Vom ersten Mal: Auf einem Hausboot in Irland

„No expe­ri­ence neces­sa­ry. No licen­se requi­red.« So wirbt der Haus­boot-Anbie­ter Le Boat auf der Start­sei­te im Inter­net. Ohne Vor­kennt­nis­se ein Haus­boot fah­ren? Sicher durch Schleu­sen manö­vrie­ren? Anle­gen? Aus­par­ken? Rück­wärts ein­par­ken? Gegen­ver­kehr? Kaum vor­stell­bar für mich. Im Nord­wes­ten Irlands trat ich gemein­sam mit drei Frau­en den Pra­xis­test auf dem Shan­non Erne Water­way an.

„In Irland reg­net es nur zwei­mal pro Woche. Ein­mal für vier Tage und ein­mal für drei.“ Der an sich gute Witz des Taxi­fah­rers will nicht so recht ankom­men bei den vier Frau­en aus Deutsch­land. Wäh­rend der Bus­fahrt vom Flug­ha­fen Dub­lin ins 163 Kilo­me­ter nord­west­li­che gele­ge­ne Car­ri­ck-on-Shan­non im Leitrim Coun­ty lesen sie indes­sen auf­merk­sam in Kapi­täns­hand­bü­chern, die sie vom Ver­an­stal­ter vor Antritt der Rei­se zuge­schickt bekom­men haben. Allei­ne der Umfang – 36 Sei­ten! – wirkt Respekt ein­flö­ßend. All­ge­mei­ne Infos zum Boot – schön und gut. Funk­ti­on und Navi­ga­ti­on – in der Theo­rie ver­ständ­lich. Hand­ha­bung und Manö­ver – auf den Bil­dern sieht alles mach­bar aus. Auf Sei­te 26 dann die Ernüch­te­rung: Was tun wenn man auf Grund läuft? Sei­te 27: Was tun, wenn jemand über Bord geht? Ob die Idee mit dem Haus­boot wirk­lich eine gute war?

Nach der Ankunft am Start­punkt, Car­ri­ck-on-Shan­non, erwar­tet uns in der Mari­na eine Ein­wei­sung durch einen Pro­fi. Kei­ne 15 Minu­ten dau­ert unser Crash­kurs. Hin­ter­her weiß ich, dass ich nichts weiß. Was ich behal­ten konn­te? Wie man star­tet, vor­wärts fährt und retour und wie man die Hei­zung anmacht. Nach einer Video­vor­füh­rung, bei der erneut alles Wich­ti­ge zusam­men­ge­fasst wird, bekom­men wir den Schlüs­sel für unser Boot. In den kom­men­den Tagen wer­den wir, wenn alles gut geht, den Shan­non Erne Water­way befah­ren und nach Lust und Lau­ne ein paar Stopps ein­le­gen.

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Was für ein schö­ner Name: „Magni­fi­que“ nennt sich unser 16 Ton­nen schwe­res und 14 Meter lan­ges Wohn­mo­bil, das Platz für 8–10 Per­so­nen bie­tet. Wir bewoh­nen es zu viert. Auf das Nötigs­te redu­ziert mei­ne Kabi­ne: Ein Bett, eine klei­ne Abla­ge und eige­ne Nass­zel­le. Sie inklu­diert auf einem hal­ben Qua­drat­me­ter Dusche, Wasch­be­cken und Toi­let­te. Unser Salon mit gro­ßen Tisch und gemüt­li­cher Sitz­ecke bie­tet im Ver­gleich dazu viel Platz. Eine Küche hat es natür­lich auch. Geschirr, Töp­fe, Besteck, Kühl­schrank, Kaf­fee­ma­schi­ne, alles da. Eben­falls an Bord: ein Fahr­rad für jeden und dicke Ret­tungs­wes­ten. Ob wir sie brau­chen wer­den?

Am ers­ten Tag wird ein­ge­kauft, die Magni­fi­que mit Lebens­mit­teln und reich­lich Geträn­ken bestückt. Nach ein paar Pro­be­fahr­ten und einer ers­ten Nacht an Bord geht es am Fol­ge­tag los. Beru­hi­gend: Kat­ja war bereits ein­mal mit vier Jungs auf einem Haus­boot unter­wegs. Sie über­nimmt zu Beginn Steu­er und Kom­man­do. Ein Pro­fi und drei Ahnungs­lo­se legen ab. PS.: Wer mit dem Gedan­ken spielt, ein Haus­boot zu mie­ten, soll­te zumin­dest eine Per­son an Bord haben, die sich ein wenig aus­kennt, denn Haus­boot Novi­zen brau­chen min­des­tens einen Tag Erfah­rung ehe sie halb­wegs sicher manö­vrie­ren kön­nen.

