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Es gibt Reiseziele, da kann und will jeder mal hin. Die Bahamas gehören nicht dazu. Schon als ich den Namen ausspreche, rümpfen viele die Nase. Das sei doch nur die Insel der Stinkreichen und Schönen. Falsch. Oder zumindest nur teilweise richtig, denn es gibt viel Schickimicki, aber noch mehr Normalmenschen und Menschlichkeit. Nicht nur türkisfarbenes Wasser, sondern die sicher weltbesten Farbnuancen, die Meereswasser hervorzaubern kann. Und fantastische Mitschwimmgelegenheiten. Mal nicht mit lammfromm gehaltenen Delfinen oder Haien ohne Zähne. Nein, mit stinknormalen – aber wilden – Hausschweinen. Und was kann man sonst in und um Nassau noch so anstellen? Ich verrate es euch.
Zu den schwimmenden Schweinen fahren
Wer bei den Bahamas von einer Insel spricht, hat schon mal gar keine Ahnung, denn in Wirklichkeit sind es über 700 Inseln, davon nur 30 bewohnte. Und wer glaubt, die seien alle gleich, denkt sicher auch, die Bayern und die Ostfriesen ähnelten sich, oder Weißwurst und Schweinshaxe. Man landet in der Regel auf New Providence, in der Hauptstadt Nassau, wo auch unzählige Kreuzfahrtschiffe ihre Passagiere an Land spucken. Wer das nicht mag, tut gut daran, erst mal auf eine der sogenannten „Outer islands“ zu verschwinden, die äußeren Inseln, denn erst dort findet sich das, was die Urlaubsbroschüren mit „Paradies“ übertiteln würden. Nur, dass diese Paradiese nicht ganz so leicht zu erreichen sind. Wenn der Wind mal wieder so kräftig bläst, dass die Boote nicht oder nur für hartgesottene Seebären fahren, gibt es zahlreiche Airlines – zum Teil mit vertrauenserweckenden Namen wie Pineapple Air oder Flamingo Air – die sich bestens zum Insel-Hoppen eignen. Oftmals sind sie so winzig, dass man dem Kapitän hinterm offenen Cockpit im Nacken sitzt und eine Erfahrung wie im tollsten Flugsimulator als Bonus zum Flugticket bekommt.
Eine der Inseln, welche die Best-of-Liste für das schönste Wasser und die einsamsten Strände anführt, ist Exuma. Beziehungsweise sind die Exuma-Inseln, von denen es 365 gibt, eine neue zum Sonnenbaden für jeden Tag des Jahres. Mittlerweile steht Exuma jedoch in erster Linie für eins: schwimmende Schweine. Bahamas-Urlauber zahlen Hunderte von Dollar für eine eintägige Bootstour zu den schwimmenden Schweinen. Lohnt es sich? Lohnt es sich, eine Nilkreuzfahrt zu machen, den Mount Everest zu besteigen oder die Big Five auf Safari zu beobachten? Solche Fragen kann jeder nur für sich selbst beantworten. Wer einmal im Leben in türkisblauem Wasser mit echten, wilden Säuen schwimmen will, muss nach Big Major Cay fahren, einer der vielen Exuma-Inseln, überwiegend vorgelagerte, kleine und flache Inseln aus Korallen- oder Sandablagerungen. Ich erreiche sie mit Coastline Adventures und dem dauerlächelnden Captain C.J. und seinem Bootsjungen Yellow, bei starken Bässen und fröhlichen Sounds.
In Höchstgeschwindigkeit geht es vorbei an einigen netten Villen, die selbst die schicken vier Wände der ganz Reichen in Hamburg-Blankenese an der Elbe mickrig aussehen lassen. Bestes Beispiel: die Privatinsel von David Copperfield mit einem hübschen Häuschen mit Türmchen und überdimensionaler Fensterfront. Den Zauber dürfen auch Besucher genießen. „Für 50.000 Dollar die Nacht, mit Koch und allem Personal und sonstigem Drum und Dran“, erzählt C.J. Mindestaufenthalt eine Woche. Doch wer will mieten, wenn er selbst kaufen kann? Auf den Exumas könne man ab etwa 40 Millionen Dollar mit einer eigenen Insel dabei sein, erzählt der Kapitän. Und unter anderem Nachbar von Captain Jack Sparrow höchstpersönlich werden. Oder von Faithhill. C.J. hat sogar mal Tom Hanks beim Wellenreiten auf dem Jetski zugeschaut.
