Wer macht so Urlaub?

Irgend­wo unter mir in mei­nem Ruck­sack lie­gen mei­ne Arbeits­hand­schu­he, ein paar alte T‑Shirts und die Arbeits­ho­se von mei­nem Papa – nicht die klas­si­sche Aus­rüs­tung für eine Rei­se. Dar­über ein Schlaf­sack, ein paar ande­re Kla­mot­ten, das Taschen­mes­ser von mei­nem Opa, das ich auf jeder Rei­se dabei habe und mei­ne Käse­bro­te. Ich habe sie in eine neu­ar­ti­ge Folie aus Bie­nen­wachs gewi­ckelt. Das spart Ver­pa­ckungs­müll, ist aber tat­säch­lich nicht die geils­te Art und Wei­se, um mei­ne Ver­pfle­gung ein­zu­pa­cken.

Die Krü­mel des selbst­ge­ba­cke­nen Bro­tes haben wäh­rend der Fahrt mit dem Nacht­zug eben­falls eine Rei­se unter­nom­men. Im gan­zen Ruck­sack sind sie zu fin­den. Und genau­so wie mir beim Ein­stei­gen in den Zug der Schweiß floss, ist auch der Käse zer­lau­fen. Na gut, glei­ches Recht für alle.

Manch­mal lei­de ich, wenn ich mal wie­der ver­su­che nach­hal­ti­ger zu rei­sen. Wie damals, als ich mir spon­tan über­leg­te zu mei­ner Fami­lie nach Frankfurt/​Oder zu wan­dern.
Aus einer Schnaps­idee her­aus.
Ohne Vor­be­rei­tung.
Mit 20 kg Gepäck auf dem Rücken.
Es war nicht mei­ne bes­te Idee. Nach 50 Kilo­me­tern, eier­gro­ßen Bla­sen an den Fuß­soh­len und einer Ohn­macht war mir jeden­falls klar, dass ich man­che Din­ge län­ger durch­den­ken soll­te.

Oder damals in Ugan­da. Wir schau­fel­ten einen Gra­ben. Zwei Wochen Schwerst­ar­beit, um spä­ter eine Was­ser­lei­tung zu legen. Das Pro­jekt war im Ver­gleich zum ers­ten Bei­spiel gut durch­dacht, lan­ge geplant. Anstren­gend wur­de es trotz­dem.

Willkommen im Tal Val Medel in Graubünden

Ich ste­he auf etwa 1.400 Meter Höhe auf einem Berg in den Schwei­zer Alpen. Das Gelän­de hat hier gut und ger­ne 30 bis 40 Grad Stei­gung. Unter mir erstreckt sich das wun­der­schö­ne Tal Val Medel. Es ist vom Fluss Rein da Medel durch­zo­gen wie ein lebens­er­hal­te­ner Baum­stamm, der sich um die Nähr­stoff­ver­sor­gung küm­mert. Saf­tig grün sind die Hän­ge. Auf den Pla­teaus befin­den sich klei­ne Dör­fer, in denen noch räto­ro­ma­nisch gespro­chen wird. Das größ­te Dorf liegt mir direkt gegen­über. Cura­glia hat etwa 300 Ein­woh­ner, einen Dorf­la­den, zwei Hotels, die jeweils ein Restau­rant haben. That´s it.

Von dort bin ich ges­tern zu einer schö­nen Rund­wan­de­rung auf­ge­bro­chen. Es ging eine Wei­le das Tal ent­lang, ehe ich den Rein da Medel über eine mas­si­ve Römer­brü­cke quer­te. Auf der ande­ren Sei­te des Tals ging es wie­der berg­auf. Ich genoss das war­me Wet­ter, die Aus­sicht und das quir­li­ge Trei­ben der Insek­ten auf den Wei­de­wie­sen, ehe ich eine Hän­ge­brü­cke erreich­te. Sie wur­de erst in die­sem Jahr von Forst­wart-Ler­nen­den gebaut. Die Kon­struk­ti­on der 100 Meter lan­gen Brü­cke aus Lär­chen­holz nahm nur vier Wochen in Anspruch. Ich war skep­tisch, als ich sie betrat. Das Schau­keln der lan­gen Brü­cke war mir unheim­lich. Also sah ich zu, dass ich flink die ande­re Sei­te erreich­te. Dort drü­ben war­te­te eine ande­re Zeit auf mich. In Mut­sch­nen­gia, des­sen Dorf­na­me ich inner­halb einer Woche nicht lern­te kor­rekt aus­zu­spre­chen, gab es nur eine Kir­che und 27 Berg­hüt­ten. In einer von die­sen wohn­te ich in den fol­gen­den Tagen.

Bergwaldprojekt in Val Medel

Am Abend traf ich die ande­ren Frei­wil­li­gen des Berg­wald­pro­jek­tes. Sie waren in das Tal gekom­men, um den Förs­tern und Wild­hü­tern hier unter die Arme zu grei­fen. Seit Som­mer 1990 wer­den hier Frei­wil­li­gen­pro­jek­te rea­li­siert, nach­dem der Sturm Vivi­an im Früh­jahr 1990 einen Schutz­wald über Cura­glia zer­stört hat­te. Über Nacht war der gan­ze Wald ver­schwun­den. Das Dorf hat­te einen wich­ti­gen Schutz ver­lo­ren und sah sich hilf­los Lawi­nen und Stein­schlä­gen aus­ge­setzt. Mit Hil­fe der Frei­wil­li­gen wur­de schnell ein neu­er Wald gepflanzt, der über die Jah­re gepflegt wur­de. Fast 30 Jah­re spä­ter wirkt es, als hät­te es den Sturm Vivi­an nie gege­ben.

