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Strand­los, aus­ge­raubt, zer­sto­chen – Nica­ra­guas Little Corn Island

Little Corn Island wird hoch gehan­delt als Back­pa­cker-Para­dies und Traum für Aus­wan­de­rer. Eine win­zige Insel im Kari­bi­schen Meer, 80 Kilo­me­ter vor Nica­ra­guas Ost­küste, die sich in gut einer Stunde zu Fuß umrun­den lässt. Autos und Stra­ßen gibt es nicht. Außer Pal­men, Koks­nüs­sen und ein paar Bars, wo man sich bei Bil­der­buch­son­nen­un­ter­gän­gen mit exo­ti­schen Cock­tails voll­lau­fen las­sen kann, gibt es über­haupt nicht viel. Hört sich wie das Para­dies an? Viel­leicht, doch ein Para­dies mit arg vie­len Schön­heits­feh­lern, die sich dem zei­gen, der die Anfahrt per Holz­böt­chen überlebt.

Über­fahrt im Flüchtlingsstil 

Oft­mals halte ich Beschrei­bun­gen in Rei­se­füh­rern für über­trie­ben oder nicht mehr aktu­ell. So auch die War­nung, dass die Über­fahrt per Panga, einem klei­nen Fischer­boot, von Big Corn Island, wo man mit dem Flie­ger aus Mana­gua lan­det, nach Little Corn arg rau, nass und echt lebens­ge­fähr­lich sei. Als ich am Ufer stehe, um mich herum etwa 40 Rei­sende mit rie­si­gen Ruck­sä­cken und vor uns ein ein­zi­ges Motor­boot für schät­zungs­weise zehn Pas­sa­giere, brö­ckelt meine Zuver­sicht. Wir tra­gen uns auf einer Liste ein, und wäh­rend das Boot start­klar gemacht wird, gesel­len sich immer mehr Aben­teu­er­lus­tige dazu.

Schon winkt uns einer der Boots­män­ner zu sei­nem Panga, es wird gedrän­gelt, jeder will schnellst­mög­lich ins Para­dies. Nach dem Prin­zip „einer geht noch, einer geht noch rein“ wer­den auch alle, die es nicht mehr auf die Liste geschafft haben, durch­ge­wun­ken. Heads are money. Die Letz­ten sit­zen auf dem Bug. Aber immer­hin gibt es Ret­tungs­wes­ten. Schon springt der Motor an, wir schie­ßen aufs offene Meer. An die­sem Mor­gen ist das Was­ser vom Wind auf­ge­wühlt. Das Boot hüpft in die Höhe, um auf die nächste Welle wie­der auf­zu­knal­len. Die Wel­len schla­gen über uns zusam­men, und wer vorne sitzt fliegt noch dazu bei jedem Zusam­men­prall von Was­ser und Holz hoch. Schon nach einer Minute hat es das Mee­res­was­ser bis in meine Unter­hose geschafft. Schreie mischen sich unter das Jau­len des Motors und das Lachen des Bootsführers.

Obwohl die Über­fahrt nur 30 bis 45 Minu­ten dau­ern soll und keine 20 Kilo­me­ter die bei­den Inseln von­ein­an­der tren­nen, dau­ert der Trip gefühlte Stun­den. Ich halte den Kopf gesenkt, sehe vor lau­ter Salz­was­ser in den Augen nichts mehr und irgend­je­mand neben mir würgt. Erst­mals erlebe ich am eige­nen Kör­per, wie es sich anfüh­len muss, als Flücht­ling in einem Kahn auf dem Mit­tel­meer zu schip­pern, den Tod im Nacken. Und der riss 2016 sogar 16 Tou­ris­ten aus Costa Rica vor Little Corn Island mit sich, als ein Panga umkippte. Bei Wet­ter wie heute.

Eine Insel ohne Strände

Unser Boot schafft es. Es ist still, als wir anle­gen, viele wrin­gen das Meer aus ihren Kla­mot­ten und schüt­ten es aus Schu­hen und Taschen. Zum Glück ist das schlichte Hotel, das ich gebucht habe, nur wenige Meter vom Anle­ger ent­fernt. Sämt­li­che Sachen in mei­nem Ruck­sack füh­len sich an, als hätte ich sie soeben aus der Wasch­ma­schine gezo­gen. Nur, dass sie nicht ganz so gut rie­chen. Ich ent­scheide, die Über­fahrt hin­ter mir zu las­sen und freue mich wie ein Kind vor Weih­nach­ten auf die Insel­er­kun­dung. End­lich bin ich für ganze drei Tage im auto­freien Para­dies, kann aus­span­nen, mich son­nen, baden und nur an die Außen­welt den­ken, wenn das WiFi spo­ra­disch funk­tio­nie­ren sollte.