Ich bin dagegen sehr viel beeindruckter von den ganz normalen Bahamaern, denen ich beim Lunch-Stopp auf Black Point Exuma begegne. Zum Beispiel Martha, die mit ihrer Ziege vor ihrem türkisfarben gestrichenen Haus im Schatten sitzt. „Ich habe heute noch viel zu tun“, erzählt sie mir und deutet auf eine Machete im Gras, mit der die bestimmt Sechzigjährige dem Unkraut in ihrem Garten zu Leibe rückt. Oder ein älteres Paar unter einem Baum, das ein kleines Radio aufgestellt hat, weil das Mittagessen bei Calypso-Beats einfach besser schmeckt. Und wer braucht Tom Hanks, wenn er mit Schweinen schwimmen kann?
Kaum biegt das Boot in die Bucht ein, kommen sie begeistert auf uns zu – die dicksten Schweine, die ich je gesehen habe: schlicht schweinefarbene, gescheckte und braune. Für sie ist die Prozedur Alltag – Touristenboote brausen heran, die Leute füttern Brot, und wer nicht schnell genug spult, bekommt auch schon mal einen wohlverdienten Hufen-Tritt in den Hintern. Zum Glück sind an diesem Tag keine Touristen dabei, die nach zu vielen Bahama Mamas auf dem Boot – der Nationalcocktail aus Rum, Malibu und allen möglichen Fruchtsäften – auch die Tiere mit Alkohol versorgen, woran ein paar Schweine schon verendet sind. Ich stürze mich ins Wasser, spüre eine Hufe im Rücken und werfe schnell ein Stück Brot in Richtung eines Rüssels. Ein bisschen absurd ist es schon, mitten im türkisfarbenen Wasser zwischen diesen echt borstigen Viechern herumzuschwimmen, denen das Ganze auch noch Vergnügen zu bereiten scheint. Zum wiederholten Male stelle ich mir die Frage, was diese Säue, die mit einem Knopf im Ohr registriert wurden, eigentlich an einem Traumstrand auf den Bahamas verloren haben.
Ganz geklärt ist die Frage immer noch nicht, aber es gibt mehrere Legenden. So sollen die Schweine bereits im 18. Jahrhundert von einem gekenterten Schiff an Land gekommen sein. Eine andere Theorie wiederum besagt, dass die Tiere zur Zeit des Golfkriegs von Bauern vom benachbarten Staniel Cay ausgesetzt worden seien. Gewissheit wird es wohl nie geben, doch nach dem Äußeren zu urteilen, geht es den Tieren, die sich von Pflanzen und Gräsern ernähren, an ihrem weißen Privatstrand so richtig gut. Und ich lerne, dass man sogar ein Schwein beneiden kann.
Mit Leguanen, Ammen- und menschlichen Haien plauschen
Weniger schweinisch geht es an anderen Stränden der Exumas zu, doch fühle ich mich bald in eine Mini-Version von Jurassic Park versetzt: Unzählige Leguane sitzen dicht an dicht am Strand von Allen Cay wie deutsche Sonnenanbeter auf Malle. Zum Teil auch ähnlich verbrannt aussehend. Mit dem einzigen Unterschied, dass es richtig still und idyllisch ist.
Jedenfalls, bis auch hier die Boote anlegen und Touristen die Tiere in verschiedenen Sprachen anlocken, welche diese alle zu verstehen scheinen, und mit Pflanzen füttern. Ich verliere fast einen Daumen, als ein gieriger Leguan nach dem Gestrüpp in meiner Hand greift. Die Finger überhaupt auszustrecken ist nicht empfehlenswert – und zwar bei den Nachbarn der Leguane, den Ammenhaien am Compass Cay, die ein Millionär auf einer Nachbarinsel aufgepäppelt hat und die nun frei im paradiesischen Meer umherschwimmen. Wer mit ihnen ins Wasser springt, sollte die Hand zur Faust ballen, damit die ansonsten eher lieben Haie die Finger nicht mit köstlichen Kleinfischen verwechseln.
Wem die raue Oberfläche der Ammenhaie nicht schmeichelt und wer lieber mal mit einem echten Hai plauschen möchte, fährt nach Pearl Island, eine winzige Insel, die genau vor Nassau liegt. Im rot-orangenfarbenen Abendlicht wirkt sie mit ihrem kleinen Leuchtturm wie ins Meer gepinselt und auf eine kitschige Bahamas-Postkarte geklatscht.
