Ziegenmarkt in Oman

Es ist Frei­tag im Sul­ta­nat Oman. Genau genom­men ist es der 25. Dezem­ber 2015. 7.30 Uhr sagt die Uhr, wäh­rend die Son­ne gera­de ihre Strah­len über das Had­schar-Gebir­ge streckt und uns zuzwin­kert. Wir sit­zen schon im Auto. Rol­len fröh­lich durch den Mor­gen und steu­ern auf den gut aus­ge­bau­ten Stra­ßen erwar­tungs­voll auf das Stadt­zen­trum und den Zie­gen­markt zu, der heu­te – wie jeden Frei­tag – in Niz­wa, dem Zen­trum des oma­ni­schen Kern­lan­des, statt­fin­det. Ein Spek­ta­kel, das wir uns nicht ent­ge­hen las­sen wol­len, wäh­rend anders­wo Freun­de und Fami­lie ganz sicher noch in ihren Bet­ten lie­gen und spä­ter Weih­nach­ten fei­ern. Aber das mit Weih­nach­ten ist eine ande­re Geschich­te. Jetzt soll es um Tie­re gehen.

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Eine rote Ampel unter­bricht unse­re Fahrt für einen Moment und ich kann das Schmun­zeln nicht ver­hin­dern, das sich gera­de auf mei­nem Gesicht breit macht. Nicht etwa wegen den neu­es­ten Nach­rich­ten, die uns das Auto­ra­dio auf Ara­bisch ent­ge­gen hus­tet. Son­dern wegen der Sze­ne, die sich vor uns abspielt: Ein jun­ger Mann in sei­ner tra­di­tio­nel­len wei­ßen dish­da­sha (so heißt das lan­ge Gewand, das die Män­ner hier in der Regel tra­gen) und sei­ner Kap­pe auf dem Kopf ver­sucht nur ein paar Meter ent­fernt, sei­ne rot­blon­de und recht zot­te­li­ge Beglei­te­rin an ihrer Lei­ne zum Über­que­ren der Fuß­gän­ger­am­pel zu bewe­gen. Schie­ben, zie­hen, gut zure­den, schimp­fen und wie­der zie­hen. Er hat es gar nicht mehr so weit bis zum Souq, aber sei­ne stör­ri­sche Zie­ge scheint nicht das gerings­te Inter­es­se zu haben, als Objekt der Begier­de einer Auk­ti­on bei­zu­woh­nen. Laut meckernd geht es einen hal­ben Schritt vor­wärts und zwei Schrit­te zurück. Ein klei­ner Moment, in dem Fort­schritt und Tra­di­ti­on mit­ein­an­der ver­schmel­zen, für uns greif­bar wer­den und einen schö­nen Auf­takt bil­den für das, was gleich fol­gen wird.

Doch erst ein­mal müs­sen wir einen Park­platz fin­den und das scheint auf den ers­ten Blick eine eben­so gro­ße Her­aus­for­de­rung zu wer­den, denn der Bereich um den Souq ist ein ein­zi­ges Gewu­sel aus Tie­ren und Men­schen. Wie wir suchen vie­le ver­zwei­felt noch nach einem Stell­platz für ihr Auto und zwar in der Nähe, denn wei­te Stre­cken zu Fuß zu gehen, ist hier nicht so ange­sagt. Wir haben Glück und fin­den einen, dann stür­zen wir uns ins Getüm­mel aus Ein­hei­mi­schen, die sich ein gutes Geschäft mit ihren Zie­gen oder Bul­len, Kühen und Kälb­chen erhof­fen, die eben­falls gedul­dig in der Mor­gen­son­ne ste­hen oder lie­gen und auf einen neu­en Besit­zer war­ten.

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Die noch küh­le Luft ist ange­füllt mit ara­bi­schem Gemur­mel, das sich immer deut­li­cher zu Stim­men und Rufen der Män­ner, Frau­en und Kin­der formt, je näher wir kom­men, und sich mit Tier­lau­ten und Huf­trit­ten ver­mischt. Wäh­rend am Ran­de des Gesche­hens alles ganz ruhig und gemäch­lich zugeht und hier und da ein Schwätz­chen gehal­ten wird, ist es zur Mit­te des Plat­zes hin hek­ti­scher. Es wird gescho­ben und gedrän­gelt, das Stim­men­ge­wirr nimmt wei­ter zu. Wir ste­hen dicht an dicht, denn natür­lich will jeder einen guten Platz erha­schen und die Tie­re sehen, die gera­de laut­stark zum Kauf ange­bo­ten wer­den.

