Strandlos, ausgeraubt, zerstochen – Nicaraguas Little Corn Island

Litt­le Corn Island wird hoch gehan­delt als Back­pa­cker-Para­dies und Traum für Aus­wan­de­rer. Eine win­zi­ge Insel im Kari­bi­schen Meer, 80 Kilo­me­ter vor Nica­ra­gu­as Ost­küs­te, die sich in gut einer Stun­de zu Fuß umrun­den lässt. Autos und Stra­ßen gibt es nicht. Außer Pal­men, Koks­nüs­sen und ein paar Bars, wo man sich bei Bil­der­buch­son­nen­un­ter­gän­gen mit exo­ti­schen Cock­tails voll­lau­fen las­sen kann, gibt es über­haupt nicht viel. Hört sich wie das Para­dies an? Viel­leicht, doch ein Para­dies mit arg vie­len Schön­heits­feh­lern, die sich dem zei­gen, der die Anfahrt per Holz­böt­chen über­lebt.

Über­fahrt im Flücht­lings­stil

Oft­mals hal­te ich Beschrei­bun­gen in Rei­se­füh­rern für über­trie­ben oder nicht mehr aktu­ell. So auch die War­nung, dass die Über­fahrt per Pan­ga, einem klei­nen Fischer­boot, von Big Corn Island, wo man mit dem Flie­ger aus Mana­gua lan­det, nach Litt­le Corn arg rau, nass und echt lebens­ge­fähr­lich sei. Als ich am Ufer ste­he, um mich her­um etwa 40 Rei­sen­de mit rie­si­gen Ruck­sä­cken und vor uns ein ein­zi­ges Motor­boot für schät­zungs­wei­se zehn Pas­sa­gie­re, brö­ckelt mei­ne Zuver­sicht. Wir tra­gen uns auf einer Lis­te ein, und wäh­rend das Boot start­klar gemacht wird, gesel­len sich immer mehr Aben­teu­er­lus­ti­ge dazu.

Schon winkt uns einer der Boots­män­ner zu sei­nem Pan­ga, es wird gedrän­gelt, jeder will schnellst­mög­lich ins Para­dies. Nach dem Prin­zip „einer geht noch, einer geht noch rein“ wer­den auch alle, die es nicht mehr auf die Lis­te geschafft haben, durch­ge­wun­ken. Heads are money. Die Letz­ten sit­zen auf dem Bug. Aber immer­hin gibt es Ret­tungs­wes­ten. Schon springt der Motor an, wir schie­ßen aufs offe­ne Meer. An die­sem Mor­gen ist das Was­ser vom Wind auf­ge­wühlt. Das Boot hüpft in die Höhe, um auf die nächs­te Wel­le wie­der auf­zu­knal­len. Die Wel­len schla­gen über uns zusam­men, und wer vor­ne sitzt fliegt noch dazu bei jedem Zusam­men­prall von Was­ser und Holz hoch. Schon nach einer Minu­te hat es das Mee­res­was­ser bis in mei­ne Unter­ho­se geschafft. Schreie mischen sich unter das Jau­len des Motors und das Lachen des Boots­füh­rers.

Obwohl die Über­fahrt nur 30 bis 45 Minu­ten dau­ern soll und kei­ne 20 Kilo­me­ter die bei­den Inseln von­ein­an­der tren­nen, dau­ert der Trip gefühl­te Stun­den. Ich hal­te den Kopf gesenkt, sehe vor lau­ter Salz­was­ser in den Augen nichts mehr und irgend­je­mand neben mir würgt. Erst­mals erle­be ich am eige­nen Kör­per, wie es sich anfüh­len muss, als Flücht­ling in einem Kahn auf dem Mit­tel­meer zu schip­pern, den Tod im Nacken. Und der riss 2016 sogar 16 Tou­ris­ten aus Cos­ta Rica vor Litt­le Corn Island mit sich, als ein Pan­ga umkipp­te. Bei Wet­ter wie heu­te.

