Whale Watching auf den Azoren

Eigent­lich bin ich gera­de gar nicht da. Das Letz­te, an das ich mich erin­nern kann, ist wie wir aus dem Hafen von Mada­le­na aus­ge­fah­ren sind. Vor­bei an der Insel Fajal. Vor­bei auch am Regen­bo­gen, der sich über den Atlan­tik spann­te. Und vor­bei an unzäh­li­gen Gelb­schna­bel-Sturm­tau­chern, die ganz knapp über den Wel­len ent­lang glit­ten. Immer nur einen Fin­ger breit Platz zwi­schen dem Was­ser und der Flü­gel­spit­ze.

Por­tu­gie­si­sche Galee­ren segel­ten wie klei­ne Kriegs­schif­fe aus Plas­tik an uns vor­über. Im Grun­de sind sie das auch. Kriegs­schif­fe. Jedes für sich eine Kolo­nie von­ein­an­der abhän­gi­ger Poly­pen. Jeder Polyp mit einer Spe­zi­al­auf­ga­be betraut. Eine davon heißt Ten­ta­kel aus­bil­den. Der Kon­takt mit die­sen und dem Gift, das sie mit sich tra­gen, kann klei­ne Fische töten. Beim Men­schen ver­ur­sacht es unschö­ne Schmer­zen. Das wird mir zum Glück mit­ge­teilt, bevor ich ver­träumt die Hand nach ihnen aus­stre­cke. Denn so ober­fläch­lich betrach­tet, sehen sie ganz hübsch und ziem­lich harm­los aus, dass ich sie gern ein­mal berüh­ren möch­te.

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Ver­träumt, das bin ich wohl. Und ich bin auf einem Boot, das wird mir gera­de wie­der bewusst. Was ich hier mache, muss ich für einen Moment über­den­ken, dann fällt es mir wie­der ein. Ich stieg hier drauf, um Wale zu beob­ach­ten. Nur hat mich das Auf und Ab der Wel­len in Beschlag genom­men. So sehr, dass alles ande­re um mich her­um ver­blass­te und sich auf­lös­te. Der Atlan­tik ver­schluck­te mei­ne Gedan­ken, wäh­rend wir erst ein­mal knapp eine Stun­de lang raus aufs Meer und zwi­schen den Inseln hin­durch fuh­ren. Ich habe ein­fach gestarrt. Nicht ein­mal das. Nur noch mei­ne Hül­le saß da. Steck­te in einer wei­te­ren was­ser­ab­wei­sen­den, grü­nen Hül­le, die extra für die­sen Aus­flug ange­schafft wur­de. Der Geist war irgend­wo. Er muss über­stürzt auf­ge­bro­chen sein. Hat nicht ein­mal eine Abwe­sen­heits­no­tiz hin­ter­las­sen. Ein sel­te­nes, ein schö­nes Gefühl. Ein­fach so weg zu sein. Ganz weit weg. Im Nir­gend­wo.

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Ein Ruf holt die ver­lo­ren geglaub­ten Gedan­ken zurück. „Fünf Uhr!“ Was, schon so spät? Das ist unmög­lich. Eben war es erst zwei. Das hek­ti­sche Trei­ben um mich her­um und das Zoom, Zooooom der Objek­ti­ve und Klack, Klack, Klack der Kame­ras sagt mir, dass Zeit hier zwar ent­schei­dend, die Uhr­zeit anzu­sa­gen aber nicht das Anlie­gen ist. Das wäre auch eine Zumu­tung, weil sie sich alle zehn Minu­ten ändert. Sie macht Sprün­ge. Hüpft zwi­schen vol­len Stun­den vor und zurück. Stun­den, die zur Ori­en­tie­rung die­nen und Him­mels­rich­tun­gen anzei­gen sol­len, in denen wie­der der Blas eines Wales aus dem Meer steigt oder der Rücken eines die­ser Gigan­ten zum Vor­schein kommt. Im Zwei­fel viel­leicht sogar vom größ­ten Lebe­we­sen der Welt, einem Blau­wal. Denn auch der könn­te hier mit etwas Glück auf­tau­chen.