Unser Boot ver­fügt über zwei Steu­er­stän­de. Einer indoor, der zwei­te drau­ßen auf dem Ober­deck. Wir Anfän­ger nut­zen bis zum Schluss, auch bei strö­men­dem Regen, nur das Steu­er­rad auf dem Ober­deck. Der Über­sicht wegen.

Als ich das ers­te Mal auf der drei­stün­di­gen Fahrt Rich­tung Boyle das Steu­er über­neh­me, ist der Shan­non so breit, dass nichts schief­ge­hen kann. Den­noch: ich spü­re selbst, dass ich ten­den­zi­ell zick­zack und alles ande­re als in der Ide­al­li­nie fah­re. Ich len­ke dabei viel zu has­tig, schla­ge ein wie beim Auto­fah­ren und bin dadurch nur am Aus­glei­chen. Von einer Kor­rek­tur – zick – bis zur – zack – nächs­ten. Aber irgend­wann hat man den Dreh raus. Leich­te Lenk­ma­nö­ver, behut­sam am Steu­er, war­ten bis der Kahn qua­si „ant­wor­tet“. Auch Alex­an­dra und Anne bekom­men rasch ein Gefühl dafür, wo der Schwer­punkt liegt und wie wenig es braucht, um das Haus­boot geschmei­dig zu steu­ern. Was mir auf­fällt: Das Boot lässt sich bei ca. 10 km/​h deut­lich bes­ser len­ken als bei 5. Eine gewis­se Grund­ge­schwin­dig­keit ist daher von­nö­ten. Bei der ers­ten schma­len Brü­cken-Durch­fahrt bin ich ner­vös. Tem­po dros­seln! Im Extrem­fall sogar Rück­wärts­gang ein­le­gen und so zum Still­stand kom­men, denn Brem­sen gibt es kei­ne. Ver­ein­zelt wei­sen Ver­kehrs­schil­der auf ein Tem­po­li­mit hin. In schwie­ri­gen Pas­sa­gen wird über rote und grü­ne Mar­kie­run­gen auf Pfäh­len die Linie vor­ge­ge­ben, die man tun­lichst zu wäh­len hat, will man nicht auf Grund lau­fen.

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In der Mari­na des Lough Key Forest Park sto­ßen wir mit Irish Whis­ky auf unse­re ers­ten Erfol­ge an, kochen Pas­ta und genie­ßen eine ruhi­ge Nacht im Hafen. Lang­sam aber sicher wei­chen unse­re Beden­ken. Kol­lek­ti­ve Freu­de macht sich breit. Tags dar­auf schip­pern wir auf unse­rem Weg nach Cot­te­hall durch eine ver­wun­sche­ne, traum­haft schö­ne Land­schaft. In Leitrim legen wir an und unter­neh­men auf dem Sheer­mo­re Trail eine mehr­stün­di­ge Fahr­rad­tour.

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Das Bug­strahl­ru­der – wir nen­nen es nur noch die „Mogel­pa­ckung“ – ist unse­re Geheim­waf­fe. Bei schwie­ri­gen Steu­er­ma­nö­vern ist es die Ret­tung und völ­lig sim­pel zu bedie­nen. Ein Knopf für jede Rich­tung bringt dich rasch zurück in die Ide­al­li­nie. Hat man erst ein­mal ein paar Brü­cken­durch­fahr­ten erfolg­reich gemeis­tert, freut man sich sogar auf die nächs­te Chall­enge. Doch das ist nichts im Ver­gleich zu einer Schleu­se. Die ers­ten Schleu­sen fährt selbst­ver­ständ­lich Kat­ja. Wir Mari­ne-Neu­lin­ge sind der Ver­ant­wor­tung (noch!) nicht gewach­sen. Als am drit­ten Tag eine sie­ben­stün­di­ge Fahrt von Leitrim nach Bal­li­n­amo­re mit ins­ge­samt 11 Schleu­sen ansteht und es wie aus Eimern schüt­tet, ist uns klar, dass wir Kat­ja kei­nes­falls den gan­zen Tag allei­ne im Regen ste­hen las­sen kön­nen. Jeder muss ran. Jeder bekommt einen Job. Jeder trägt Ver­ant­wor­tung. Kat­ja hat bis zum Schluss das Sagen und gibt laut und deut­lich Kom­man­dos.

