Unse­ren Weg haben nicht etwa weiß-rote Wan­der-Mar­kie­run­gen auf­ge­zeigt, son­dern Blei­stift­zeich­nun­gen in einer Karte mit unsag­bar vie­len Linien. Wie man die rich­tig liest, das haben wir am Mor­gen schon gelernt. Ich weiß jetzt, wie man Höhen­me­ter liest, ver­schie­dene Vege­ta­tio­nen auf­grund von win­zi­gen Zeich­nun­gen erkennt und sich in all dem irgend­wie zurecht­fin­det. Die Frage „wo sind wir und wo müs­sen wir hin“ hat uns den gesam­ten Tag beglei­tet. Immer wie­der haben wir die Karte raus­ge­holt, uns umge­schaut, Berge iden­ti­fi­ziert, uns geor­tet und die ver­blei­bende Stre­cke abgeschätzt.

Unsere Mit­tags­pause haben wir zu viert in einem zwei Mann Zelt ver­bracht, denn statt einen wun­der­schö­nen Blick auf einen idyl­li­schen See zu haben, wur­den wir ein­ge­reg­net. Aber das ist eben so, wenn man Natur­er­leb­nisse will, muss man auch mit dem Rhyth­mus der Natur umge­hen kön­nen, schätze ich. Die Stim­mung war trotz­dem immer super, wir haben ein­fach gequatscht und Späße gemacht. Da der Regen nicht auf­hörte, hieß es irgend­wann im Regen wei­ter­lau­fen. Also Regen­schutz über den Ruck­sack und sich mit nas­sen Füßen anfreunden.
Meine neuen Wan­der­schuhe beka­men also direkt die Feuertaufe.

Unser Weg führte uns über einen Geröll­weg. Anstatt wie junge Rehe von einem Gesteins­bro­cken zum ande­ren zu sprin­gen, waren alle Viere gefragt. Denn die Flechte, wel­che die Gesteins­bro­cken über­zie­hen, wer­den durch den Regen feucht und gestal­te­ten die Ange­le­gen­heit extrem rut­schig. Als wir vor­hin in der Nähe eines Sees unser Nacht­la­ger auf­schlu­gen und so lang­sam zur Ruhe kamen, spürte ich, was wir heute getan hat­ten. Das berg­auf­wärts lau­fen, das Aus­ba­lan­cie­ren, das Ruck­sack­tra­gen. Man spürt es, doch bei wei­tem nicht so schlimm, wie ich gedacht hätte. Bin ich wohl doch eine Abenteurerin?

Keine Ahnung, jetzt heißt es erst ein­mal warm wer­den und dann schla­fen. Mor­gen geht es wei­ter, vor uns liegt ein wei­te­rer Tag wan­dern, ehe es zurück in die Zivi­li­sa­tion geht. Ich bin gespannt, was Berg­füh­rer Jan uns mor­gen noch an Über­le­bens­tricks ver­rät. Habe ich heute doch schon so viel gelernt. Von der Heil­wir­kung regio­na­ler Pflan­zen, über das Zel­ten in wil­der Natur bis hin zum Ori­en­tie­ren ohne Technik.

Die Nacht ist rum…

Kalt ist es, knapp über null Grad, mit­ten im hei­ßen Juli. Aber auf rund 2000 Metern Höhe mit­ten in den Ber­gen ist das Klima eben ein ganz ande­res, als unten im Dorf. Da fällt es schwer, sich aus sei­nem war­men Schlaf­sack zu rob­ben und in die nass kal­ten Stie­fel zu stei­gen. Drau­ßen steht schon Jan und kocht Was­ser für unser Früh­stück auf. Kurze Zeit spä­ter sit­zen wir mit dem Müsli aus der Trek­king Food Tüte auf den Stei­nen und ver­sor­gen unse­ren Kör­per mit der nöti­gen Ener­gie. Von Sonne ist lei­der noch nichts zu sehen, also packen wir im Mor­gen­ne­bel unsere Zelte zusam­men und lau­fen los. Wie­der geht es über sump­fi­ges Gebiet. Plötz­lich blei­ben zwei aus der Gruppe ste­hen, schauen Rich­tung Berg weit nach oben und deu­ten dort etwas zu erken­nen: Wilde Gemse und auch ein Stein­bock ste­hen dort weit oben im geröl­li­gen Abschnitt. Wahn­sinn. Damit hatte ich nicht gerech­net. Noch eine Weile ver­su­chen wir die weit ent­fern­ten Tiere zu fokus­sie­ren und ihre Bewe­gun­gen zu ver­fol­gen ehe es wei­ter geht.

