Dein Warenkorb ist gerade leer!
Rumänien – das ist doch die Heimat von Dieben und Sozialschmarotzern, die zu uns nach Deutschland kommen um Hartz IV und Kindergeld zu beantragen um es dann durch Ladendiebstahl aufzubessern. Vorurteile sind dazu da um abgebaut zu werden und glaubt man Mark Twain ist Reisen für sie tödlich. Und so hatte ich eine Mission für meine Fahrt durch Rumänien.
Ein kleines rumänisches Dorf an der Donau
Stell dir vor, du bist der Besitzer einer Touristenpension in einem kleinen rumänischen Dorf am Ufer der Donau. Wie die meisten Pensionen der Gegend ist deine Unterkunft eher für besser betuchte Gäste ausgelegt. Zusammen mit deinen Angestellten bereitest du jetzt am frühen Nachmittag deinen Speiseraum für eine grosse Feier heute Abend in geschlossener Gesellschaft vor, als ein verschwitzter junger Mann mit Fahrradhelm eintritt. Der Radfahrer kommt aus Deutschland, dem wohlhabenden Land in Mitteleuropa, wo so mancher Politiker vor einer Flut krimineller und sozialschmarotzender Rumänen warnt, spricht kein rumänisch, seine lange schwarze Hose ist voller brauner Schlammflecken und anhand des Geruchs, der dir entgegenschlägt vermutest du, dass er schon seit einigen Tagen ungeduscht ist. Er sucht eine Unterkunft für die Nacht, doch als du ihm deinen Preis für ein Einzelzimmer nennst, erkennst du an seiner Reaktion, dass diese Summe den Rahmen seines Reisebudgets um mehr als nur ein paar rumänische Lei übersteigt. Du könntest den verdreckten Bengel nun besten Gewissens mit einem entschuldigenden Achselzucken zurück nach draussen schicken und dich wieder um die viel wichtigeren Party-Vorbereitungen kümmern. Stattdessen kramst du dein Handy hervor und rufst ein halbes Dutzend Pensionen in der Nähe an, um zu fragen ob sie ein Zimmer in der Pfennigfuchser-Preisklasse anzubieten haben. Haben sie nicht. Den Radfahrer, der von der Hartnäckigkeit mit der du ihm zu helfen versuchst etwas überrascht scheint, komplimentierst du aber auch jetzt noch nicht nach draussen, sondern lässt ihm stattdessen ein kostenloses Glas Cola servieren und rufst ein Ehepaar aus dem Dorf an, von dem du weisst, dass sie regelmässig durchreisende Radfahrer bei sich aufnehmen.
Auf diese Weise lernte ich Maria und George kennen. Als ich vor ihrem kleinen Häuschen nahe des Dorfzentrums ankam, sass George gerade auf seiner Veranda beim Kartenspielen in grosser Runde. Er war ein relativ kleingewachsener, glatzköpfiger Mann ende 50 mit freundlichem Gesicht und fröhlichen Augen. Freudig begrüsste er mich auf Englisch und führte mich durch die Haustür in das direkt dahinterliegende Wohnzimmer: »Please feel like at home. You can sleep on the couch or you can camp in the garden. We often have cyclists here, they can stay as long as they want and never pay anything«, verkündete er stolz. Ich wurde noch vor den vier Hunden gewarnt die hinter der Wohnzimmertür von mir ferngehalten wurden, weshalb ich das Badezimmer lieber erst später benutzen sollte (»They are very good dogs!«), und dann musste George schnell zurück zum Kartenspielen.
Maria und George
Von seiner Frau Maria erfuhr ich später, dass George in den Achzigern einige Jahre in Australien gelebt hat. Sie selbst hatte Englisch von ihm und während eines mehrmonatigen Aufenthalts in England gelernt. Maria war zehn Jahre jünger als George und arbeitete im Auftrag der Regierung als Sozialarbeiterin in dem Dorf. Sie erzählte mir von den Problemen des Landes wie Korruption, Bürokratie und schlechten Arbeitslöhnen. Für ihren Vollzeitjobs verdiente Maria umgerechnet etwa 200 Euro im Monat. Es seien diese niedrigen Löhne in ihrer Heimat und nicht die Absicht fremde Sozialsysteme zu parasitieren, die viele ihrer Landsleute dazu veranlassten in Ländern wie Deutschland nach Arbeit zu suchen.
