Schon in Menor­cas Haupt­stadt Maó, im 18. Jahr­hun­dert von den Bri­ten erobert und anstelle von Ciuta­della an der West­küste zur Haupt­stadt ernannt, ste­chen sie ins Auge: rot-weiße Strei­fen an Stra­ßen­la­ter­nen oder auf Schil­dern. Sie wei­sen den Weg auf 185 Kilo­me­tern rund um die Insel, meist die Küste ent­lang, zu abge­schie­de­nen Buch­ten und über Klip­pen, aber auch durch die bei­den Städte Maó und Ciuta­della sowie durch den Natur­park S’Albufera des Grau. Wie so vie­les, was in ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten am Meer ent­stand, soll der Camí de Cavalls zunächst der Insel­ver­tei­di­gung gedient haben. Dank ihm konn­ten die mili­tä­ri­sche und poli­ti­sche Füh­rung alle Küs­ten­ab­schnitte über­wa­chen, und für Armee­ein­hei­ten, Wach­türme und wei­te­ren Fes­tungs­an­la­gen eig­nete er sich wun­der­bar zur Kom­mu­ni­ka­tion. All das spielt heute keine Rolle mehr – wes­we­gen die Stre­cke 2010 als Wan­der­weg eröff­net und mit der Bezeich­nung GR 223 in die Euro­päi­schen Fern­wan­der­wege auf­ge­nom­men wurde. 20 Etap­pen ste­hen zur Aus­wahl, wer gut zu Fuß ist, schafft auch mal zwei an einem Tag, aber es gibt ein Pro­blem: In der Nähe vie­ler Etap­pen­ziele fin­den sich weder öffent­li­che Trans­port­mit­tel noch Unter­künfte, wil­des Cam­pen ist ver­bo­ten, sodass eine Umrun­dung Menor­cas ohne fremde Hilfe unmög­lich ist. Doch das soll mich bei mei­ner Reise nach Menorca, was auf Kata­la­nisch ‚die Klei­nere‘ bedeu­tet, im Gegen­satz zu Mal­lorca, ‚die Grö­ßere‘, nicht auf­hal­ten – ich suche mir ein paar Etap­pen raus, schnup­pere mal in den Süden und mal in den Nor­den rein, und werde überrascht.

Der baby­po­sanfte Süden

Nach offi­zi­el­len Kar­ten beginnt der Camí in Maó mit dem zweit­größ­ten natür­li­chen Hafen der Welt – nach dem aus­tra­li­schen Syd­ney –, aber im Grunde bleibt es jedem selbst über­las­sen, wo er beginnt oder wie rum er geht.

„Der Nor­den ist der älteste Teil Menor­cas, die Steine ent­stan­den, als sich Erd­plat­ten vor etwa 200 oder 300 Mil­lio­nen Jah­ren ver­scho­ben“, erklärt Stadt­füh­re­rin Carol in Maó. Der Süden sei dage­gen jung, erst 25 Mil­lio­nen Jahre alt. In Büchern wer­den die Süd­strände oft mit der Kari­bik ver­gli­chen, und wo wei­ßer Sand und tür­kis­far­be­nes Was­ser auf dem Pro­gramm ste­hen, da aalen sich nor­ma­ler­weise die meis­ten Tou­ris­ten in der Sonne. Dage­gen soll der Nor­den schroff und oft unweg­sam sein, nicht jede Bade­mög­lich­keit glatt­ge­fegt und vol­ler Lie­gen, die mit Hand­tü­chern reser­viert wer­den wol­len. Also lasse ich den Nor­den bis zum Schluss, denn wenn eben mög­lich, lau­tet mein Motto auf Rei­sen „Save the best for last“.

