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Pujilís bunter Sonntagsmarkt und ein Spontanbesuch am Bullenring

Es ist bit­ter kalt, als wir uns gegen fünf Uhr mor­gens aus unse­ren Schlaf­sä­cken schä­len. Noch bevor die Sonne ihre ers­ten Strah­len auf die Erde schickt, ver­las­sen wir unser Refu­gio. Das Dun­kel der Nacht wird ledig­lich von ein paar schwach leuch­ten­den Stra­ßen­la­ter­nen durch­bro­chen. Irgendwo kräht ein Hahn. Die mor­gend­li­che Kälte zieht durch unsere Klei­dung, lässt uns bibbern.

Wir sind im geo­gra­fi­schen Her­zen Ecua­dors, im Hoch­land. Umge­ben von Berg­dör­fern, wei­ten Wie­sen und ver­las­se­nen Feld­we­gen. Dort, wo sich das Land am authen­tischs­ten prä­sen­tiert, liegt eine der beein­dru­ckends­ten Sehens­wür­dig­kei­ten des Andenstaates.

Der Qui­lo­toa-Loop, eine Schleife um den Kra­ter­see Qui­lo­toa, ver­bin­det andine Wel­ten, tra­di­tio­nelle Lebens­wei­sen und spek­ta­ku­läre Land­schaf­ten mit­ein­an­der. Unbe­fes­tigte Stra­ßen füh­ren zu klei­nen Dör­fern und Gemein­den, Wan­der­wege laden zu Spa­zier­gän­gen in den Ber­gen ein und über allem schwebt die ange­nehme Atmo­sphäre der Abge­schie­den­heit – aus­ge­klinkt aus einer fer­nen, rasan­ten Welt. Han­dy­si­gnal – Fehlanzeige.

Obwohl als abso­lu­tes High­light bekannt, ver­schlägt es nur wenige Tou­ris­ten in die Gegend. Das liegt vor allem an den unzu­rei­chen­den Trans­port­mög­lich­kei­ten – öffent­li­chen Ver­kehr gibt es in die­ser schwach besie­del­ten Gegend so gut wie gar nicht. So sind auch wir an die­sem frü­hen, eisi­gen Mor­gen die ein­zi­gen Gestal­ten, die sich durch die Stra­ßen Puji­lís schlagen.

Doch wir blei­ben nicht lange allein.

Zwei Stun­den süd­lich von Quito befin­det sich das kleine andine Städt­chen Pujilí. Wer den Ort zwi­schen Mon­tag und Sams­tag besucht, wird sich weder lange auf­hal­ten, noch nach­hal­tig daran erin­nern. Ganz anders der Sonn­tags­gast. Ihm erscheint Pujilí wie ein bun­ter Ameisenhaufen.

Auf dem gro­ßen Platz hin­ter dem Bus­termi­nal wim­melt es nur so vor geschäf­ti­gen Men­schen, denn am Sonn­tag ist Markt­tag. Die Stadt beginnt zu leben. Aus den zahl­rei­chen umlie­gen­den Berg­dör­fern zie­hen die Bau­ern bis ins Zen­trum Puji­lís. Sie brin­gen Obst und Gemüse, Back­wa­ren, tra­di­tio­nel­les Kunst­hand­werk, Wolle und Lei­nen zum Ver­kauf mit sich.

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Auf lan­gen Tischen sta­pelt sich alles, was in der frucht­ba­ren, andi­nen Erde zu wach­sen ver­mag. Salat- und Kohl­köpfe, Kar­tof­feln, Toma­ten, Karot­ten, Gur­ken, Yuka, Zwie­beln, Boh­nen, Erd­bee­ren, Brom­bee­ren, Bir­nen und Äpfel. Von der Pazi­fik­küste kom­men Papa­yas, Bana­nen, Ana­nas, Man­da­ri­nen, Limet­ten und Melonen.

Unter rie­si­gen Dächern, die die Ver­käu­fer und ihre Stände vor den Unwäg­bar­kei­ten des Wet­ters schüt­zen, tür­men sich Lebens­mit­tel­berge aller ers­ter Güte. Dazu gesel­len sich Säcke vol­ler Reis, Pasta, Getreide und Mais­kör­ner. Mehl und Zucker for­men pud­rige Gebirge auf lang­ge­streck­ten Theken.

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Dahin­ter bren­nen offene Feuer. Die Markt­kü­chen rau­chen gemüt­lich vor sich hin. In gigan­ti­schen Töp­fen blub­bern Sup­pen und Soßen, Reis wird kilo­weise zube­rei­tet und Fleisch schmort in über­di­men­sio­na­len Pfan­nen. Rings­herum sit­zen die Hung­ri­gen, wie im Spei­se­saal, an meh­re­ren Tischen. Das Essen ist gut und das Gedränge dem­entspre­chend groß. Zum Nach­tisch gibt’s haus­ge­mach­ten Wackel­pud­ding oder sah­ni­ges Speiseeis.

