Z

Zeit in Stein gemei­ßelt – am Uluru

Wie­der Sum­men, wie­der mit den Hän­den abweh­ren. So lang­sam neige ich zum Auf­ge­ben. In den Ohren, in den Augen, in den Nasen­lö­chern, im Mund, im Ärmel am Ober­arm – über­all, wo es eine Öff­nung gibt, Flie­gen. Dicke, schwarze, aggres­sivte Flie­gen. Seit Stun­den geht das so. Seit Stun­den durch­schrei­ten wir die Umge­bung von Alice Springs. Im Her­zen Aus­tra­li­ens gele­gen, ist es viel­leicht die merk­wür­digste Stadt, die ich hier gese­hen habe. Mehr ein Dorf als eine Stadt, umge­ben von roter Erde, von Wüste, von Staub und Hitze. Aus­gangs­punkt für hun­dert­tau­sende Tou­ris­ten, um einen der größ­ten Anzie­hungs­punkte des Kon­ti­nents zu besu­chen. Ayers Rock – inzwi­schen aber auch mit sei­nem respekt­vol­le­ren, von Abori­gi­nals abstam­men­den Namen ver­se­hen: Uluru.

Das Erbe der Eroberung

Nach einer lan­gen Zeit in Perth ist diese Umge­bung und diese Luft etwas ganz ande­res, for­dern­der, hei­ßer, abge­le­ge­ner. Und auch meine ers­ten Erkun­dungs­spa­zier­gänge durch das Schach­brett­mus­ter der Stra­ßen war ganz anders als alle vor­he­ri­gen Tou­ren zu Fuß. Es scheint wie eine geteilte Stadt. Diese Tei­lung fin­det aller­dings nicht durch eine Mauer – wie einst in Ber­lin oder heut­zu­tage im West­jor­dan­land – oder eine sonst­wie vor­han­dene phy­si­sche Bar­riere statt; die Tren­nung scheint psy­cho­lo­gi­scher Natur. Still­schwei­gend erkenne ich, dass sich weiße Aus­tra­lier und die Nach­fah­ren der Urein­woh­ner tun­lichst aus dem Weg gehen. Wenn ich einer Gruppe von Abori­gi­nals begegne, dann wir­ken sie zumeist apa­thisch. Viele rie­chen, unge­wa­schen und nach Alko­hol. Sie exis­tie­ren, ich kann sie sehen; und doch schei­nen sie irgend­wie nicht vor­han­den. Wie Geis­ter­er­schei­nun­gen lun­gern sie auf Rasen­flä­chen, vor Piz­za­lä­den oder Bur­ger­bu­den, vor den Liquor Stores. Wie schwer die Ver­gan­gen­heit wiegt, erfahre ich erst hier in Alice Springs. Eine Nation – in die­sem Fall die Bri­ten – kommt, die Frem­den neh­men etwas in Besitz, von dem sie die Gesetze und Regeln nie kann­ten. Sie zwin­gen einer Volks­gruppe eine Lebens­art auf, die so weit weg und so unter­schied­lich von der ihren ist, dass diese Men­schen nie­mals kom­plett in der neuen Welt ankom­men wer­den. Nach und nach wer­den sie aus­ster­ben, und mit ihnen auch die Über­lie­fe­run­gen aus tau­sen­den von Jah­ren, in denen diese Men­schen mit dem Land leb­ten, nicht bloß auf ihm. Die wei­ßen Aus­tra­lien haben sich inzwi­schen nach zwei­hun­dert Jah­ren offi­zi­ell ent­schul­digt. Aber wem hilft das?

Ich gebe zu, dass ich damals, als ich vor Ort war, nicht so reflek­tiert mit der Situa­tion umging, wie ich es im Nach­hin­ein – in der Rück­be­trach­tung – konnte. Eini­gen wir uns dar­auf, dass damals jetzt ist. In die­ser Geschichte. Jetzt habe ich das alles gese­hen, habe die Men­schen und ihre stille Tren­nung vor Augen; aber mein Kopf ist mit ande­ren Gedan­ken und Plä­nen beschäf­tigt. Weit bana­le­ren, weit ego­is­ti­sche­ren. Ich mag keine Tou­ren. In geführ­ten Grup­pen. Dabei emp­finde ich nicht die Gesell­schaft ande­rer Tou­ris­ten als Pro­blem, wie so viele oft erzäh­len. Im Gegen­teil habe ich auf die­ser Art Tou­ren schon oft Men­schen ken­nen­ge­lernt, die spä­ter zu Freun­den wur­den. Was mir wider­strebt, ist die Gesetz­mä­ßig­keit einer sol­chen Tour. Man hat feste Uhr­zei­ten für bei­nah alles, selbst Toi­let­ten­pau­sen wer­den vorab von irgend­wel­chen nebu­lö­sen Mana­gern vor­ge­ge­ben und dann im Zeit­plan inte­griert. Der Stand der Dinge in Alice Springs ist aber nun mal: Mein Bud­get ist knapp, die Zeit wird es lang­sam auch und daher buche ich eine drei­tä­gige Tour.