Die Haupt­straße, wel­che die Insel ein­mal quer durch­schnei­det, teilt Menorca ziem­lich genau in Nor­den – mit sei­nem bun­ten Tra­m­un­tana aus Sand­stein, Kon­glo­me­rat, Lehm und Kalk­stein – und Süden, geo­lo­gisch Mig­jorn genannt, des­sen Gestein sich dank dem Marès-Kalk­stein über­wie­gend in rei­nes Weiß klei­det. In diese Land­schaft haben sich unzäh­lige Schluch­ten gegra­ben. Als eine der schöns­ten Buch­ten gilt Cala Mit­jana unweit von Cala Gald­ana. Nach kur­zem Weg durch den Wald liegt sie vor mir – eine hell­san­dige, fast men­schen­leere Bucht, deren Was­ser tür­kis schim­mert, wenn sich die Sonne hin­ter den Wol­ken her­vor­traut. Sie ist von einer Schön­heit, die das Auge trifft wie ein per­fekt weiß­zah­nig und lip­pen­stift­rot lächeln­des Model auf einem Zeit­schrif­ten­co­ver. Doch wie beim Model ist auch die Bucht bald ver­ges­sen, als ich ihr den Rücken zuwende. Irgend­et­was fehlt. Irgend­et­was, das sie von der per­fek­ten Schön­heit ande­rer Buch­ten unter­schei­det, sie zu einem cha­rak­ter­star­ken Ich statt zu einem ver­schwom­me­nen Ihr macht.

Der Weg führt auf gut acht Kilo­me­tern an eini­gen der soge­nann­ten Per­len des Südens vor­bei bis nach Cala en Tur­queta, mal direkt an der Küste ent­lang, dann wie­der ein Stück­chen weit land­ein­wärts, stets den rot-wei­ßen Strei­fen nach, die den Weg alle paar Meter mar­kie­ren und Ver­lau­fen unmög­lich machen.

Mit der eben­falls hoch­ge­rühm­ten Cala Mac­a­rella ergeht’s mir ähn­lich wie bei Mit­jana – obwohl sie im Novem­ber ange­nehm ruhig und post­kar­ten­hübsch ist, lädt sie mich nicht zum Blei­ben ein.

Anders als die win­zige Cala Mac­a­rel­leta, die sich wenige Kilo­me­ter wei­ter in die Klip­pen schmiegt. Viel­leicht, weil sie nicht am Weg liegt, sich ver­steckt und sich genau in der Mitte der Bucht ein Baum­stamm tief in den hel­len Sand gegra­ben hat, zwei dicke Äste Rich­tung Meer aus­ge­streckt, als wollte er bald zurück.

Ein holp­ri­ger Weg, den sogar manch geüb­ter Moun­tain­bike­fah­rer in Angriff nimmt, geht es wei­ter bis zur Bucht, die ich als per­sön­li­che Favo­ri­tin an der Süd­küste küre: Cala en Tur­queta. Tur­queta für Tür­kis, wo das Meer dem Namen alle Ehre macht. Kalk­stein­fel­sen tei­len die Bucht in zwei, und die Kie­fern­wäl­der trauen sich bis ganz nah ans Meer, als woll­ten sie den Wel­len zei­gen, dass sie ihnen trot­zen kön­nen. Auf nied­ri­gen Fel­sen umar­men die Bäume Cala en Tur­queta und schaf­fen ein Gefühl von Ganz-weit-weg. Eine Möwe schaut weni­gen Schwim­mern von einem Stein im Was­ser aus zu und das Was­ser ist so klar, dass man schon aus der Ferne ein paar Qual­len erkennt, die ent­spannt im Was­ser gleiten.

Ab ins Grüne

1993 erklärte die UNESCO ganz Menorca zum Bio­sphäre-Reser­vat, und Herz­stück die­ses Reser­vats ist der Natur­park S’Albufera des Grau, durch den der Camí de Cavalls nörd­lich von Maó führt. Das größte Feucht­ge­biet der Insel ist Hei­mat oder Rast­platz für rund 100 Vogel­ar­ten, dar­un­ter Stock­enten, Bläss­hüh­ner und Stel­zen­läu­fer. Zu den häu­fig über­win­tern­den Zug­vö­geln gehö­ren Kor­mo­rane, Grau­rei­her und Tafelenten.

Ich mache einen Abste­cher ins Lan­des­in­nere des Parks, genieße die Stille, die nur Zwit­schern oder man­cher Flü­gel­schlag durch­bricht. Die Aus­sicht über die Lagune. Die leichte Brise an einem noch 20 Grad war­men Novembertag.

