Schiras: Erzählungen von Wein, Poesie und persischen Gärten

Mit unse­rem Gast­ge­ber Ash­kan, dem jun­gen Mann aus der Noma­den­fa­mi­lie, erkun­den wir Schi­ras, die Stadt der schö­nen Küns­te. Etwa 700 Kilo­me­ter von Tehe­ran ent­fernt, gehört sie zu den fünf größ­ten Städ­ten des Lan­des. Zwi­schen den Gebirgs­zü­gen des süd­li­chen Zagros­ge­bir­ges gele­gen, gilt Schi­ras seit Jahr­hun­der­ten als kul­tu­rel­les Zen­trum, als Stadt der fei­nen Küns­te und der Schön­heit. Töner­ne Schrift­ta­feln bele­gen, dass hier, auf 1.500 Höhen­me­tern, bereits 2.000 Jah­re vor unse­rer Zeit ein städ­ti­scher Sied­lungs­raum erschlos­sen war. In spä­te­ren Jahr­hun­der­ten regier­ten zwei ein­fluss­rei­che alt­per­si­sche Königs­fa­mi­li­en aus Schi­ras, die Achä­men­i­den und die Sas­sa­ni­den, wei­te Tei­le des Per­si­schen Rei­ches. Im 11. Jahr­hun­dert, so heißt es, sei Schi­ras eine der wich­tigs­ten isla­mi­schen Städ­te gewe­sen. Gleich­be­deu­tend mit Bag­dad ent­wi­ckel­te sich die Stadt in der Fol­ge­zeit zu einem Zen­trum der Kunst.

Unter Karim Khan, der 1750 die kurz­le­bi­ge Zand-Dynas­tie begrün­de­te, stieg Schi­ras im 18. Jahr­hun­dert sogar zur Haupt­stadt Per­si­ens auf. Im Zuge der ste­tig wach­sen­den Bedeu­tung ließ der Regent eine Fes­tung errich­ten, die nun als Arg‑e Karim Khan bekannt ist. Die gewal­ti­gen Zie­gel­mau­ern waren einst Teil des roya­len Herr­schafts­sit­zes. Run­de, 14 Meter hohe Wach­tür­me, die reich mit Orna­men­ten ver­ziert sind, ver­lei­hen der Fes­tung gewal­ti­ge Aus­ma­ße. Heu­te domi­niert sie das Stadt­zen­trum als eines von vie­len Wahr­zei­chen der Stadt.

Arg-e Karim Khan, Schiras, Iran

Arg-e Karim Khan, Schiras, Iran

Über dem Ein­gang prangt ein Flie­sen­bild, das Rus­tam, den per­si­schen Her­ku­les, im Kampf mit einem Dämon zeigt. Als Held der per­si­schen Mytho­lo­gie ist Rus­tam nicht nur stark wie ein Bär, son­dern auch mutig wie ein Löwe und lis­tig wie ein Fuchs. Sei­ne Taten sind episch und natür­lich besiegt er auf dem Bild den Dämon, der sich erdreis­te­te, den ira­ni­schen König gefan­gen zu neh­men.

Von außen wirkt die Fes­tung klo­big, mas­siv. Hin­ter den robus­ten Mau­ern herrscht dage­gen eine behag­li­che Atmo­sphä­re. Den Ein­gangs­be­reich durch­flu­tet gedämm­tes Licht, das durch bun­tes Fens­ter­glas in das Inne­re der Fes­tung fällt. Wie in einem Kalei­do­skop fügen sich die ver­schie­den Glas­stü­cke zusam­men, for­men geo­me­tri­sche Figu­ren. Dar­über wöl­ben sich Mau­er­bö­gen, die dort wo der Stuck im Lau­fe der Zeit nicht abge­brö­ckelt ist, noch immer ihre Ori­gi­nal­far­ben tra­gen. Auf gol­de­nem Unter­grund ran­ken Blü­ten und Blät­ter die Wän­de empor.

Dahin­ter öff­net sich ein wei­ter Innen­hof, der von einem brei­ten Was­ser­gra­ben durch­quert wird. Er teilt eine klei­ne Oran­gen­baum­plan­ta­ge. An den höher­ge­le­ge­nen Ästen – dort wo nie­mand mehr hin­grei­fen kann – wach­sen präch­ti­ge Früch­te. Die eins­ti­gen Gemä­cher der Königs­fa­mi­lie, die sich um den Innen­hof her­um befin­den, sind ver­schlos­sen. Allein das ver­win­kel­te Hamam, das Bade­haus, im hin­te­ren Teil der Fes­tung steht offen. Hier, wo einst Herr­scher nackt im war­men Was­ser saßen und hei­ßer Dampf adli­ge Poren öff­ne­te, fin­den wir Schutz vor den letz­ten Regen­trop­fen. Auch im Bade­haus sind die Wän­de mit herr­li­chen Mus­tern ver­se­hen. Pflan­zen­re­li­efs und Tier­zeich­nun­gen in dunk­ler Far­be auf hel­lem Unter­grund schmü­cken das Mau­er­werk.

Arg-e Karim Khan, Schiras, Iran

Als wir die Fes­tung ver­las­sen, bricht end­lich die Son­ne durch die graue Wol­ken­de­cke. Doch die vom Regen nas­se Stadt bleibt kühl. Nicht weit ent­fernt streu­nen zwie­lich­ti­ge Gestal­ten ruhe­los auf dem Vor­platz der Fes­tung umher. Es sind Tage­löh­ner, Klein­kri­mi­nel­le und Dro­gen­dea­ler. Mit in den Hosen­ta­schen ver­sun­ke­nen Hän­den und mür­ri­schem Blick, war­ten sie auf Gele­gen­hei­ten, den einen oder ande­ren Rial zu ver­die­nen. Kein Ort, an dem wir uns frei­wil­lig auf­hal­ten soll­ten und schnell führt uns Ash­kan an der Men­ge vor­bei und hin­ein in die Alt­stadt.

In unmit­tel­ba­rer Nähe der Fes­tung Arg‑e Karim Khan befin­det sich das alte Basar­vier­tel der Stadt. Hier rei­hen sich gleich meh­re­re Märk­te aus ver­schie­de­nen Epo­chen anein­an­der. Der größ­te und berühm­tes­te von ihnen ist der Vakil Basar. Im Auf­trag des Herr­schers Karim Khan errich­tet, soll­te er Schi­ras zu neu­em Glanz ver­hel­fen. Die Stadt soll­te eine lan­ge Tra­di­ti­on bedeu­ten­der per­si­scher Haupt­städ­te fort­set­zen. Das präch­ti­ge Isfa­han, in dem ein Jahr­hun­dert zuvor die Safa­wi­den unter Schah Abbas I herrsch­ten, galt als Vor­bild.