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Ange­hen­de sowie fer­ti­ge Bio­lo­gen und ein paar Tou­ris­ten sind mit uns an Board des Kata­marans. Lieb­ha­ber von Walen. Men­schen mit gro­ßen Objek­ti­ven. Men­schen, die der Natur näher kom­men und sie erfor­schen wol­len. Und jene, die sich ein­fach nach einem unver­gess­li­chen Erleb­nis seh­nen. Men­schen, die des­halb nicht nur an ein oder zwei Tagen auf die­ses Boot stei­gen, son­dern gleich an meh­re­ren Tagen hin­ter­ein­an­der. Uns alle ver­eint die Neu­gier­de und die unbän­di­ge Freu­de, wenn sich wie­der einer der Mee­res­säu­ger zeigt. Auch wenn wir meist nur einen Bruch­teil zu Gesicht bekom­men. Aber auch der ist dann schon ver­dammt groß. Denn bis zu 33 Meter lang und bis zu 200 Ton­nen schwer kann ein gan­zes Tier wer­den, wenn es sich um den größ­ten von ihnen han­delt.

Cir­ca 25 Wal­ar­ten kön­nen in den Gewäs­sern der Azo­ren beob­ach­tet wer­den. 25 von ins­ge­samt 86. Kein schlech­ter Schnitt. Wir haben viel Glück an die­sen bei­den Tagen auf dem Atlan­tik. Ein biss­chen kal­ku­lier­bar wird es zumin­dest ab dem Moment, in dem das Boot ablegt. Der Grund sind Hel­fer, die die Sache im Blick haben. Schon frü­her, zu Zei­ten als auch auf den Azo­ren noch Wal­fang betrie­ben wur­de, gab es sie bereits, die so genann­ten Vigi­as. Und auch heu­te sind sie noch im Ein­satz. Spä­her, die bereits ab dem frü­hen Mor­gen von einer Erhe­bung am Fest­land gedul­dig ihre Fern­glä­ser über den Oze­an glei­ten las­sen und Aus­schau hal­ten. Machen sie eine Sich­tung, geben sie die Infor­ma­ti­on per Funk oder Mobil­te­le­fon wei­ter. Es zahlt sich aus. 99 Pro­zent Erfolgs­quo­te ver­spricht der Tour­anbie­ter. Wir wer­den nicht ent­täuscht.

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Wie­der star­ren alle in die Rich­tung, die gera­de aus­ge­ru­fen wur­de. Stimmt, da ist was! Auch unse­rem erfah­re­nen Skip­per wird die Uhr­zeit über­mit­telt, in die er fah­ren soll. Er setzt den Kata­ma­ran in Gang. Die zwei, drei ande­ren Boo­te, die mit uns da drau­ßen sind, tun es uns gleich. Dann ist Geduld gefragt. Ent­we­der ist der Wal noch da und zeigt sich wie­der. Oder er ist abge­taucht und nach drei, sie­ben oder neun Uhr gewan­dert und lässt sich erst ein­mal nicht mehr bli­cken. Aber meist dau­ert es nicht lan­ge und an ande­rer Stel­le taucht wie­der einer auf. Momen­te, die mich jedes Mal wie­der berüh­ren und eine ordent­li­che Por­ti­on Gän­se­haut hin­ter­las­sen. Ich kann die­ses Gefühl ein­fach nicht beschrei­ben, weil es im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes sprach­los macht.

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Spä­ter habe ich auf ein paar der Fotos gese­hen, dass einer der Wale nicht allein war, son­dern von einem Del­phin beglei­tet wur­de. Aber der ist mit sei­nen immer­hin 1,70 bis 2,40 Metern Kör­per­grö­ße neben dem sicht­ba­ren Stück Wal in die­sem Moment ein­fach kom­plett unter­ge­gan­gen. Jetzt weiß ich, dass er da war und er setzt den Wal ins rich­ti­ge Ver­hält­nis. Er macht mir bewusst, wie groß der Wal gewe­sen sein muss. Irgend­wie fühlt sich das unwirk­lich an, denn der Del­phin erscheint wie eine Minia­tur­aus­ga­be von sich selbst.

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Das alles hier macht gro­ßen Spaß und ist sehr kurz­wei­lig. Nicht zuletzt, weil die Exper­ten an Bord viel erklä­ren. Doch lei­der ver­ge­hen die drei Stun­den, die so eine Tour dau­ert, wie im Flug. Dabei könn­te ich noch Ewig­kei­ten damit ver­brin­gen, über die Wel­len zu sau­sen oder mich ein­fach trei­ben zu las­sen. Zu war­ten und dann im rich­ti­gen Moment auf die rich­ti­ge Stel­le im Oze­an zu schau­en und belohnt zu wer­den.

