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Streuner im Urlaubsparadies

Vie­len Rei­sen­den sind die süd­thai­län­di­schen Insel­ar­chi­pele bekannt – weiß strah­lende Sand­strände, tür­kis­far­bi­ges Was­ser und tro­pi­sche Tem­pe­ra­tu­ren. Doch so idyl­lisch es dort für Tou­ris­ten erschei­nen mag, herrscht in dem ver­meint­li­chen Para­dies gro­ßes Leid: Streu­nende Hunde und Kat­zen fris­ten vie­ler­orts ein trost­lo­ses und gefähr­li­ches Leben auf den Straßen. 

Die unkon­trol­lierte Ver­meh­rung von Streu­nern ist in Thai­land all­ge­mein ein gro­ßes Pro­blem. Nach offi­zi­el­len Infor­ma­tio­nen sind ihre Zah­len stark anstei­gend – von 350.000 Hun­den und Kat­zen im Jahr 2007 auf 860.000 zehn Jahre spä­ter. Maß­nah­men zur Kon­trolle der Über­po­pu­la­tion sind oft sehr grau­sam: So wer­den immer wie­der Tiere erschos­sen, ertränkt oder vergiftet.

Im Umfeld der Tem­pel gibt es in Thai­land eine Viel­zahl von Streu­nern, die dort aus­ge­setzt wur­den.
(© Gena Okami, Unsplash)

Die Situa­tion auf Inseln wie Koh Phi Phi oder Koh Lanta hat dabei einen beson­de­ren Hin­ter­grund. Bis zum dem ver­hee­ren­den Tsu­nami vor mehr als 15 Jah­ren gab es auf den mus­li­misch gepräg­ten Inseln kaum Hunde. Erst im Zuge des Wie­der­auf­baus kamen sie mit Arbei­tern auf die Insel, die die Tiere nach dem Ende ihrer Tätig­keit zurück­lie­ßen. Durch die bis dahin geringe Zahl von Hun­den auf den Stra­ßen gab es kaum Kon­kur­renz um Reviere und Nah­rung, zumal auch die zurück­keh­ren­den Tou­ris­ten mit­füt­ter­ten. So schnell­ten die Hun­d­e­po­pu­la­tio­nen inner­halb weni­ger Jahre nach oben. Von Sei­ten der Regie­rung gab es keine Gegen­maß­nah­men, wes­halb die lokale Bevöl­ke­rung die Situa­tion selbst lösen wollte. Dabei kam es zu grau­sa­men Vor­fäl­len, bei denen Angel­ha­ken in Ködern ver­steckt, Tiere mit hei­ßem Öl über­gos­sen oder mit Mes­ser­schnit­ten ver­letzt wurden. 

Tiergerechte Lösungen 

Um die Streu­ner­po­pu­la­tio­nen zu min­dern, ohne dabei aber auf solch bru­tale Metho­den zurück­grei­fen zu müs­sen, sind Tier­schutz­or­ga­ni­sa­tion wie Lanta Ani­mal Wel­fare (LAW) im Ein­satz. Mit der Mis­sion, das Lei­den der obdach­lo­sen, miss­han­del­ten und ver­letz­ten Tie­ren zu been­den, grün­dete die Part­ner­or­ga­ni­sa­tion der Welt­tier­schutz­ge­sell­schaft 2005 eine Ani­mal Wel­fare Kli­nik auf Koh Lanta. 

Koh Lanta bezeich­net eigent­lich eine Dop­pel­in­sel, Koh Lanta Yai und Koh Lanta Noi. Beide sind Teil des sehens­wer­ten Mu Koh Lanta Natio­nal­parks, zu dem ins­ge­samt über 50 klei­nere Inseln gehö­ren. Die Ani­mal Wel­fare Kli­nik auf Koh Lanta ist der ein­zige Vete­ri­när­dienst auf der Dop­pel­in­sel, der lebens­wich­tige Erste Hilfe für Haus­tiere und Streu­ner leis­tet. Kas­tra­tion und eine prä­ven­tive Gesund­heits­ver­sor­gung haben einen hohen Stel­len­wert in der Klinik. 

