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Unsere Nachbarn sind Türken. Aber nein, wir wollen uns nicht an der Debatte zum Thema „Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland“ beteiligen. Da wir uns aber an der Schwarzmeerküste in der Türkei befinden, ist es nicht weiter ungewöhnlich, dass die Menschen hier Türken sind.
Aber der Reihe nach. Nach fünf Tagen im geliebten aber auch anstrengenden Istanbul sind wir erst einmal durch. Durch mit Sightseeing. Durch mit dem Trubel. Durch mit diversen Erledigungen. Und wir fühlen uns bereit für ein paar Tage Ruhe, Innehalten, Aufatmen. Das Glaarkshouse – unser Truck – und seine sieben Tonnen werden mit viel Konzentration aus der 20-Millionenstadt gelenkt. Und dann ist es soweit: nach etwa zwei Monaten auf Reisen – fahren wir über die Bosporus Brücke in einen anderen Kontinent. Wir sind in Asien! Und schon am späten Nachmittag erreichen wir die für uns bis dato unbekannte Schwarzmeerküste.
Wir erblicken einige Erdgasplattformen im Meer. Die Wellen brechen sich mit viel Gischt. Es weht ein giftiger Wind. Der Strand wird von einer Schnellstraße abgegrenzt. Die Autos brettern dahin. Schön ist das nicht! Ich habe Hunger. Meine Frau bestimmt auch. Das ist kein Spaß! Der Tag zieht sich. Wir fahren weiter. Reden wenig. Sind beide spürbar enttäuscht. Ein wenig müde wahrscheinlich auch. Wir sehen Industrieanlagen, Stahlwerke, Betonfabriken, Schiffswerften. Riesige, voll beladene Sattelschlepper rauschen auf den staubigen Straßen an uns vorbei.
Wir erreichen Ereğli. Eine Stadt. Eine „Mittelgroße Stadt“ sagt Lotta – unser Navi. Ein bisschen Industrie, eine Strandpromenade. Wirkt aufgeräumt. Wir brauchen noch Bargeld. Jen macht sich auf den Weg zum Automaten. Ich bleibe beim halblegal geparkten Auto. Es gehen die ersten Passanten um unseren Truck herum. Sie schauen. Und lächeln. Daumen hoch. Wie so oft in den letzten Wochen. „Congratulations“ ruft jemand. Wahrscheinlich aufgrund des JUST MARRIED Schriftzugs, der auch zwei Monate nach unserer Hochzeit noch unsere Rückseite ziert. Ich blicke auf das Navi. Sehe, dass die Stadt gleich zu Ende ist, die Straße an der Küste entlang leider auch! Die Sonne nähert sich schon dem Horizont. Einen Schlafplatz im Dunkeln zu suchen bedeutet wenig Vergnügen. Wir fahren aber weiter, raus aus der Stadt. Wieder vorbei an Fabriken. Links von der Straße geht es steil nach unten, wahrscheinlich zum Meer. Bäume und Sträucher versperren aber die Sicht. Wir wollten doch ans Wasser. Wir halten auf einer Brücke.
Endlich sehen wir es wieder. Das Meer. Und trauen unseren Augen nicht. Da ist es: das Tagesziel! Eine wunderschöne Bucht. Dunkler Sand. Wenig Menschen. Nichts wie hin. Wir fahren. Schnell. So schnell es eben geht. Und erreichen noch vor Sonnenuntergang den Strand. Dort stehen ein paar Zelte. Nicht mehr als drei. Keine Touristenzelte. Wir sind uns nicht sicher, ob wir hier einfach übernachten können. Meine wundervolle Frau springt flink aus dem Auto, verständigt sich mit Händen und Füßen mit einer einheimischen Frau, die in einem der Zelte zu leben scheint. Es sei wohl okay hier zu bleiben, verstehen wir. Und es war mehr als nur okay hier zu bleiben – wie sich noch herausstellen wird. Ich fahre direkt auf den Strand und parke unser Zuhause nicht weit von der Hüttenbehausung der freundlichen Frau. Und das Glaarkshouse findet das richtig super. Im Sand spielen!