Eine Insel ohne Strän­de

Unser Boot schafft es. Es ist still, als wir anle­gen, vie­le wrin­gen das Meer aus ihren Kla­mot­ten und schüt­ten es aus Schu­hen und Taschen. Zum Glück ist das schlich­te Hotel, das ich gebucht habe, nur weni­ge Meter vom Anle­ger ent­fernt. Sämt­li­che Sachen in mei­nem Ruck­sack füh­len sich an, als hät­te ich sie soeben aus der Wasch­ma­schi­ne gezo­gen. Nur, dass sie nicht ganz so gut rie­chen. Ich ent­schei­de, die Über­fahrt hin­ter mir zu las­sen und freue mich wie ein Kind vor Weih­nach­ten auf die Insel­er­kun­dung. End­lich bin ich für gan­ze drei Tage im auto­frei­en Para­dies, kann aus­span­nen, mich son­nen, baden und nur an die Außen­welt den­ken, wenn das WiFi spo­ra­disch funk­tio­nie­ren soll­te.

Am ein­zi­gen Obst­stand am Ort decke ich mich mit ein paar Pas­si­ons­früch­ten und Bana­nen ein. Der Haupt­ort besteht aus einem Stein­weg, an dem zahl­rei­che Bars und Restau­rants lie­gen sowie ein paar klei­ne, bun­te Häu­ser der Ein­hei­mi­schen. An man­chen hängt Wäsche auf der Lei­ne, ein paar Insel­be­woh­ner sind zu Fuß oder mit Fahr­rä­dern unter­wegs. Hier leben auch noch eini­ge Mis­ki­tos, eine indi­ge­ne Min­der­heit, die es fast nur noch an der Ost­küs­te Nica­ra­gu­as gibt. Ich lau­fe bis zu einem Fried­hof, wo es sich ein paar Hüh­ner auf Stein­grä­bern gemüt­lich machen. Mehr gibt es nicht.

Die schöns­ten Strän­de sol­len an der Ost­sei­te lie­gen, also schla­ge ich mich in den dich­ten Dschun­gel, durch den ein Schlamm­weg führt. Die bun­ten Häu­ser wer­den immer sel­te­ner. Irgend­wann spu­cken mich die Pal­men aus, ich ste­he am Meer. Lau­fe vor­bei an einer Men­ge hübsch bemal­ter Tou­ris­ten­bun­ga­lows, die zur Haupt­sai­son außer­halb der Regen­zeit wahr­schein­lich boo­men. Jetzt ste­hen sie mit geschlos­se­nen Türen vor einem Meer, dem noch etwas Son­ne für die kari­bi­schen Tür­kis­tö­ne fehlt. Die gelb­li­chen Sand­strän­de sind win­zig, ich lau­fe wei­ter. Da muss es doch noch etwas Bes­se­res geben!

An der nächs­ten Bun­ga­low-Rei­he wer­kelt ein Ein­hei­mi­scher am Dach. Ich fra­ge ihn, wann denn end­lich mal eine ver­nünf­ti­ge Playa kom­me. So rich­tig zum Hin­le­gen. Er sieht mich an, als erwar­te ich einen Star­bucks auf Litt­le Corn. „Wir haben fast kei­ne Strän­de mehr, die sind mit der Zeit alle weg­ge­spült wor­den!“ Im glei­chen Atem­zug deu­tet er auf eine Plas­tik­platt­form, die kurz vor der Küs­te auf dem Was­ser treibt. „Dort kannst du dich hin­le­gen, aber pass auf dei­ne Sachen auf. Es gibt hier vie­le Kin­der, die war­ten nur dar­auf, dass die Tou­ris­ten nicht hin­schau­en und beklau­en sie.“ Mein Herz sinkt in mei­ne Biki­ni­ho­se. Erst die Über­fahrt, und jetzt das! So habe ich mir das mit dem Para­dies aber nicht vor­ge­stellt. Trotz­dem schwim­me ich raus zur Platt­form, ein Auge immer auf mei­ner Tasche in Sand. Kaum habe ich mich hin­ge­legt, erspä­he ich drei Jungs, die sich zügig mei­nen Sachen nähern. In Welt­re­kord­zeit bin ich wie­der am Strand, Sekun­den, bevor die Drei mei­ne Tasche errei­chen. Ent­täuscht dre­hen sie ab, wer­den von den Pal­men wie­der ver­schluckt.

