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Arte sagt, du kiffst zu viel

Half Way Tree, Kingston

Ich bin den Tag über nicht wirk­lich aus dem Quark gekom­men. Der Trip nach Trench Town sitzt mir immer noch in den Kno­chen, phy­sisch wie psychisch.

Ich war zwar kurz  Ein­kau­fen und bin etwas durch die Gegend geschlen­dert, habe aber ansons­ten die meiste Zeit des Tages auf der Ter­rasse des Hos­tels geses­sen, Bier getrun­ken, gedöst und ver­sucht zu lesen, wovon ich meist direkt wie­der ein­ge­döst bin.

Jetzt sitze ich an der Bar, höre Gary und John vom Hos­tel mit hal­bem Ohr bei ihrem Gespräch zu und schaue träu­mend in die Gegend, bis ich Gary den Namen Chinna Smith sagen höre.

„Moment, der Chinna Smith von den Wai­lers?“, frage ich und bin plötz­lich wie­der wach.

Ich hatte einige Wochen zuvor eine Doku über Bob Mar­leys Ex-Gitar­ris­ten und sei­nen Yard gese­hen, ein Treff­punkt, ja, fast schon Mekka für King­s­tons Musik­szene, auf Arte gesehen.

„Genau der, wohnt ein paar Stra­ßen wei­ter. Gechill­ter Typ, sitzt den gan­zen Tag in sei­nem Gar­ten, macht Musik und raucht Ganja“, lacht Gary.

„Sein Gar­ten ist immer offen, aus Prin­zip. Wenn du Bock hast, kannst du ihn gern besu­chen, da hat er bestimmt kein Pro­blem mit, bist ja ein ent­spann­ter Typ“

Ich lasse mir von Gary den Weg erklä­ren und finde das Haus einige hun­dert Meter von mei­nem Hos­tel entfernt.

Das Gar­ten­tor steht tat­säch­lich offen und gibt den Blick in einen dicht bewach­se­nen Gar­ten frei, an des­sen hin­te­ren Ende etwa zehn Typen in einem Kreis auf einer Ter­rasse sit­zen und Musik machen. Chinna Smith ist einer von ihnen.

Chinna und ein paar der ande­ren bli­cken mich fra­gend an, als ich auf sie zuge­lau­fen komme.

„Hey, ich bin Lenn­art. Ich war grad in der Gegend und habe Musik gehört“, lüge ich.

„Cool, Lenni, Mann! Setz dich zu uns“, sagt Chinna und ges­ti­ku­liert mit einer aus­schwei­fen­den Hand­be­we­gung, dass ich mich in den Kreis set­zen soll.

Die Wände sind geschmückt mit ver­wit­ter­ten Pos­tern und Zei­tungs­aus­schnit­ten, Plat­ten­co­vern und ver­gilb­ten Fotos.

Ich setze mich auf einen Stein in den Kreis und höre Chinna und den ande­ren etwas  beim Jam­men zu.

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Der Typ neben mir sitzt auf einem klei­nen Hocker vor einem win­zi­gen Tisch­lein, das zur Gänze mit einem mas­si­ven Schnei­de­brett aus­ge­füllt ist, auf dem wie­derum ein gro­ßer Hau­fen Gras liegt. Behut­sam schiebt der Typ, des­sen Alter ich unmög­lich ein­schät­zen kann, nach und nach einen Teil des Hau­fens auf dem Brett vor sich hin, dra­piert es und schnei­det es fast schon lie­be­voll mit einem gro­ßen, abge­nutz­ten Küchen­mes­ser klein, schiebt es zur Seite und wie­der­holt dies, bis der gesamte Hau­fen fein säu­ber­lich klein­ge­hackt vor ihm liegt, bevor er das Spiel mit einem neuen Hau­fen Gras von vorne beginnt.

Er heißt Azu­shi und kommt ursprüng­lich aus Japan, wie er mir spä­ter erzählt.

