Über den Wolken auf den Ortler

Der Ort­ler ist der König von Tirol. Ein mäch­ti­ges Unge­tüm von Berg, wild und auch über den Nor­mal­weg nicht ein­fach. Eine Bestei­gung über dem Wol­ken­meer.

Als wir auf­ste­hen, ist die Nacht noch pech­schwarz. So macht man das in den Ber­gen, wenn man etwas erle­ben und am Ende sicher wie­der nach Hau­se kom­men will.

Die Gebirgs­land­schaft drau­ßen vor der Tür der Juli­us-Pay­er-Hüt­te, die sich von Ita­li­en nach Öster­reich erstreckt – soweit jeden­falls reicht der Blick, wenn es hell ist – die­se Land­schaft ist noch nicht zu erken­nen.

Und doch müs­sen bereits jetzt die kli­ma­ti­schen Bedin­gun­gen für das gro­ße Schau­spiel gesetzt sein, das spä­ter fol­gen soll. Schon in die­sem Moment bewe­gen sich war­me und kal­te Luft in einem bestimm­ten Ver­hält­nis, zieht Wind her­auf, ändert sich die Tem­pe­ra­tur im Tal und um die Gip­fel. Die Auf­füh­rung ist arran­giert, aber die­ses Arran­ge­ment der Natur bleibt vor­erst unsicht­bar. Die Nacht ver­rät nichts von dem fan­ta­sie­haf­ten Büh­nen­pro­gramm, das der Him­mel und die Wol­ken zwei Stun­den spä­ter mit dem Ein­fall des ers­ten Tages­lichts zei­gen wer­den.

Noch weiß ich nicht, dass mir einer der schöns­ten Gip­fel­auf­stie­ge mei­nes Lebens bevor­steht.

Dabei war es so ein tol­ler gol­de­ner Abend ges­tern, dar­in lag schon eine Andeu­tung, eine Ver­hei­ßung für den kom­men­den Tag. War­me Licht­strö­me tou­chier­ten die Käm­me von Wes­ten. Der auf­zie­hen­de Mond stand genau über dem Gip­fel­kreuz des Ort­lers, wäh­rend die sin­ken­de Son­ne den Glet­scher­pan­zer oran­ge anstrahl­te.

Der Ort­ler, das ist das Ziel für heu­te: 3905 Meter, der höchs­te Berg Tirols.

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Weil das Wet­ter an die­sem Tag ver­spricht, so gänz­lich her­vor­ra­gend zu wer­den, herrscht vor Son­nen­auf­gang ein gro­ßes Gedrän­ge auf der Hüt­te. Alle Grup­pen wol­len früh los­kom­men, hin­ein in die Nacht, hin­ein in den Mor­gen, in einen schim­mern­den Tag.

Wir sind zu dritt, ein Ehe­paar und ich, plus Berg­füh­rer Hubert, der uns mit die­sem früh­mor­gend­li­chen Opti­mis­mus begrüßt, den alle Men­schen haben, die ihr Leben zu einem gro­ßen Teil in der Natur ver­brin­gen. »Auf geht’s«, sagt Hubert.

In der Stun­de vor Mor­gen­grau­en klet­tern wir locker über ein­fa­chen Fels in der Dun­kel­heit nach oben. Mit­hil­fe der Stirn­lam­pe fin­den sich immer Trit­te und Grif­fe, der Auf­stieg ist nicht schwie­rig, aber in die­sem Ter­rain kann man durch­aus abstür­zen.

Ich bin kon­zen­triert auf den Fels vor mei­nen Augen. Ich will mir kei­nen Feh­ler erlau­ben in die­sem Gelän­de, auch wenn Hubert uns in den stei­len Pas­sa­gen sichert. So bemer­ke ich erst bei einer Rast das Schau­spiel, das nun, hin­ter mir, end­lich beginnt.