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Ein wenig abseits des Lebens­mit­tel­mark­tes bestimmt die Nach­frage das Ange­bot und so gibt es all das zu kau­fen, was in den umlie­gen­den Dör­fern nicht zu erwer­ben ist. Neben Gür­teln, Hosen­trä­gern und Schu­hen gibt es Ver­län­ge­rungs­ka­bel, Mache­ten und Schleif­steine. Doch die meiste Auf­merk­sam­keit bekom­men die vie­len CD- und DVD-Stände.

In vol­ler Laut­stärke beschal­len sie die Stra­ßen Puji­lís wahl­weise mit den Raub­ko­pien andi­ner Folk­lore oder aggres­si­vem ’90er-Techno. Auf den Bild­schir­men der DVD-Stände flim­mern ecua­do­ria­ni­sche Tele­no­ve­las, Hol­ly­wood Block­bus­ter der letz­ten Jahre oder Doku­men­ta­tio­nen über die eigene Hei­mat. Große und kleine Grup­pen ste­hen stun­den­lang vor den Fern­seh­ge­rä­ten und las­sen sich vom auf­ge­zeich­ne­ten Pro­gramm unterhalten.

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Wir schlen­dern durch die Rei­hen der Ver­kaufs­stände, beob­ach­ten das Han­deln und Feil­schen, sehen, wie Waren ihre Besit­zer wech­seln und die Aus­la­gen lang­sam ihre über­bor­dende Last los­wer­den. Der Markt ist jedoch nicht nur ein kom­mer­zi­el­ler Schauplatz.

Man trifft sich, schwatzt, lacht, tauscht Neu­ig­kei­ten aus. Müt­ter zie­hen ihre quen­geln­den Kin­der hin­ter sich her, Män­ner trin­ken ihr Sonn­tag­vor­mit­tag-Bier auf dem Bord­stein, Hunde streu­nen um die Markt­kü­chen auf der Suche nach etwas Fress­ba­rem. Dazwi­schen prei­sen die Bau­ern ihre noch ver­blie­be­nen Waren an. Die Luft ist durch­setzt von der Musik der CD-Verkäufer.

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Nach ein paar Stun­den auf dem Markt ver­las­sen wir Pujilí in Rich­tung Qui­lo­toa. Wir bestei­gen den ein­zi­gen Bus des Tages und benö­ti­gen für die knapp 60 Kilo­me­ter lange, holp­rige Stre­cke über zwei Stun­den. In Qui­lo­toa begrü­ßen uns tief hän­gende Wol­ken. Dich­ter Nebel zieht auf. Dicke Regen­trop­fen fal­len auf die Erde. Hier ler­nen wir die Schwie­rig­kei­ten des Qui­lo­toa-Loops kennen.

Es gibt abso­lut kei­nen Ver­kehr, keine Busse, keine Autos, nicht ein­mal ein Fahr­rad ist zu sehen. Auf­grund feh­len­der Alter­na­ti­ven sehen wir uns genö­tigt zu lau­fen. Unser Ziel ist das acht Kilo­me­ter ent­fernte Chug­chilán. Doch wir haben uner­hör­tes Glück. Schon nach weni­gen Augen­bli­cken hält ein Wagen. Die bei­den Freunde, ein Ecua­do­ria­ner und eine US-Ame­ri­ka­ne­rin, neh­men uns auf der Rück­bank mit.

Dort sitzt bereits Nata­lie aus Nor­we­gen und zusam­men machen wir uns auf den Weg nach Gua­yama San Pedro. Durch Zufall, so erzählt Nata­lie, habe sie von einem, in den Anden durch­aus noch übli­chen, Bul­len­kampf im klei­nen Ort erfah­ren. Und wir beschlie­ßen spon­tan die Drei zu begleiten.

In Gua­yama San Pedro ange­kom­men, emp­fängt uns die kleine Gemeinde mit Blas­mu­sik, das Bier fließt in Strö­men und auch uns wird sofort ein Becher des küh­len Gers­ten­saf­tes in die Hand gedrückt.

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Zu den Klän­gen des zehn­köp­fi­gen Orches­ters wip­pen die Dorf­be­woh­ner leicht hin und her. Die Zurück­hal­tung der Hoch­lan­des drückt sich auch im Tanz­stil aus. Viel Bewe­gung gibt es nicht. Fuß­tipp links, Fuß­tipp recht. Aus der Ent­fer­nung sieht es aus als wür­den die Tan­zen­den ledig­lich in einer Gruppe zusammenstehen.

Die Stim­mung scheint den­noch aus­ge­las­sen zu sein – zumin­dest sind alle (männ­li­chen) Anwe­sen­den stark betrun­ken. Nach ein paar lal­len­den Gesprächs­ver­su­chen las­sen wir die fei­ernde Gruppe hin­ter uns und machen uns auf die Suche nach dem Bullenring.