Aber wieso muss ich im Angesicht des Deutschen Peter Rebmann, des Inselbesitzers, bloß an einen Hai denken? Nun ja, der braungebrannte Stuttgarter mittleren Alters mit Goldkettchen und grauem, zurückgegeltem Haar hat etwas „Zubeißerisches“.
2015 kaufte er sich seine eigene Bahamas-Insel, bretzelte sie auf, und Juni 2016 eröffnete sie fürs Publikum. Was für ein Publikum? Hauptsächlich Kreuzfahrer, die in Nassau an Land gehen und auf Rebmanns Insel einen Tag lang all-inclusive sonnenbaden, baden, schnorcheln und futtern dürfen, bis es auf die schwimmenden Wolkenkratzer zurückgeht. Zu essen gibt‘s zum Beispiel Conch Salat – Conch, eine große Meeresmuschel, bewohnt von einer leckeren Schnecke, welche die Leib- und Magenspeise der Bahamaer ist.
„So 250 bis 350 Leute haben wir täglich auf der Insel“, erzählt Rebmann stolz, auch Pornodarsteller und Homosexuelle hätten schon mal angeklingelt. Auf die Frage, wie er sich denn so eine Insel habe leisten können, lächelt er wissend. Er habe früher mit Rohstoffen wie Gold gedealt und vorher schon lange auf den Bahamas gelebt. Aber ein paar kleine Probleme gebe es selbst im Paradies: die schlechte Wirtschaft auf den Bahamas, die Bürokratie. Außerdem gehörten Disziplin, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit nicht zu den Tugenden der Bahamaer. Das mag sein, und doch habe ich das Glück, einen Bahamaer kennenzulernen, der einige Tugenden anscheinend voll drauf hat.
Schuh-shoppen auf Bahamaisch
In Nassau wird etwas produziert, das auf den Bahamas und vielleicht auf der Welt einmalig ist: Turnschuhe aus Stroh. 2015 kam der 42-jährige Bahamaer Marvin Storr von der Insel San Salvador, der nun in Nassau lebt, erstmals auf den Geschmack, als ihm nämlich einer seiner Söhne kaputte Turnschuhe brachte. Marvin, eigentlich ein Senior Manager in der Ölindustrie, übte sich im Schuhe-Flicken, das ihm immer mehr Freude bereitete, bis ihm einfiel, auf den Bahamas wachsendes Stroh dafür zu verwenden. Die Rohlinge, weiße Gummisohlen mit weißen Kappen an der Schuhspitze, kauft er in den USA ein, und 2017 setzte er schließlich alles auf eine Karte: Er gab seinen Job auf und machte sich als Schuhmacher selbstständig. Mittlerweile gebe es drei Geschäfte mit den Turnschuhen und auch Flipflops in Nassau, erzählt Marvin. Ich besuche eins im Heritage Village, wo auch einige andere Künstler kleine Läden eröffnet haben.
Mir persönlich sind die 85 bis 120 Dollar für die Stroh-Sneakers zu teuer und die Schuhe zu hart, aber ich mag es, Marvin beim Basteln zuzusehen und die Leidenschaft zu spüren, mit der er ein Paar Schuhe in zwei Stunden und etwa drei Paare pro Tag fertigstellt. Jedes Mal, wenn er auf- und mich ansieht, bemerke ich ein Leuchten in Marvins Augen, das ich nur bei wenigen Menschen erkenne. Oft bei Menschen, die den Mut und die Kraft aufgebracht haben, genau das aus ihrem Leben zu machen, was sich für sie richtig anfühlt.
Beim Gottesdienst eine Prise Frieden tanken
Es gibt noch etwas, das man gut auf den Bahamas machen kann. Etwas, das keinen Cent kostet und einen doch dem Land und seinen Menschen näher bringt als die vielen 4- oder 5‑Sterne-Hotels mit ihren glitzernden Kronleuchtern und Pagen und Casinos, wo die Dollar schneller im Nirwana verschwinden als die Schokolade aus meinem Kühlschrank: Man kann einfach mal in den Gottesdienst gehen. Auch als normaler Nichtkirchengänger oder jemand, der in heimischen Gefilden die Kirchensteuer lieber spart.