Am ein­zi­gen Obst­stand am Ort decke ich mich mit ein paar Pas­si­ons­früch­ten und Bana­nen ein. Der Haupt­ort besteht aus einem Stein­weg, an dem zahl­rei­che Bars und Restau­rants lie­gen sowie ein paar kleine, bunte Häu­ser der Ein­hei­mi­schen. An man­chen hängt Wäsche auf der Leine, ein paar Insel­be­woh­ner sind zu Fuß oder mit Fahr­rä­dern unter­wegs. Hier leben auch noch einige Mis­ki­tos, eine indi­gene Min­der­heit, die es fast nur noch an der Ost­küste Nica­ra­guas gibt. Ich laufe bis zu einem Fried­hof, wo es sich ein paar Hüh­ner auf Stein­grä­bern gemüt­lich machen. Mehr gibt es nicht.

Die schöns­ten Strände sol­len an der Ost­seite lie­gen, also schlage ich mich in den dich­ten Dschun­gel, durch den ein Schlamm­weg führt. Die bun­ten Häu­ser wer­den immer sel­te­ner. Irgend­wann spu­cken mich die Pal­men aus, ich stehe am Meer. Laufe vor­bei an einer Menge hübsch bemal­ter Tou­ris­ten­bun­ga­lows, die zur Haupt­sai­son außer­halb der Regen­zeit wahr­schein­lich boo­men. Jetzt ste­hen sie mit geschlos­se­nen Türen vor einem Meer, dem noch etwas Sonne für die kari­bi­schen Tür­kis­töne fehlt. Die gelb­li­chen Sand­strände sind win­zig, ich laufe wei­ter. Da muss es doch noch etwas Bes­se­res geben!

An der nächs­ten Bun­ga­low-Reihe wer­kelt ein Ein­hei­mi­scher am Dach. Ich frage ihn, wann denn end­lich mal eine ver­nünf­tige Playa komme. So rich­tig zum Hin­le­gen. Er sieht mich an, als erwarte ich einen Star­bucks auf Little Corn. „Wir haben fast keine Strände mehr, die sind mit der Zeit alle weg­ge­spült wor­den!“ Im glei­chen Atem­zug deu­tet er auf eine Plas­tik­platt­form, die kurz vor der Küste auf dem Was­ser treibt. „Dort kannst du dich hin­le­gen, aber pass auf deine Sachen auf. Es gibt hier viele Kin­der, die war­ten nur dar­auf, dass die Tou­ris­ten nicht hin­schauen und beklauen sie.“ Mein Herz sinkt in meine Biki­ni­hose. Erst die Über­fahrt, und jetzt das! So habe ich mir das mit dem Para­dies aber nicht vor­ge­stellt. Trotz­dem schwimme ich raus zur Platt­form, ein Auge immer auf mei­ner Tasche in Sand. Kaum habe ich mich hin­ge­legt, erspähe ich drei Jungs, die sich zügig mei­nen Sachen nähern. In Welt­re­kord­zeit bin ich wie­der am Strand, Sekun­den, bevor die Drei meine Tasche errei­chen. Ent­täuscht dre­hen sie ab, wer­den von den Pal­men wie­der verschluckt.

Kurz vor Son­nen­un­ter­gang möchte ich mir noch etwas gön­nen – einen Aus­blick vom soge­nann­ten „Light­hose“. Ich stelle mir einen schmu­cken Leucht­turm vor, von des­sen Platt­form sich ein tol­ler Weit­blick eröff­net. Umso grö­ßer ist das Erstau­nen, als ich vor einem Metall­ge­stell stehe, zu des­sen Spitze eine wag­hal­sige Lei­ter führt. Ver­trau­ens­er­we­ckend sieht sie nicht aus, doch nach­dem ich bereits die Über­fahrt von Big Corn über­lebt und es geschafft habe, nicht gleich aus­ge­raubt zu wer­den, for­dere ich mein Schick­sal ein drit­tes Mal her­aus. Gemein­sam mit dem Fran­zo­sen Sul­li­van, der mit sei­nem Bru­der einige Bun­ga­lows neben dem „Leucht­turm“ eröff­net hat, klet­tere ich bis nach oben. Und begreife, dass die Insel prak­tisch nur aus Pal­men, Bäu­men und ande­rem Grün­zeug besteht. „Der ein­zige noch halb­wegs schöne Strand ist Otto Beach oben im Nor­den“, gibt mir Sul­li­van einen Tipp. Ich frage ihn, wie er es hier bereits seit vier Jah­ren aus­halte, er lächelt. „Es ist schön, ein­fach nichts tun zu dürfen.“

