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Teheran. Ein kleines Wort für eine große Stadt. Teheran. Hauptstadt des Iran und Heimat für knapp 20 Millionen Menschen. Teheran… In meinem Kopf habe ich Bilder religiöser, bärtiger Männer, beiger, einfacher Häuser, Staub und Dreck und Frauen, die mit Kopftüchern verhüllt versuchen, der brütenden Mittagshitze zu entkommen. Schon viele Male habe ich den Namen dieses Ortes bereits gehört. Fast immer in Fernsehsendungen und, soweit ich mich erinnere, zum allergrößten Teil in negativem Zusammenhang. Umso gespannter bin ich daher, als unser Nachtzug aus Tabriz im Bahnhof von Teheran einfährt. Gerade eben noch hat uns Vahid, ein junger Iraner, den wir im Zug kennengelernt haben, vor der Teheraner U‑Bahn gewarnt, in der gedrängelt und gestohlen wird und in der es für Frauen und Männer getrennte Wagons gibt. Wie wird es uns empfangen, dieses unbekannte Teheran? Werden wir uns hier frei und unabhängig bewegen können? Werden wir uns wohl fühlen oder doch lieber nach wenigen Tagen die Weiterreise antreten?
Da wir in Teheran eine halbe Stunde früher als erwartet ankommen („Verfrühung« – gibt es das überhaupt?), brauchen wir ein paar Minuten, um unsere Schlafutensilien und weiteres Gepäck in unseren Rucksäcken zu verstauen. Auf einmal steht der Schaffner in der Tür und ermahnt uns zur Eile. Teheran ist nicht, wie von uns angenommen, die Endstation des Zuges und es wäre natürlich sehr ärgerlich, nach einer so langen Anreise nun auch noch am Ziel vorbeizufahren. Doch wir schaffen den Ausstieg gerade noch rechtzeitig und finden uns Augenblicke später im lebhaften Treiben des Teheraner Bahnhofs wieder. Kurz überlegen wir noch, ob wir statt der Metro lieber ein Taxi nehmen sollen. Doch da heute ein Feiertag ist und sich auf dem Bahnhofsvorplatz nur wenige Menschen aufhalten, entscheiden wir uns für die U‑Bahn.
Während wir zum Eingang der Metro schlendern, frage ich mich, wie wir heute und die kommenden Tage wohl unterkommen werden. Mahbod, den wir bereits in Tabriz kennengelernt haben, hat uns freundlicherweise angeboten, in seinem Apartment zu übernachten. Den Weg zu seiner Wohnung hat er uns beschrieben, doch er selbst wird erst morgen Nachmittag nach Teheran zurückkehren. Basti aus Deutschland, der gerade seinen Urlaub in Teheran verbringt und ebenfalls bei Mahbod untergekommen ist, soll uns empfangen. Per SMS kündigen wir uns an: „In ca. 40 Minuten sind wir da!« 🙂
Zwischen dem Bahnhof und unserer Unterkunft liegt nun nur noch die Fahrt mit der U‑Bahn. Vom Süden der Stadt aus müssen wir in den Norden, der wohlhabenderen Wohngegend Teherans, wie wir später erfahren. Da wir, wie immer an Reisetagen, all unser Gepäck dabei haben, hoffen wir, dass Dank des Feiertages kein allzu großes Gedränge auf uns wartet. Nachdem wir für umgerechnet 37 Cent zwei Tickets gekauft haben, fahren wir mit der Rolltreppe runter zum Bahnsteig. Als wir um die Ecke biegen, sind wir erleichtert. Außer uns wollen heute nur eine Handvoll weiterer Menschen die Metro benutzen. Doch eines fällt uns sofort auf: An beiden Enden des Bahnsteigs machen große Hinweisschilder darauf aufmerksam, dass hier der Frauenbereich ist. Mir kommt das im ersten Augenblick sehr sonderbar vor und erinnert mich an die Schulzeit, als Jungs und Mädchen in einem gewissen Alter nichts miteinander zu tun haben wollten. Welchen Sinn macht es, dass sich die Männer (oder Frauen) in einem Abteil quetschen, während im anderen vielleicht gähnende Leere herrscht?
