC_0037 DSC_0034 DSC_0033 DSC_0031 DSC_0025 DSC_0024 DSC_0020  DSC_0098   Die Bom­billa im Mund, den Mate in der Hand. Das Hierba/ Gras über­gießt man mit hei­ßem Wasser

Turismo Chile und die LATAM Air­lines Group haben mich nach Chile ein­ge­la­den. Danke! 

Cate­go­riesChile
  1. Johannes says:

    Danke für die­sen Bericht. Und natür­lich die schö­nen Fotos! Sant­iago… Das wäre schön. Lange nicht mehr spa­nisch gespro­chen… Und wenn ich den guten Mate-Tee sehe würde ich lie­ber heute als mor­gen eben­falls hinfahren.

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