Blick auf die Tier­kli­nik auf Koh Lanta (© Welttierschutzgesellschaft)

Corona-Krise große Herausforderung

Wie viele Tiere in die Ani­mal Wel­fare Kli­nik auf­ge­nom­men wer­den kön­nen, ist maß­geb­lich von der Zahl der Frei­wil­li­gen abhän­gig, die viele der täg­li­chen Auf­ga­ben dort über­neh­men. Der­zeit muss ein Groß­teil der inter­na­tio­na­len Volon­täre auf­grund der Corona-Krise aller­dings Thai­land ver­las­sen. Bereits ange­mel­dete Frei­wil­lige stor­nie­ren ihre Ein­sätze. Dadurch ist bereits die Zahl der Tiere, die in die Kli­nik auf­ge­nom­men wer­den kann, redu­ziert wor­den. Für Tou­ris­ten, die die Kli­nik nor­ma­ler­weise bei einer Tour ken­nen­ler­nen kön­nen und mit ihren Spen­den einen wich­ti­gen Teil der lau­fen­den Kos­ten decken, ist ein Besuch der­zeit nicht möglich. 

Das Coro­na­vi­rus hat also auch für die Arbeit der Tier­kli­nik und die Streu­ner auf Koh Lanta mas­sive Aus­wir­kun­gen. Diese könn­ten sich sogar noch ver­schlim­mern, wenn die Ein­nah­men der loka­len Bevöl­ke­rung aus dem Tou­ris­mus zurück­ge­hen und die Tiere in der Folge ver­las­sen wer­den oder sich ihre Halter*innen keine medi­zi­ni­sche Ver­sor­gung mehr leis­ten kön­nen. Auch die kul­tu­rel­len Vor­be­halte gegen­über Hun­den könn­ten sich durch Fehl­in­for­ma­tio­nen über das Coro­na­vi­rus, wie sie online der­zeit bereits im Umlauf sind, noch ver­stär­ken und zu Gewalt gegen­über den Tie­ren führen.

Viele Tiere hät­ten ohne die Behand­lung in der Tier­kli­nik nicht über­lebt. So ver­mut­lich auch der im Bild zu sehende Hund Clif­ford, der mit einer Reihe von gesund­heit­li­chen Pro­ble­men die Kli­nik erreichte (dar­un­ter Räude, einer schwe­ren Wunde im Nacken und einer Infek­tion mit Blut­pa­ra­si­ten). Durch die Hilfe des Teams zeigte er jedoch erstaun­lich schnell Fort­schritte und ist heute in sta­bi­lem Gesund­heits­zu­stand. (© Welt­tier­schutz­ge­sell­schaft)

Hilfe auf benachbarten Inseln und dem Festland

Kas­tra­tio­nen sind das ent­schei­dende Mit­tel zur Popu­la­ti­ons­kon­trolle.
(© geckophoto.com)

Mit der Ani­mal Wel­fare Kli­nik ist vie­len Tie­ren auf Koh Lanta gehol­fen, wenn­gleich diese Arbeit durch die Corona-Krise der­zeit deut­lich ein­ge­schränkt ist. Doch auf den benach­bar­ten Inseln wie Koh Jum, Koh Lanta (Noi), Koh Pha­yam und Orten auf dem Fest­land wie Ao Nang, Ban Sai Tai, Pak Meng und Sikao sind unzäh­lige Hunde und Kat­zen dem­sel­ben Leid aus­ge­setzt. Damit auch sie die glei­che Ver­sor­gung erhal­ten kön­nen, hat die Welt­tier­schutz­ge­sell­schaft gemein­sam mit Lanta Ani­mal Wel­fare dort mobile Kli­ni­ken ins Leben geru­fen. Dabei rei­sen Mit­ar­bei­tende des Kli­nik­teams – aus­ge­bil­dete Tierärzt*innen und Hilfs­kräfte – regel­mä­ßig in die betrof­fe­nen Orte. Dort füh­ren sie mehr­tä­gige Kas­tra­ti­ons- und Impf­camps durch, bei wel­chen sie auch kranke und ver­letzte Tiere behan­deln. Nach der „Catch & Release“-Methode wer­den die Tiere ein­ge­fan­gen, medi­zi­nisch ver­sorgt, kas­triert, gegen Toll­wut und andere Krank­hei­ten geimpft, mit einer Art Täto­wie­rung am Ohr gekenn­zeich­net und danach wie­der frei­ge­las­sen. Nur Tiere, die zu stark ver­letzt und schwach sind, um in der freien Wild­bahn über­le­ben zu kön­nen, wer­den in die Kli­nik auf Koh Lanta auf­ge­nom­men. Seit Ein­füh­rung der mobi­len Kli­ni­ken konn­ten so bereits 2.450 Hunde und fast 7.000 Kat­zen kas­triert und zusätz­lich auch geimpft wer­den. Regel­mä­ßig erhal­ten vom Streu­ner­le­ben gezeich­nete Tiere außer­dem eine medi­zi­ni­sche Behand­lung, z.B. gegen Haut­krank­hei­ten, Biss­wun­den und Kno­chen­brü­che. Inwie­fern die mobi­len Kli­ni­ken im Zuge der Corona-Krise fort­ge­führt wer­den kön­nen, ist der­zeit noch unklar.