Daher sind die­ses Jahr ande­re Arbei­ten fäl­lig. Frei­wil­li­ge bau­ten vier Wochen lang Bege­hungs­we­ge im Wald, damit die Förs­ter es spä­ter ein­fa­cher auf dem Berg haben, ver­jüng­ten den Wald durch Pflan­zun­gen und bau­ten Wild­schutz­zäu­ne.

Die kom­men­den vier Wochen sol­len mit der Kul­tur­land­schafts­pfle­ge ver­bracht wer­den. Im Lau­fe der Zeit sind die wich­ti­gen Wei­de­flä­chen näm­lich zuge­wach­sen, weil sich die Land­wir­te nicht aus­rei­chend dar­um küm­mern konn­ten und die Zie­gen bei der Bewei­dung doch recht wäh­le­risch sind.

Das hat­te zur Fol­ge, das mit dem frü­hen Ein­bruch des Win­ters hier in den Schwei­zer Alpen stets die Bewei­dungs­flä­chen knapp wur­den. Um die Tie­re, die einen wich­ti­gen öko­no­mi­schen Bei­trag leis­ten und Arbeits­plät­ze schaf­fen, bes­ser vor­sor­gen zu kön­nen, wer­den hier in den kom­men­den Wochen eini­ge Hasel­nuss­bäu­me und Bir­ken gefällt. Neue Wei­de­flä­chen ent­ste­hen, die nicht nur für die Zie­gen genutzt wer­den, son­dern auch die bio­lo­gi­sche Viel­falt för­dern.

 

Freiwilligenarbeit ist wie Wandern: Ein Reset für das Gehirn

Nun ste­he ich also auf die­sem stei­len Hang. Schweiß läuft mir die Schlä­fen und den unte­ren Rücken ent­lang. Ich schwit­ze wie schon lan­ge nicht mehr, bin völ­lig außer Pus­te. Die Hand­sä­ge an mei­nem Gür­tel zie­he ich wie einen Revol­ver aus dem Half­ter. Mein Job ist es gera­de einen Hasel­nuss­baum­stamm nach dem ande­ren abzu­sä­gen. Die flei­ßi­gen Damen aus mei­nem Team küm­mern sich um den Abtrans­port. Wie in Trance zer­tei­le ich einen Baum­stamm nach dem ande­ren.

Wor­an ich den gan­zen Tag den­ke? Nur dar­an einen siche­ren Stand zu haben und die Säge mit größt­mög­li­cher Effi­zi­enz zu nut­zen. Ver­kann­tet sie sich in dem fri­schen Holz, muss ich unnö­ti­ge Kraft auf­brin­gen, um sie wie­der zu befrei­en. Also säge ich die Stäm­me irgend­wann von der gegen­über­lie­gen­den Sei­te an. Ganz so wie Holz­fäl­ler es mit der Ket­ten­sä­ge machen. Es funk­tio­niert ganz wun­der­bar.

Mei­ne größ­ten Sor­gen? Viel Was­ser trin­ken und nicht ver­ges­sen die Son­nen­creme zu nut­zen. Die Tage sind lang, aber ver­ge­hen schnell. Die Sor­gen des All­tags sind in wei­ter Fer­ne. Die Arbeit im Wald lässt einen an nichts ande­res den­ken. Wie auf einer Wan­de­rung, wenn man kör­per­lich erschöpft, aber der Geist aus­ge­ruht ist.

Kaum einen Abend bin ich nach 22 Uhr noch wach. Die Arbeit im Wald ist ein Aus­nah­me­zu­stand für mei­nen von Büro­ar­beit gepräg­ten Kör­per. Ich schla­fe noch schnel­ler ein als sonst, wer­de nachts nicht wach und erwa­che am nächs­ten Mor­gen erst mit dem Wecker­klin­geln. Dann schaue ich aus dem Fens­ter und sehe die höl­zer­ne Hän­ge­brü­cke, die ich am ers­ten Tag über­quer­te. Ein Bild, wie aus einem Traum. Dahin­ter stei­gen fei­ne Nebel­schwa­den den Berg hin­auf und lösen sich über den Fich­ten auf. Der Wald ruft. Ich gehe ins Bad, ein neu­er Tag im Berg­wald steht bevor.

Offen­le­gung: Wer im Berg­wald­pro­jekt arbei­tet, bekommt Ver­pfle­gung und Unter­kunft gestellt. Das ist eine fei­ne Mög­lich­keit, um die Rei­se­kos­ten zu redu­zie­ren. Aller­dings muss man dafür auch im Berg­wald arbei­ten. In mei­nem Fall über­nahm Schweiz Tou­ris­mus noch die Kos­ten für die Anrei­se mit dem Nacht­zug. Grau­bün­den Tou­ris­mus half mir bei der Pla­nung. Ich dan­ke für die Mög­lich­keit und garan­tie­re, dass mei­ne Bericht­erstat­tung von der Ein­la­dung nicht beein­flusst wur­de.

Alle Details und wich­ti­gen Infos zum Berg­wald­pro­jekt in der Schweiz habe ich hier zusam­men­ge­fasst.
 

 

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Antwort

  1. Avatar von Markus
    Markus

    Super Sache.Hört sich gut an und wird danach ganz schön fit sein.Weiter so lie­be Frei­wil­li­gen Hel­fer.

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