Gerade ein­mal ein Vier­tel der Stre­cke ist geschafft, als ich beim berg­auf­wärts­lau­fen merke, dass meine Leiste nicht so mit­spielt, wie sie es sollte. Schon ges­tern habe ich gespürt, dass ich mir was gezerrt haben muss. Heute mor­gen dachte ich, es hätte sich etwas erholt. Doch beim berg­auf­wärts Wan­dern mit 10 Kilo Gepäck auf dem Rücken zeigt sich, dass es abso­lut nicht bes­ser eher viel viel schlech­ter ist. Das linke Bein zu heben wird zur Qual. Auch wenn es mei­nen Stolz kränkt, bespre­chen wir einen Plan B. Eine kür­zere Route mit deut­lich weni­ger Stei­gung. Habe ich ver­sagt? Tauge ich nicht als Aben­teu­re­rin? Weder noch. Uner­war­te­tes kann immer pas­sie­ren und dann gilt es ehr­lich zu sein, auf sein Gefühl zu hören und einen guten Plan B zu haben. Dar­auf pocht unser Berg­füh­rer und dem stimmt auch die Gruppe zu. Kei­ner hat ein Pro­blem mit der geän­der­ten Route, es bleibt dabei: Einer für alle, alle für einen.

Und siehe da, kaum befin­den wir uns auf fes­ten Unter­grund, kommt die Sonne raus und nur ein paar Meter von uns ent­fernt zeigt sich ein wei­te­res typi­sches Wild­tier der Region: ein Mur­mel­tier. Gehört hat­ten wir sie schon, auch ges­tern. Sie fiebsen laut, zur War­nung aller, wenn sich Men­schen oder andere Feinde nähern. Doch gese­hen hatte ich sie eben nicht. Jetzt sitzt da eines die­ser flau­schi­gen klei­nen Wesen unter einem Stein und scheint sich noch nicht sicher, ob es sich ver­ste­cken soll. So kön­nen wir es noch etwas genauer bestau­nen, ehe es sich dann doch für das Davon­ren­nen entscheidet.

Der Him­mel klart auf und etwas spä­ter ist auch die Zivi­li­sa­tion wie­der in Sicht. Das erste kleine Dorf taucht hin­ter einem Fluss inmit­ten der Berge auf. Wir sind zurück und ich kann wohl sagen, dass diese Tour selbst trotz Regens und Schmer­zens, ganz beson­ders war. Ich habe viel gelernt, über das Wan­dern abseits der Pfade, über mich und auch die ein­zig­ar­tige Natur des Parc Ela, mit den hüb­schen Blu­men, Mur­mel­tie­ren, Gem­sen und Steinböcken.

Cate­go­riesSchweiz
Nicole Bittger

Klar ist sie schon vorher gereist, aber 2016 hat Nicole dann ernst gemacht. Für sechs Monate hängte sie ihren Job an den Nagel, um ihrem Fernweg endlich mal richtig nach zu gehen. Dabei hat sie viele erste Male erlebt, ob im fernen Japan oder in der benachbarten Schweiz. Doch nach ihrem Sabbatical war sie nicht etwa vom Reisen gesättigt, sie beschloss ein Jahr lang zu sparen und dann erneut aufzubrechen. 5 Monate lang tourte sie durch Südamerika, erlebte Abenteuer im Dschungel von Ecuador genauso wie heiße Samba Nächte in Rio. Heute ist sie bekennende Reisesüchtige, arbeitet als Freelancerin, reist so viel es geht und bloggt darüber auf passenger-x.de.

  1. Lothar says:

    Sehr inter­es­san­ter Bericht von Dei­ner Berg­tour in den Schwei­zer Ber­gen. Das war schon Pech mit der Leis­ten­zer­rung. Um so lobens­wer­ter ist, dass Du Dich damit nicht wei­ter gequält hast, son­dern den Mut hat­test, Dich danach für den Plan B zu ent­schei­den. Und natür­lich, dass die ande­ren dem sofort zuge­stimmt haben.

    Obgleich ich selbst in einer Region lebe , wo es Berge gibt (Berch­tes­ga­de­ner Land), bin ich nach wie vor von den Vier­tau­sen­dern in der Schweiz fasziniert.

    Vie­len Dank!

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