Schon wenige Minuten später baden wir beide zum ersten Mal im Schwarzen Meer. Wir stellen uns die Frage, warum das Schwarze Meer eigentlich Schwarzes Meer heißt. Und ein paar Minuten später sitzen wir vor unserem kleinen Haus am Meer, schauen der Sonne zu, wie sie endgültig für diesen Tag in diesem nun wirklich schwarzen Meer versinkt – und essen eine Kleinigkeit. Endlich.
Plötzlich steht unsere „Nachbarin“ vor uns. Mit einem Teller in der Hand: selbst gemachtes Börek. Sie sagt etwas dazu. Wir verstehen sie nicht. Und dann ist sie auch schon verschwunden. Wir schauen uns verdutzt an. Probieren. Es schmeckt köstlich. „Nefisti“ … auf türkisch. Wir nippen weiter an unserem Weinglas. Zwei Mädchen kommen auf uns zu. Sie halten ein paar Teller in den Händen. „Congratulations!“ und „Where are you from?“ Bevor wir antworten können, stehen auf unserem Tisch drei Teller mit gefüllter Paprika, Weinblättern und Melone.
Und die Mädchen sind schon wieder kichernd auf und davon. Wir beide sind gerührt. Überwältigt. Wissen gar nicht so recht, was gerade vor sich geht. Ich stelle mir die Frage, ob mir das in Deutschland schon einmal passiert ist. Jen ist ebenso sprachlos. Versunken in Gedanken lassen wir den Tag sacken – und nach ein wenig mehr Wein fallen wir – begleitet vom Meeresrauschen – erschöpft in den Schlaf.
Der nächste Morgen läuft erst einmal wie immer wenn wir am Meer stehen. Kaffee. Schwimmen. Sein. Und dann passiert die nächste Überraschung: Ich richte gerade etwas am Auto. Der Tank scheint nicht dicht zu sein. Egal, ich wurschtle da so vor mich hin. Auf einmal sehe ich unsere Nachbarn heftig winken. Kann ja nicht verkehrt sein, ihnen auch zu winken. Dann hebt der Mann sein Çay-Glas. Ich habe verstanden und rufe „Jen, zum Tee!“ Sie schaut mich mit großen Augen an und erwidert „Okay?“. Alsbald sitzen wir also bei unseren Nachbarn, die uns am Vorabend noch mit Selbstgebackenem zum Staunen gebracht haben, auf deren Sofa vor dem Zelt. Ach so, wir trinken Çay! Eine von hunderten Tassen, die uns auf unserer Reise durch die Türkei noch begleiten werden. Wir bedanken uns natürlich für alles. Lachen gemeinsam. Doch wir verstehen kein Wort. Keiner von uns. Einzig die Gestik hilft uns zu begreifen, dass die beiden mit ihren Söhnen hier leben, Fische fangen und kleine Boote verleihen. Wir versuchen zu erklären, dass wir nur ein paar Tage bleiben wollen, dass wir aus Deutschland kommen, dass wir vorhaben bis nach Indien zu fahren und dass wir es hier wirklich sehr schön finden. Leider können wir uns nicht sicher sein, dass unsere Gastgeber das alles verstanden haben.
Was wir aber verstanden haben ist, dass die beiden ein sehr einfaches Leben führen. Oft sehen wir sie richtig anpacken mit den Booten, mit den Fischernetzen, mit den gefangenen Fischen. Und sie wirken glücklich. Beide strahlen, und sie strahlen diese tiefe, nicht erschütterbare Verbundenheit mit diesem wunderschönen Flecken Erde aus. Sie gehören hierher. Und sie lassen uns für ein paar Tage hier sein und verstehen, warum sie hier sind und nirgendwo anders. Wir beide sind wieder einmal gerührt. Und beschämt, weil wir uns vor Augen halten, wie Fremde oft in Deutschland aufgenommen werden.
