This is Hipster territory!

Mich über­rascht, wie hart­nä­ckig sich das gan­ze Hips­ter-Ding hält, denn ich selbst wuss­te nie wirk­lich etwas damit anzu­fan­gen. Auf mich wirkt die Sze­ne wenig aus­sa­ge­kräf­tig. Trotz­dem bin ich oft ange­tan von der zuge­hö­ri­gen Ästhe­tik. Vom Unter­arm­ta­too, dem fei­nen Cor­ta­do, den Voll­bär­ten. Das sieht immer klas­se aus. Zuge­ge­be­ner­ma­ßen haben sich auch gewis­se Hips­ter-Errun­gen­schaf­ten in mei­nen All­tag ein­ge­schli­chen, fast neben­bei. Zum Bur­ger las­se ich bei­spiels­wei­se die heiß gelieb­te Cola des Öfte­ren zuguns­ten einer regio­nal pro­du­zier­ten Saft­schor­le im Kühl­schrank. So Din­ge eben.

Ich fürch­te, mehr hat die Hips­ter-Bewe­gung auch nicht anzu­bie­ten, abseits von Ästhe­tik und opti­scher Anglei­chung. Die stren­gen Schei­tel und die bis oben hin zuge­knöpf­ten Hem­den kom­men ohne Bot­schaft daher. Nun hängt das Fahr­rad eben an der Wohn­zim­mer­wand und steht nicht mehr im Kel­ler. Wenn das wirk­lich eine Sub­kul­tur sein will, fehlt die Ideo­lo­gie hin­ter der sich die Ange­hö­ri­gen ver­sam­meln kön­nen: Die Rebel­li­on, die Auf­leh­nung, eine gemein­sa­me Visi­on für eine bes­se­re Welt.

Neu­lich habe ich gele­sen, dass Hips­ter sich bewusst anders ver­hal­ten, um ihrer Kon­sum­kri­tik Aus­druck zu ver­lei­hen. Also bei­spiels­wei­se eine alte Schreib­ma­schi­ne statt Lap­top ver­wen­den oder gewis­se Gegen­stän­de gleich kom­plett sel­ber anfer­ti­gen. Das fand ich para­dox und daher auch arg lächer­lich. Die Sze­ne nährt sich doch gera­de über die so eng mit ihr ver­knüpf­ten Pro­duk­te: Die Fixies, das Bart­öl, die Süß­kar­tof­fel­pom­mes, die Hosen­trä­ger – eine end­lo­se Lis­te.

Doch so hart woll­te ich gar nicht mit den Mel­bourne-Hip­stern ins Gericht gehen. Im Prin­zip waren das All­tags­ge­dan­ken, die mir beim Fla­nie­ren über die Bruns­wick-Street in Fitz­roy durch den Kopf gin­gen.

Eins hat­te ich dabei ver­ges­sen: Es gibt einen Bereich, den „die Hips­ter“ mit Sicher­heit kom­plett auf­ge­wühlt haben, mit sehens­wer­ten Ergeb­nis­sen: die Gas­tro­no­mie. Die krea­ti­ven Food­trucks, die neue Zunei­gung zu regio­na­len Bio-Zuta­ten und letzt­lich der Gedan­ke, bekann­te Gerich­te modern zu inter­pre­tie­ren, sind doch ganz erfreu­li­che Ent­wick­lun­gen.

Man­che fin­den, dass es zu weit gehe mit dem gas­tro­no­mi­schen Ehr­geiz. Im Prenz­lau­er Berg hät­ten die Eis­die­len nicht mehr Scho­ko, Vanil­le und Erd­bee­re im Ange­bot, son­dern nur noch prä­ten­tiö­se Mischun­gen mit Ing­wer oder Ros­ma­rin (hier gibt’s eine Top-Ten Lis­te mit den skur­rils­ten Hips­ter-Eis­sor­ten). Dar­über darf man ger­ne schmun­zeln, man muss das hip­pe Geha­be auch nicht gut fin­den, trotz­dem wirkt so eine Aus­sa­ge auf mich schau­der­haft reak­tio­när. Den­je­ni­gen zu kri­ti­sie­ren, der pro­gres­siv denkt, der Bestehen­des hin­ter­fragt und ver­bes­sern möch­te, das kommt nie gut.

Und außer­dem: Wenn man die­ses gan­ze Geha­be eher als Trend sieht und weni­ger als ernst­haft moti­vier­te Sub­kul­tur, fängt es plötz­lich an Spaß zu machen. Allein schon, weil man in Fitz­roy wirk­lich ein paar Läden ent­de­cken kann, die es nicht auf jeder belie­bi­gen Ein­kaufs­mei­le der Welt gibt.