Ich denke über seine Worte nach, als ich wenig spä­ter die Sonne in Pink und Orange hin­ter schwar­zen Wol­ken im Meer ver­sin­ken sehe. Nichts­tun schön und gut, aber einen ein­zi­gen ver­nünf­ti­gen Strand wün­sche ich mir dazu schon.

Die Hoff­nung stirbt zuletzt

Am nächs­ten Mor­gen wache ich um Punkt sie­ben auf, als der Ven­ti­la­tor aus­geht und ich in mei­nem Saft zu schmo­ren beginne. Zwi­schen sie­ben und acht­zehn Uhr wird die Elek­tri­zi­tät auf Little Corn abge­stellt. Kein Licht, kein WiFi. Mir soll’s egal sein. Die Sonne lacht in mein Zim­mer, sämt­li­che Wol­ken vom Vor­tag sind weg. Auch die in mei­nem Kopf. Neuer Tag, neues Glück – die Hoff­nung, dass die Insel auch mir zum Para­dies wird, erwacht wie­der. Mit nur einer Plas­tik­tüte – die ja nun wirk­lich kei­nen Dieb anlo­cken sollte – mit wenig Geld, viel Pro­vi­ant, einem dicken Buch, Kamera und Handy (zum Foto­gra­fie­ren) mache ich mich fro­hen Mutes auf den Weg. Die­ser ist noch mat­schi­ger als der am Vor­tag, und mit mei­nen Flip­flops schlit­tere ich durch den Schlamm, doch was tut man nicht alles, um zum ein­zi­gen Traum­strand der Insel zu gelan­gen? Ich über­quere ein Base­ball-Feld, auf dem einige Kühe grasen.

Am ein­zi­gen Luxus­ho­tel der Insel vor­bei geht es nach links zur Beach. Auch diese besteht nur noch aus einem schma­len Strei­fen. Kokos­nüsse und alles, was das Meer so anspült, liegt herum. Ein klei­ner Kiosk aus Pal­men­blät­tern steht hin­ter den Pal­men, dahin­ter führt ein grü­ner Hügel steil nach oben. Außer mir ist kein Mensch dort. Ich muss immer wie­der an Tom Hanks und „The Beach“ den­ken, nur, dass ich mich freue, mal mit nie­man­dem spre­chen zu müssen.

Die Sonne malt das Was­ser lang­sam in sat­tem Tür­kis und Blau aus. Immer wie­der zieht es mich zwi­schen den Kri­mi­sei­ten ins milde Nass, das ich den gan­zen Tag über nur mit eini­gen weni­gen Tou­ris­ten tei­len muss. Halte ich anfangs noch ein waches Auge auf meine Plas­tik­tüte, werde ich mit der Zeit siche­rer, dass Otto Beach wirk­lich okay ist. Zu weit weg für die die­bi­schen Kin­der, zu para­die­sisch, dass über­haupt etwas Böses pas­sie­ren könnte. Ich schließe mei­nen Frie­den mit Little Corn Island.

Schwe­ren Her­zens ent­scheide ich mich am spä­ten Nach­mit­tag für den Auf­bruch. Doch ein letz­tes Bad muss sein. Nur fünf Minu­ten. Ich tau­che unter, drehe im Was­ser Pirou­et­ten, bin erfüllt von der Sonne und dem Meer. Von Glück. Total ent­spannt kehre ich zum Hand­tuch zurück. Und der Schock würde mich glatt aus den Socken hauen, hätte ich wel­che an: Meine Plas­tik­tüte ist weg. Panisch schaue ich mich um. Weit und breit kein Mensch. Ich denke an mein Handy, an meine Kamera. Die Panik legt sich wie eine Schlinge um mei­nen Hals.