Während ich mich noch wundere, fährt auf einmal die Bahn ein. Wie war das nochmal, darf Leo mit mir in den Männerbereich kommen oder müssen wir uns jetzt trennen? Das wäre natürlich ziemlich ungeschickt, da wir auf unserer Fahrt ein Mal umsteigen müssen und wir uns sonst gar nicht absprechen könnten. Kurzerhand betreten wir gemeinsam den Männerbereich.
Im Inneren der Bahn ist es erfreulich leer und wir bekommen sogar einen Sitzplatz. Da wir auch einige wenige Frauen im Männerbereich sehen, schließen wir daraus, dass Leos Anwesenheit hier in Ordnung ist. Was mir aber sofort auffällt, ist das Absperrgitter, das den Frauen- vom Männerbereich trennt. Schon komisch… Plötzlich stoppt genau vor uns ein junger Mann und stellt einen kleinen Karton vor sich ab. Er hält uns ein Paar Socken vor’s Gesicht und zieht gleich darauf weitere Socken aus seiner Kiste, in unterschiedlichen Farben und Größen. Schon beginnt er, seine Ware anzupreisen und hält einen Verkaufsmonolog auf Farsi. Die meisten Fahrgäste blicken unbeeindruckt auf ihr Handy, in diesem Abteil hat der Verkäufer kein Glück. Wir schauen interessiert, brauchen aber momentan auch keine neuen Socken. Augenblicke später ist er auch schon weitergelaufen, um sein Glück bei den nächsten Fahrgästen zu versuchen.
Halten wir den Verkäufer anfangs für eine Kuriosität, sind wir am Ende der U‑Bahnfahrt schlauer. Während der halbstündigen Fahrt sind unter anderem Decken, Kaugummis, Kopfhörer, Handy-Ladekabel, Selfie-Sticks, Sandalen und singende Plastik-Fische im Angebot. „Wenn Du nicht zum Basar kommst, dann kommt der Basar eben zu Dir.«, schließe ich daraus.
Ohne größere Probleme kommen wir schließlich bei Mahbods Apartment an. Schon auf dem Weg von der Metro zur Wohnung haben wir verwundert festgestellt, dass es hier, statt wie erwartet trocken und staubig, sehr grün und sauber ist. Fast könnte man meinen, dass wir uns in einer südeuropäischen Großstadt befinden. Und das hier soll Teheran sein? Zeit, darüber nachzudenken, haben wir nicht, denn schon begrüßt uns Basti aus Münster an der Wohnungstür. Er hat extra für uns Spaghetti Bolognese gekocht und setzt auch gleich einen Begrüßungstee für uns auf. Das Mittagessen ist sehr willkommen und dann sogar etwas „Heimisches« – toll!