Kurz vor Son­nen­un­ter­gang möch­te ich mir noch etwas gön­nen – einen Aus­blick vom soge­nann­ten „Light­ho­se“. Ich stel­le mir einen schmu­cken Leucht­turm vor, von des­sen Platt­form sich ein tol­ler Weit­blick eröff­net. Umso grö­ßer ist das Erstau­nen, als ich vor einem Metall­ge­stell ste­he, zu des­sen Spit­ze eine wag­hal­si­ge Lei­ter führt. Ver­trau­ens­er­we­ckend sieht sie nicht aus, doch nach­dem ich bereits die Über­fahrt von Big Corn über­lebt und es geschafft habe, nicht gleich aus­ge­raubt zu wer­den, for­de­re ich mein Schick­sal ein drit­tes Mal her­aus. Gemein­sam mit dem Fran­zo­sen Sul­li­van, der mit sei­nem Bru­der eini­ge Bun­ga­lows neben dem „Leucht­turm“ eröff­net hat, klet­te­re ich bis nach oben. Und begrei­fe, dass die Insel prak­tisch nur aus Pal­men, Bäu­men und ande­rem Grün­zeug besteht. „Der ein­zi­ge noch halb­wegs schö­ne Strand ist Otto Beach oben im Nor­den“, gibt mir Sul­li­van einen Tipp. Ich fra­ge ihn, wie er es hier bereits seit vier Jah­ren aus­hal­te, er lächelt. „Es ist schön, ein­fach nichts tun zu dür­fen.“

Ich den­ke über sei­ne Wor­te nach, als ich wenig spä­ter die Son­ne in Pink und Oran­ge hin­ter schwar­zen Wol­ken im Meer ver­sin­ken sehe. Nichts­tun schön und gut, aber einen ein­zi­gen ver­nünf­ti­gen Strand wün­sche ich mir dazu schon.

Die Hoff­nung stirbt zuletzt

Am nächs­ten Mor­gen wache ich um Punkt sie­ben auf, als der Ven­ti­la­tor aus­geht und ich in mei­nem Saft zu schmo­ren begin­ne. Zwi­schen sie­ben und acht­zehn Uhr wird die Elek­tri­zi­tät auf Litt­le Corn abge­stellt. Kein Licht, kein WiFi. Mir soll’s egal sein. Die Son­ne lacht in mein Zim­mer, sämt­li­che Wol­ken vom Vor­tag sind weg. Auch die in mei­nem Kopf. Neu­er Tag, neu­es Glück – die Hoff­nung, dass die Insel auch mir zum Para­dies wird, erwacht wie­der. Mit nur einer Plas­tik­tü­te – die ja nun wirk­lich kei­nen Dieb anlo­cken soll­te – mit wenig Geld, viel Pro­vi­ant, einem dicken Buch, Kame­ra und Han­dy (zum Foto­gra­fie­ren) mache ich mich fro­hen Mutes auf den Weg. Die­ser ist noch mat­schi­ger als der am Vor­tag, und mit mei­nen Flip­flops schlit­te­re ich durch den Schlamm, doch was tut man nicht alles, um zum ein­zi­gen Traum­strand der Insel zu gelan­gen? Ich über­que­re ein Base­ball-Feld, auf dem eini­ge Kühe gra­sen.