In dem Moment sehe ich etwas Wei­ßes zwi­schen den Pal­men­blät­tern des klei­nen Kiosks auf­blit­zen. Ich stürze hin. Dort liegt meine Tüte, dane­ben meine Kamera im Sand. Und mein Handy. Das Porte­mon­naie ist geöff­net, die weni­gen Geld­scheine, die drin waren, sind weg. Nicht nur ein Stein, son­dern ein gan­zer Vul­kan fällt mir vom Her­zen. Nie war ich einem Dieb dank­ba­rer. Doch wieso hat er nicht das Wert­vollste, meine Elek­tro­ge­räte, mit­ge­hen las­sen? Wie ich spä­ter erfahre, aus einem ein­fa­chen Grund: Selbst die gewief­tes­ten Diebe auf Little Corn hat­ten Pro­bleme, Objekte wie Han­dys und Kame­ras wei­ter­zu­ver­kau­fen, seit weni­gen Mona­ten haben sie daran kein Inter­esse mehr. Nur Bares wird noch genommen.

Den Schock noch immer in den Glie­dern, schlage ich mich durch den Schlamm zurück zu mei­ner Unter­kunft. Zumin­dest kann ich mich dort sicher füh­len. Glaube ich und ste­cke den Schlüs­sel ins Mini­schloss an mei­nem Ruck­sack. Es klemmt. Ich denke mir nichts dabei, immer­hin war es bil­lig. Zum Glück habe ich noch genug Bar­geld im Hotel, denn auf der Insel gibt es kei­nen ein­zi­gen Geld­au­to­ma­ten. Ich schaue in mein Reser­ve­porte­mon­naie. War das nicht am Vor­tag dicker? Die­selbe Panik vom Strand packt mich erneut. Etwa 40 Dol­lar fehlen.

Noch immer will ich mich nicht unter­krie­gen las­sen. Eine kühle Dusche wird Abhilfe ver­schaf­fen. Duschen spü­len mir immer den Kopf frei, waschen den Schlamm ab und mit ihm die schlimms­ten Gedan­ken. Etwas beru­hig­ter greife ich zum Hand­tuch, trockne mich ab. Als es plötz­lich anfängt, am gesam­ten Kör­per zu jucken. Das kann doch nicht wahr sein! Ich sehe keine ein­zige Mücke, und je wei­ter ich mich abreibe, desto schlim­mer juckt es. Da sehe ich das Übel: Im Frot­tee des Hand­tuchs krab­beln Mil­lio­nen von win­zi­gen Amei­sen. Und die andere Mil­lion auf mei­nem Kör­per. Es ist mir egal, dass man meine Flü­che wahr­schein­lich bis aufs nica­ra­gua­ni­sche Fest­land hört, als ich ein zwei­tes Mal unter die Dusche springe. Nein, mit mir und Little Corn Island, das wird nichts mehr.

Und dann fal­len die Schüsse

Es pas­siert mir sel­ten, dass ich an einem Ort die Tage oder gar Stun­den zähle, bis ich wie­der weg darf, doch auf Little Corn wache ich am nächs­ten Mor­gen mit genau die­sem Gedan­ken auf. Und das auf einer so schö­nen Insel. Bin ich nicht unfair, jam­mere auf hohem Niveau? Wahr­schein­lich. Schlecht­ge­launt sitze ich in einer der Beach­bars am Früh­stücks­tisch. Ein Mann mit Pira­ten­tuch um den Kopf grinst mich vom ande­ren Tisch an, wünscht mir einen guten Mor­gen. Was an die­sem Mor­gen gut sein soll, weiß ich nicht. Sämt­li­che Pus­teln an mei­nem Kör­per jucken, und um den letz­ten Tag noch über die Bühne zu brin­gen, habe ich mich mit drei Kana­die­rin­nen, die schon zum Früh­stück Rum & Coke trin­ken, zum Schnor­cheln ver­ab­re­det. Und doch erlaube ich dem Pira­ten­mann, sich zu mir zu set­zen. Er stellt sich als Daniel vor, ist Ame­ri­ka­ner. Und Psy­cho­loge. Auch das noch!

Am Nach­mit­tag fah­ren wir zum Schnor­cheln raus. Die Kana­die­rin­nen sind noch immer betrun­ken oder ver­ka­tert, eine kotzt ins tür­kise Was­ser. Drau­ßen auf dem Meer wer­den wir zum Schnor­cheln ins Was­ser geschmis­sen, bei so hohen Wel­len, dass ich sofort sinke wie eine mit Stei­nen beschwerte Lei­che. Erst, als wir auch Ret­tungs­gür­tel um die Hüf­ten krie­gen, lässt sich über­haupt von Schnor­cheln spre­chen. Zu sehen gibt es nicht viel, da die Wel­len den Sand aufwirbeln.