Azu­shi hat einen lan­gen, dün­nen, an bei­den Mund­win­keln her­un­ter­hän­gen­den Schnurr­bart, der jeden alten Kung Fu Meis­ter vor Neid erblas­sen las­sen würde und Dre­ad­locks, die er sich wie ein Vogel­nest um sei­nen Kopf gewi­ckelt hat. Er blickt mich mit roten, aber den­noch auf­merk­sa­men Augen an und lächelt mir mit sei­nen vier oder fünf noch vor­han­de­nen Zäh­nen freund­lich entgegen.

„Ras­ta­fari, Mann“, sagt er.

„Ja, Mann“, ant­worte ich, wor­auf er sich zufrie­den nickend wie­der dem Hau­fen Gras zuwen­det, der auf sei­nem Schnei­de­brett liegt.

„Ja, Mann“, sagt er noch ein­mal lachend, wobei sich sein gan­zer Kör­per beim Lachen auf und ab bewegt und das Dre­ad­lock-Vogel­nest auf sei­nem Kopf im glei­chen Rhyth­mus mitwippt.

„Und, wie lange bist du schon in Jamaika?“, frage ich Azu­shi, um ein Gespräch mit ihm zu beginnen.

Azu­shi legt sein Mes­ser zur Seite, schiebt die duf­ten­den, grü­nen Can­na­bis­blü­ten in die Mitte sei­nes Schnei­de­bretts und blickt mich gedan­ken­ver­sun­ken an.

„Hm. Wel­ches Jahr haben wir?“, fragt er.

Ich lache, bis ich merke, dass er die Frage ernst gemeint hat.

„Ähm… 2017“, sage ich.

„Ah! Ok, cool“, sagt Azu­shi nickend und wid­met sich wie­der dem Tisch­lein vor sich zu.

„Also? Wie lang bist du nun schon in Jamaika?“, hake ich aber­mals nach, als Azu­shi keine Anstal­ten macht, meine Frage zu beantworten.

Azu­shi legt sein Mes­ser wie­der weg, blick erneut hoch und überlegt.

„Hm, lang“, sagt er.

„Lang?“, frage ich.

„Lang“, ant­wor­tet er nickend.

„Und du?“

„Noch nicht so lang“, ant­worte ich.

„Ah, cool.“

Die Ant­wort scheint ihm voll­kom­men zu reichen.

„Will­kom­men, Mann“, sagt er und lächelt mich erneut mit einem zahn­lo­sen Lächeln an, bevor er sich ganz und gar sei­ner Auf­gabe zuwendet.

Mitt­ler­weile hat Azu­shi genug Gras gehackt, um den Pfei­fen­kopf der Grup­pen-Kokos­nuss-Bong zu stop­fen. Auch hier­bei lässt er sich nicht stres­sen, prüft mehr­mals den Inhalt des Köpf­chens, ach­tet dar­auf, dass er weder zu fest, noch zu locker stopft, nimmt etwas wie­der raus, füllt etwas wie­der nach, bis er die Bong zufrie­den nickend anzün­det und beim Aus­at­men kurz zur Gänze in einer Rauch­wolke ver­schwin­det, bevor er die Was­ser­pfeife an Chinna weitergibt.

Ich setze mich zu Chinna und unter­halte mich mit ihm, wäh­rend er wei­ter auf sei­ner Gitarre klim­pert und damit nur auf­hört, um einen Zug aus der Bong zu nehmen.

Er erzählt mir von sei­nem Yard, der Kom­mune, von sei­ner Musik und der damit ver­bun­de­nen Lebens­phi­lo­so­phie, wie wich­tig es ist im Jetzt zu leben und nicht in der Ver­gan­gen­heit oder der Zukunft.

Wenn ich mich so umsehe könnte ich ihm nicht stär­ker zustim­men. Zumin­dest sieht nie­mand der Anwe­sen­den so aus, als würde er sich über mor­gen Gedan­ken machen. Und, ohne mich zu weit aus dem Fens­ter leh­nen zu wol­len, gehe ich davon aus, dass ich, sollte ich mor­gen erneut bei Chinna im Gar­ten vor­bei­schauen, ein ähn­li­ches Bild vor­fin­den würde.

Sein Leben finan­ziert er sich durch Tan­tie­men der unzäh­li­gen Künst­ler mit denen er zusam­men­ge­ar­bei­tet hat. Chinna hat auf mehr als 500 Alben mit­ge­spielt und einen gro­ßen Teil von ihnen pro­du­ziert. Auf wie vie­len Plat­ten genau er ver­tre­ten ist, weiß er nicht genau.