Wie alle per­si­schen Märk­te ist auch der Vakil Basar ein über­dach­tes Schmuck­stück tra­di­ti­ons­rei­cher Archi­tek­tur. Brei­te Gän­ge zie­hen durch das 800 Meter lan­ge Gebäu­de. Kup­peln und Gewöl­be wer­den von Zie­gel­bö­gen gestützt. Kara­wan­se­rei­en, in denen Händ­ler und Rei­sen­de einst über­nach­ten und ihre Last­tie­re abstel­len konn­ten, gehö­ren eben­falls dazu. Etwa 200 Geschäf­te rei­hen sich in den Nischen der Gän­ge und Innen­hö­fe des Mark­tes anein­an­der. Leder­wa­ren, Mes­sing­töp­fe, Kera­mik, Tisch­läu­fer und Süßig­kei­ten quel­len hin­aus in die Gän­ge. Hier wer­den Tep­pi­che, Klei­dung und Kunst­hand­werk ange­bo­ten. Dar­über hin­aus ist der Vakil Basar Schi­ras› größ­ter Han­dels­platz für Gewür­ze und Anti­qui­tä­ten.

Vakil Basar, Schiras, Iran

Vakil Basar, Schiras, Iran

Wir schlen­dern ohne Eile unter den Kup­peln des Mark­tes umher und betrach­ten die ver­schie­de­nen Aus­la­gen, die fein gestick­ten Tisch­läu­fer, die Hand­ta­schen mit den Blu­men­mus­tern, die Schals und hand­be­druck­ten Ober­tei­le. Glit­zern­de und far­ben­fro­hen Stof­fe, die von den Qashqa›i und ande­ren Noma­den­stäm­men in Hand­ar­beit pro­du­ziert wer­den, fin­den hier ihren Absatz­markt. In man­chen Läden sta­peln sich Kis­ten mit ira­ni­schen Süßig­kei­ten, Pis­ta­zi­en und Dat­teln bis unter die Decke. Auch Jale­bis – frit­tier­te, mit Zucker­si­rup umhüll­te Mehl­krin­gel – und das belieb­te Lava­schak feh­len nicht. Die sau­ren Mus­plat­ten, aus pürier­ter und gepress­ter Frucht­mas­se, gehö­ren zu den wich­tigs­ten Knab­be­rei­en im Iran.

Dane­ben sind Gewür­ze, Tee und getrock­ne­te Blü­ten lie­be­voll zu bun­ten Pyra­mi­den auf­ge­schich­tet. Kup­fer­schmie­de bie­ten aller­lei Gebrauchs­ge­gen­stän­de an. Ihr Reper­toire reicht von klei­nen Pfan­nen und Kes­seln bis hin zu über­di­men­sio­na­len Töp­fen, in denen gan­ze Gemü­se­gär­ten und Schafs­her­den auf ein­mal gegart wer­den könn­ten. Anti­qui­tä­ten­händ­ler ver­kau­fen hüb­sche Koh­le­bü­gel­eisen, fein deko­rier­te Metall­ka­raf­fen und fili­gra­ne Öllam­pen, aus denen jeder­zeit ein blau­er Dschinn zu ent­wi­schen scheint. Dane­ben lie­gen alte Schreib­ma­schi­nen und Pola­roid­ka­me­ras, Kof­fer­ra­di­os und Magnet­band­re­kor­der aus den 1980ern. Die Viel­falt der Waren ist enorm. Von einer Aus­la­ge bum­meln wir zur nächs­ten. Freund­li­che Wor­te der Laden­be­sit­zer beglei­ten uns. Doch anders als auf den gro­ßen Tou­ris­ten­märk­ten der Welt, bleibt es bei einem Lächeln. Nie­mand ver­sucht uns ener­gisch irgend­et­was auf­zu­schwat­zen oder in ein bestimm­tes Geschäft zu manö­vrie­ren.

Die beein­dru­ckends­ten Waren sind jedoch die gla­sier­ten Kera­mik­ar­bei­ten; hauch­dünn gear­bei­te­te, hand­be­mal­te Tel­ler in ver­schie­de­nen Blau­tö­nen. Fei­ne Lini­en füh­ren über die Ober­flä­che, ver­bin­den sich zu gra­zi­len Mus­tern, Blü­ten und Ran­ken. Vasen, Karaf­fen, Dosen und Schüs­seln schmü­cken ähn­li­che Ver­zie­run­gen. Zer­brech­lich zart und wun­der­schön anzu­se­hen.

Vakil Basar, Schiras, Iran

Vakil Basar, Schiras, Iran

Vakil Basar, Schiras, Iran

Wir atmen die Luft des Basa­res, lau­schen dem Stim­men­ge­wirr um uns her­um, erwi­dern freund­li­ches Lächeln, strö­men mit der Men­schen­men­ge durch die Gas­sen. Manch­mal wech­seln wir ein paar Wor­te mit den Händ­lern der Sou­ve­nir­ge­schäf­te, doch meis­tens erfreu­en wir uns allein an den Aus­la­gen.

An einer Ecke des Mark­tes gelan­gen wir in die Seray‑e Moshir. Im Innen­hof der ehe­ma­li­gen Kara­wan­se­rei laden Sitz­bän­ke unter Oran­gen­bäu­men zum Ver­wei­len ein. Ein Was­ser­be­cken befin­det sich in der Mit­te der Anla­ge. Um uns her­um erhebt sich das zwei­stö­cki­ge, etwa 250 Jah­re alte Gebäu­de, das nun vor allem Sou­ve­nir­händ­lern einen Platz für ihre Waren bie­tet. Mar­qui­sen und Bal­da­chi­ne schüt­zen die Ein­gän­ge und Aus­la­gen, in denen Schmuck, Gemäl­de, Schach­spie­le und Kunst­hand­werk ange­bo­ten wer­den.