Am ein­zi­gen Luxus­ho­tel der Insel vor­bei geht es nach links zur Beach. Auch die­se besteht nur noch aus einem schma­len Strei­fen. Kokos­nüs­se und alles, was das Meer so anspült, liegt her­um. Ein klei­ner Kiosk aus Pal­men­blät­tern steht hin­ter den Pal­men, dahin­ter führt ein grü­ner Hügel steil nach oben. Außer mir ist kein Mensch dort. Ich muss immer wie­der an Tom Hanks und „The Beach“ den­ken, nur, dass ich mich freue, mal mit nie­man­dem spre­chen zu müs­sen.

Die Son­ne malt das Was­ser lang­sam in sat­tem Tür­kis und Blau aus. Immer wie­der zieht es mich zwi­schen den Kri­mi­sei­ten ins mil­de Nass, das ich den gan­zen Tag über nur mit eini­gen weni­gen Tou­ris­ten tei­len muss. Hal­te ich anfangs noch ein waches Auge auf mei­ne Plas­tik­tü­te, wer­de ich mit der Zeit siche­rer, dass Otto Beach wirk­lich okay ist. Zu weit weg für die die­bi­schen Kin­der, zu para­die­sisch, dass über­haupt etwas Böses pas­sie­ren könn­te. Ich schlie­ße mei­nen Frie­den mit Litt­le Corn Island.

Schwe­ren Her­zens ent­schei­de ich mich am spä­ten Nach­mit­tag für den Auf­bruch. Doch ein letz­tes Bad muss sein. Nur fünf Minu­ten. Ich tau­che unter, dre­he im Was­ser Pirou­et­ten, bin erfüllt von der Son­ne und dem Meer. Von Glück. Total ent­spannt keh­re ich zum Hand­tuch zurück. Und der Schock wür­de mich glatt aus den Socken hau­en, hät­te ich wel­che an: Mei­ne Plas­tik­tü­te ist weg. Panisch schaue ich mich um. Weit und breit kein Mensch. Ich den­ke an mein Han­dy, an mei­ne Kame­ra. Die Panik legt sich wie eine Schlin­ge um mei­nen Hals.

In dem Moment sehe ich etwas Wei­ßes zwi­schen den Pal­men­blät­tern des klei­nen Kiosks auf­blit­zen. Ich stür­ze hin. Dort liegt mei­ne Tüte, dane­ben mei­ne Kame­ra im Sand. Und mein Han­dy. Das Porte­mon­naie ist geöff­net, die weni­gen Geld­schei­ne, die drin waren, sind weg. Nicht nur ein Stein, son­dern ein gan­zer Vul­kan fällt mir vom Her­zen. Nie war ich einem Dieb dank­ba­rer. Doch wie­so hat er nicht das Wert­volls­te, mei­ne Elek­tro­ge­rä­te, mit­ge­hen las­sen? Wie ich spä­ter erfah­re, aus einem ein­fa­chen Grund: Selbst die gewief­tes­ten Die­be auf Litt­le Corn hat­ten Pro­ble­me, Objek­te wie Han­dys und Kame­ras wei­ter­zu­ver­kau­fen, seit weni­gen Mona­ten haben sie dar­an kein Inter­es­se mehr. Nur Bares wird noch genom­men.

Den Schock noch immer in den Glie­dern, schla­ge ich mich durch den Schlamm zurück zu mei­ner Unter­kunft. Zumin­dest kann ich mich dort sicher füh­len. Glau­be ich und ste­cke den Schlüs­sel ins Mini­schloss an mei­nem Ruck­sack. Es klemmt. Ich den­ke mir nichts dabei, immer­hin war es bil­lig. Zum Glück habe ich noch genug Bar­geld im Hotel, denn auf der Insel gibt es kei­nen ein­zi­gen Geld­au­to­ma­ten. Ich schaue in mein Reser­ve­porte­mon­naie. War das nicht am Vor­tag dicker? Die­sel­be Panik vom Strand packt mich erneut. Etwa 40 Dol­lar feh­len.