Irgendwann entscheiden wir uns, den weiteren Tag in vollen Zügen zu genießen. Schwimmen, lesen, sein. Am Nachmittag kommt ein Herr mit einem kleinen Jungen an der Hand direkt auf uns zu. Er begrüßt uns mit den Worten „Hello, I am Mehmet and this is Efe!“ Es stellt sich heraus, dass er unser Auto ganz spannend findet und es seinem Enkel zeigen möchte. Wir reden über unsere Pläne, über Deutschland – und Jen packt den kleinen Efe bei der Hand, um ihm unser Zuhause von innen zu zeigen. Er ist bass erstaunt. Die beiden verabschieden sich höflich. Denken wir!
Nach einigen Verständigungsschwierigkeiten haben wir endlich kapiert: Mehmet wird uns am Abend mit seinem Auto abholen. Wir fahren dann zur Geburtstagsfeier seiner Tochter, zu der wir herzlich eingeladen sind. Später will uns Mehmet wieder zurück an den Strand fahren. Jen und ich schauen uns an und können es mal wieder nicht glauben, mit welcher Offenheit und Neugier uns die Menschen hier begegnen.
Pünktlich steht Mehmet am Abend vor unserem Auto. Wir fahren los. In die Stadt. Ereğli. Und kurze Zeit später sitzen wir auf einem Sofa in einem sehr großen türkischen Wohnzimmer – in einem sehr schönen türkischen Haus. Neben uns Mehmets Frau, Muhterem, ihre Mutter Sabahat, ihre Tochter Deniz und ihr Sohn Ismail. Und natürlich der kleine Efe. Wir überreichen ein kleines Gastgeschenk, sprechen über unsere Reise, Berufe, Politik, Wirtschaft. Und der arme Ismail muss alles übersetzen. Nach Sonnenuntergang wird das Fasten des Ramadan „gebrochen“. Alle warten gebannt und natürlich sehr hungrig auf das „Go!“ in Form eines lauten Gesangs des Muezzins. Und wir dürfen an einem unglaublich köstlichen Abendessen teilhaben: Joghurtsuppe, gefüllte Paprika und Weinblätter, Salat, Reis, Leberbällchen, Joghurt, Oliven und Käse. Und wir fragen uns natürlich: warum lädt diese wundervoll herzliche Familie wildfremde Menschen einfach so zum Abendessen ein? Und die Antwort könnte nicht klarer und präziser lauten: „Because we like to learn about other people!“ So einfach kann das Leben sein!
Mehmet bringt uns zurück zum Strand und verabschiedet uns mit einem Glas selbstgemachter Marmelade, Käse und einem Strudel aus seinem Heimatdorf Mengen. Wir schütteln uns kräftig die Hände und freuen uns schon auf Montag – da dürfen wir mit dem Glaarkshouse in Mehmets Werkstatt vorbeikommen, um die Dieselleitung flicken zu lassen. Überwältigt von soviel Gastfreundschaft – egal ob von arm oder reich – und mit sehr vollem Bauch fallen wir ins Bett.
Und an diesem Abend wissen wir noch gar nicht, dass wir in den kommenden Tagen von unseren Nachbarn wieder zum Tee eingeladen werden, dass uns der Ingenieur Senol und seine Freunde zum Sonntagspicknick in ihre gemütliche Runde bitten werden, dass wir noch so viele Früchte geschenkt bekommen werden, dass wir spontan direkt am Strand Marmelade kochen um sie unseren lieb gewonnenen Nachbarn zu schenken und dass wir an unserem letzten Abend am Strand von Ereğli mit Sharif, seiner Frau und deren Freunden am Lagerfeuer türkischen Mokka trinken und zu selbst gespielter Sas-Musik im Sand tanzen werden.
Als wir früh morgens den Strand verlassen, verabschieden wir uns herzlich von unseren türkischen Nachbarn und fahren langsam – mit vielen wundervollen Gedanken und einem starken Gefühl der Verbundenheit mit diesem Strand und seinen Menschen den steilen Berg hinauf in die Stadt Ereğli, die auf einmal viel mehr Sinn macht.