Die ande­ren Fel­sen – ein lie­gen­der Homer Simpson

Am ers­ten Mor­gen frü­her Auf­bruch, kurz vor Son­nen­auf­gang. Es ist noch arsch­kalt, ein Umstand von Wüs­ten, den man als Euro­päer gern ver­gisst. Lang­sam öff­nen sich meine Augen und Ohren, lang­sam wird mir die Weite und die Leere um uns herum bewuss­ter und dringt in mich ein. Bis wir schließ­lich bei den Olgas, oder Kata Tjuṯa, wie sie von den Abori­gi­nals benannt wur­den, aus­stei­gen und ganz ande­res ein­dringt. Die bereits erwähn­ten Busch­flie­gen. Es sind zu viele und sie sind zu aggres­siv, als dass man noch beide Hände am Kör­per hän­gen las­sen könnte. Eine Hand ist also fortan nur noch mit Ver­trei­ben beschäf­tigt, die andere trägt die Was­ser­fla­sche. Bei über 40°C ein nicht zu ver­nach­läs­si­gen­des Uten­sil. Die Olgas erin­nern von weit weg bereits an Ayers Rock, die selbe röt­li­che Gesteins­farbe ragt dort im Out­back auf – aber noch mehr erin­nert die Form an den lie­gen­den Kopf von Homer Simpsons. Ja, genau SO sehen die Steine aus der Ferne aus. Wir wan­dern auf sie zu und schließ­lich in der Nach­mit­tags­hitze durch eine Spalt­öff­nung, in der Ech­sen und Schlan­gen vor unse­ren Schrit­ten flüch­ten. Wenn ein­mal wirk­lich alle Teil­neh­mer mei­ner Gruppe die Klappe hal­ten, umgibt uns neben der land­schaft­li­chen End­lo­sig­keit ringsum auch noch eine Stille, wie man sie sel­ten ver­nimmt. Der Wind ist zu hören, aber das wars. Auch gibt es keine Zir­ka­den, kein Vogel­ge­schrei. Nur diese ein­lul­lende, doch ebenso auf­wüh­lende Stille.

Wir fah­ren wei­ter und rich­ten uns mit soge­nann­ten Swags, Über­schlaf­sä­cken, in die wir nachts auf Grund der Kälte im nor­ma­len Schlaf­sack hin­ein­krie­chen wer­den, in unse­rem Camp um eine Feu­er­stelle herum ein. Nach einem Essen bege­ben wir uns dann zu dem Ort, wegen dem viele Men­schen über­haupt erst ins Herz Aus­tra­li­ens rei­sen. Und wäh­rend wir fah­ren, frage ich mich, was ich mir davon ver­spre­che. Es geht um einen roten Fel­sen im Nir­gendwo, der dar­über hin­aus auch noch tou­ris­tisch unge­heuer über­lau­fen ist. Die Umge­bung ist inzwi­schen zum Natio­nal­park mit def­ti­gen Ein­tritts­prei­sen erklärt wor­den. Man sieht Ayers Rock in jeder Stadt des Kon­ti­nents jeden Tag – auf Post­kar­ten, Pos­tern, Kühl­schrank­ma­gne­ten, guten wie schlech­ten Male­reien und Zeich­nun­gen. Kurzum: Man hat den Fel­sen bereits satt, bevor man hier über­haupt eintrifft.