Nach die­sen Tagen wächst auch mein Ver­lan­gen, mich ein­fach mal voll­lau­fen zu las­sen. Das tut man am bes­ten im Tran­quilo Café, dem Abhänge-Spot aller Aus­stei­ger und Tou­ris­ten auf Little Corn. Nach einem Hum­mer-Din­ner bei Rosita im Lan­des­in­ne­ren. Man gönnt sich ja sonst nichts, und für einen Hum­mer reicht mein noch nicht geklau­tes Geld gerade noch. Im Tran­quilo fin­det an die­sem Abend ein Tri­via Quiz statt, die ganze Insel ver­sam­melt sich dort. Die Kana­die­rin­nen, ich und einige andere bil­den eine fixe Gruppe, und bei ordent­lich Rum & Coke steigt auch meine Laune lang­sam an.

Gegen 23 Uhr wird das Licht abge­schal­tet – Zeit zu gehen. Die After hours auf Little Corn ver­brin­gen Tou­ris­ten und Ein­hei­mi­sche glei­cher­ma­ßen in der Aguila Reg­gae Bar. Ohne Kamera, Handy und mit wenig Geld in der Hosen­ta­sche geht es los, in der Hoff­nung, dass die Hotel­diebe bereits Heia machen. Die Aguila Bar ist der per­fekte Ort für alle ein­hei­mi­schen Jungs und Män­ner, sich an betrun­kene Tou­ris­tin­nen her­an­zu­ma­chen. Ich halte mir ein paar erfolg­reich vom Leib, man­che Kana­die­rin mit weni­ger Erfolg. Doch ich bin dank­bar, die nicht ganz so para­die­si­schen Erfah­run­gen der letz­ten Tage an mei­nem letz­ten Abend abzu­tan­zen. Für die weg­ge­spül­ten Strände kann die Insel nichts, und für die Kri­mi­na­li­tät haben nicht zuletzt Tou­ris­ten wie ich gesorgt, des­sen bin ich mir bewusst. Wie­der ein­mal schließe ich mei­nen Frie­den mit Little Corn. Da durch­reißt ein Schrei die Musik, gefolgt von einem Knall, als eine Bier­fla­sche an der Wand zer­schellt. Ein gro­ßer Mann schnappt sich ein paar Glas­scher­ben, geht damit auf einen zwei­ten los. Andere gehen zwi­schen die blut­über­ström­ten Rauf­bolde, wir Aus­län­der ver­drü­cken uns durch den Not­aus­gang. Kaum sind wir drau­ßen, fal­len in der Disko Schüsse.

Big Corn – weil am Ende eben doch alles gut wird

Um halb sechs Uhr mor­gens stehe ich am Boots­an­le­ger. Ein Schiff hat am Vor­tag Pal­men und andere Pflan­zen gebracht, die noch immer in einer wohl mehr­tä­gi­gen Aktion auf ver­schie­dene Boote ver­la­den werden.

Ich frage mich gerade, ob wir uns die­ses Mal auch mit dem Grün­zeug ein Panga tei­len dür­fen, als ein pal­men­freies Boot her­an­braust. Die Über­fahrt ähnelt der vom Hin­weg, nur, dass ich die­ses Mal wei­ter vorne sitze. Das bedeu­tet, ich knalle bei jedem Luft­sprung här­ter auf den Hin­tern, werde dafür aber weni­ger nass.

Bevor ich über­haupt auf die Corn Islands flog, las und hörte ich über­all, dass Big Corn kei­nen Besuch wert sei. Vol­ler Autos, Ort­schaf­ten, mit zu vie­len Men­schen – nichts zu sehen. Vor lau­ter Ver­zweif­lung, um nicht noch eine Nacht auf Little Corn ver­brin­gen zu müs­sen, habe ich nun auf Big Corn eine letzte Nacht gebucht, bevor mein Flie­ger am fol­gen­den Nach­mit­tag zurück nach Mana­gua geht. Ich lege kei­nen Wert auf Luxus, aber nach der Little Corn-Erfah­rung gönne ich mir für eine Nacht das beste Hotel am Ort, Casa Canada, mit klei­nem Infi­nity Pool und amei­sen­freien Hand­tü­chern. Ein Traum. Ein Taxi bringt mich vom Boot hin, des­sen Radio ‚Feliz Navi­dad‘ spielt, wäh­rend wir an Pal­men ent­lang­fah­ren und der Wind Tro­pen­luft ins Innere des Wagens bläst.