Die Berg­hän­ge las­sen noch kaum Kon­tu­ren erken­nen. Doch ein gel­bes Licht löst sie lang­sam aus dem schwarz­blau­en Nacht­him­mel her­aus. Dar­un­ter quel­len vio­lett schim­mern­de Wol­ken aus den Tälern her­vor. Die schwar­zen Gip­fel ragen her­vor wie aus aus einer auf­brau­sen­den, stür­mi­schen See. Und doch ist es voll­kom­men ruhig, eine fast schon andäch­ti­ge Stil­le liegt über dem Land.

Was für ein Son­nen­auf­gang! Man fühlt sich klein und doch ganz groß, im sel­ben Moment.

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Die nächt­li­chen Fels­par­tien lie­gen jetzt hin­ter uns, wir stei­gen über den Glet­scher auf. Der Tag wird immer hel­ler, das Far­ben­spiel in unse­rem Rücken ver­än­dert sich. Die ers­ten Son­nen­strah­len bren­nen das früh­mor­gend­li­che Vio­lett aus den Wol­ken. Mat­tes Gelb, Gold und Oran­ge über­zie­hen die Ber­ge. Die Wol­ken blei­ben. Sie sehen nicht mehr so apo­ka­lyp­tisch aus wie im ers­ten Licht des Tages.

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Die Steig­ei­sen boh­ren sich in das hart­ge­fro­re­ne Eis. Knarz knarz. Zwei Schrit­te. Und wie­der, und wie­der, immer wei­ter. Anfangs geht es stei­ler den Hang hin­auf. Wir müs­sen noch eine Fels­stu­fe hin­auf­klet­tern. Danach ist der Glet­scher flach und zahm.

Die Mor­gen­son­ne hat die Far­ben end­gül­tig gesät­tigt. Der Him­mel über uns ist tief­blau, sieht aus wie mit Far­be ange­stri­chen. Als wir den Sat­tel der Flan­ke errei­chen, zeigt sich in der Fer­ne die wuch­ti­ge Ber­ni­na-Grup­pe, mit dem ein­zi­gen Vier­tau­sen­der der Ost­al­pen.

Auf einem unge­fähr­li­chen Weg brin­gen wir die letz­ten Höhen­me­ter zum Gip­fel hin­ter uns. Von dort bli­cken wir hin­ab auf eine Schnee­land­schaft, die nicht ver­mu­ten lässt, dass gera­de Hoch­som­mer ist. Aus der Schwär­ze der Nacht hat sich ein eis­blau­er Tag geschält.

Wir sind auf den Ort­ler gestie­gen, über den Wol­ken.

Ein wahr­lich erhe­ben­des Gefühl.

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Info­kas­ten: Ort­ler (3905 m)

Anrei­se: bis Sul­den (1906 m)
Hüt­ten­zu­stieg: von der Taba­ret­t­ahüt­te (2556 m) in ca. 2 Stun­den
Über­nach­tung: Pay­er­hüt­te (3029 m), +39 0473 613010 (Hüt­te), +39 0473 666372 (Tal), Lager ab 13 Euro
Gip­fel: Schwie­rig­keit PD+ /​ III, Klet­ter­steig und Glet­scher, ca. 4 Stun­den

Erschienen am



Antworten

  1. Avatar von Pi

    Hey.…
    Das sind ja super schö­ne Ein­drü­cke! Hof­fent­lich bekom­men wir bald noch mehr zuse­hen!
    Wir sind auch des öfte­ren in den Ber­gen unter­wegs, ich lie­be es mit den Leu­ten dort in kom­mu­ni­ka­ti­on zuste­hen! Und ein­fach­mal die See­le bau­meln zulas­sen in Mit­ten der Rie­si­gen Berg­zü­ge!