Nach dem Essen sehen wir uns Mahbods Wohnung genauer an. Sie ist überraschend groß und geräumig, so viel Platz hätten wir nicht erwartet. Wir bekommen sogar ein eigenes Zimmer, da Basti für die kommenden Tage freundlicherweise auf dem Sofa Quartier bezieht. Auch eine Playstation mit Fifa 2017 entdecke ich. Ausgezeichnete Voraussetzungen für die kommenden Tage 🙂
Ein Grund für unseren Besuch in Teheran ist die Beantragung eines Transitvisums für Turkmenistan, das wir auf dem Weg nach Usbekistan durchqueren wollen. Da wir am iranischen Wochenende angekommen sind, hat die turkmenische Botschaft jedoch geschlossen und so nutzen wir den kommenden Tag für eine Sightseeing-Tour zum Basar und zum Golestan Garden, den man laut unserem Freund Hamid „unbedingt gesehen haben muss!« 😉
Vom Golestan Garden aus machen wir einen Abstecher zum angrenzenden großen Basar Teherans. Eigentlich bin ich von der Hitze bereits müde und möchte am liebsten zurück zu Mahbods Apartment. Doch Leo ist fasziniert vom bunten Treiben der Händler, die in nicht enden wollenden Hallen alle erdenklichen Waren im Angebot haben. Schließlich lasse ich mich überreden und habe es am Ende auch nicht bereut 🙂
Am nächsten Tag kommen Mahbod und die Anderen aus Tabriz zurück. Er ist müde von der langen Autofahrt und muss sich erst einmal ausruhen. Doch abends ist er wieder fit und fährt mit uns und einer Freundin zu einer gigantischen Fußgängerbrücke, auf der die Tehraner Jugend gerne die lauen Nächte verbringt. Gemeinsam essen wir zu Abend und haben reichlich Gesprächsstoff. So erfahren wir zum Beispiel, dass „Dating« im Iran ein Kapitel für sich ist. Da sich unverheiratete Männer und Frauen offiziell nicht in der Öffentlichkeit treffen dürfen, gibt es in Teheran eine Straße, die jedem Jugendlichen auf Partnersuche bekannt ist. Nach Einbruch der Dunkelheit fahren hier Autos voller junger Männer beziehungsweise Frauen auf und ab und tauschen, gegenseitiges Interesse vorausgesetzt, am Autofenster ihre Kontaktdaten aus. Dadurch ist diese Straße am Abend ständig verstopft, ein Durchkommen ist kaum möglich. Ganz zum Leidwesen der Anwohner, wie uns Anita, die Freundin von Mahbod, berichtet.
In den kommenden vier Tagen beweist sich Mahbod als wunderbarer Gastgeber. „My house is your house!«, erklärt er uns und das meint er wörtlich. Wir fühlen uns super wohl bei ihm, so als ob wir ihn schon lange kennen würden. Ein Highlight unserer Zeit in Teheran ist sicherlich auch die Einladung zum Abendessen bei seiner Mutter: Selbstgemachter Pan-Kebab findet seinen wohlschmeckenden Weg in unsere Mägen.
Am nächsten Tag machen wir uns dann endlich auf zur Turkmenischen Botschaft. Im Internet haben wir recherchiert, dass wir hier mit relativ geringem Aufwand ein Transitvisum für Turkmenistan beantragen können (erlaubte Aufenthaltsdauer: 3–5 Tage, je nach Genehmigung der Botschaft). Für ein reguläres Touristenvisum sind die Anforderungen und Kosten wesentlich höher. Unter anderem muss man sich dafür einer Reisegruppe mit Guide und festgelegter Route anschließen. Das wollen wir nicht.
Die Öffnungszeiten der Botschaft sind im Internet mit 9–11 Uhr angegeben. Da die Anfahrt mit U‑Bahn und Bus etwas länger dauert als gedacht (und wir außerdem leicht verspätet von Mahbods Wohnung los kommen…), erreichen wir die Botschaft gegen 10 Uhr. Unsere Sorge, zu spät dran zu sein, ist unbegründet: Die Botschaft ist noch geschlossen. Zum Glück tritt der Botschaftsangestellte gegen 10:20 Uhr dann doch seinen Dienst an und wir können unsere Unterlagen einreichen. „Call in two weeks to check if your visa application was approved.«, werden wir informiert.
Zwei Reisende aus Spanien, die gerade ihr Visum abholen möchten, erzählen uns, dass nur ca. jeder zweite Visumsantrag genehmigt wird. Kann das wirklich sein? Ein Visum nicht zu bekommen, kann ich mir gar nicht vorstellen. Doch wenn ich so darüber nachdenke, sind wir diesbezüglich als deutsche Staatsbürger in einer privilegierten Situation. In fast jedes Land der Welt dürfen wir ohne größere Schwierigkeiten einreisen. So leicht haben es Menschen vieler anderer Ländern nicht.