Vakil Basar, Schiras, Iran

Direkt an den Basar grenzt die Vakil Moschee, die eben­falls unter der Herr­schaft Karim Khans in der zwei­ten Hälf­te des 18. Jahr­hun­derts erbaut wur­de. Eng an das Markt­ge­bäu­de geschmiegt, ragt sie weit über die umlie­gen­den, ein­stö­cki­gen Bau­wer­ke hin­aus. Ihr beein­dru­cken­des, mit bun­ten Kacheln ver­se­he­nes Ein­gangs­por­tal gehört zu den schöns­ten der Stadt. Kur­ze, stäm­mi­ge Mina­ret­te rich­ten sich dar­über auf und geben der Moschee ein mas­si­ges Aus­se­hen. Blü­ten, Blät­ter und Ran­ken sind die zen­tra­len Moti­ve der Fas­sa­de. Ara­bi­sche Inschrif­ten in gol­de­nen Let­tern prei­sen Allah. In dem hohen Ein­gangs­por­tal befin­det sich eine meh­re­re Meter tie­fe Nische mit dem höl­zer­nen Tor, das Ein­lass in die Moschee gewährt. Dar­über erhebt sich ein Muqar­nas. Die­ses beson­de­re Stil­mit­tel isla­mi­scher Archi­tek­tur beschreibt bogen­ar­ti­ge Ele­men­te, die an der Decke der Nische, wei­ter nach oben wach­send, inein­an­der über­ge­hen. Vom hin­te­ren Ende der Nische aus­ge­hend, folgt ein Bogen auf den nächs­ten, bis sie die Außen­wän­de des Ein­gangs­por­tals errei­chen. So ent­steht ein wel­len­ar­ti­ges Gebil­de, ein flie­ßen­der Über­gang, zwi­schen der Nische und den vor­ge­la­ger­ten Wän­den.

Um den weit­läu­fi­gen Innen­hof der Vakil Moschee rei­hen sich mit Male­rei­en reich ver­zier­te Arka­den. Ara­bes­ken, Ran­ken­or­na­men­te, schmü­cken die Wän­de. Blaue, rote und gel­be Blü­ten­zeich­nun­gen win­den sich die Mau­ern empor. An einer Sei­te des Innen­hofs schließt sich eine 75 Meter lan­ge über­dach­te Gebets­hal­le an. Zie­gel­kup­peln wer­den von 48 mas­si­ven, mit kunst­vol­len Stein­metz­ar­bei­ten ver­se­he­nen Säu­len getra­gen. Far­bi­ge Mosai­ke zie­ren die Kup­peln des zen­tra­len Säu­len­gangs, der zu einer Gebets­ni­sche führt. Auch sie ist mit einem Muqar­nas und künst­le­risch deko­rier­ten Kacheln geschmückt. Die Gebets­hal­le ist rie­sig und an die­sem Tag im Janu­ar fros­tig kühl. Die wär­men­de Kraft der Son­ne schafft es nicht hier her­ein. Der stei­ner­ne Boden und die Zie­gel­kup­peln blei­ben kalt.

Vakil Moschee, Schiras, Iran

Vakil Moschee, Schiras, Iran

Vakil Moschee, Schiras, Iran

Doch noch ein­drucks­vol­ler als die Vakil Moschee ist die Moschee Nasir-al-Molk. Am spä­ten Nach­mit­tag schlen­dern wir ent­lang der Zan­d­stra­ße von einer Moschee zur ande­ren. Die Bür­ger­stei­ge sind zu bei­den Sei­ten der Stra­ße belebt. Mit­ten im Gewirr der Men­schen berich­tet uns Ash­kan von der isla­mi­schen Recht­spre­chung. Er erzählt von einer Räu­ber­ban­de, die meh­re­re Ban­ken und ein Gold­ge­schäft über­fiel. Ihre Mit­glie­der wur­den öffent­lich, unter dem Bei­sein einer gro­ßen Men­schen­men­ge, vor dem Gold­ge­schäft, das sie aus­raub­ten, erhängt. In einem ande­ren Fall wur­de dem Dieb eines Juwe­lier­ge­schäf­tes am Tat­ort öffent­lich die Hand abge­hackt. Prak­ti­ken, die uns an dunk­le Ver­gan­gen­heit erin­nern, hier aber zuletzt vor einem Jahr aus­ge­übt wur­den.

Wir errei­chen die Nasir-al-Molk Moschee, die sich zwi­schen den umge­ben­den Wohn- und Geschäfts­häu­sern ver­steckt. Von außen wirkt sie nicht attrak­ti­ver als ande­re ira­ni­sche Gebets­häu­ser. Dafür ist ihr Inne­res umso impo­san­ter.

Erbaut im 19. Jahr­hun­dert zur Zeit der Kad­scha­ren ist die Moschee eines der meist­fo­to­gra­fier­ten reli­giö­sen Gebäu­de des süd­li­chen Iran. Ihr Innen­hof ist noch immer nass vom vor­mit­täg­li­chen Regen. Ein mit nied­ri­gen Pflan­zen umstell­tes Was­ser­be­cken befin­det sich in sei­ner Mit­te. Schat­ten­spen­den­de Säu­len­gän­ge win­den sich um den Innen­hof. Auch hier sind die Wän­de über und über mit den Kacheln, flo­ra­len Mus­tern und reli­giö­sen Schrif­ten geschmückt. Vögel sit­zen, stumm zwit­schernd, zwi­schen den gemal­ten Ran­ken und Blü­ten. Doch neben dem übli­chen Blau, sind es in der Nasir-al-Molk Moschee vor allem Rosa- und Rot­tö­ne, die die Moti­ve bestim­men. Rosa Blü­ten, rosa Säu­len, rosa Orna­men­te. Das Gebets­haus ist des­halb auch lan­des­weit als die pin­ke Moschee bekannt.

Nasir-al-Molk Moschee, Schiras, Iran

Nasir-al-Molk Moschee, Schiras, Iran

Nasir-al-Molk Moschee, Schiras, Iran

Abbil­dun­gen von Men­schen waren nach isla­mi­schem Glau­ben für lan­ge Zeit nicht gestat­tet und so deko­rie­ren immer wie­der die glei­chen Moti­ve und Ara­bes­ken die Moscheen und Schrei­ne im Iran. Doch die bemal­ten Ton­ka­cheln in der etwa 130 Jah­re alten Nasir-al-Molk Moschee sind so fein und detail­liert, dass sie uns ob ihrer Schön­heit in Stau­nen ver­set­zen.

Dann betre­ten wir die Gebets­hal­le, die voll­stän­dig mit edlen Per­ser­tep­pi­chen aus­ge­legt ist. Geschnitz­te Stein­säu­len, die sich spi­ral­för­mig nach oben win­den, stüt­zen die Decken­bö­gen. Ein Heiß­lüf­ter steht unbe­rührt in einer Ecke. Unse­re Hän­de sind dage­gen taub vor Käl­te. Herr­lich deko­rier­te Kup­peln erhe­ben sich über uns. Auch ihre Mus­ter sind in rosa Schat­tie­run­gen gehal­ten. Kunst­voll zusam­men­ge­setz­tes bun­tes Fens­ter­glas ver­schlei­ert den Blick in den Innen­hof. Wenn die Mor­gen­son­ne nicht von Wol­ken zurück­ge­hal­ten wird, wirft sie ein präch­ti­ges Far­ben­spiel durch die Glä­ser auf den Boden der Gebets­hal­le. Grü­nes, gel­bes, rotes und blau­es Licht fällt in har­mo­ni­schen Mus­tern auf die wei­chen Tep­pi­che. Doch jetzt am Nach­mit­tag sind wir von die­sem Schau­spiel weit ent­fernt und müs­sen allein mit dem bun­ten Fens­ter­glas vor­lieb­neh­men.

Nasir-al-Molk Moschee, Schiras, Iran
Gebets­hal­le der Nasir-al-Molk Moschee, auch bekannt als die pin­ke Moschee

Nasir-al-Molk Moschee, Schiras, Iran

Als wir die Moschee ver­las­sen, kriecht die Näs­se der Stra­ße unter unse­re Klei­dung und krallt sich an uns fest. Die letz­ten Son­nen­strah­len errei­chen die Geh­we­ge. Stra­ßen­la­ter­nen erleuch­ten. Ash­kan führt uns lächelnd in eine dunk­le Gas­se des nahen Mark­tes und lässt uns auf Plas­tik­ho­ckern mit­ten im Gang Platz neh­men. Er eilt in einen nahen Schnell­im­biss und kehrt kurz dar­auf mit einer gro­ßen Por­ti­on Āsh, einer ange­dick­te Sup­pe mit Kräu­tern, gebra­te­nen Auber­gi­nen­schei­ben und Zwie­beln zurück. Etwas, das wir unbe­dingt pro­bie­ren müs­sen, gibt er uns augen­zwin­kernd zu ver­ste­hen.

Ash­kan über­treibt nicht. Āsh, wort­wört­lich ledig­lich mit Sup­pe zu über­set­zen, gehört zu den tra­di­tio­nells­ten Spei­sen im Iran. Beson­ders in Schi­ras erfreut sich das Gericht, das es in unzäh­li­gen Vari­an­ten gibt, gro­ßer Beliebt­heit. Schi­ra­sis sind des­halb auch dafür bekannt, ihre Sup­pen noch viel­fäl­ti­ger, noch rei­cher aus­zu­stat­ten. Bereits nach dem ers­ten Löf­fel bin ich ver­zückt. Hat­te es die ira­ni­sche Küche mit all ihren Kebabs und dem lecke­ren Safran­reis schon gut mit uns gemeint, so gewäh­re ich ihr jetzt einen wei­te­ren Sprung auf mei­ner kuli­na­ri­schen Prio­ri­tä­ten­lis­te. Viel­leicht liegt es an mei­nem Hun­ger, viel­leicht dar­an, dass die war­me Sup­pe die Käl­te aus mei­nem Kör­per ver­treibt, aber die­ses Āsh erregt gleich meh­re­re Glücks­ge­füh­le in mei­nem Inne­ren. Es ist wie eine Dro­ge – ich ver­lan­ge nach immer mehr, um das woh­li­ge Gefühl in mei­nem Inne­ren zu erhal­ten. Am Ende steht Ernüch­te­rung. Die Scha­le ist leer, der Rausch vor­bei. Doch Ash­kan erlaubt uns noch eine Gau­men­freu­de. An einem ande­ren Stra­ßen­stand pro­bie­ren wir Falu­deh, gefro­re­nes Sor­bet aus Glas­nu­deln, Zucker und Rosen­was­ser, ver­fei­nert mit reich­lich Zitro­nen­saft. Ira­ner mögen es ger­ne sau­er und auch wir fin­den gro­ßen Gefal­len an die­sen Geschmacks­kom­bi­na­tio­nen. Falu­deh ist ein uraltes per­si­sches Des­sert, das mit den Erobe­rungs- und Han­dels­zü­gen der früh­zeit­li­chen Köni­ge bis nach Indi­en gelang­te. Sein Ursprung liegt jedoch hier in Schi­ras. Āsh und Falu­deh bewer­ten mei­ne Geschmacks­ner­ven mit einer uner­hört hohen Punkt­zahl auf der nach oben offe­nen Ska­la des Genus­ses.

Abends sind wir wie­der in Ash­kans und Hamids Zwei­zim­mer­woh­nung. Omid, Hadi und San­jay sind noch immer da. Die Jungs ver­brin­gen so viel Zeit wie mög­lich in der Woh­nung ihrer Freun­de – tage­lang. So haben wir nicht nur das Gefühl Gäs­te in einer wirk­lich leben­di­gen WG zu sein, es schwingt auch immer etwas Klas­sen­fahrt­at­mo­sphä­re mit.

In der Küche schnei­den wir Toma­ten, Gur­ken und Zwie­beln in win­zi­ge Wür­fel. Dazu hacken wir Peter­si­lie und geben alles für einen Salad‑e Schi­ra­si, einen Salat nach der Art von Schi­ras, in eine Schüs­sel. Zum Schluss schmeckt Ash­kan den Salat mit Zitro­nen­saft ab. Es ist die klas­si­sche Salat­va­ri­an­te im Iran. Über­all im Land wird er mit Vor­lie­be geges­sen und ist so omni­prä­sent ver­brei­tet, wie Kar­tof­fel­sa­lat in Deutsch­land.

Dann trifft Man­so­od ein. Der schlak­si­ge jun­ge Mann, ein wei­te­rer Freund Ash­kans, grüßt uns schüch­tern und zau­bert zur all­ge­mei­nen Freu­de eine Fla­sche Wein aus sei­nem Ruck­sack. Schi­ras und Wein, das ist so eine Geschich­te. Lan­ge glaub­te man an fol­gen­des Mär­chen: Da zieht ein Kreuz­rit­ter durch den Nahen Osten, hört vom wun­der­vol­len Wein in Schi­ras und macht sich auf, ein Raub­rit­ter zu wer­den. Er stiehlt die Rebe vom Anbau­ge­biet in der Nähe der Stadt und ent­führt sie ins fran­zö­si­sche Rho­ne­tal, wo sie zu einer Edel­re­be kul­ti­viert wird und Welt­ruhm erlangt.

Heu­te nei­gen wir dazu Legen­den über­prü­fen zu wol­len. Uns inter­es­sie­ren kei­ne guten Geschich­ten, son­dern har­te Fak­ten, geschaf­fen im Labor und mit Gen­tests unter­mau­ert. Sol­che Fak­ten besa­gen, dass die Edel­re­be Schi­ras schon immer in Frank­reich ange­sie­delt war und aus der Kreu­zung zwei­er alt­fran­zö­si­scher Wein­re­ben her­vor ging.