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Vor der Ein­fahrt in die ers­te Schleu­se legen wir an. Ich ver­las­se das Boot, denn mei­ne Auf­ga­be ist es, die Schleu­se manu­ell zu bedie­nen. Einen Wär­ter gibt es in dem Fall nicht. Dazu habe ich habe eine Chip­kar­te, die wir in der Mari­na besorgt haben, in der Hand und suche ner­vös nach dem Bedien­kas­ten und ent­spre­chen­dem Ein­fuhr­schlitz. Kar­te rein und nun?

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So vie­le Knöp­fe! Hil­fe! Sie sind gut beschrif­tet „Let Water in“, „Let Water out“, „Clo­se Gate“, „Open Gate“. In zwei­fa­cher Aus­füh­rung für jedes Tor. In der Mit­te unüber­seh­bar der Not­fall­but­ton. Ruhe bewah­ren. Klar den­ken. Was will eigent­lich? Es geht fluss­auf­wärts. Cir­ca 5 Meter Höhen­un­ter­schied müs­sen über­wun­den wer­den. Schleu­sen­to­re schlie­ßen. Was­ser ablas­sen. Lin­kes Schleu­sen­tor öff­nen. Unser Boot kann ein­fah­ren. Schleu­sen­tor schlie­ßen. Was­ser ein­las­sen bis wir das Niveau des Flus­ses auf der ande­ren Sei­te errei­chen. Rech­tes Schleu­sen­tor öff­nen. Das Boot kann aus­fah­ren. Klingt ein­fach, ist es aber anfangs nicht. Dazwi­schen muss ich Lei­nen, die mir mei­ne Crew­mit­glie­der zuwer­fen, über ent­spre­chen­de Böl­ler legen und wie­der zurück an Bord wer­fen, damit unser Haus­boot in der Schleu­se, wo man übli­cher Wei­se den Motor aus­macht, sta­bil gehal­ten wer­den kann.

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Bei der zwei­ten Schleu­se fehlt die Beschrif­tung am Bedien­feld. Ich bin der­art ner­vös, dass ich mich nicht im Gerings­ten dar­an erin­nern kann, wofür wel­cher Knopf nun war. Das Gute: Selbst wenn man den fal­schen Knopf drückt, pas­siert kei­ne Kata­stro­phe, son­dern gar nichts. Das Sys­tem reagiert nur, wenn man in ent­spre­chen­der Rei­hen­fol­ge den rich­ti­gen Knopf erwischt. Inso­fern kann man nach dem Prin­zip Tri­al & Error ver­fah­ren. Das muss man aller­dings nerv­lich aus­hal­ten. Wor­an ich den­ke? Kat­ja hält mich sicher für einen hoff­nungs­lo­sen Fall. Ich will mich vor ihr auf kei­nen Fall bla­mie­ren. Sie hat uns ein­ge­bläut, nie panisch zu reagie­ren. Ruhig blei­ben, Tem­po dros­seln oder ste­hen blei­ben und in aller Ruhe über­le­gen, was zu tun ist. Nach die­sem Prin­zip ver­fah­re ich auch als Schleu­sen­wär­ter sehr erfolg­reich. Am Ende des Tages, trotz wil­des­ter Befürch­tun­gen, lie­be ich Schleu­sen. Das Boot in und aus eine/​r Schleu­se zu fah­ren, ist am Ende nicht schwie­ri­ger als eine Brü­cke zu unter­fah­ren. Das manu­el­le Bedie­nen der Schleu­se hat man irgend­wann auch intus. Wich­tig ist, dass man als Team gut funk­tio­niert und auf Kom­man­dos hört. Unab­ding­bar: Dass die Lei­nen immer ordent­lich auf­ge­rollt und im Bedarfs­fall wurf­be­reit sind.

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Fazit: Haus­boot­fah­ren ist tat­säch­lich leicht erlern­bar und über­aus ver­gnüg­lich. Das Boot ver­bin­det. Eine mehr­tä­gi­ge Fahrt ist kom­mu­ni­ka­tiv und kurz­wei­lig, das Rei­se­tem­po gemüt­lich mode­rat. Wie man die Tage gestal­tet, wo man sie ver­bringt – eher an Land oder haupt­säch­lich auf dem Was­ser – bleibt einem selbst über­las­sen.

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Tipp: Was man für Schlecht­wet­ter unbe­dingt mit­brin­gen muss: was­ser­fes­te Schu­he mit guter Soh­le. Was­ser­dich­te Regen­ja­cke mit Kapu­ze, was­ser­dich­te Hose, Müt­ze oder Stirn­band und einen war­men Fleece­pull­over.