Beim Ein­fan­gen braucht es häu­fig viel Zeit, bis genug Zutrauen bei den Hun­den vor­han­den ist.
(© geckophoto.com)

Die loka­len Behör­den unter­stüt­zen die mobi­len Kli­ni­ken zuneh­mend und tra­gen durch eigene Wer­bung dazu bei, dass die Zahl der behan­del­ten Tiere steigt. So ist es auch in dem tou­ris­ti­schen Hot­spot Ao Nang in der Pro­vinz Krabi, wo seit 2017 mit Unter­stüt­zung der Welt­tier­schutz­ge­sell­schaft fast 350 Hunde und mehr als 1.000 Kat­zen kas­triert wer­den konn­ten. Dadurch ist es gelun­gen, alle loka­len Hunde, die in einer enge­ren Bezie­hung zu Men­schen ste­hen, das heißt keine Scheu vor ihnen zei­gen, zu kastrieren. 

Ziel des Pro­jekts: Die unkon­trol­lierte Ver­meh­rung der Streu­ner stop­pen, um den übri­gen Tie­ren so ein bes­se­res Leben zu ermög­li­chen. (© Lanta Ani­mal Welfare)

Dass sol­che Erfolge aller­dings fra­gil sind, zeigte sich im ver­gan­ge­nen Jahr, als der Fall eines 5‑jährigen Jun­gen aus Finn­land, der am Strand von Ao Nang von Hun­den gebis­sen wurde, für natio­nale Schlag­zei­len sorgte. Auf Ver­an­las­sung der Pro­vinz­re­gie­rung wur­den Streu­ner­hunde, die sich regel­mä­ßig im Bereich des Stran­des auf­hiel­ten, ein­ge­fan­gen und in diverse Tier­heime gebracht. Ein sol­ches Ver­hal­ten mag die Wut eines Teils der Bevöl­ke­rung, der den Hun­den kri­tisch gegen­über­steht, min­dern, ist jedoch aus fach­li­cher Sicht kon­tra­pro­duk­tiv. Denn wird auf einen Schlag eine große Zahl an Hun­den, von denen viele kas­triert sind, aus einem Gebiet ent­fernt, ist zu erwar­ten, dass das Ter­ri­to­rium schnell von neuen, haupt­säch­lich unkas­trier­ten Hun­den besetzt wird. Zumal es in Ao Nang zahl­rei­che ver­wil­derte „Dschun­gel-Hunde“ gibt, die haupt­säch­lich in den an den Strand gren­zen­den Wald­ge­bie­ten leben. Um die Fol­gen der poli­ti­schen Ent­schei­dung ein­zu­däm­men, wur­den diese Hunde bei der letz­ten mobi­len Kli­nik in Ao Nang beson­ders in den Fokus genommen. 

Trotz sol­cher Rück­schläge bele­gen sta­tis­ti­sche Daten, die an den Ein­satz­or­ten bei jeder mobi­len Kli­nik erho­ben wer­den, eine posi­tive Ent­wick­lung: Die Streu­ner­po­pu­la­tio­nen wach­sen nicht wei­ter an, zudem steigt der Anteil der bereits kas­trier­ten Tiere. Ange­sichts der Gesamt­ent­wick­lung der Streu­ner in Thai­land ist dies als gro­ßer Erfolg zu werten.

Einstellungen gegenüber Streunern verändern

Um die Erfolge des Pro­jekts dau­er­haft zu sichern, ist Bil­dungs­ar­beit ein wich­ti­ger Schlüs­sel. Diese beginnt bereits bei Schul­kin­dern ab fünf Jah­ren. Sie ler­nen wäh­rend eines „Tier­schutz-Unter­richts“ am Rande der mobi­len Kli­ni­ken, warum Tiere unsere Leben bes­ser machen, wel­che Bedürf­nisse sie haben, wie sie kom­mu­ni­zie­ren und wie Kin­der Hun­de­bisse ver­mei­den können. 