Trotzdem machen wir uns Gedanken, ob wir das Visum bekommen werden und überlegen uns für alle Fälle bereits alternative Reiserouten. Als wir nach zwei Wochen versuchen, uns per Telefon nach dem Bearbeitungsstand zu informieren, sind wir schnell ernüchtert. Egal, zu welcher Tageszeit wir die Botschaft anrufen, immer ist besetzt oder wir bekommen nach dem Klingeln nur Stille zu hören. Nachdem wir von unserer Rundreise im Süden des Iran wieder in Teheran ankommen, fahren wir zur Botschaft, um unser Visum abzuholen. An diesem Tag treffen wir dort viele europäische Reisende, die alle mit dem Fahrrad unterwegs sind und sich ebenfalls für das Transitvisum beworben haben. Nach über einer Stunde bangen Wartens halten wir das Visum endlich in unseren Händen. Wir sind glücklich 🙂
Das muss gefeiert werden! Von der Botschaft aus fahren wir zur Darband Street, ganz im Norden Teherans. Hier endet die Stadt und wir begeben uns auf einen kleinen Pfad, der an einem Bach entlang in die Berge führt. Eigentlich wollen wir die „Zivilisation“ hinter uns lassen und im Schatten der Bäume der Teheraner Hitze entkommen. Doch so weit wir auch gehen, ein Restaurant reiht sich an das nächste, kein Ende in Sicht. Nach etwa einer Stunde Wanderung geben wir auf und genehmigen uns zur Stärkung eine Portion Dizi.
Bevor wir Teheran verlassen, wartet unverhofft noch ein weiteres Highlight auf uns. Eigentlich sind wir vom langen Tagesausflug müde und sehnen uns nach einem entspannten Abend in Mahbods Wohnung. Doch er hat andere Pläne: Es ist Donnerstag und er hat seine Freunde für eine Party zu sich eingeladen. Wir sind zunächst wenig begeistert. Als er uns dann auch noch den Rat gibt, nachts zur Sicherheit unsere Zimmertüre abzuschließen, sind wir beunruhigt. Was wird uns erwarten? Was er wohl für Freunde hat?
Wir machen uns auf das Schlimmste gefasst, doch es kommt ganz anders. Alle Gäste der Party sind sehr friedlich und überaus nett. Wir beobachten interessiert, wie die weiblichen Gäste nach Ankunft zunächst im Badezimmer verschwinden, um nach wenigen Minuten top-gestyled (sebstverständlich mit Highheels und ohne Kopftuch) wieder zu erscheinen. Mit Mahbods Freunden unterhalten wir uns gut und auch der Alkohol fließt in Strömen. Moment mal… Ist Alkohol im Iran nicht strengstens verboten? Offiziell schon, erklärt uns Mahbod, aber wenn man die richtige Telefonnummer wählt, kommt ein kleiner Lieferwagen vorbei, bei dem man alles (er betont: „wirklich alles“) kaufen kann. Wir sind baff.
Die Stimmung ist ausgelassen und als auf einmal iranische Klassiker gespielt werden, gibt es bei den Partygästen kein Halten mehr. Kurzerhand werden die Wohnzimmermöbel zur Seite gerückt – nun wird getanzt! Wird bei Hauspartys in Deutschland nur selten getanzt, so ist das hier anders. Keiner bleibt sitzen, alles und alle sind in Bewegung. Auch wir werden sogleich zum Mittanzen aufgefordert, ablehnen undenkbar. Wir bekommen einen Crashkurs in persischem Tanz, von iranischen Evergreens bis Michael Jackson ist musikalisch alles dabei. Als gegen 1 Uhr die ersten Gäste den Nachhauseweg antreten, löst sich die Feier langsam auf. Ein so frühes Ende haben wir nicht erwartet. Schade, es hätte von uns aus noch länger gehen dürfen. Doch wir sind glücklich, es war eine einmalige Erfahrung!
Als wir Teheran verlassen, sind wir etwas traurig. Gerne wären wir noch länger in dieser tollen, vielseitigen und gastfreundlichen Stadt geblieben. Doch unsere Zeit hier ist begrenzt, wir müssen weiter. Ich nehme mir fest vor, in der Zukunft noch einmal hierher zurück zu kommen. Danke Teheran und Danke Mahbod für die schönen Tage, die wir in bester Erinnerung behalten werden!
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