 

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Infor­ma­tio­nen

Das Haus­boot-Unte­neh­men Le Boat, eine TUI Toch­ter, ver­mie­tet mehr als 600 Haus­boo­te in ganz Euro­pa. Dazu gehört auch die Flot­te von Emer­ald Star, dem iri­schen Able­ger von Le Boat.

Le Boat

www.leboat.de

Shan­non Erne Water­way

Der Shan­non Erne Water­way ist 63 Kilo­me­ter lan­ger Ver­bin­dungs­ka­nal zwi­schen dem Shan­non (Repu­blik Irland) und dem Erne, der haupt­säch­lich durch Nord­ir­land fließt. Der Kanal bil­det zusam­men mit dem Shan­non, den Erne-Seen und dem Grand Canal das größ­te Haus­boot Revier Euro­pas. Frei­zeit­ka­pi­tä­nen ste­hen über 800 Kilo­me­ter zusam­men­hän­gen­de Was­ser­we­ge zur Ver­fü­gung.

Die­se Rei­se wur­de unter­stützt.

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Antworten

  1. Avatar von Jens
    Jens

    Hal­lo, ich lese gera­de Rei­se­be­rich­te zum The­ma Haus­boot in Irland. Wir haben unse­re ers­ten Erfah­run­gen 2017 in den Nie­der­lan­den gemacht. Wie seit Ihr ange­reist? Man benö­tigt ja doch eini­ges an Zeugs auf dem Boot. Lebens­mit­tel habt Ihr Vor­ort gekauft?

  2. Avatar von Christine Schmiedl
    Christine Schmiedl

    Sehr guter und infor­ma­ti­ver Bei­trag. Leb­haft und nicht lang­wei­lig geschrie­ben, es mach­te Spaß, die zu lesen! Dan­ke und tschüß!

    1. Avatar von Johanna Stöckl
      Johanna Stöckl

      Lie­be Chris­ti­ne,

      dan­ke für das net­te Feed­back.
      Leb­haft und nicht lang­wei­lig – genau so ist auch eine Fahrt mit dem Haus­boot 🙂

    2. Avatar von Christine Schmiedl
      Christine Schmiedl

      Dan­ke für die Ant­wort. Wir fah­ren im Som­mer 1 Woche mit der Lake Star. Wir sind evtl. zu dritt. Ich freu mich schon. Wir waren schon ein­mal in Irland, mit einem Miet­wa­gen an der Süd­küs­te und zur Ding­le Halb­in­sel hoch. Ich war auch schon mit dem Pfer­de­wa­gen in der Nähe von Clona­kil­ty, war auch toll. Man muß halt das »drau­ßen sein« lie­ben. Was gibt es noch für schö­ne Sachen zu erkun­den? Wir haben dann noch eine Woche mit Miet­wa­gen zur Ver­fü­gung. L. G. Chris­ti­ne

  3. Avatar von Brigitte
    Brigitte

    Tol­ler Bericht, nur Scha­de das ein so unkom­pli­zier­ter Urlaub kaum in Deutsch­land mög­lich ist. Hier muss man bestimmt unzäh­li­ge Anfor­de­run­gen erfül­len im Zuge der Sicher­heit, Büro­kra­tie, usw. Rei­zen wür­de mich auch so ein Haus­boot­ur­laub, aller­dings eher mit sowas hier http://www.luxusyacht-kaufen.de/?post=stardust-cruisers-cat-daddy-hausboot

    1. Avatar von Johanna Stöckl
      Johanna Stöckl

      Lie­be Bri­git­te,

      ich lese dei­nen Kom­men­tar erst heu­te. Irgend­wie hat mich der erst heu­te erreicht 🙁
      Urlaub auf einem Haus­boot kann man natür­lich auch in Deutsch­land machen. Sehr gut sogar. Schau mal auf fol­gen­der Sei­te:

      http://www.leboat.de

  4. Avatar von Elgin Lill
    Elgin Lill

    Vie­len Dank fuer die­sen Bericht

    Elgin

  5. Avatar von Dani

    Uih, sowas woll­te ich unbe­dingt mal in Schott­land machen. Ich dach­te mir schon immer, dass das viel Spaß machen wür­de, und der Bericht bestä­tigt das jetzt noch. 🙂 Muss mei­ne Mädels unbe­dingt über­zeu­gen.

    1. Avatar von Johanna Stöckl

      Macht in jedem Fall Spaß! Das Fah­ren ans sich sowie­so und an Land ja auch. Dazu kam ich in dem Bericht gar nicht. Also Mädels, Lei­nen los :-)!!!!! Ab aufs Haus­boot!

    1. Avatar von Johanna Stöckl

      Hihi, das wars auch! Kann ich emp­feh­len!

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