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Meh­re­re Män­ner lau­fen mit ihrem Tier im Kreis, haben es not­falls über die Schul­ter gewor­fen, und rufen den Start­preis aus: 20 Rial für die­ses Pracht­ex­em­plar von einer Zie­ge!

Alle rücken gleich­zei­tig noch näher zusam­men und gemein­sam einen wei­te­ren Schritt nach vorn. Die poten­ti­el­len Käu­fer strei­cheln den Tie­ren durchs Fell, prü­fen die Sta­tur. Wenn die Ware gefällt, rufen sie dem Ver­käu­fer ihr Ange­bot zu und der Preis erhöht sich ent­spre­chend, bevor die nächs­te Run­de gedreht und bis ein akzep­ta­bler Erlös erzielt wird. Manch einer scheint schon müde zu sein, von so vie­len Frei­ta­gen und auch Zie­gen.

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Wir sind übri­gens nicht die ein­zi­gen Tou­ris­ten in die­ser Epi­so­de aus 1001 Nacht. Egal, wo ich hin­schaue, immer wie­der sehe ich teu­re Kame­ras und dicke Objek­ti­ve, die eben­falls ver­su­chen, die­ses Erleb­nis best­mög­lich zu kon­ser­vie­ren. Und so wie wir das für uns Exo­ti­sche bestau­nen, ist es auch umge­kehrt. Ein Paar hüb­scher schwar­zer Augen, mit lan­gen Wim­pern schaut immer wie­der zu mir auf, wäh­rend ich da ste­he und mit mei­ner knall­ro­ten Kame­ra Fotos mache, von Män­nern, die auf Zie­gen star­ren. Ein klei­ner Jun­ge, viel­leicht sie­ben oder acht Jah­re alt, eben­falls in tra­di­tio­nel­le Klei­dung gehüllt. Schüch­tern blickt er stets schnell weg, wenn sich unse­re Bli­cke tref­fen. Nach ein paar Anläu­fen ist das Eis jedoch gebro­chen und ich bekom­me ein strah­len­des Lächeln zurück. Nicht das letz­te, das ich in Oman ern­ten wer­de.

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Da die Zie­gen nur ein Teil des­sen sind, was heu­te in Niz­wa über den Laden­tisch geht, zie­hen wir wei­ter. Und beob­ach­ten, wie neben­an u. a. Vögel und Hasen ange­bo­ten wer­den, wobei bei letz­te­ren wohl noch Klä­rungs­be­darf bezüg­lich des Geschlechts herrscht. Ein paar Meter wei­ter gibt es fri­sches Obst und Gemü­se, Gewür­ze, Tücher, Haus­halts­wa­ren, aber auch Waf­fen und Krumm­dol­che, die nicht nur zu fest­li­chen Anläs­sen getra­gen wer­den. Hier und da wird direkt an der Stra­ße oma­ni­scher, mit Kar­da­mom ver­fei­ner­ter Kaf­fee gereicht. Dazu gibt es die eine oder ande­re Dat­tel. Es ist nicht unty­pisch, dass man dazu ein­ge­la­den wird und es gibt eigent­lich kei­ne ent­schuld­ba­re Aus­re­de, einer sol­chen Ein­la­dung nicht zu fol­gen.

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Antworten

  1. Avatar von Sabine Reining

    Ein inter­es­san­ter Bericht und schö­ne Fotos.
    Ich gebe Gui­do in gewis­ser Hin­sicht recht – der Tier­markt in Niz­wa ist schon sehr zu einer Tou­ris­ten­ver­an­stal­tung mutiert. Man muss see­ehr früh auf­ste­hen, um noch die beson­de­re Atmo­sphä­re mit­zu­be­kom­men.
    Aber es gibt im Oman ja zum Glück zahl­rei­che Alter­na­ti­ven für tol­le, authen­ti­sche Erleb­nis­se und abseits des Tier­markts in Niz­wa bie­tet die Stadt schon noch eine gan­ze Rei­he beson­de­rer Ecken, die nicht über­lau­fen sind und noch als Geheim­tipps gel­ten kön­nen. Lie­be Grü­ße in die Run­de! Sabi­ne

  2. Avatar von Guido
    Guido

    Man sucht ja heu­te so gern nach »authen­ti­schen Erleb­nis­sen«. Die gibt es in Niz­wa kaum noch. Je nach Jah­res­zeit sind auf dem Tier­markt in Niz­wa mehr Tou­ris­ten als Händ­ler und Tie­re. Weil das Gan­ze wie auch der angren­zen­de Souk alles neu gebaut ist, hat das wenig Flair. Seit 2,5 Jah­ren geht nun auch noch eine 4spurige Auto­bahn bis ins Zen­trum von Niz­wa und die Stadt hat viel von ihrem beschau­li­chen Charme ver­lo­ren. Aber »beschau­li­cher Charme« steht auf der Prio­ri­tä­ten­lis­te der Locals ver­mut­lich auch nicht ganz oben.