Noch immer will ich mich nicht unter­krie­gen las­sen. Eine küh­le Dusche wird Abhil­fe ver­schaf­fen. Duschen spü­len mir immer den Kopf frei, waschen den Schlamm ab und mit ihm die schlimms­ten Gedan­ken. Etwas beru­hig­ter grei­fe ich zum Hand­tuch, trock­ne mich ab. Als es plötz­lich anfängt, am gesam­ten Kör­per zu jucken. Das kann doch nicht wahr sein! Ich sehe kei­ne ein­zi­ge Mücke, und je wei­ter ich mich abrei­be, des­to schlim­mer juckt es. Da sehe ich das Übel: Im Frot­tee des Hand­tuchs krab­beln Mil­lio­nen von win­zi­gen Amei­sen. Und die ande­re Mil­li­on auf mei­nem Kör­per. Es ist mir egal, dass man mei­ne Flü­che wahr­schein­lich bis aufs nica­ra­gua­ni­sche Fest­land hört, als ich ein zwei­tes Mal unter die Dusche sprin­ge. Nein, mit mir und Litt­le Corn Island, das wird nichts mehr.

Und dann fal­len die Schüs­se

Es pas­siert mir sel­ten, dass ich an einem Ort die Tage oder gar Stun­den zäh­le, bis ich wie­der weg darf, doch auf Litt­le Corn wache ich am nächs­ten Mor­gen mit genau die­sem Gedan­ken auf. Und das auf einer so schö­nen Insel. Bin ich nicht unfair, jam­me­re auf hohem Niveau? Wahr­schein­lich. Schlecht­ge­launt sit­ze ich in einer der Beach­bars am Früh­stücks­tisch. Ein Mann mit Pira­ten­tuch um den Kopf grinst mich vom ande­ren Tisch an, wünscht mir einen guten Mor­gen. Was an die­sem Mor­gen gut sein soll, weiß ich nicht. Sämt­li­che Pus­teln an mei­nem Kör­per jucken, und um den letz­ten Tag noch über die Büh­ne zu brin­gen, habe ich mich mit drei Kana­die­rin­nen, die schon zum Früh­stück Rum & Coke trin­ken, zum Schnor­cheln ver­ab­re­det. Und doch erlau­be ich dem Pira­ten­mann, sich zu mir zu set­zen. Er stellt sich als Dani­el vor, ist Ame­ri­ka­ner. Und Psy­cho­lo­ge. Auch das noch!

Am Nach­mit­tag fah­ren wir zum Schnor­cheln raus. Die Kana­die­rin­nen sind noch immer betrun­ken oder ver­ka­tert, eine kotzt ins tür­ki­se Was­ser. Drau­ßen auf dem Meer wer­den wir zum Schnor­cheln ins Was­ser geschmis­sen, bei so hohen Wel­len, dass ich sofort sin­ke wie eine mit Stei­nen beschwer­te Lei­che. Erst, als wir auch Ret­tungs­gür­tel um die Hüf­ten krie­gen, lässt sich über­haupt von Schnor­cheln spre­chen. Zu sehen gibt es nicht viel, da die Wel­len den Sand auf­wir­beln.

Nach die­sen Tagen wächst auch mein Ver­lan­gen, mich ein­fach mal voll­lau­fen zu las­sen. Das tut man am bes­ten im Tran­qui­lo Café, dem Abhän­ge-Spot aller Aus­stei­ger und Tou­ris­ten auf Litt­le Corn. Nach einem Hum­mer-Din­ner bei Rosi­ta im Lan­des­in­ne­ren. Man gönnt sich ja sonst nichts, und für einen Hum­mer reicht mein noch nicht geklau­tes Geld gera­de noch. Im Tran­qui­lo fin­det an die­sem Abend ein Tri­via Quiz statt, die gan­ze Insel ver­sam­melt sich dort. Die Kana­die­rin­nen, ich und eini­ge ande­re bil­den eine fixe Grup­pe, und bei ordent­lich Rum & Coke steigt auch mei­ne Lau­ne lang­sam an.

