Argen­ti­nien, März 2006.

In Argen­ti­nien habe ich zwei Freunde gefun­den, einen Argen­ti­nier und einen Kolum­bia­ner. Manch­mal gibt es kleine Miss­ver­ständ­nisse auf­grund von sprach­li­chen oder kul­tu­rel­len Bar­rie­ren, aber meis­tens schaf­fen wir es gemein­sam, diese aus dem Weg zu räu­men. Die Zwei sind immer für mich da, erklä­ren mir Dinge, wenn ich etwas nicht ver­stehe, hor­chen mir zu, wenn ich mit mei­ner Arbeit über­for­dert bin oder wir lachen ein­fach nur gemein­sam über irgend­ei­nen Blöd­sinn, den irgend­je­mand von uns gesagt oder gemacht hat. Das Leben sor­gen­freier jun­ger Erwach­se­ner viel­leicht, Pro­bleme die groß erschei­nen, ent­pup­pen sich im Nach­hin­ein meis­tens als Kleinigkeiten.Eine Sache schaffe ich aber nicht auf­zu­klä­ren, sie macht mich wütend und trau­rig zugleich, ver­letzt mich. Wir zie­hen gerade zu dritt durch die Stra­ßen der argen­ti­ni­schen Groß­stadt, aus­ge­stat­tet mit unse­ren Kame­ras, um ein paar schöne Bil­der ein­zu­fan­gen. Plötz­lich beginnt einer der Bei­den ohne ersicht­li­chen Anlass, mich Nazi zu nen­nen. Im ers­ten Moment kann ich noch irgend­wie drü­ber lachen, als er es aber immer und immer wie­der­holt und der zweite auch beginnt, mich so zu nen­nen, beginnt es in mir zu bro­deln. Mir ist uner­klär­lich, wie sie dar­auf kom­men, mir solch einen Spitz­na­men zu verpassen.Ich erkläre ihnen, dass es mir nicht recht ist, dass sie mich so nen­nen. Sie fra­gen mich, wieso, das wäre doch lus­tig. Ich ver­su­che ihnen klar zu machen, dass es für mich nicht lus­tig wäre, wie Mas­sen­mör­der genannt zu wer­den. Schon gar nicht mit mei­ner Natio­na­li­tät. Sie erwi­dern, dass sie mich ja genau des­halb so nen­nen wür­den und: „Du sprichst Deutsch, darum sagen wir Nazi zu dir.“ Ich bin am Boden zer­stört, ver­su­che aber einen küh­len Kopf zu bewah­ren. Sage mir, dass in deren Schu­len die euro­päi­sche Geschichte sicher nicht so inten­siv durch­ge­nom­men wurde, wie in mei­ner. Darum haben sie halt ein ande­res Ver­ständ­nis von allem.

Irgend­wann geht mir, einer Per­son von eigent­lich sehr ruhi­gem Gemüt, aber mit­ten auf der Straße doch die Siche­rung durch. Meine Stimme wird immer lau­ter, ich ver­su­che irgend­wie, den Bur­schen klar­zu­ma­chen, dass ich die ganze Sache schlicht­weg nicht lus­tig fände. Ver­su­che Bei­spiele aus der argen­ti­ni­schen und kolum­bia­ni­schen Geschichte zu fin­den, anhand derer man erklä­ren kann, wie es sich für mich anfühlt, Nazi genannt zu wer­den. Mir fällt nichts Ver­gleich­ba­res ein oder jedes Argu­ment wird von den Bei­den sogleich ent­kräf­tet. Ich bin schwach, sehr schwach, weiß nicht mehr, wie ich argu­men­tie­ren soll. Die Zwei wol­len gar nicht ver­ste­hen, um was es mir geht. An die­sem Nach­mit­tag fahre ich ange­knackst und trau­rig nach Hause, die Trä­nen ver­su­che ich hinunterzuschlucken.

Spä­ter erzähle ich einer gemein­sa­men Freun­din von dem Vor­fall. Sie ist Jahre älter und war – im Gegen­satz zu den ande­ren Bei­den – län­gere Zeit in Europa und hat sich inten­siv mit des­sen Geschichte aus­ein­an­der­ge­setzt. Sie ist es dann, die den zwei Bur­schen klar­ma­chen kann, dass sie mich nicht mehr so nen­nen soll­ten. Ob sie es jemals ver­stan­den haben, weiß ich aller­dings nicht.

Cate­go­riesArgen­ti­nien
Hanna Silbermayr

Oft sind es die kleinen Dinge, die uns zum Staunen bringen. Begegnungen und Gespräche, die zum Nachdenken anregen, uns einen Moment innehalten lassen in einer Welt, die sich immer schneller zu drehen scheint, uns ein Lächeln entlocken.