Far­ben­spiel auf rotem Fels

Nach­dem wir unse­ren Bus ver­las­sen haben, bie­gen wir um eine paar Sträu­cher, ich wende mei­nen Kopf nach rechts. Und sämt­li­che Fra­gen sind ver­schwun­den. Dort steht er, die­ser unge­heure, rote Fels­bro­cken. Bis zu 350 Meter hoch, 3 Kilo­me­ter lang und mit einem Umfang von rund 9 Kilo­me­tern. Aber es sind nicht diese Zah­len und die Aus­maße, die in die­ser Leere Ein­druck genug hin­ter­las­sen wür­den. Es macht irgendwo in mir Klick, etwas, das hier schon ein­mal gewe­sen sein mag, in wel­cher Form oder Sub­stanz auch immer, ist zurück­ge­kehrt. Als ob man ihn auch in echt nicht zum ers­ten Mal betrach­tet. Viel­leicht ist es sein Alter. Das Gestein selbst ist laut geo­lo­gi­schen Erkennt­nis­sen 550 Mil­lio­nen Jahre alt. Womög­lich ist es das. Zeit, die­ses für uns so wenig greif­bare und doch für uns alle so bestim­mende, da Exis­tenz aus­ma­chende Phä­no­men, wurde hier von der Natur in Stein gegos­sen. Gemei­ßelt. Gespült. Die Ele­mente, Was­ser und Luft, arbei­ten am Ayers Rock. Sie wer­den es wei­ter tun, solange, bis die­ser Pla­net – aus wel­chen Grün­den auch immer – seine Zeit für been­det erklärt.

Dick auf­ge­tra­gen, alle­mal. Doch beim Anblick des hei­li­gen Fel­sens der Urein­woh­ner las­sen sich nur noch große Gedan­ken for­mu­lie­ren. Was dann wäh­rend des Son­nen­un­ter­gangs folgt, zieht mich nicht min­der in sei­nen Bann. Nach und nach pro­biert Gott alle Farb­nu­an­cen von Hell­rot über Orange, Dun­kel­rot und Pur­pur bis zu Lila und schließ­lich grau aus. Inner­halb einer hal­ben Stunde wird das Licht aus­ge­knipst, und der Fel­sen liegt als schwar­zer Schat­ten vor dem dun­kel­blauen Hori­zont. Für die­sen Abend, die­ses Schau­spiel und diese Erin­ne­run­gen nehme ich sämt­li­che Flie­gen des aus­tra­li­schen Out­back in Kauf.

Der nächste Tag führt uns erst erneut zum Ayers Rock, den wir umwan­dern. Er ist aus der Nähe betrach­tet viel zer­furch­ter, weni­ger rund, als ich ihn mir vor­ge­stellt hatte. Hier und da gibt es Fels­ni­schen, Über­hänge. Sträu­cher wach­sen bis an sei­nen Rand. Die Hitze wird bereits am Vor­mit­tag uner­träg­lich. Danach bege­ben wir uns fort vom Fel­sen und steu­ern Kings Can­yon an. Diese Schlucht zu durch­wan­dern kommt einem sur­rea­len Trip durch einen fer­nen Pla­ne­ten gleich. Auch hier ver­lau­fen die Gesteins­far­ben in unter­schied­li­chen Rot­tö­nen, teil­weise bil­den sie an Ter­mi­ten­hü­gel erin­nernde Hau­fen. Die Wände des Can­yon selbst sind teil­weise über hun­dert Meter hoch, oder tief – je nach­dem, wo man steht. Diese Wan­de­rung führt uns gut vor Augen, wie viele Natur­schätze sich im aus­tra­li­schen Out­back ver­ste­cken. Auch Wal­la­bys, kleine Kän­gu­ru­har­ten, gibt es hier zu sehen. Sie fres­sen einem aus der Hand, wenn man ihnen vor­sich­tig näher tritt. Nach einem lan­gen Tag legen wir uns nachts am Lager­feuer wie­der in unsere Schlaf­sä­cke, direkt unter dem unver­gleich­li­chen aus­tra­li­schen Sternenhimmel.

Cate­go­riesAus­tra­lien
  1. Toll geschrie­ben!

    Ich war wäh­rend eines Schü­ler­aus­tauschs in Aus­tra­lien mal in Alice Springs, am Ayers Rock, in den Olgas und Kings Can­yon. Im Nach­hinhein bin ich froh, dass ich schon als Jugend­li­cher dort war, denn damals mach­ten einem Hitze und Flie­gen irgend­wie weni­ger zu schaf­fen als jetzt als Erwach­se­ner. Wie ich ohne Angst vor Schlan­gen in der Wüste schla­fen konnte, ist mir immer noch uner­klär­lich. Viel­leicht half es dabei, in einer Gruppe zu sein.

    Die Lage der Abori­gi­nes fand ich damals auch schon bedrü­ckend. Und bis auf kom­mer­zi­elle Trans­ak­tio­nen in Super­märk­ten habe ich eigent­lich nie einen Kon­takt zwi­schen Wei­ßen und Abori­gi­nes erbli­cken kön­nen. Dabei gaben die meis­ten mei­ner wei­ßen Mit­schü­ler schon zu, dass das irgend­wie trau­rig sei, aber haut­far­ben­über­grei­fende Freund­schaf­ten oder gar Bezie­hun­gen habe ich den­noch nie gesehen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert