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Schneesturm am Huayna Potosi

Auf 6000 Metern ste­cken wir im Schnee­sturm, der Wind bläst uns fast den Hang hinab, das Eis friert im Gesicht fest. Noch 50 Höhen­me­ter bis zum Gip­fel. Sol­len wir abstei­gen oder weitergehen?

Die Tem­pe­ra­tur liegt unter null Grad, wir sind fast auf 6000 Meter auf­ge­stie­gen und sehen nur die Schnee­flo­cken im Licht­ke­gel unse­rer Stirn­lam­pen. Rechts von uns, irgendwo tief unten in den Regen­wäl­dern der Yun­gas, ent­lädt ein Gewit­ter Blitze in die Schwärze der Nacht. „Esto no es bueno“, sagt Luis.

Adrian hält sein Gesicht kurz gegen die Böen, in sei­nem Bart bleibt der Schnee hän­gen. Die Augen sind Schlitze, der Wind geht immer schär­fer über die Haut. Von der kaum ermess­li­chen Weite des Ama­zo­nas-Beckens zieht ein Sturm hinauf.

Wir stap­fen einen Hang hin­auf und sin­ken mit unse­ren Expe­di­ti­ons­stie­feln immer wie­der tief in den Schnee ein. Oben biegt der Weg offen­bar links ab. Adrian und ich haben keine Ahnung, wir kön­nen unsere Augen wirk­lich kaum mehr offen hal­ten. Nur Luis kennt die Route. Er ist Berg­füh­rer und hat den Huayna Potosí schon mehr als hun­dert Mal bestie­gen. Das Wet­ter gefällt ihm ganz und gar nicht.

Eigent­lich sollte es kein schwe­rer Auf­stieg wer­den auf den 6088 Meter hohen Berg in der boli­via­ni­schen Cor­dil­lera Real, deren Gip­fel der Rei­sende von der Hoch­ebene der Alti­plano und vom Titi­ca­ca­see aus sehen kann. Von La Paz ist der Berg nur zwei Stun­den mit dem Jeep ent­fernt. Auf 4750 Metern steht eine geräu­mige Her­berge direkt neben einem Stau­see auf dem Zongo-Pass, das Refu­gio Huayna Potosí.

Als wir dort ein­tra­fen, gab es weder Hei­zung noch offe­nes Feuer, die Räume waren kalt, und in der Nacht wärm­ten wir uns gegen­sei­tig in einem Schlafsack.

Refugio Huayna PotosiRefugio Huayna PotosiRefugio Huayna PotosiRefugio Huayna PotosiRefugio Huayna Potosi

Auf der Hütte ras­te­ten wir einen Tag und eine Nacht. Wir beob­ach­te­ten wenig scheue, womög­lich domes­ti­zierte Alpa­kas und fol­gen immer wie­der skep­tisch dem Wech­sel­spiel der Wol­ken am Gip­fel des zer­klüf­te­ten Sechs­tau­sen­ders. Oft lagen die Glet­scher im Nebel.

Der zweite Tag am Berg war eben­falls ziem­lich ent­spannt. Wir stie­gen auf zu einem Hoch­la­ger auf etwas mehr 5100 Metern und bezo­gen eine kleine, orange Metall­büchse am Hang des Ber­ges, die eigens der Agen­tur gehörte, über die wir unsere Bestei­gung gebucht hat­ten. Drin­nen stand ein Hoch­bett mit Matrat­zen, ein klei­ner Tisch, es gab eine Küchen­zeile und Töpfe. Nudeln mit Soße waren das Abendessen.

Am Abend hoff­ten wir auf gutes Wet­ter für den Gip­fel­tag: Adrian, der Fran­zose, der mit sei­nem Fahr­rad ein­mal kom­plett durch Zen­tral­asien gefah­ren war; Luis, der sehr junge Berg­füh­rer; der Dritte war ich. Es war wol­kig, aber nicht düs­ter. In der Ferne konnte man den hei­li­gen Berg Illi­mani sehen, den zweit­höchs­ten Gip­fel Boli­vi­ens. Ein Sehnsuchtsziel.

Huayna PotosiHuayna PotosiHuayna PotosiIllimani from Huayna Potosi

Nun waren wir also kurz nach Mit­ter­nacht auf­ge­bro­chen und ste­hen jetzt rund 50 Meter unter­halb des Gip­fels. Adri­ans Höhen­mes­ser zeigt an, dass wir höher als 6000 Meter sind. Die Mor­gen­däm­me­rung lässt auf sich war­ten. Der Weg führt über einen ein Meter brei­ten Firn­grat, der zu bei­den Sei­ten ins Schwarz abfällt.

Weil wir die Weg­rich­tung gewech­selt haben, bläst der Eis­wind wie­der direkt in unser Gesicht. Ohne Ski­mas­ken kön­nen wir nicht mehr gera­de­aus schauen, die Haut im Gesicht ist schon taub. Wir bewe­gen uns lang­sam, aber nicht unbe­dingt wegen der Höhe, obwohl ich erst vor fünf Tagen in La Paz gelan­det bin.

Luis dreht sich zu uns um und ihm steht irgend­wie ungläu­bi­ges Ent­set­zen ins Gesicht geschrie­ben. Wenn wir ein­fach wei­ter­ge­hen, fürch­tet er, bläst uns der Sturm den Berg hinab. Wir beschlie­ßen also abzu­stei­gen, kurz vor dem Gipfel.

Nach einer guten hal­ben Stunde müs­sen wir eine Steil­stufe hin­ab­klet­tern, die mir beim Auf­stieg gar nicht so hin­der­lich erschien. In nied­ri­ge­rer Höhe klart der Sturm auf. Däm­mer­licht kriecht über die Berg­hänge. Der Gip­fel, den wir nicht erreicht haben, färbt sich im Mor­gen­licht rosa. Neben uns kol­la­biert eine Japa­ne­rin im Schnee.

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Zurück im Hoch­la­ger stel­len wir fest: Der Tag wird nicht son­der­lich freund­li­cher, aber der Sturm am Gip­fel­grat hat sich ver­zo­gen. Mög­li­cher­weise hät­ten wir den Gip­fel erreicht, wenn wir eine halbe Stunde spä­ter auf­ge­bro­chen wären. Aber sol­che Über­le­gun­gen sind immer müßig und füh­ren zu nichts.

Wir stan­den auf 6000 Metern in einem wirk­lich unan­ge­neh­men Sturm. Wir kühl­ten erbärm­lich aus, Eis­schnee im Gesicht hin­derte uns am Sehen und Fort­kom­men. Natür­lich möchte man gerne sagen: Wir stan­den auf dem Gip­fel. Ande­rer­seits: Die 50 Meter mehr wären ohne Sturm kein Pro­blem gewesen.

Ich erin­nere mich an die Worte mei­nes Berg­füh­rers in Peru: „The moun­tain will be here next year.“ But maybe I will be not, denke ich.

Cate­go­riesBoli­vien
  1. gitti says:

    Hallo Phil­ipp,
    ich find’s super, dass ihr umge­kehrt seid! Immer­hin setzt ja auch der berg­füh­rer sein leben aufs spiel, um den ehr­geiz sei­ner kun­den zu befrie­di­gen. zudem hat er einen höl­len­re­spekt vor den acha­chi­las, den ahnen­geis­tern, die dem berg innen woh­nen. Und er weiß warum! nächste mal vor­her einen yatiri hin­zu­zie­hen und ein ritual zu ehren der acha­chi­las zelebrieren.
    liebe grüße nach bolivien
    gitti

  2. Lorenz Glatz says:

    Also wo ich damals vor fast 5 Jah­ren dort war, hat­ten wir in die­ser Her­berge am Stau­see einen Kamin?!? Viel­leicht hat­test du durch die Höhe zu wenig Sau­er­stoff bekom­men und hast den Kamin nicht gesehen =)

  3. Pingback:Schneesturm am Huayna Potosi

  4. Patrick says:

    Hallo Phil­ipp,
    in Gedan­ken bin ich soeben ein zwei­tes Mal auf den Huyana Potosi gestie­gen. Es ist schon ein paar Jahre her, aber es fühlt sich an, als würde ich mich soeben noch­mals eine die Belas­tungs­grenze mei­nes Kör­pers und Wil­lens begeben.
    Auch wenn es unglaub­lich schwer fällt, kurz vor dem eigent­li­chen Gip­fel die Rück­kehr anzu­tre­ten, es war die rich­tige Ent­schei­dung. Hut ab davor, zeugt es doch von gro­ßem Mut und Ver­stand an die­ser Stelle umzu­dre­hen, anstatt sich vom Ehr­geiz dazu ver­lei­ten zu las­sen, sich die letz­ten gefahr­vol­len Meter zum höchs­ten Punkt zu kämpfen.
    Mir war damals bes­tes Wet­ter beschie­nen, aber wider bes­se­ren Wis­sens habe ich alle War­nun­gen mei­nes Kör­pers igno­riert, um auf den Gip­fel zu gelan­gen. Geschafft, ein unglaub­li­ches Glücks­ge­fühl, dass vier Wochen lang vom Rascheln des Was­sers in mei­nen Lun­gen beglei­tet wurde.
    Ganz nach dem Motto: Den Berg wird es nächs­tes Jahr auch noch geben. Aber viel­leicht auch nicht.
    Der Berg läuft Dir nicht weg, Dein Leben kann es schon.

    Viele Grüße und noch schöne Feiertage,
    Patrick

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