Schiras, Iran

Wenn Schi­ras so auch sei­nes gleich­na­mi­gen Wei­nes beraubt ist, so besitzt der Iran doch immer noch eine lan­ge Wein­tra­di­ti­on, die bis in alt­per­si­sche König­rei­che zurück­reicht. Tat­säch­lich hat die Erfolgs­ge­schich­te des Wei­nes im anti­ken Per­si­en ihren Ursprung. Einer Sage zufol­ge lagert der König Dschamsch­id etwa 2.500 Jah­re vor unse­rer Zeit­rech­nung Trau­ben in sei­nem Kel­ler. Als die­se gären, denkt man zunächst, sie sei­en von bösen Geis­tern beses­sen und ver­gif­tet. Wie es die Geschich­te will, lei­det die Frau des Königs an Migrä­ne und in einem melo­dra­ma­ti­schen Anflug kos­tet sie vom Saft der Trau­ben, um sich durch Selbst­mord von ihrem Unbe­ha­gen zu befrei­en. Doch die Tra­gö­die wen­det sich zum Guten. Der Wein ver­hilft der Köni­gin nicht nur über ihre Kopf­schmer­zen hin­weg, son­dern ver­setzt sie auch in vor­züg­li­che Stim­mung. Seit die­sem Tag wird dem Wein in Per­si­en gehul­digt, der in den Wogen der Geschich­te schließ­lich ins anti­ke Grie­chen­land und ins Römi­sche Reich schwappt.

Über Jahr­hun­der­te ist Schi­ras berühmt für sei­ne Wei­ne. Die Stadt genießt den Ruf, die bes­ten Wei­ne im Nahen Osten zu pro­du­zie­ren. Selbst mit der mus­li­mi­schen Macht­über­nah­me im sieb­ten Jahr­hun­dert und dem damit ein­her­ge­hen­den Wein­ver­bot, bleibt Schi­ras eine wich­ti­ge Pro­duk­ti­ons­stät­te. Sogar per­si­sche Natio­na­li­ko­nen, wie der im 14. Jahr­hun­dert leben­de Lyri­ker Hafez, hul­di­gen dem Wein in thea­tra­li­schen Wor­ten.

 „…‚Schen­ke‘, rief ich, Arzt der Lie­be, gib mir Wein!‘
Nur Wein allein kann mich ret­ten, kann ver­trei­ben alle Angst und Her­zenspein!…“

Zwi­schen dem 17. und 19. Jahr­hun­dert berich­ten euro­päi­sche Rei­sen­de immer wie­der von der her­vor­ra­gen­den Qua­li­tät des Trau­ben­saf­tes, den sie hier kos­ten dür­fen. Letzt­end­lich jedoch, nach der isla­mi­schen Revo­lu­ti­on 1979, kommt der staat­li­che Wein­an­bau im Iran zum Erlie­gen. Auf den Reb­flä­chen des Lan­des wer­den nun vor allem Tafel­trau­ben und Rosi­nen pro­du­ziert. Dass das nichts Gutes für die ira­ni­schen Wei­ne der Gegen­wart bedeu­tet, ist nicht über­ra­schend.

Auch unse­re Glä­ser in Ash­kans Wohn­zim­mer sind nur dem Namen nach mit Wein gefüllt. Die leuch­tend rote Flüs­sig­keit, her­ge­stellt in irgend­ei­nem Hin­ter­zim­mer der Stadt, schmeckt nach alko­ho­li­sier­tem Zucker­was­ser, süß und kleb­rig. Ein Glas genügt für jeden – mehr gibt die Fla­sche auch nicht her.

Wie gern ich jetzt doch Hafez wäre und Schi­ras› edlen Trop­fen in mei­nem Glas schwen­ken wür­de. Doch nicht nur ich bin ein, zuge­ge­be­ner Maßen trink­freu­di­ger Anhän­ger des alt­per­si­schen Dich­ters. Ganz Iran liegt dem Poe­ten zu Füßen. Es heißt in jedem Haus­halt des Lan­des fin­den sich mit Sicher­heit zwei Din­ge: der Koran und eine Aus­ga­be der Wer­ke des in Schi­ras gebo­re­nen Schrift­stel­lers. Hafez dich­te­te natür­lich über die Lie­be, tra­gisch und uner­wi­dert, über Tren­nung, Sehn­sucht und Schick­sal, aber auch über die Schön­heit, den Genuss des Lebens und reli­giö­se Schein­hei­lig­keit.

Schiras, Iran

Die Wor­te des Poe­ten, wenn in ihrer Wahl über die Jahr­hun­der­te auch etwas ange­staubt, sind noch immer aktu­ell, tra­gen noch immer Bedeu­tung in sich. Eini­ge sei­ner Ver­se sind sogar als Sprich­wor­te in die ira­ni­sche Spra­che ein­ge­gan­gen. Hafez› berühm­tes­tes Werk ist der Gedicht­band „Diwan“, der nach sei­nem Tod in etwa 1.000 Abschrif­ten in Euro­pa und im Ori­ent ver­brei­tet wur­de.

1812 über­setzt der öster­rei­chi­sche Diplo­mat und Ori­en­ta­list Joseph von Ham­mer-Purg­stall den Diwan in die deut­sche Spra­che und erweckt damit lei­den­schaft­li­ches Inter­es­se von kei­nem Gerin­ge­ren als Johann Wolf­gang von Goe­the. Der deut­sche Natio­nal­dich­ter ist der­art inspi­riert, dass er bereits zwei Jah­re spä­ter mit der Arbeit an dem Gedicht­band „West-öst­li­cher Divan“ beginnt, das 1819 ver­öf­fent­lich wird. Goe­the selbst beschreibt sei­ne Bezie­hung zu Hafez als die von „Zwil­lings­brü­dern im Geis­te“ und wen­det sich in sei­nem West-öst­li­chen Divan direkt an den bewun­der­ten Kol­le­gen.

„Du bist der Freu­den ech­te Dich­ter­quel­le
Und unge­zählt ent­fließt dir Well’ auf Wel­le.
Zum Küs­sen stets berei­ter Mund,
Ein Brust­ge­sang, der lieb­lich flie­ßet,
Zum Trin­ken stets gereiz­ter Schlund,
Ein gutes Herz, das sich ergie­ßet.