So wie jetzt, wo ein Finn­wal aus dem Was­ser geschos­sen kommt, einen ansehn­li­chen Sprung macht, zurück auf die Ober­flä­che klatscht und wie­der abtaucht. Freu­de ist gar kein Aus­druck. An Board bricht eine Art Mas­sen­hys­te­rie aus. So vie­le strah­len­de Gesich­ter auf so wenig Raum habe ich schon lan­ge nicht mehr gese­hen. Und – das lässt uns der Ober­bio­lo­ge wis­sen – dass ein Finn­wal springt, ist auch kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Es ist nicht ein­mal ganz klar, war­um er das tut, wenn es denn pas­siert. Dass er es heu­te gleich vier Mal hin­ter­ein­an­der macht, wie gera­de eben, grenzt an unsäg­li­ches Glück. Die Frau neben mir will direkt nach der Aus­fahrt Lot­to spie­len. Der Bio­lo­ge rät ab. Das Glück wäre für heu­te auf­ge­braucht und sie sol­le bes­ser ein­fach gar nichts mehr machen. Das war dann auch das Schluss­wort für unser klei­nes Aben­teu­er.

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Wir neh­men wie­der Fahrt auf. Nun end­gül­tig Rich­tung Hafen. Unter­wegs tref­fen wir noch ein­mal auf Del­phi­ne und auch auf dicke Wol­ken, die sich zwi­schen uns und den Him­mel schie­ben. Sie brin­gen Regen mit. In gro­ßen schwe­ren Trop­fen fällt er auf uns, das Boot und auch auf den Oze­an. Mil­lio­nen klei­ner Trop­fen ver­schmel­zen zu einem gro­ßen. Es sieht unfass­bar schön aus, wenn das pas­siert. Regen ist dann kein Regen mehr. Er stört nicht, ärgert nicht. Im Gegen­teil. Er macht glück­lich. Er trägt dazu bei, dass es fabel­haft ist auf dem Atlan­tik. Unend­lich sehr. Ich kann nun die­je­ni­gen bes­ser ver­ste­hen, die gern mit dem Boot hier drau­ßen unter­wegs sind. Wo es klei­ne und gro­ße Wun­der zu sehen gibt. Und wo am Tag die Ster­ne woh­nen, bevor sie nachts wie­der an den Him­mel klet­tern. Das wird mir nun auch bewusst.

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Antworten

  1. Avatar von Laura

    Wow, tol­ler Bericht und beein­dru­cken­de Bil­der!

    Wir haben 2015 in Kana­da Wha­le Wat­ching gemacht. Das war auch wirk­lich toll. Den Tie­ren so nah zu sein, ist ein­fach ein ein­ma­li­ges Erleb­nis 🙂

    Lie­be Grü­ße
    Lau­ra

    1. Avatar von Lu Morgenstern

      Dan­ke schön Lau­ra!
      Ich fand es auch unfass­bar toll. Soll­te man auf jeden Fall mal gemacht haben!

      Lie­be Grü­ße
      Lu

  2. […] Wale üben nicht erst seit Moby Dick eine Fas­zi­na­ti­on auf die Men­schen aus. Eine Wal­sa­fa­ri ist daher für jeden ein ein­schnei­den­des Erleb­nis. Wer sie sehen will muss nicht nach Nor­we­gen, Aus­tra­li­en oder Neu­see­land fah­ren. Auch die Azo­ren sind dafür eine treff­li­che Loca­ti­on wie Lu Mor­gen­stern in ihrem Blog „Rei­se­de­pe­schen“ schreibt. Von 86 Wal­ar­ten kann man 25 auf den Azo­ren antref­fen, dar­un­ter auch der legen­dä­re Blau­wal. Spä­her, die so genann­ten Vigi­as, gibt es schon seit der Zeit, als auf den Azo­ren noch Wal­fang betrie­ben wur­de. Heu­te sind sie dazu da, dass die Foto­ob­jek­ti­ve der Bio­lo­gen und Tou­ris­ten ihr ziel fin­den. reisedepeschen.de […]

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