Am Pool lerne ich die Luxem­bur­ge­rin­nen Nina und Nadia ken­nen, ver­ab­rede mich mit ihnen zum Hum­mer­es­sen am Abend. Und spa­ziere über die Insel, die zwar Autos hat, aber dafür auch lange Strände, jede Menge schmu­cke Häu­ser, lächelnde Men­schen und einen Bäcker­la­den. Dort gibt es die bes­ten Coco­nut Balls, die ich je pro­biert habe und eine fri­sche Limo­nade. Spä­ter halte ich ein Taxi an. Dass der Fah­rer erst noch einige Milch­kan­nen ablie­fern muss, eine Frau nach Hause fah­ren und mit ein paar Schön­hei­ten am Stra­ßen­land flir­ten, stört mich nicht. Haupt­sa­che, hier klaut und sticht niemand.

Kaum hänge ich in einer der Hän­ge­mat­ten zwi­schen Pal­men und mit Ers­ter-Reihe-Meer­blick, ertönt eine von irgendwo bekannte Stimme hin­ter mir. Ohne Pira­ten­tuch erkenne ich ihn kaum – Daniel, den Psy­cho­lo­gen von Little Corn. Auch er gönnt sich eine letzte Nacht auf der gro­ßen Insel. Nun gut, mitt­ler­weile bin ich sta­bil genug, um auch mit einem See­len­klemp­ner wie­der sorg­los spre­chen zu kön­nen. Ich lade ihn ein, mit Nina, Nadia und mir zu Abend zu essen. Es geht zu Vic­to­ria, einer Ein­hei­mi­schen, die auf ihrer Ter­rasse die köst­lichs­ten Hum­mer­re­zepte ser­viert. Hum­mer mit Knob­lauch ist ihre Spe­zia­li­tät, und wir plau­dern stun­den­lang, bis auch das letzte Stück­chen Fleisch aus den har­ten Scha­len gepult ist.

Danach sit­zen wir am Pool, reden über das Rei­sen und das Leben. Die für mich immer zusam­men­ge­hö­ren wer­den, auch nach Erfah­run­gen wie auf Little Corn. Über die ich gemein­sam mit mei­nen neuen Freun­den schon lachen kann. Lange schaue ich in den Him­mel, suche ihn nach Stern­schnup­pen ab. Doch es fällt keine. Und das ist in Ord­nung – in die­sem Moment wüsste ich gar nicht, was ich mir wün­schen sollte. Denn wie schon Oscar Wild sagte, und wie ich nie müde werde zu wie­der­ho­len: „Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nichts das Ende.“

Cate­go­riesNica­ra­gua
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Bernadette Olderdissen

Bernadette Olderdissen ist eine Geschichtensammlerin- und schreiberin. Schon in jungen Jahren verstand sie, dass ganz so viel Fantasie zum Schreiben gar nicht nötig war, denn die besten Geschichten schenkte ihr das Leben umsonst. Schenkten ihr die Menschen um sie herum. Als sie viele Geschichten gehört hatte, zog sie weiter. Sperrte die Ohren auf und schrieb alles nieder, was ihr die Menschen zu erzählen hatten. So trieb es sie immer weiter durch die Welt, mit ungesättigter Neugier und in der Gewissheit, dass sich die Menschen zwar überall auf der Welt verdammt ähnlich sind, jedoch keine zwei Geschichten identisch. Dieser Umstand ist schuld daran, dass sie noch immer nichts für die Rente gespart hat, sondern das Geld immer nur für die nächsten Reisen reicht. Und das findet sie auch gank okay so.

  1. Sehr, sehr span­nen­der Arti­kel, vie­len Dank! Vor allem des­halb, weil er ein so wich­ti­ges Thema anspricht: Wel­che Ver­ant­wor­tung haben wir als Reise-Jour­na­lis­ten und ‑Blog­ger? Und ist der klas­si­sche, gedruckte Rei­se­füh­rer nicht eigent­lich völ­lig über­holt, weil er oft­mals ver­al­tete Infor­ma­tio­nen bie­tet, zu wenig Bild­ma­te­rial und stel­len­weise auch wenig Ein­sicht darin, woher die Infor­ma­tio­nen eigent­lich kom­men? Ich finde das eine span­nende Dis­kus­sion, in der Blog­ger & Ver­lage sicher viel von­ein­an­der ler­nen könnten…

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