Bil­dungs­ar­beit nach dem Motto „Tier­schutz fängt beim Men­schen an“
(© Lanta Ani­mal Welfare)

The­men, die gegen­über Erwach­se­nen adres­siert wer­den, betref­fen kul­tu­relle Mythen, die tief ver­an­kert sind. Dazu zählt die Vor­stel­lung, dass kas­trierte Hunde weni­ger gut für den Wach­dienst geeig­net sind. Außer­dem ver­su­chen die Mitarbeiter*innen, den Zusam­men­hang zwi­schen nicht- fach­ge­rech­ter Müll­ent­sor­gung und der Ver­meh­rung von Streu­nern zu erläu­tern und auch in die­sem Bereich Ver­bes­se­run­gen zu erreichen.

Was sollten Urlauber beachten, sobald Reisen wieder ohne weiteres möglich sind? 

Die Bei­spiele zei­gen, dass die Kli­nik auf Koh Lanta sowie die von der Welt­tier­schutz­ge­sell­schaft ermög­lich­ten mobi­len Kli­ni­ken vie­len Tie­ren hel­fen kön­nen. Um Kon­flikte zwi­schen Tier und Mensch zu ver­hin­dern, sind Ein­hei­mi­sche wie Rei­sende aller­dings auch gefor­dert, bestimmte Regeln zu befol­gen. Denn vor allem Letz­tere haben oft­mals – wenn auch mit guten Absich­ten – einen fal­schen Umgang mit streu­nen­den Tie­ren. So ist vie­len Tou­ris­ten nicht klar, dass der Kon­takt zu Streu­nern so gering wie mög­lich gehal­ten wer­den sollte. Denn wird der Kon­takt geför­dert, indem ein Urlau­ber ein Tier z.B. regel­mä­ßig strei­chelt und füt­tert, gewöhnt sich das Tier an den Men­schen­kon­takt. Dies kann zur Folge haben, dass das Tier zukünf­tig auf weni­ger tier­lie­bende Men­schen zugeht, diese dann ver­är­gert und auf gefähr­li­che Weise ver­trie­ben wird. 

Mög­lichst wenig Kon­takt mit Streu­nern lau­tet die Devise für Rei­sende.
(© mba­lim­bali, Unsplash)

Außer­dem spricht noch ein wei­te­rer Grund gegen das Füt­tern streu­nen­der Hunde und Kat­zen: Wenn die streu­nen­den Tiere zusätz­lich zu den Fut­ter- und Was­ser­quel­len auf der Straße Fut­ter von Rei­sen­den erhal­ten, sorgt dies für eine erhöhte Ener­gie­auf­nahme, was wie­derum zu einer ver­mehr­ten Fort­pflan­zung der Tiere füh­ren kann. Die dar­aus resul­tie­rende Ver­grö­ße­rung der Streu­ner­po­pu­la­tion kann das Tier­leid dann sogar noch ver­grö­ßern. Wenn Rei­sende jedoch auf ein ver­letz­tes oder kran­kes Tier sto­ßen, soll­ten sie sich nicht scheuen, die­sem zu hel­fen. In die­sem Fall ist es rat­sam, zunächst in der Umge­bung her­aus­zu­fin­den, ob das Tier im Besitz einer Per­son hat. Falls es sich um ein streu­nen­des Tier han­delt oder kein Besit­zer aus­fin­dig gemacht wer­den kann, sollte man einen ört­li­chen Tier­schutz­ver­ein kontaktieren. 

Wei­tere Infos zum rich­ti­gen Umgang mit Streu­nern gibt es hier zum Nachlesen.

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Christoph May

Christoph May ist bei der Welttierschutzgesellschaft (WTG), einem gemeinnützigen Verein aus Berlin, dafür zuständig, deren internationale Tierschutzarbeit der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Über das Logo des Reisedepeschen-Verlags, das ein Schuppentier zeigt, besteht eine besondere Verbindung zur Welttierschutzgesellschaft. Denn der Schutz der stark bedrohten Schuppentiere in Vietnam ist eine Aufgabe, der sich der Verein seit Jahren intensiv widmet. Es ist eines von knapp 20 Projekten, mit denen die WTG in Entwicklungs- und Schwellenländern für bessere Lebensbedingungen von Streuner-, Wild- und Nutztieren sorgt. Dafür arbeitet der Verein mit lokalen Partnerorganisationen zusammen, die der WTG jede Woche in Text, Bild und Video von ihrer Arbeit berichten. Wer dieses Material wie der Autor fortlaufend sichtet und dabei nach spannenden Geschichten sucht, erlebt quasi jede Woche eine virtuelle Reise um die Welt.

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