Und mag die gan­ze Welt ver­sin­ken,
Hafis mit dir, mit dir allein
Will ich wett­ei­fern! Lust und Pein
Sei uns, den Zwil­lin­gen, gemein!
Wie du zu lie­ben und zu trin­ken,
Das soll mein Stolz, mein Leben sein.“

Nun sind wir also schon zu dritt und ich muss mir die köst­li­che ima­gi­nä­re Wein­fla­sche nicht nur mit Hafez, son­dern auch noch mit Goe­the tei­len.

Die Stadt Schi­ras, als Zen­trum der ira­ni­schen Kul­tur, ist stolz auf ihren berühm­ten, um 1315 gebo­re­nen Sohn Hafez. In ein­fa­chen Ver­hält­nis­sen auf­ge­wach­sen, gewinnt er als Hof­dich­ter und Koran­leh­rer schnell Berühmt­heit, die weit über die Stadt­gren­zen hin­aus reicht. Mit etwa 70 Jah­ren stirbt der Dich­ter, doch sein Werk über­dau­ert die Jahr­hun­der­te.

Hafez› Grab­mal zieht jähr­lich tau­sen­de Besu­cher an. Dar­un­ter vie­le heim­li­che Lie­bes­paa­re, die sich vor Hafez› stei­ner­nem Sar­ko­phag die ewi­ge Treue schwö­ren. Ein­ge­bet­tet in einen char­man­ten Gar­ten, in dem Oran­gen­bäu­me und Zypres­sen wach­sen, befin­det sich das mar­mor­ne Grab des Dich­ters. Trotz der Nähe zu einer der Haupt­ver­kehrs­stra­ßen der Stadt herrscht im Gar­ten fried­li­che Stil­le. Ein acht­ecki­ger, fein gear­bei­te­ter Pavil­lon schützt Grab und Besu­cher vor den Unan­nehm­lich­kei­ten des Wet­ters. Die Unter­sei­te sei­ner Kup­pel ist mit einem beein­dru­cken­den Mosa­ik aus gebro­che­nen Kacheln ver­ziert. Auf dem Grab­stein, der das Grab­mal ver­schließt, ist ein Gedicht­vers Hafez› ein­gra­viert. Immer wie­der nähern sich Besu­cher dem Pavil­lon und hal­ten ehr­fürch­tig vor dem Grab inne. Sie rezi­tie­ren Stro­phen aus dem Werk des Poe­ten und legen Blu­men als Respekt­be­kun­dung ab. Das Mau­so­le­um ist eine regel­rech­te Pil­ger­stät­te.

Hafez Grab, Schiras, Iran

Bei Son­nen­un­ter­gang ist Hafez› Grab­mal beson­ders beliebt. Wenn die Nacht her­ein bricht und der Gar­ten nur spär­lich beleuch­tet ist, klin­gen Gedich­te des Lyri­kers über kna­cken­de Laut­spre­cher durch die Anla­ge. Lie­bes­paa­re genie­ßen die roman­ti­sche Atmo­sphä­re. Sie sit­zen in den ver­win­kel­ten, ver­steck­ten Ecken des Gar­tens und säu­seln sich unent­deckt gemein­sa­me Zukunfts­plä­ne in die Ohren.

Drau­ßen vor dem Ein­gang des Gar­tens sitzt ein Mann auf einem schma­len Klapp­ho­cker. Er hält eine Schach­tel in der Hand, in der sich gefal­te­te bun­te Zet­tel eng anein­an­der rei­hen. Jeder ist mit einem der unzäh­li­gen Zita­te des gro­ßen Poe­ten bedruckt. Dane­ben sitzt ein Sit­tich, der mit einem Faden an das Hand­ge­lenk des Man­nes gebun­den ist. Mensch und Tier bie­ten ein belieb­tes Spiel mit der Zukunft an; eine lite­ra­ri­sche Form des Glücks­kek­ses. Wer sich dar­auf ein­lässt, sieht zu, wie der Mann sei­nen Vogel ganz nah über die Schach­tel bewegt. Gleich einem Ora­kel pickt die­ser mit sei­nem Schna­bel einen Zet­tel und damit auch ein zukunfts­wei­sen­des Zitat her­aus.

Hafez Grab, Schiras, Iran

Hafez Grab, Schiras, Iran

Hafez Grab, Schiras, Iran

Orakel, Hafez Grab, Schiras, Iran

Doch der Iran kennt mehr als nur einen Poe­ten. Ein wei­te­res Grab­mal eines hoch­ver­ehr­ten Dich­ters ist das Mau­so­le­um des Sa›di. Der alt­per­si­sche Lyri­ker wur­de im 13. Jahr­hun­dert in Schi­ras gebo­ren und wid­me­te sich in sei­nem Werk exzes­siv der Schön­heit der Gär­ten. Obwohl weit weni­ger berühmt als Hafez, zählt auch Sa›di zu den ganz Gro­ßen der per­si­schen Dich­tung. Sei­ne Wer­ke tru­gen maß­geb­lich dazu bei, dass die per­si­sche Spra­che und Kul­tur auch in Zei­ten der Bela­ge­rung und Unter­drü­ckung über­dau­er­te und bis heu­te leben­dig ist.

Sa›dis  Grab befin­det sich natür­lich in einem groß­zü­gi­gen Gar­ten. Zypres­sen, Pal­men und Oran­gen­bäu­me flan­kie­ren die gepflas­ter­ten Wege und spen­den Schat­ten über ein­la­den­den Sitz­bän­ken. Ein brei­ter Pfad führt an Bee­ten vor­bei, in denen Stief­müt­ter­chen gepflanzt sind. Er endet vor einer hohen, tür­kis­far­be­nen Kup­pel und dem Ein­gangs­be­reich zum Mau­so­le­um. In sei­nem Inne­ren befin­det sich der Sar­ko­phag des Sa›di, des­sen Grab­mal­plat­te eben­falls mit Ver­sen des Dich­ters geschmückt ist.

Mit uns besu­chen nur eine Hand­voll Men­schen das Mau­so­le­um. Es ist wesent­lich ruhi­ger als die Pil­ger­stät­te, die Hafez› Grab­mal dar­stellt. Doch auch hier spü­ren wir die tie­fe Ehr­erbie­tung, wenn Besu­cher die Ver­se des Dich­ters aus­wen­dig vor­tra­gen.

