Die Naturwunder von Nikko

Die japa­ni­sche Tem­pel­stadt Nik­kō ist welt­be­rühmt. Doch kaum ein Besu­cher nimmt sich Zeit, die wun­der­sa­me Wild­nis in der Nähe des Welt­kul­tur­er­bes zu ent­de­cken. Der Nik­kō Natio­nal­park begeis­tert mit Hoch­moo­ren, kris­tall­kla­ren Seen, hei­ßen Quel­len und spek­ta­ku­lä­ren Was­ser­fäl­len. Umge­ben von hei­li­gen Vul­ka­nen ver­bin­det die Land­schaft viel­fäl­ti­ge Natur mit tie­fer Spi­ri­tua­li­tät.

Nur die Voll­brem­sung hilft: In der Kur­ve räkeln sich drei Japan­ma­ka­ken in der Son­ne. Lang­sam trot­ten sie bei­sei­te. Der Win­ter im Gebir­ge auf gut 1.500 Metern ist lang und hart. Außer dem Mensch lebt zwar kein Pri­mat nörd­li­cher. Doch im Früh­jahr genie­ßen die mit dich­ten Fel­len geschütz­ten Rot­ge­sich­ter offen­bar ger­ne war­men Asphalt.  

Es ist April im Nik­kō Natio­nal­park. Wäh­rend im zwei Zug­stun­den süd­lich gele­gen Tokyo fast alle der zehn Mil­lio­nen Bewoh­ner die Kirsch­blü­te fei­ern, mühen sich Tie­re und Pflan­zen in den nahen Ber­gen aus der Eis­star­re. Der letz­te Schnee lugt aus Schat­ten und Sen­ken her­vor. Vor­sich­tig zeigt sich das spek­ta­ku­lä­re Öko­sys­tem des Parks, das sich über meh­re­re Vege­ta­ti­ons­stu­fen mit rie­si­gen Rho­do­den­dron­hai­nen, Was­ser­fäl­len, dich­ten Ahorn­wäl­dern, Seen, Hoch­moo­ren, Ther­mal­quel­len und schrof­fen Ber­gen erstreckt.

Die aller­meis­ten Besu­cher von Nik­kō las­sen die Natur­wun­der aller­dings links lie­gen. Beim belieb­ten Tage­s­tripp von Japans Metro­po­le zum Welt­kul­tur­er­be reicht nicht ein­mal die Zeit, die wich­tigs­ten Tem­pel und Schrei­ne des Ortes mit sei­nen über 100 sakra­len Bau­wer­ken zu genie­ßen. „Ich emp­feh­le, min­des­tens drei Tage zu blei­ben. Die japa­ni­sche Kul­tur und unse­re fas­zi­nie­ren­de Umwelt kom­men sich in der Regi­on sehr nah“, sagt Tou­ris­mus­ma­na­ger Yoshi­hi­ro Nid­ai­ra und erklärt: „In den Hei­lig­tü­mern, die in einem uralten Wald ste­hen, ver­schmel­zen die Natur­re­li­gi­on Shin­to­is­mus und der Bud­dhis­mus.“

103 reli­giö­se Gebäu­de bil­den in Nik­kō einen ein­zi­gen Kom­plex inner­halb von zwei Shin­to-Schrei­nen und einem bud­dhis­ti­schen Tem­pel. Alle ste­hen in einer fas­zi­nie­ren­den Natur.

Bei der Fahrt in den Natio­nal­park geben sich die Shin­to-Göt­ter zumin­dest gnä­dig: Die Son­ne „Ama­ter­asu“ scheint und Stür­me (Sus­anoo) sind nicht ange­kün­digt. Steil win­det sich die Stra­ße 45 Minu­ten hoch zum glas­kla­ren Chu­zen­ji, der auf fast 1.300 Metern thront. Am Kopf des Sees stürzt sich der Kegon Was­ser­fall in die Tie­fe und ver­zau­bert mor­gens mit Farb­spie­len aus Licht und Sprüh­ne­bel. Wie Wäch­ter rah­men die erlo­sche­nen Vul­ka­ne Syazan, Han­getsu und Nan­tei das Gewäs­ser ein, an dem Ang­ler in Wat­ho­sen mit ange­schweiß­ten Gum­mi­stie­feln Forel­len jagen.