  2. Avatar von Sven

    Was für Impres­sio­nen!
    Unglaub­lich tol­le Bil­der und Ein­drü­cke! Ich wer­den mit ein paar Freun­den im Juli in den Dolo­mi­ten Urlaub fah­ren. Wan­dern und klet­tern steht da ganz oben auf der Tages­ord­nung! hof­fe das ich auch solch tol­le Bil­der und Ein­drü­cke mit zurück brin­gen kann.
    MFG Sven

  3. Avatar von Anna

    Ich lie­be die Ber­ge und eure Bil­der hier sind atem­be­rau­bend schön! Das werd ich nur vom anse­hen nei­disch 🙂
    Hof­fe es fol­gen noch vie­le sol­cher Berich­te mit so tol­len und ein­drucks­vol­len Bil­dern! Lie­be Grü­ße und auf den nächs­ten tol­len Dolo­mi­ten Urlaub 😉

  4. Avatar von Julian

    Was für super schö­ne Bil­der und damit ver­bun­de­ne Ein­drü­cke!
    Lie­be Grü­ße aus dem Schen­na Resort
    Juli

  5. Avatar von Sabine

    Hal­lo,
    habe mir gera­de die­sen tol­len Bericht durch­ge­le­sen!
    Wirk­lich beein­dru­ckend was da so zusam­men­ge­kom­men ist und die­se Wahn­sinns Fotos unter­strei­chen das gan­ze noch! Viel­leicht dür­fen wir hier ja noch mehr bewun­dern und lesen! Vie­le Grü­ße von der Sei­se­r­alm
    Die Sabi

  6. Avatar von Tobi

    WoW!
    Was für tol­le Bil­der, bin rich­tig geflasht von die­sen Ein­drü­cken und tol­len Moment­auf­nah­men!
    Wirk­lich schön das ihr uns an sowas teil­ha­ben last!
    Beim Ski­fah­ren bin ich oft auf der Sei­se­r­alm und genie­ße die­ses traum­haf­te Pan­ora­ma, aller­dings sind die Bil­der noch­mal eine stei­ge­rung! Toll!
    Freue mich auf den nächs­ten Bericht 🙂

  7. Avatar von Peter
    Peter

    Ich bin total geflasht von den Bil­dern! Wun­der­bar, beein­dru­ckend. So eine Tour wür­de ich mir auch ger­ne ein­mal vor­neh­men. Viel­leicht kann ich das, wenn mei­ne Frau und ich Urlaub im Wan­der Hotel Euro­pa (www.wanderhoteleuropa.com) buchen. Dann kann sie sich beim Well­ness ver­wöh­nen lassen…sie mag kei­ne Wanderungen…und ich stür­ze mich ins Aben­teu­er.

  8. Avatar von Marnu

    wow tol­le Auf­nah­men. Spie­gelt den müh­sa­men Auf­stieg sehr gut wie­der 🙂 Grü­ße aus Stutt­gart!

    1. Avatar von Philipp Laage

      Dank und Gruß zurück!

  9. Avatar von Claudi

    Wow! Ham­mer-Fotos … und das­bei solch kör­per­li­cher Leis­tung. Das stell ich mir alles ande­re als ein­fach vor. Super!

    1. Avatar von Philipp Laage

      Ruck­sack abset­zen, Kame­ra her­aus­ho­len, Fotos machen, Kame­ra ein­pa­cken, Ruck­sack wie­der auf­set­zen: Manch­mal hat man dazu echt kei­ne Lust, aber das wür­de man bereu­en.

  10. Avatar von Johannes Klaus via Facebook
    Johannes Klaus via Facebook

    Phil­ipp, das ist übri­gens der 666. Bei­trag auf Rei­se­de­pe­schen! 😀

    1. Avatar von Philipp Laage

      Das ist kein böses Omen, hof­fe ich.

  11. Avatar von Stefanie Hoppe via Facebook
    Stefanie Hoppe via Facebook

    ein Traum.…

  12. Avatar von Julia
    Julia

    Wun­der­schö­ne Bil­der-Gän­se­haut pur! 🙂

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