Gegen 23 Uhr wird das Licht abge­schal­tet – Zeit zu gehen. Die After hours auf Litt­le Corn ver­brin­gen Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche glei­cher­ma­ßen in der Agui­la Reg­gae Bar. Ohne Kame­ra, Han­dy und mit wenig Geld in der Hosen­ta­sche geht es los, in der Hoff­nung, dass die Hotel­die­be bereits Heia machen. Die Agui­la Bar ist der per­fek­te Ort für alle ein­hei­mi­schen Jungs und Män­ner, sich an betrun­ke­ne Tou­ris­tin­nen her­an­zu­ma­chen. Ich hal­te mir ein paar erfolg­reich vom Leib, man­che Kana­die­rin mit weni­ger Erfolg. Doch ich bin dank­bar, die nicht ganz so para­die­si­schen Erfah­run­gen der letz­ten Tage an mei­nem letz­ten Abend abzu­tan­zen. Für die weg­ge­spül­ten Strän­de kann die Insel nichts, und für die Kri­mi­na­li­tät haben nicht zuletzt Tou­ris­ten wie ich gesorgt, des­sen bin ich mir bewusst. Wie­der ein­mal schlie­ße ich mei­nen Frie­den mit Litt­le Corn. Da durch­reißt ein Schrei die Musik, gefolgt von einem Knall, als eine Bier­fla­sche an der Wand zer­schellt. Ein gro­ßer Mann schnappt sich ein paar Glas­scher­ben, geht damit auf einen zwei­ten los. Ande­re gehen zwi­schen die blut­über­ström­ten Rauf­bol­de, wir Aus­län­der ver­drü­cken uns durch den Not­aus­gang. Kaum sind wir drau­ßen, fal­len in der Dis­ko Schüs­se.

Big Corn – weil am Ende eben doch alles gut wird

Um halb sechs Uhr mor­gens ste­he ich am Boots­an­le­ger. Ein Schiff hat am Vor­tag Pal­men und ande­re Pflan­zen gebracht, die noch immer in einer wohl mehr­tä­gi­gen Akti­on auf ver­schie­de­ne Boo­te ver­la­den wer­den.

Ich fra­ge mich gera­de, ob wir uns die­ses Mal auch mit dem Grün­zeug ein Pan­ga tei­len dür­fen, als ein pal­men­frei­es Boot her­an­braust. Die Über­fahrt ähnelt der vom Hin­weg, nur, dass ich die­ses Mal wei­ter vor­ne sit­ze. Das bedeu­tet, ich knal­le bei jedem Luft­sprung här­ter auf den Hin­tern, wer­de dafür aber weni­ger nass.

Bevor ich über­haupt auf die Corn Islands flog, las und hör­te ich über­all, dass Big Corn kei­nen Besuch wert sei. Vol­ler Autos, Ort­schaf­ten, mit zu vie­len Men­schen – nichts zu sehen. Vor lau­ter Ver­zweif­lung, um nicht noch eine Nacht auf Litt­le Corn ver­brin­gen zu müs­sen, habe ich nun auf Big Corn eine letz­te Nacht gebucht, bevor mein Flie­ger am fol­gen­den Nach­mit­tag zurück nach Mana­gua geht. Ich lege kei­nen Wert auf Luxus, aber nach der Litt­le Corn-Erfah­rung gön­ne ich mir für eine Nacht das bes­te Hotel am Ort, Casa Cana­da, mit klei­nem Infi­ni­ty Pool und amei­sen­frei­en Hand­tü­chern. Ein Traum. Ein Taxi bringt mich vom Boot hin, des­sen Radio ‚Feliz Navi­dad‘ spielt, wäh­rend wir an Pal­men ent­lang­fah­ren und der Wind Tro­pen­luft ins Inne­re des Wagens bläst.