Ein Pfad zum Gip­fel des Nan­tei führt durch ein Tor des Chu­gu­shi-Schreins, in dem der Gott des Ber­ges ver­ehrt wird. Ein Gruß scha­det nicht, immer­hin dau­ert die anspruchs­vol­le Wan­de­rung sechs Stun­den. Gewarnt wird vor Kra­gen­bä­ren – doch „tsu­ki no wagu­ma“ sind scheu und Kon­fron­ta­tio­nen eher sel­ten. Ein Glöck­chen soll sie ver­schre­cken. Nähert sich trotz­dem ein Bär, soll­te man behut­sam das Gepäck hin­le­gen und sich lang­sam mit Blick­kon­takt davon­ma­chen. Das Ess­ba­re im Ruck­sack sei span­nen­der als schwit­zen­de Wan­de­rer, ver­si­chert Yoshi­hi­ro Nid­ai­ra.

Am See­ufer ent­lang sind simp­le bis aus­dau­ern­de Fuß­tou­ren mög­lich. Hoch ange­leg­te Boh­len­we­ge las­sen wei­te Bli­cke auf das tür­kis schim­mern­de Was­ser und die Ber­ge durch; hel­le Strän­de sug­ge­rie­ren Kari­bik­fee­ling. Ab Juni blü­hen Aza­leen und wei­ßer Rho­do­den­dron. Was­se­r­ei­chen und Ahorn strah­len dann satt­grün, bevor sie im Herbst mit einer Farb­ex­plo­si­on aus Oran­ge, Rot, Gelb, Gold die belieb­tes­te Sai­son im Natio­nal­park ver­kün­den. Zu die­ser Jah­res­zeit und an allen Wochen­en­den sowie Fei­er­ta­gen zieht es die Japa­ner im Übri­gen magisch in die Natur. Bei der Rei­se­pla­nung soll­te das bedacht wer­den.

Den Chu­zen­ji-See hat einen Umfang von 25 Kilo­me­tern und man kann die gesam­te Stre­cke am See­ufers ent­lang­wan­dern.

Über die Ryu­zu-Fäl­le geht es auf die nächs­te Vege­ta­ti­ons­stu­fe. Da öffent­li­che Bus­se von Nik­ko aus regel­mä­ßig durch den Natio­nal­park steu­ern, ist der Abste­cher ins Sen­jo­ga­ha­ra Moor ein­fach. Kaum 200 Höhen­me­ter über dem See Chu­zen­ji über­ra­schen völ­lig neue Per­spek­ti­ven: 400 Hekt­ar groß ist die tel­ler­fla­che Feucht­land­schaft, durch die der klei­ne Fluss Yuka­wa natur­be­las­sen mäan­dert.

Etwa 350 ende­mi­sche Pflan­zen wie die Baum­woll­seg­ge oder das Mäde­süß tau­chen die Ebe­ne im Früh­som­mer in ein Blü­ten­meer. Dut­zen­de ver­schie­de­ne Vögel pfei­fen um die Wet­te. Am Rand des Moo­res wach­sen knor­ri­ge Zedern, Lär­chen und Bir­ken, dazwi­schen schmiegt sich wie ein fei­ner Tep­pich Zwerg­bam­bus an den Boden.

Vor rund 13.000 Jah­ren, so erzählt es die Legen­de, hat ein Vul­kan­aus­bruch einen rie­si­gen See an die­ser Stel­le kom­plett mit Lava, Sand, Stei­nen, toten Pflan­zen gefüllt und so das wun­der­sa­me Marsch­land geformt. „Wir woll­ten vom hek­ti­schen Tokyo eine Aus­zeit“, sagt Yogev Regev. Der 34-Jäh­ri­ge aus Tel Aviv stie­felt seit zwei Stun­den mit Freun­din Rotem Eli­yahn durch das Hoch­moor und ist begeis­tert: „Es ist herr­lich hier oben. Lei­der müs­sen wir mor­gen schon wie­der zurück“, meint Regev.

Das Hoch­moor Sen­jo­ga­ha­ra liegt auf etwa 1400 Metern. Spek­ta­ku­lä­re Boh­len­we­ge und ver­wun­sche­ne Trails füh­ren durch ein Gebiet mit kris­tall­kla­ren Flüss­chen, sel­te­nen Pflan­zen und mäch­ti­gen Ber­gen.