    Wer es nicht anders kennt, hält das wahr­schein­lich immer noch für ein authen­ti­sches Spek­ta­kel. Und irgend­wo ist es das ja auch. Eben authen­ti­sches Oma­ni-Leben Stand 2016. Mit der neu­en Auto­bahn kann man noch mehr Tou­ris­ten noch viel effi­zi­en­ter da abla­den. Ange­sichts gefal­le­ner Ölprei­se und eines hor­ren­den Haus­halts­de­fi­zits von über 20% hat der Oman mehr Tou­ris­ten bit­ter nötig.

    Bald wird der Tier­markt ver­mut­lich eine rei­ne Tou­ris­ten-Folk­lo­re-Show sein und für jedes Foto wird die Hand auf­ge­hal­ten (wie z.B. bereits beim Kamel­markt in Al Ain). Dabei gibt es sie noch im Oman: Die authen­ti­schen Vieh­märk­te. Klein, eng, mit herr­lich gam­me­li­gen, alten Häu­sern drum­her­um. Nur eben nicht an Tou­ris­ten-Hot­spots wie Niz­wa.

    1. Avatar von Lu Morgenstern

      Hal­lo Gui­do,

      vie­len Dank für dei­nen Kom­men­tar!

      Du scheinst öfter vor Ort zu sein und das Gan­ze bes­ser ein­schät­zen zu kön­nen. Wie du selbst sagst – ich ken­ne es nicht anders. In Niz­wa war ich nur ein paar Tage und das zum ers­ten Mal. Auch den Souk und den Tier­markt habe ich nur für ein paar Stun­den besucht. Ich kann also kei­ne Ver­glei­che anstel­len.

      Natür­lich waren wir nicht die ein­zi­gen Tou­ris­ten, aber es hat sich in Gren­zen gehal­ten. Es waren vie­le Händ­ler und Tie­re vor Ort und auf mich hat das in die­sem Moment schon einen authen­ti­schen Ein­druck gemacht – zumal ich auch eher all­er­gisch dar­auf reagie­re, wenn ich das Gefühl habe, in einer Show gelan­det zu sein. Hier habe ich Ein­hei­mi­sche gese­hen, die ihren Geschäf­ten nach­ge­hen und Frem­de, die als neu­gie­ri­ge Beob­ach­ter dabei ste­hen.

      Du liegst aber sicher rich­tig, dass sich das in den nächs­ten Jah­ren, viel­leicht nur Mona­ten, noch stär­ker und immer schnel­ler ver­än­dern wird. Auf­hal­ten lässt sich die­se Ent­wick­lung nicht. Aber bestimmt wird das nicht allein auf die Tat­sa­che zurück­zu­füh­ren sein, dass mehr Besu­cher in den Oman kom­men. Das Land hat sich in den letz­ten 40 Jah­ren so stark ver­än­dert und wird es wei­ter tun. Fort­schritt macht aus Tra­di­tio­nen Folk­lo­re-Shows. An so vie­len Orten. Über­all auf der Welt. Oder? Ich fürch­te, damit muss man sich abfin­den. Viel­leicht ist es auch bes­ser, als wenn es gänz­lich durch das Neue ver­drängt wer­den wür­de und gar nicht mehr sicht­bar ist? Hier­über könn­te man jetzt wohl noch stun­den­lang phi­lo­so­phie­ren.

      Bleibt nur zu hof­fen, dass sich die von dir beschrie­be­nen ande­ren Märk­te noch lan­ge hal­ten kön­nen und als authen­ti­sche Erleb­nis­se zufäl­lig ent­deckt und nicht gesucht wer­den. Des­halb fra­ge ich auch bewusst nicht nach, wo sie zu fin­den sind. Obwohl es mich natür­lich bren­nend inter­es­siert.

      Lie­be Grü­ße
      Lu

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