Ich schaue mir ein paar abge­dreh­te Kla­mot­ten­ge­schäf­te an, dre­he eine Run­de durch eine moder­ne Kunst­ga­le­rie und trin­ke im Café Uma­go den obli­ga­to­ri­schen Cor­ta­do. Der Blick geht durch die Schei­be nach drau­ßen: Die Leu­te wir­ken so freund­lich und offen. Dar­auf kommt es an, den­ke ich. Das muss ein­fach pas­sen, damit ich mich irgend­wo wohl füh­le und das tue ich in die­sem Moment. Das es inzwi­schen selbst vega­ne Schuh­ge­schäf­te gibt, ler­ne ich auch erst in Fitz­roy. Mein Fazit beim letz­ten Schluck: Ich wünsch­te, ich hät­te anstel­le der unsäg­li­chen Bier­knei­pen auch so ein Hips­ter-Café in mei­ner Nach­bar­schaft. Ich wäre sicher Stamm­gast.

Nicht mehr in Fitz­roy, son­dern in Hea­les­ville nahe Mel­bourne schlägt der Hipster­ra­dar noch­mal voll aus. Wir ste­hen zur Mit­tags­zeit in einer Schlan­ge vor einem rus­ti­ka­len Con­tai­ner­ge­bäu­de. Der Schrift­zug Four Pil­lars ist außen ange­schla­gen. Drin­nen destil­lie­ren sie nicht nur den begehr­ten Wachol­der­brannt­wein, sie schen­ken ihn auch aus. Die Tastings sind so ange­sagt, dass es lan­ge War­te­zei­ten gibt.

Im Saal ist es laut. Muss ja auch: Hier sit­zen aus­schließ­lich Men­schen, die schon Gin getrun­ken haben, man­che haben meh­re­re lee­re Glä­ser vor sich. Ein Hips­ter-Tem­pel mit all sei­nen Insi­gni­en: ein Bar­ten­der mit Schnurr­bart, Men­schen in Hoch­was­ser­ho­sen, an den Wän­den die unver­putz­ten Hei­zungs­roh­re. Die gesam­te Ein­rich­tung wirkt bewusst karg, ein nahe­zu lee­res Fabrik­ge­bäu­de mit deko­ra­ti­ven Ele­men­ten an den rich­ti­gen Stel­len.

Uns wer­den Holz­bret­ter gereicht, auf denen meh­re­re Glä­ser Gin in den run­den Aus­spa­run­gen ste­hen. In jedem Glas ist ein Zusatz, der den ange­streb­ten Cha­rak­ter der Sor­te her­vor­brin­gen soll: Ros­ma­rin, Oran­ge, Nel­ken. Ich lese die Beschrei­bung der ers­ten Sor­te:

„First, we took our base bota­ni­cals and upped the amount of Tas­ma­ni­an pep­per­ber­ry leaf and cin­na­mon. Then we added an exo­tic West Afri­can spi­ce cal­led Grains of Para­di­se. This is one of the most unu­su­al spi­ces in the world, with clove and sichu­an cha­rac­ters.“

Wow. Tas­ma­ni­an pep­per­ber­ry leaf. Grains of Para­di­se. Das schmeckt schon bevor ich über­haupt pro­biert habe. Die Beschrei­bung geht noch ein paar fruch­ti­ge Absät­ze so wei­ter. Als ich das Glas zum Mund füh­re, sind die Erwar­tun­gen hoch und ich längst so pro­gram­miert, dass mir jedes ein­zel­ne Para­dies­korn auf der Zun­ge zer­geht.

Mir wird klar: Wir pro­bie­ren zwar Gin, bekom­men aber vor allem eine Lehr­stun­de in Ver­mark­tung. Das gan­ze Kon­zept der Jungs von Four Pil­lars ist wie aus einem Guss. Von der Loca­ti­on im Indus­tri­al-Style, über das Design der Fla­schen, bis hin zum Aus­se­hen der Mit­ar­bei­ter. Das gan­ze Pro­dukt umweht ein Life­style-Fak­tor, den man sich wohl mit einem beherz­ten Schluck Gin gleich mit ein­zu­ver­lei­ben sucht.

Abschlie­ßen­der Gedan­ke zur Hips­ter-The­ma­tik: Es ist wohl vor allem ein funk­tio­nie­ren­des Geschäft zur Zeit. Eine deko­ra­ti­ve Büh­ne, auf der sich ein her­kömm­li­ches Pro­dukt zu einem Must-Have ver­wan­deln lässt.

Es wer­den der­zeit Optio­nen geprüft, den guten Gin auch nach Deutsch­land zu expor­tie­ren, erzählt man uns. Ob er daheim immer noch so gut schmeckt?

Dis­clai­mer: Ich wur­de auf die Rei­se nach Mel­bourne und Umge­bung von Qatar Air­ways und Visit Mel­bourne ein­ge­la­den. Vie­len Dank für die her­vor­ra­gend orga­ni­sier­te Tour!

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Antwort

  1. Avatar von A Neumann
    A Neumann

    Gin trin­ke ich auch ger­ne =))

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