Am Pool ler­ne ich die Luxem­bur­ge­rin­nen Nina und Nadia ken­nen, ver­ab­re­de mich mit ihnen zum Hum­mer­es­sen am Abend. Und spa­zie­re über die Insel, die zwar Autos hat, aber dafür auch lan­ge Strän­de, jede Men­ge schmu­cke Häu­ser, lächeln­de Men­schen und einen Bäcker­la­den. Dort gibt es die bes­ten Coco­nut Balls, die ich je pro­biert habe und eine fri­sche Limo­na­de. Spä­ter hal­te ich ein Taxi an. Dass der Fah­rer erst noch eini­ge Milch­kan­nen ablie­fern muss, eine Frau nach Hau­se fah­ren und mit ein paar Schön­hei­ten am Stra­ßen­land flir­ten, stört mich nicht. Haupt­sa­che, hier klaut und sticht nie­mand.

Kaum hän­ge ich in einer der Hän­ge­mat­ten zwi­schen Pal­men und mit Ers­ter-Rei­he-Meer­blick, ertönt eine von irgend­wo bekann­te Stim­me hin­ter mir. Ohne Pira­ten­tuch erken­ne ich ihn kaum – Dani­el, den Psy­cho­lo­gen von Litt­le Corn. Auch er gönnt sich eine letz­te Nacht auf der gro­ßen Insel. Nun gut, mitt­ler­wei­le bin ich sta­bil genug, um auch mit einem See­len­klemp­ner wie­der sorg­los spre­chen zu kön­nen. Ich lade ihn ein, mit Nina, Nadia und mir zu Abend zu essen. Es geht zu Vic­to­ria, einer Ein­hei­mi­schen, die auf ihrer Ter­ras­se die köst­lichs­ten Hum­mer­re­zep­te ser­viert. Hum­mer mit Knob­lauch ist ihre Spe­zia­li­tät, und wir plau­dern stun­den­lang, bis auch das letz­te Stück­chen Fleisch aus den har­ten Scha­len gepult ist.

Danach sit­zen wir am Pool, reden über das Rei­sen und das Leben. Die für mich immer zusam­men­ge­hö­ren wer­den, auch nach Erfah­run­gen wie auf Litt­le Corn. Über die ich gemein­sam mit mei­nen neu­en Freun­den schon lachen kann. Lan­ge schaue ich in den Him­mel, suche ihn nach Stern­schnup­pen ab. Doch es fällt kei­ne. Und das ist in Ord­nung – in die­sem Moment wüss­te ich gar nicht, was ich mir wün­schen soll­te. Denn wie schon Oscar Wild sag­te, und wie ich nie müde wer­de zu wie­der­ho­len: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nichts das Ende.“


Antworten

  1. Avatar von Lulugraphie

    Das hat gro­ße Freu­de gemacht zu lesen. <3

    1. Avatar von Bernadette

      Dan­ke dir 🙂

  2. Avatar von Yvonne

    Das ist so wun­der­schön beschrie­ben 🙂 Herr­li­che Bil­der!

    1. Avatar von Bernadette

      Vie­len Dank, lie­be Yvonne 🙂

  3. Avatar von Magda Lehnert

    Sehr, sehr span­nen­der Arti­kel, vie­len Dank! Vor allem des­halb, weil er ein so wich­ti­ges The­ma anspricht: Wel­che Ver­ant­wor­tung haben wir als Rei­se-Jour­na­lis­ten und ‑Blog­ger? Und ist der klas­si­sche, gedruck­te Rei­se­füh­rer nicht eigent­lich völ­lig über­holt, weil er oft­mals ver­al­te­te Infor­ma­tio­nen bie­tet, zu wenig Bild­ma­te­ri­al und stel­len­wei­se auch wenig Ein­sicht dar­in, woher die Infor­ma­tio­nen eigent­lich kom­men? Ich fin­de das eine span­nen­de Dis­kus­si­on, in der Blog­ger & Ver­la­ge sicher viel von­ein­an­der ler­nen könn­ten…

    1. Avatar von Bernadette

      Dan­ke, Mag­da. Und du hast recht, dass ist sicher eine ganz span­nen­de Dis­kus­si­on 🙂

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