Sa`dis Grab, Schiras, Iran

Sa`dis Grab, Schiras, Iran

Sa›dis lei­den­schaft­li­che Hin­ga­be an den Gar­ten kön­nen wir in Schi­ras nur zu gut nach­voll­zie­hen, denn die Stadt ist nicht nur berühmt für her­vor­ra­gen­de Lyri­ker, son­dern auch für ihre Gär­ten. In einem Land, das zu wei­ten Tei­len aus Wüs­te besteht, gel­ten präch­ti­ge Gär­ten natür­li­cher Wei­se als etwas ganz beson­de­res. Seit jeher sind sie wich­ti­ger Bestand­teil der per­si­schen Kul­tur. Dabei las­sen sich Gär­ten im Iran nicht unbe­dingt mit dem ver­glei­chen, was wir in Mit­tel­eu­ro­pa gewohnt sind. Holz­zäu­ne, Gemü­se­bee­te und Gar­ten­lau­ben sucht man hier ver­ge­bens.

Per­si­sche Gär­ten wer­den dage­gen zele­briert. Sie sind Sym­bo­le des Lebens in einer kar­gen Land­schaft. Sie offen­ba­ren Far­ben und Düf­te, Fri­sche und Froh­sinn. Es sind Orte des Lust­wan­delns, der Leich­tig­keit, des Ver­ges­sens, des Phi­lo­so­phie­rens, der Lie­be.

Einer die­ser Gär­ten ist der, zur Zeit der könig­li­chen Kad­scha­ren­fa­mi­lie in der Wen­de vom 18. zum 19. Jahr­hun­dert ange­leg­te, Bagh‑e Eram, der Gar­ten des Para­die­ses. Wie der Dolat Abad Gar­ten in Yazd befin­det sich auch der Bagh‑e Eram auf der Lis­te der UNESCO-Welt­kul­tur­er­be­stät­ten.

Stol­ze Zypres­sen ste­hen um den weit­läu­fi­gen Gar­ten Spa­lier. Kie­sel­stein­we­ge füh­ren vor­bei an aus­la­den­den Pal­men, Nadel­bäu­me for­men Alleen, in deren Mit­te schma­le Was­ser­läu­fe flie­ßen. Oran­gen­hai­ne ste­hen in vol­ler Pracht und ver­ste­cken leuch­ten­de Früch­te in ihren dun­kel­grü­nen Blät­ter­kro­nen. Gestutz­te Hecken umrah­men Blu­men­bee­te. Gra­nat­ap­fel­bäu­me und Rosen­gär­ten wech­seln sich mit sat­ten Grün­flä­chen ab. Zwi­schen all der Schön­heit gedei­hen medi­zi­ni­sche Pflan­zen. Im Was­ser­be­cken des Stein­gar­tens genießt eine Schild­krö­te die war­men Son­nen­strah­len.

Bagh-e Eram, Schiras, Iran

Bagh-e Eram, Schiras, Iran

Bagh-e Eram, Schiras, Iran Bagh-e Eram, Schiras, Iran Bagh-e Eram, Schiras, Iran

Vor allem jun­ge Schi­ra­sis schlen­dern ger­ne durch den Gar­ten. Auf den Pfa­den, die in ent­le­ge­ne Ecken und blick­ge­schütz­te Berei­che füh­ren, erfreu­en sich vie­le Lie­bes­paa­re an etwas Pri­vat­sphä­re, die ihnen ande­ren­orts nur sel­ten zuteil wird. Schüch­tern suchen sie die Abge­schie­den­heit der ver­win­kel­ten Anla­ge. Frau­en, deren Kopf­tü­cher nicht ein­mal die Hälf­te ihrer Haar­pracht bede­cken, schwat­zen ver­gnügt auf einer Bank hin­ter hohen, aus­la­den­den Büschen. Künst­li­che Was­ser­läu­fe durch­zie­hen den Gar­ten, die sich hier und da in einen Spring­brun­nen ergie­ßen. Sym­me­trie und Par­al­le­li­tät gehö­ren zu den wich­tigs­ten Kenn­zei­chen per­si­scher Gär­ten.

Das Zen­trum des Gar­tens bil­det ein gro­ßes, pal­men­um­stan­de­nes Was­ser­be­cken, vor dem ein mehr­stö­cki­ger Palast in die Höhe ragt. Hier resi­dier­ten die Kad­scha­ren, wenn sie ein paar Stun­den oder auch Tage in ihrem Gar­ten ver­brach­ten. Aus­la­den­de Ter­ras­sen, Bögen und fan­ta­sie­vol­le Wand­bil­der, wel­che die Köni­ge mit ihrem Gefol­ge in para­die­si­scher Umge­bung zei­gen, schmü­cken die Fas­sa­de. Fami­li­en schie­ßen Erin­ne­rungs­fo­tos. Eine Schul­klas­se stürmt lär­mend her­an und wird umge­hend von den Leh­rern und vom Wach­per­so­nal zur Ruhe ermahnt.

Bagh-e Eram, Schiras, Iran

Bagh-e Eram, Schiras, Iran

Der Bagh‑e Eram ist tat­säch­lich ein para­die­si­scher Gar­ten. Ein uner­war­te­tes Idyll, das wir mit jedem Atem­zug genie­ßen. Die war­men Son­nen­strah­len spie­len auf unse­ren Gesich­tern und im hedo­nis­ti­schen Nichts­tun füh­len wir uns pudel­wohl. Als sich dann jedoch der Nach­mit­tag gen Abend neigt, ver­las­sen wir den Gar­ten des Para­die­ses und machen uns auf den Weg zur hei­ligs­ten Stät­te der Stadt.

Mit­ten in Schi­ras› Zen­trum befin­det sich das Mau­so­le­um des „Königs des Lichts“. Es ist einem der 17 Brü­der des Imam Reza – dem ein­zi­gen hei­li­gen Imam der Schii­ten, der im Iran begra­ben liegt – gewid­met, der an die­ser Stel­le im Jahr 835 ermor­det wur­de. Als Ver­wand­ter ers­ten Gra­des mit dem ach­ten der zwölf hei­li­gen schii­ti­schen Ima­me, wird Say­y­ed Mir Ahmad, so der Name des Bru­ders, eben­falls als hei­lig ver­ehrt.

Sei­ne Über­res­te lagern in einem atem­be­rau­ben­den, rie­si­gen Schrein, des­sen Herr­lich­keit nur sehr schwer in Wor­te zu fas­sen ist. Als wir die weit­läu­fi­ge Anla­ge betre­ten, ist die Son­ne bereits hin­ter dem Hori­zont ver­schwun­den. Über einem hell erleuch­te­ten Innen­hof, den wir durch geschlech­ter­ge­trenn­te Ein­gän­ge errei­chen, wölbt sich ein wol­ken­frei­er Him­mel, des­sen stahl­blaue Fär­bung lang­sam ins Schwar­ze über­geht. Hier im Inne­ren der Anla­ge geht es äußert streng zu. Neben dem Hijab ist auch das Tra­gen eines Tscha­dor, eines wei­ten Tuches, mit dem der weib­li­che Kör­per ver­steckt wird, Pflicht. Kame­ras sind tabu, denn für pro­fa­ne Foto­gra­phien ist der Ort ein­fach zu hei­lig. Den­noch schre­cken auch Ira­ner nicht davor zurück mit ihren Smart­phones Sel­fies und aller­lei ande­re Bil­der zu knip­sen.