Zurück auf dem Küs­ten­pfad geht es bei Cala de Sa Tor­reta und Cala Morella an Dünen und Tama­rin­den vor­bei, doch je näher das Cap de Favà­trix kommt, desto mehr hat der Wind sämt­li­che Vege­ta­tion ver­scheucht und nur raue, dunkle Fel­sen übrig­ge­las­sen. Der schwarz-weiß gestreifte Leucht­turm spie­gelt sich in einer Lagune hin­ter den Fel­sen, in denen ein paar Wan­de­rer her­um­klet­tern und den bes­ten Foto­spot suchen.

Es ist, also wäre das Cap ein­zi­ger Sam­mel­punkt für die weni­gen Besu­cher. Kaum habe ich es ver­las­sen, ver­schluckt der Weg die Men­schen wie­der und ich bin allein. Mit dem Duft nach Kie­fern und der feuch­ten Luft, die sich wie eine Schön­heits­maske über mein Gesicht legt. Und die ich fürs Erste abspüle, als ich mich in der ver­las­se­nen und von Nep­tun­gras bedeck­ten Cala Pre­sili split­ter­nackt ins noch warme Was­ser stürze.

Ich erin­nere mich daran, wie mir ein Umwelt­schüt­zer wenige Monate zuvor auf Mal­lorca erklärte, das sich am Strand anhäu­fende Mee­res­gras werde von den meis­ten Tou­ris­ten als Dreck ange­se­hen und des­halb oft ent­fernt, dabei sei es so wich­tig zum Schutz des San­des, der dadurch weni­ger abge­tra­gen würde. Offen­sicht­lich lässt das Gras alle Besu­cher schnell wei­ter­ge­hen lässt, anstatt im kla­ren Was­ser vor Glück Pirou­et­ten zu drehen.

Der Nor­den, das Narbengesicht

Wenn ich an Menorca denke, denke ich zuerst an die­sen letz­ten Tag, den ich im nörd­lichs­ten Fischer­dorf der Insel beginne – For­nells mit sei­nen wei­ßen Häu­sern und einer Bäcke­rei, wo sich die War­te­schlange bis um die nächs­ten Häu­ser krin­gelt, weil die Ver­käu­fe­rin nun mal gern ein Schwätz­chen mit den Kun­den hält. Es ist hier, dass ich das Menorca zu ver­ste­hen und zu lie­ben lerne, das Carol in einem Satz zusam­men­ge­fasst hat: „Wir Insu­la­ner fra­gen uns immer, warum die Tou­ris­ten so viel gestress­ter sind als wir, denn wir neh­men alles mit der Ruhe.“

Mit einem Cap­puc­cino in der Hand schaue ich über das stille Was­ser der Bucht von For­nells, lasse die Uhr­zeit und das Handy bei­seite, komme an. Ein Gefühl, das sich ver­stärkt, als ich im Auto den Far de Caval­le­ria errei­che, den nörd­lichs­ten Punkt Menor­cas, mar­kiert von einem schnee­wei­ßen Leucht­turm. Dass er bereits Ende Okto­ber geschlos­sen hat, stört mich nicht, denn zu schön ist die Umge­bung aus dich­tem grü­nem Gestrüpp und hel­len Fel­sen, an denen Sturm und Meer mit gro­ßem Appe­tit nagen.

Je höher ich auf­steige, desto wei­ter reicht der Blick über die step­pen­ar­tige Land­schaft der Land­zunge, die mich an Kasach­stan erin­nert, bis zum höchs­ten Berg Menor­cas, dem Toro mit 361 Metern. Dies also ist der älteste Teil Menor­cas, der Uropa oder die Uroma mit allen Fal­ten und Nar­ben auf der Ober­flä­che und unzäh­li­gen Geschich­ten, die sich dahin­ter verbergen.