Solche Momente möchte ich nicht für mich behalten, sondern mit Euch teilen. Ich, das ist eine ausgebildete Grafikdesignerin, studierte Romanistin und Politikwissenschaftlerin, die im Namen des Journalismus immer wieder in Lateinamerika unterwegs ist. Demnächst wohnungslos und in stetiger Bewegung.

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  2. Span­nende Kommentare!

    Wie die Sache ver­lau­fen ist, hängt wohl damit zusam­men, dass wir alle ver­dammt jung und ziem­lich naiv waren. Wir wuss­ten alle sehr wenig von Leben und Geschichte. Und den­noch: Es ist nicht lus­tig, auf offe­ner Straße laut­stark als Nazi bezeich­net zu wer­den. Das sehe ich auch heute noch so. Trotz­dem bin ich mir inzwi­schen nicht mehr sicher, ob mich tat­säch­lich die­ser Spitz­name so sehr ver­letzt hat oder ein­fach die Tat­sa­che, dass ich mich mit mei­nem rudi­men­tä­ren Spa­nisch gegen zwei Mut­ter­sprach­ler zu ver­tei­di­gen ver­suchte und das nicht schaffte. Als Ver­gleich habe ich übri­gens damals die argen­ti­ni­sche Mili­tär­dik­ta­tur her­ge­nom­men, das hat aber nicht funktioniert.

    Heute, acht Jahre spä­ter, würde ich wohl anders mit die­ser Situa­tion umge­hen. Inzwi­schen bin ich es gewöhnt, in Latein­ame­rika immer wie­der alle mög­li­chen Fra­gen zum 2. Welt­krieg zu beant­wor­ten. Und das, nicht weil ich ihn erlebt habe, son­dern weil ich rein auf­grund mei­ner Natio­na­li­tät (ich bin übri­gens Öster­rei­che­rin ;-)) zumin­dest geo­gra­phisch und auch durch meine Groß­el­tern näher dran bin.

    Den Kolum­bia­ner werde ich übri­gens dem­nächst wie­der sehen – viel­leicht frage ich ihn mal, ob er sich noch dran erin­nern kann ;-)

  3. Muri says:

    Immer locker blei­ben, würde ich sagen. Jetzt mal abge­se­hen davon, dass wir nicht wis­sen inwie­weit Sie sich mit der Euro­päi­schen Geschichte befasst haben, sollte man als Deut­scher ver­su­chen nicht immer alles so per­sön­lich und ernst zu neh­men – typisch deutsch!
    Was die zwei gemacht haben, ist schließ­lich nur Kli­schee bedie­nen, wei­ter nichts. Es bringt gar nichts das zu ver­tei­di­gen oder ver­su­chen die bei­den eines bes­se­ren zu beleh­ren. Warum auch? Ein­fach Kon­tra geben…Er ist Kolum­bia­ner, ach das sind doch alles nur Dro­gen­schmugg­ler, Ein Argen­ti­nier, hmm eigent­lich doch Spa­nier oder? Mit einem Lachen und Augenzwinkern…

  4. Simon says:

    Hi Hanna
    Ich, als Schwei­zer, kann dich abso­lut ver­ste­hen. Dass sie dich so nen­nen und das lus­tig fin­den, zeigt bloss, dass sie über­haupt nichts über die Geschichte dahin­ter wissen. 

    Das ist trau­rig und erschre­ckend zugleich.

    Man darf aus mei­ner Sicht über alles Witze machen, alles. Aber jeman­den direkt als Nazi zu beti­teln ist ein­fach nur dumm.

    Herz­li­che Grüsse,
    Simon

  5. chiplara says:

    Wenn es echte Freunde sind, oder ein­fach nur Men­schen, denen man wich­tig ist, sollte es selbst­ver­ständ­lich sein, dass sie das auch ein­fach respek­tie­ren, ohne es viel­leicht kom­plett zu ver­ste­hen. Diese Wei­ge­rung, das zu akzep­tie­ren und über die Gefühle ande­rer zu tram­peln ist, was – zu Recht – trau­rig macht. 

    Und @Martin: Nazi, nazi, nazi! Komm, lach ma! Was für ein däm­li­cher Kommentar.

  6. Martin says:

    Au weia, mit ihnen lachen wäre schon okay gewe­sen, oder bist Du so indok­tri­niert das Dir das pein­lich ist? Wer auf so einen Unfug so schwach reagiert ist sel­ber schuld.

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