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Antworten
Dieses Dorf heißt, Baliköyü und der Strandabschnitt, Köseagizi. Die Hälfte dieses Dorfes ist verwandt mit mir. Dieser Strand wird sogar in den Geschichtsbücher verwöhnt, weil, Ince Mehmet, dort die erste Steinkohle gefunden hat, deshalb gibt es in Eregli und Zonguldak Kohlebergwerke. Mittlerweile ist das Dorf sehr berühmt für ihren Frühstück, es gibt viele Cafés und die Straße an den Strand ist erneuert und verlängert worden.
Den Strand habe ich erkannt, dieses Dorf heißt Baliköyü und ist unser Dorf.
Und der Strandabschnitt heißt, Köseagizi. Dort wurde von Ince Mehmet zum ersten Mal Kohle entdeckt, seitdem existieren in Eregli und Zonguldak Kohlebergwerke.
Mittlerweile sind dort Strandhäuser und eine neue Straße und viele Cafés mit tollem Frühstück. Das Dorf ist jetzt berühmt für Ihren Frühstück. Mehr als die Hälfte aus diesem Dorf ist verwandt mit mir.Hallo ihr beiden :),
schöner Artikel, den ihr hier geschrieben habt. Ich kann das alles nur bestätigen. Die Türkei ist wirklich ein tolles Land :). Ich selber war bisher 4 mal dort und natürlich geht es dieses Jahr wieder in die Türkei. Mittlerweile sind wir in unserem Hotel schon Stammgäste geworden, so dass es jedes Jahr in das gleiche Hotel geht.
Vielleicht könnten/dürfen wir uns weiter austauschen. Wenn ihr mögt könnt ihr euch gerne per E‑Mail bei mir melden oder per Kommi auf meinem Blog :). Ich hoffe Ihr schaut mal vorbei. Bis denn LG Sabrina 🙂 *
Blog : http://sabse94s.blogspot.de/Hallo Sabrina und Danke für deinen Kommentar!
das mit dem »Stammgast-Werden« in der Türkei klingt sehr vertraut!
Tolles Land mit tollen Menschen! …wir wären auch beinahe »hängengeblieben« an diesem wunderbaren, sehr authentischen Strand!
Alles Gute für deine kommenden Reisen!
Peter und Jen
Wundervoller Artikel!! Ich freue mich so sehr, dass ihr in meiner Heimat so herzlich aufgenommen wurdet! Ich mag wohl in Augsburg geboren und aufgewachsen sein, jedoch merke ich immer wieder dass ich »Türkin« bin, genau aus diesem Grund: „Because we like to learn about other people!“.
Ps.: Habe letztes Jahr mein Auto an eine ganz liebe Kroatin verkauft, die extra aus Kroatien nach München angereist ist, das erste was mein Vater tat war, sie und ihren Freund vom Bahnhof abholen und die beiden erst mal bei uns zu Hause zum frühstücken einzuladen. Anschließend verabschiedeten wir sie mit meinem Ex-Auto und nun werde ich sie im August in Kroatien besuchen 🙂
Ich wünsche euch beiden alles Gute <3
Liebe Aylin,
wir freuen uns sehr über deinen Kommentar! Wir haben auf unserem aktuellen Trip nun 16 Länder nacheinander bereist und für uns beide sind die eineinhalb Monate, die wir in der Türkei verbringen durften nach wie vor ein Highlight – die Gastfreundschaft ist einzigartig! Wir würden uns wünschen, dass es unseren türkischen Freunden in Deutschland auch so ergehen würde. Leider spüren wir das nicht (immer) so sehr …
Wir sind dankbar für jeden Tag den wir dort »sein« durften.
Danke Aylin … und herzliche Grüße, Jen und Peter
Sehr schône wirklich normal Türkei meine Heimet beste Länder in die Welt
Die Türkei ist wirklich ein Traum! Grüße in deine Heimat!
Traumhaft
oh wie schön =)
… das war es in der Tat! 🙂
Da bekomm´ ich gleich Hunger beim Lesen 🙂
Das war wirklich alles sehr lecker!
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