Bob Mar­ley, Peter Tosh,  Alpha Blon­die, Jimmy Cliff , sogar Lau­ryn Hill und Amy Wine­house, fast nie­mand, der in den letz­ten 50 Jah­ren auf Jamaika Musik gemacht hat, kam an Chinna Smith vorbei.

Ein Handy klingelt.

Chinna blickt mich kurz etwas ver­wirrt an, bevor er merkt, dass es sein eige­nes ist.

Ich weiß nicht warum mich das Tele­fon in Chin­nas Hand so irri­tiert, aber irgend­wie wirkt es, ähn­lich wie bei mei­nem Vater, wie ein Fremdköper.

„Hallo?“, sagt Chinna und eine Stimme am ande­ren Ende sagt irgend­et­was und hört anschlie­ßend für etwa zwei Minu­ten nicht mehr auf zu reden, wäh­rend Chinna nur mit dem Handy am Ohr neben mir steht und ab und zu ein »Ja, Mann“ einwirft.

„Cool, wie ist das Wet­ter um die Zeit bei euch?“, fragt Chinna.

Er hört aber­mals für eine halbe Minute zu.

„Hm, ja. Ok, ich glaube, das kann ich ter­min­lich nicht ver­ein­ba­ren. Zu der Zeit habe ich sehr viel zu tun“, sagt Chinna, hört der Stimme am ande­ren Ende für wei­tere zehn Sekun­den zu und legt auf.

Ich bli­cke ihn fra­gen an.

„Irgend­ein Fes­ti­val in Frank­reich auf dem ich spie­len soll. Aber im Herbst ist mir das zu kalt“, sagt Chinna und lacht. „Wie ist das Wet­ter grad in Deutschland?“

„Meine Kum­pels haben mir ges­tern ein Foto geschickt. Hat wohl ziem­lich geschneit“, ant­worte ich und sehe, wie Chinna inner­lich erschaudert.

„Ich habe vor ein paar Wochen eine Doku über dich im deut­schen Fern­se­hen gese­hen“, erzähle ich ihm und er lacht.

„Und? Was haben die über mich gesagt? Dass ich zu viel kiffe?“, fragt er.

„So in etwa“

Chinna lacht noch lauter.

„Ja gut, was soll ich dage­gen sagen“, sagt er und greift zu sei­ner Pfeife, die Azu­shi ihm frisch gestopft hat.

Der Mann muss trotz sei­nes geho­be­nen Alters eine Lun­gen­ka­pa­zi­tät haben wie ein Rennpferd.

Ich sitze noch ein paar Stun­den im Kreis von Chinna und sei­nen Jün­gern, höre ihnen beim jam­men zu und lau­sche ihren Geschich­ten und Gedan­ken zu, die mit jeder Pfeife wei­ter aus­schwei­fen und immer ver­wor­re­ner wer­den, bis ich irgend­wann vom Pas­siv­rau­chen so breit bin, dass ich selbst beginne zu phan­ta­sie­ren und gleich­zei­tig drohe im Sit­zen einzuschlafen.

Zeit zu gehen.

Als ich mich vor dem Gar­ten­tor umdrehe, sehe ich, wie Chinna einen faust­gro­ßen Hau­fen Ganja auf Azu­shis Schnei­de­brett legt, wäh­rend sich Azu­shis Kör­per lachend bewegt und er sich wie­der an die Arbeit macht.

Sicher­lich nicht zum letz­ten Mal an die­sem Abend.

Cate­go­riesJamaika
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Lennart Adam

Lennart ist Ostfriese. Sein Geld verdient er als Journalist in Flensburg, um es auf Reisen wieder auszugeben.
Reisen wird für ihn besonders dann zum Erlebnis wenn Unerwartetes passiert. Wenn man Pläne über Bord wirft und sich stattdessen vom Zufall leiten lässt, offen ist fürs Unbekannte, fürs Abenteuer. Wenn man auf Fremde zugeht, sich ausprobiert, Ängste überwindet und Grenzen neu definiert. Und wenn man anschließend die richtige Bar findet.

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