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Dort ange­kom­men, herrscht zunächst gäh­nende Leere. Der Ring ist ver­las­sen und wir sind uns nicht mehr so sicher, ob unsere Infor­ma­ti­ons­quelle bezüg­lich des Bul­len­kamp­fes wirk­lich ver­läss­lich ist. Doch bald dar­auf hören wir aus der Ferne die sich nähernde Blasmusik.

Das Fei­er­volk tän­zelt in einem Umzug durch den Ort und in Rich­tung des Bul­len­rings. Vorne weg wird irgend­ein Hei­li­ger durch die Gegend getra­gen. Vor allem Frauen und Kin­der in tra­di­tio­nel­ler Klei­dung fol­gen der Kapelle. Die Män­ner hin­ge­gen, vom Bier­ge­nuss in ihrer Wahr­neh­mung etwas ein­ge­schränkt, sehen sich kaum noch in der Lage mehr als drei Schritte erfolg­reich in die glei­che Rich­tung zu setzen.

Im Bul­len­ring ange­kom­men, dreht die fest­li­che Ver­samm­lung noch ein paar Run­den und ver­teilt zur Freude der Jüngs­ten jede Menge Süßigkeiten.

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Dann tre­ten die Bul­len auf den Plan. Aus einem Last­wa­gen wird das erste Tier in den Ring getrie­ben. Da steht es nun und weiß nicht so recht, was es tun soll. Die Masse grölt und der Bulle senkt den Kopf, prä­sen­tiert sein lin­kes, nach unten ver­wach­se­nes Horn. Sicht­lich irri­tiert trabt er durch die Anlage, bis die ers­ten Besof­fe­nen aus­rei­chend Mut gesam­melt haben, um eben­falls in den Ring zu treten.

Mit wil­den Schreien und rudern­den Armen ver­su­chen sie die Auf­merk­sam­keit des Tie­res auf sich zu len­ken. So rich­tig wohl ist ihnen jedoch nicht dabei, denn sobald der Bulle in ihre Rich­tung blickt, sprin­gen die Män­ner schon wie­der zurück über den siche­ren Zaun.

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Ver­gnügt lachend klat­schen sie sich nach ihren hel­den­haf­ten Auf­trit­ten ab und freuen sich über ihre Kühn­heit. Die Kleins­ten des Dor­fes schauen dem Trei­ben mit gro­ßen Augen zu. Auf der Umzäu­nung sit­zend betrach­ten sie stau­nend die Ereig­nisse. Was wir als alber­nes Macho­ge­habe ver­ste­hen, löst bei ihnen Bewun­de­rungs­rufe aus. Gespannt fie­bern sie mit den Besof­fe­nen mit.

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Unter den Bli­cken der Kin­der geht es eine Weile wei­ter. Die Wage­mu­ti­gen schreien und lau­fen davon, wedeln mit den Armen und ver­ste­cken sich, bewer­fen das arme Tier aus aus­rei­chen­der Ent­fer­nung mit Orangen.

Einer der Sauf­bolde lei­det unter so viel Rea­li­täts­ver­lust, dass er sich dem auf­ge­brach­ten Tier in den Weg stellt. Tat­säch­lich schafft er es drei Mal sich knapp am Tier vor­bei zu win­den, bevor er vom Koloss über­rannt wird. Ein ent­setz­ter Auf­schrei geht durch die Zuschauer. Doch der Betrun­kene steht einen Augen­blick spä­ter wie­der auf sei­nen Bei­nen – und tor­kelt ahnungs­los erneut auf den Bul­len in der Mitte der Arena zu.

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Das Tier lässt sich nicht lange bit­ten und stürmt sei­nem Gegen­über ent­ge­gen. Der Mann hat keine Chance, noch bevor die ande­ren Dorf­be­woh­ner den Betrun­ke­nen vor sich selbst schüt­zen kön­nen, prescht der Bulle über ihn hinweg.

Als der Betrun­kene in eini­ger Ent­fer­nung des Bul­len hum­pelnd, von zwei Män­nern gestützt, den Ring ver­lässt, wird er von vie­len für den glück­li­chen Aus­gang sei­nes Aben­teu­ers beju­belt. Allein seine Frau schimpft unun­ter­bro­chen wie eine Furie auf ihn ein. Sie würde ihn ver­las­sen, schreit sie, lie­ber sei sie geschie­den, als eine Witwe. Schal­lend geht die Ohr­feige auf den Betrun­ke­nen nie­der. Für ihn ist es Zeit nach Hause zu gehen und auch wir haben genug von die­sem frag­wür­di­gen Spektakel.

Wei­tere Sta­tio­nen auf dem Qui­lo­toa-Loop war­ten auf uns.

Cate­go­riesEcua­dor
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Morten & Rochssare

Per Anhalter und mit Couchsurfing reisen Morten und Rochssare ab 2011 zwei Jahre lang zwischen Feuerland und der Karibik kreuz und quer durch Südamerika. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie auf ihrem Blog und in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen bei Malik National Geographic.

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