Ein Stück­chen die Küste wei­ter run­ter, in der Nähe der Platja Bini­mel-là, kommt der Wagen erst ein­mal zur Ruhe, ich fülle mei­nen Ruck­sack mit Pick­nick und Bade­sa­chen. Es ist zu spät, um den gesam­ten Stre­cken­ab­schnitt von 8,9 Kilo­me­tern bis Els Alocs und zurück noch zu schaf­fen, aber einen Teil werde ich unter die Soh­len neh­men. Die Etappe gilt als High­light der 20 Abschnitte, ent­lang des wil­des­ten Stücks Küste, mit dem höchs­ten Punkt des Camí. Und mit dem Strand, von dem mir alle Ein­hei­mi­schen sagen, dass sie ihn für den schöns­ten hal­ten – Cala Pre­gonda. Im Gegen­satz zum Süden mit sei­nen hel­len, gedie­ge­nen Far­ben, ist die Erde hier Rot, und je näher die Cala Pre­gonda kommt, desto auf­fal­len­der ste­chen die vul­ka­ni­schen, weiß­gel­ben Fel­sen in die Höhe. Kleine Inseln sind dem Strand vor­ge­la­gert und die Sonne schaut gerade genug her­vor, um die schöns­ten Blau- und Tür­kis­töne aus dem Was­ser hervorzukitzeln.

Cala Pre­gonda ist ein Ort, wo ich weit über mein Pick­nick und ein ers­tes Bad im Meer hin­aus blei­ben könnte. Doch der Weg ruft, ich möchte her­aus­fin­den, was sich hin­ter der nächs­ten Land­spitze ver­birgt. Und so geht es steile rote Wege rauf und run­ter, das Meer auf der einen Seite, weite grüne Land­schaf­ten auf der anderen.

Eine Schild­kröte bahnt sich ohne Eile ihren Weg ins Gestrüpp, wenige Wan­de­rer kom­men ent­ge­gen. An der Cala Bar­ril ist ein Paar in einen Kuss ver­tieft, und bald schaut mich ein ein­sa­mer Esel neu­gie­rig hin­ter einer Mauer an.

Mal zei­gen sich die Steine dun­kel­rot, dann wie­der gelb­lich oder braun, haben keine Kon­for­mi­tät nötig. Die bereits tief­stehende Sonne malt sie mit aller Kraft aus und beglei­tet mich bis zur Cala en Cald­e­rer, wo sie sich hin­ter Wol­ken ver­ab­schie­det, wäh­rend ich die Mühe des Weges im Meer abwa­sche. Damit mich nicht die Dun­kel­heit über­rascht, beginnt der Rück­weg, wo der Esel mitt­ler­weile ein paar Kum­pels zu Besuch hat.

Es ist ein woh­li­ges Gefühl, als mir die Sonne wie­der den Rücken stärkt und mich zurück­be­glei­tet bis zur Cala Pre­gonda. Mitt­ler­weile wer­fen die umge­ben­den Hügel ihre Schat­ten über den Sand, doch ein letz­tes Bad muss sein. Alle ande­ren sind bereits weg, viel­leicht irgendwo dort, wo man der Sonne beim Unter­ge­hen zuse­hen kann. Das geht hier nicht, die Sonne ist hin­ter den Anhö­hen ver­schwun­den. Aber an die­sem ein­sa­men Strand, vor dem schwei­gen­den Meer, begreife ich, dass es sich lohnt, manch­mal nicht einem unter­ge­hen­den Feu­er­ball hin­ter­her zu star­ren. Dass es noch erfül­len­der sein kann, zu beob­ach­ten, welch wei­che Farb­töne die letz­ten Strah­len den Klip­pen vor mir schen­ken und wie sich der Far de Caval­le­ria in wei­ter Ferne in die Höhe reckt, als zeige jemand mit dem Schein­wer­fer dar­auf. Ich sitze und staune. Spüre, wie diese Schön­heit nicht an mei­nen Augen abfe­dert, son­dern tie­fer reicht, sich ein­nis­tet und zu einer Erin­ne­rung wird, aus der Geschich­ten entstehen.

Die Reise fand mit Unter­stüt­zung von Turismo Menorca statt.

 

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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

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