Im wei­ten Kreis um Sen­jo­ga­ha­ra erhe­ben sich wun­der­schön geform­te Gip­fel, so früh im Jahr noch schnee­be­spren­kelt: Der Mit­su­da­ke mit fast 2.000, der Goshi­ki mit 2.300 oder auch der Shira­ne mit 2.600 Metern sind mäch­ti­ge Ber­ge! Erst ab Mai sind die alpi­nen Trails hin­auf begeh­bar; immer vor­aus­ge­setzt, Schu­he, Erfah­rung und Kon­di­ti­on stim­men. Ayá Ishii zuckt mit den Schul­tern. „Auch die Tour zum Kari­ko­mi See ist noch ver­eist. Der Rund­weg ist gesperrt“, sagt die Natio­nal­park­mit­ar­bei­te­rin aus Yumo­to bedau­ernd.

In dem Wei­ler am Ende des Hoch­pla­teaus auf 1.500 Metern riecht es nach fau­len Eiern. Grund: Ther­mal­quel­len mit Schwe­fel. Das Heil­was­ser blub­bert am Dorf­rand aus dem Boden und speist die öffent­li­chen Bäder von einem guten Dut­zend ein­fa­chen Hotels und Gast­häu­sern. Die hei­ßen Quel­len in Japan, soge­nann­te „Onsen“, wer­den ger­ne für the­ra­peu­ti­sche Zwe­cke etwa bei Rheu­ma oder Gicht genutzt, da sie reich an gelös­ten Mine­ra­li­en sind. Auf jeden Fall lässt es sich nach einer Wan­de­rung durch den Natio­nal­park in einem „Onsen“ in Yumo­to oder Nik­kō herr­lich ent­span­nen. Das ist dann typisch japa­nisch.

Onsen – Japans hei­ße Quel­len – sind tief in der Kul­tur des Lan­des ver­wur­zelt. Ent­span­nen, begeg­nen, genie­ßen: baden in Onsen ist ein ein­zig­ar­ti­ges Erleb­nis.

Reiseinformationen

Anrei­se

Direkt­flü­ge nach Japan bie­ten Luft­han­sa, Japan Air­lines (JAL) und All Nip­pon Air­lines (ANA) etwa von Frank­furt oder Mün­chen; die Prei­se lie­gen Mit­te 2025 bei etwa 1.000 Euro pro Per­son. Mit Zwi­schen­stopps flie­gen Emi­ra­tes, Qatar Air­ways, Finn­air oder Tur­ki­sh Air­lines. Dafür müs­sen rund 700 bis 800 Euro bezahlt wer­den.

Ein­rei­se

Deut­sche benö­ti­gen für einen tou­ris­ti­schen Auf­ent­halt oder eine Geschäfts­rei­se bis zu 90 Tage kein Visum.

Über­nach­tun­gen

In der Stadt Nik­kō sind die tra­di­tio­nel­len Gast­häu­ser mit hei­ßer Quel­le emp­feh­lens­wert; etwa das Hoshi­noya­do, das Tokan­so, das Sei­koen oder das Mono­ga­ta­ri. Eine Nacht mit japa­ni­schem Früh­stück kos­tet pro Per­son ab 100 Euro. Tipp: Unbe­dingt vor­ab buchen, da die Gast­häu­ser bei Japa­nern sehr beliebt sind. Zum Natio­nal­park tou­ren regel­mä­ßig von Nik­kō aus Bus­se in 50 bis 70 Minu­ten. Unab­hän­gi­ger ist man mit dem Miet­au­to. Hin­weis: Wer einen deut­schen, öster­rei­chi­schen oder Schwei­zer Füh­rer­schein besitzt, darf nur mit offi­zi­el­ler japa­ni­scher Über­set­zung fah­ren.

Kli­ma

Ab März liegt in der Regel kein Schnee mehr in den tie­fe­ren Regio­nen des Nik­kō Natio­nal­parks. Im Früh­jahr und Herbst kann es noch kalt wer­den. Etwa 20 Grad ist es im Schnitt im August warm, nachts fällt das Ther­mo­me­ter im Som­mer nie unter 15 Grad.  


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