Kirchen gibt es allein in Nassau mehr als auf den Exumas Schweine, Leguane und Ammenhaie zusammen. Man findet katholische und protestantische Kirchen, Anglikaner, Baptisten, Methodisten, Lutheraner und unzählige Freikirchen, welche die Einheimischen in mehr oder minder großen Mengen anlocken. Manche Kirchen sind so unscheinbar, dass man sie kaum als solche erkennt, befinden sie sich doch vielmehr in einer Art Privathäuser. Die meisten Anhänger haben die Baptisten, doch ich finde mich an einem schönen Sonntagmorgen in einer lutherischen Kirche wieder. Pastor Samuel Boodle empfängt die Gemeinde in einem großen, hellen Raum mit hölzerner Decke, wo Ventilatoren die Luft herumwirbeln.
Viele der Frauen und Männer sind so schick gekleidet, als wären sie in einer sommerlichen Weihnachtsmesse, bloß die Jungs dürfen in Jeans und Pullis erscheinen. Andere Weiße gibt es nicht, und doch nimmt niemand Notiz von mir. Es ist, als gehörte ich einfach dazu. Das weiße Schaf unter vielen schwarzen, wie schön. Die Live-Musik besteht aus Saxophon und Trommeln, und auch eine stadtbekannte Sängerin ist anwesend, Tierra Rolle. Unter dem Künstlernamen Thin Ice tritt sie häufig in Bars und bei Veranstaltungen auf. Mit ihrer starken, klaren Stimme rührt sie an diesem Sonntag mit einem kleinen Kind auf dem Arm manchen Gottesdienstbesucher zu Tränen, als sie mit „Majesty“ selbst den letzten Winkel der Kirche füllt.
Pastor Samuel predigt lange – es geht viel um den Teufel, dann dürfen die Kinder nach vorne kommen, und schließlich geht es über zum „spread the peace“. Den Frieden verbreiten die Kirchenbesucher, indem sie zu ihren Mitmenschen gehen und ihnen die Hand schütteln, doch die meisten nehmen einander lieber in den Arm. Ehe ich mich versehe, umarmt ein Junge in blauem T‑Shirt, der bisher immer in der Bank vor mir Faxen mit seinem Kumpel gemacht hat, meine Hüfte. Lächelnd schaut er zu mir hoch. „May peace be with you“, haucht er schüchtern und möchte mich am liebsten gar nicht mehr loslassen. Ob wir nicht alle ein bisschen glücklicher wären, wenn wir öfter mal spontan umarmt und angelächelt würden?
Dann empfangen wir die Kommunion, und kaum ist die Hostie auf der Zunge zergangen, nähert sich ein kleines Mädchen. Bisher hat sie sich immer neben dem Altar gehalten und alle Lieder vorbildlich aus einem dicken Buch mitgesungen. Wie ich erfahre, ist sie die Enkelin des Kirchenältesten, der Pastor Samuel bei der Messe unterstützt. Selbstbewusst streckt sie ihre Arme nach jedem einzelnen aus. Ich hocke mich neben sie und sie schlingt sie mir um den Hals. Lächelnd sieht sie mir ins Gesicht, als wäre ich ihre Lieblingstante. Sie wünscht mir Frieden.
Den spüre ich, als ich wenig später auf Einladung des Pastors und eines Gemeindemitglieds an einem mit Speisen überladenen Tisch sitze. Fisch, Reis, Salat und Mac & Cheese stapeln sich auf meinem Teller, während Pastor Samuel von seinem Leben erzählt. „Ich habe 22 Jahre lang als Banker gearbeitet, bis 1985 meine Frau starb und ich beschloss, meinem Leben einen neuen Sinn zu geben.“ Zehn Jahre später habe er dies auch endlich in die Tat umgesetzt und mit dem Priesterseminar begonnen. Er lacht. Das Glänzen seiner dunklen Augen erinnert mich an den Schuhmacher Marvin. Es wird für mich zu meinem liebsten bahamaischen Farbton neben all dem Blau und Türkis des Meeres. Und ich glaube fest, dass man nur am Strand von Big Major Cay mehr Schwein hat als ich in diesem Augenblick. Denn was gibt es Schöneres, als zu verstehen, dass man in einem der teuersten Reiseländer der Welt geldlos so glücklich sein kann, weil eine Umarmung und ein Lächeln und die bahamaische Gastfreundschaft eben nichts kosten?
Die Reise wurde unterstützt vom Tourismus-Ministerium der Bahamas: https://www.bahamas.com/ mit Direktflug mit Condor von Frankfurt nach Nassau und Übernachtung im British Colonial Hilton und Grand Hyatt Baha Mar in Nassau.
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