Mausoleum des Königs des Lichts, Schiras, Iran

Jeden Tag pil­gern hun­der­te Gläu­bi­ge hier­her, um dem Ver­stor­be­nen zu Geden­ken oder um Bei­stand zu erbit­ten. Das Gelän­de ist so groß, dass es auch jetzt am Abend, wenn vie­le Gläu­bi­ge aus der Stadt hier­her kom­men, noch immer still und bedäch­tig wirkt. Wir las­sen uns zunächst in der Mit­te des Innen­ho­fes nie­der und betrach­ten die bau­chi­ge, im Schein der Leucht­strah­ler gol­den glän­zen­de Kup­pel des Schreins. Hin­ter der säu­len­um­ring­ten Vor­hal­le öff­nen sich meh­re­re, mit schwe­ren Stof­fen abge­häng­te Ein­gangs­to­re. Wach­per­so­nal regelt den geschlech­ter­ge­trenn­ten Ein­lass und ach­tet auf reli­gi­ös-kon­for­me Klei­dung.

Exqui­si­te, aus blau­en und tür­kis­far­be­nen, zer­bro­che­nen Kacheln zusam­men­ge­setz­te Mosai­ke schmü­cken Wän­de und Nischen nahe der Ein­gän­ge. Es sind die übli­chen, her­vor­ra­gen­den Ran­ken- und Blü­ten­mus­ter, die uns auf unse­rem Weg durch den Iran bis­her beglei­te­ten. Koran­ver­se sind zwi­schen die flo­ra­len Moti­ve ein­ge­las­sen. Es heißt, dass nur Mus­li­me den Schrein betre­ten dür­fen, doch schein­bar haben wir Glück und gelan­gen ohne Schwie­rig­kei­ten in eine der hei­ligs­ten schii­ti­schen Stät­ten des Irans.

Mausoleum des Königs des Lichts, Schiras, Iran

Das Inne­re des Schreins ist über­wäl­ti­gend. Auf dicken, wei­chen Per­ser­tep­pi­chen sit­zen Män­ner im Gebet ver­tieft. Lei­ses Gemur­mel dringt durch die Luft. Hun­der­te Glüh­lam­pen in rie­si­gen, ein­drucks­vol­len Kron­leuch­tern strah­len unter den Kup­pel­de­cken. Glas­kris­tal­le hän­gen schwer von ihnen her­ab. Jede Wand, jede Nische, jeder Bogen ist mit ara­bes­ken Spie­gel­mus­tern ver­klei­det, lücken­los. Spie­gel an Spie­gel reiht sich eng anein­an­der. Sie reflek­tie­ren das Licht der Kron­leuch­ter hun­dert­fach. An das schumm­ri­ge Licht der her­ein­bre­chen­den Nacht gewöhnt, blen­det die Hel­lig­keit im Schrein so inten­siv, dass mei­ne Augen schmer­zen. Über­all fun­kelt es magisch.

Spie­gel und Glas­kris­tal­le schi­cken das Licht im Raum hin und her. Von allen Sei­ten schim­mert es. Die Atmo­sphä­re ist ein­drucks­voll, warm, erha­ben, ehr­fürch­tig. Auch ich wür­de mich hier gebor­gen füh­len, wenn ich nicht dar­auf bedacht wäre, mich heim­lich dem Kame­ra­ver­bot zu wider­set­zen. Der König des Lichts liegt in einem wahr­lich wür­di­gen Schrein. Das mit Sil­ber und Gold geschmück­te Grab­mal befin­det sich in einer Ecke des Rau­mes, der so kon­zi­piert ist, dass sich das Grab­mal zur Hälf­te in jeweils einem der geschlech­ter­ge­trenn­ten Berei­che befin­det. Män­ner und Frau­en ste­hen auf bei­den Sei­ten andäch­tig mit nach oben geöff­ne­ten Hand­flä­chen am Grab­mal oder strei­chen ehr­fürch­tig über das glän­zen­de Metall. Ande­re beten, in lan­gen Rei­hen zusam­men­ste­hend in Rich­tung der hei­ligs­ten aller Stät­te, Mek­ka.

Mausoleum des Königs des Lichts, Schiras, Iran

Mausoleum des Königs des Lichts, Schiras, Iran

Als wir den Schrein des Say­y­ed Mir Ahmad ver­las­sen, fängt es erneut an zu reg­nen und wir keh­ren zurück in Ash­kans gemüt­li­che WG. Heu­te Abend haben wir zum Essen ein­ge­la­den und da wir vie­le Mäu­ler stop­fen wer­den, ent­schei­den wir uns für das ein­fachs­te und schnells­te aller Gerich­te: Pfann­ku­chen.

Der Teig ist rasch zube­rei­tet und da wir in Erman­ge­lung eines Pfan­nen­wen­ders die Pfann­ku­chen in der Luft dre­hen, bie­ten wir neben dem Essen auch noch bes­te Unter­hal­tung. Ash­kan, Hamid, Omid, Hadi, San­jay – sie alle wol­len ein­mal einen Pfann­ku­chen durch die Küche schleu­dern. Natür­lich endet es in einer rie­si­gen Saue­rei. Teig spritzt durch die Gegend, halb gebra­te­ne Pfann­ku­chen lan­den in der Spü­le oder klat­schen auf die Aus­leg­wa­re. Dafür ist der Applaus umso grö­ßer, wenn sich ein Pfann­ku­chen tat­säch­lich akku­rat in der Luft dreht und zurück in die Pfan­ne fällt. Immer­hin stel­len sich die Jungs so gut an, dass wir alle satt wer­den. Dann ist es wie­der Zeit für Wohn­zim­mer­ge­sprä­che, unse­re liebs­te Beschäf­ti­gung mit unse­ren Gast­ge­bern. Es ist unser letz­ter Abend in Schi­ras und ein biss­chen Weh­mut schwingt mit jedem Wort mit. Mor­gen ver­las­sen wir nicht nur eine wun­der­schö­ne Stadt vol­ler Kunst und Kult, son­dern auch vie­le lieb­ge­won­ne­ne Freun­de.

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