Als er mit seinem Kartenspiel fertig war, hatte dann auch George Zeit, mir aus seinem bewegten Leben zu erzählen: nach Australien war er vor über 30 Jahren vor dem Kommunismus geflohen. In einer kalten Nacht im November 1980 war er in die Donau gesprungen, mit der Absicht Jugoslawien am anderen Ufer schwimmend zu erreichen. »The border soldiers would shoot you when they saw you swimming. They don´t ask, just shoot.« Nach ein paar Metern war er wieder umgekehrt – das Wasser war einfach zu kalt. Wenige Tage später hatte er seinen Körper gegen die Kälte mit Öl eingeschmiert und es erneut versucht. Diesmal schaffte er es zum rettenden Ufer und landete in Jugoslawien erstmal im Gefängnis. Er verbrachte ein paar Tage im Knast bis er das Angebot bekam nach Australien abgeschoben zu werden, wo er als Arbeitskraft willkommen war. So landete George in Sydney und kehrte erst 1989 nach Ende des Kommunismus in seine Heimat zurück. Während ich dieser Geschichte lauschte, kam mir meine eigene Reise wie ein kitschiges Walt Disney Abenteuer vor.
Die Donau zwischen Rumänien und Serbien
Ich verbrachte die Nacht auf der Couch im Wohnzimmer. Das Wetter war umgeschlagen und für die Nacht und die nächsten Tagen viel Regen vorausgesagt. Auf besseres Wetter zu warten schien weitgehend hoffnungslos und so schob ich mein Fahrrad am nächsten Morgen aus Maria und Georges Wohnzimmer hinaus in den Regen. Mir stand ein grässlicher Tag bevor, mit viel Regen und einer Gepäckträgerpanne, die ich im strömenden Regen am Strassenrand reparierte, während ich meine Tour verfluchte. Teilweise entschädigt wurde ich in den Momenten, in denen sich die Wolkenwand öffnete und den Blick auf die grandiosen Schluchten freimachte, durch die sich die Donau zwischen Rumänien und Serbien windet.
Hartes Regenwetter an der Donau
Ein paar Tage später war ich im Süden Rumäniens und mittlerweile dem allerschlimmsten Regenwetter entkommen. Je weiter nach Süden richtung bulgarischer Grenze ich kam, desto mehr gewannen auf den Strassen Pferdekarren die Oberhand über Autos, LKWs und Traktoren. In den vielen kleinen Dörfern sassen die Leute auf den Bänken vor ihren Gärten und beobachteten entweder still die an ihnen auf der Strasse vorbeiziehende Welt, die ihnen an diesem Tag einen schwer bepackten deutschen Radfahrer vorbeischickte, oder unterhielten sich in Grüppchen. Ich stellte fest, dass sich diese Grüppchen in den verschiedenen Dörfern glichen. Da waren die alten Frauen mit langen Röcken und Kopftüchern die mir freundlich zunickten, die Teenager-Jungs mit lässigem Gehabe, die kichernden Teenagerinnen, die mal mehr oder weniger frechen Kinder die mir beim Vorbeifahren »high-five« geben wollten, die alten Ehepaare die schweigend nebeneinander auf ihrer Bank sassen und still einen Arm zum Gruss erhoben wenn ich vorbeifuhr und natürlich meine grössten Fans, die älteren Männer, von denen ich in fast jedem Dorf lautstark gegrüsst und angefeuert wurde.
Es war herrlich durch Rumänien zu radeln. Die sozialschmarotzenden und stehlenden Bewohner des Landes haben sich jedenfalls gut vor mir versteckt.
Ländliche Idylle im Süden Rumäniens
Antworten
Hallöchen!
Ich bin selbst in Rumänien gewesen und mir wurde von Einheimischen sehr viel gezeigt. Es war mitten im Sommer und viel wärmer als bei uns in Deutschland. Das waren zwei ganz wunderbare Wochen in einem so ganz anderen, wunderschönen Land. Schön, wenn auch andere es so sehen und ein wenig »Werbung« machen. 🙂
Viele Grüße
AnnaToller Bericht und tolle Fotos! Für uns geht es nächstes Jahr nach Rumänien… Ich bin sehr gespannt, wie sich das Land uns in den ländlicheren Gebieten präsentieren wird.
Nach meinen Erfahrungen koennt ihr euch auf ein herzliches Willkommen freuen 🙂
[…] Bilder aus dem mexikanischen Chiapas. Mit den Reisevorurteilen gegen Rumänien räumt hingegen dieser schöne Beitrag von Sebastian auf – ohne Dracula und Autodiebe. Auch Japan ist nicht nur etwas für Mangafans mit […]
Hi Patric,
ich hoffe doch sehr, dass man den ironisch bis sarkastischen Unterton, mit dem ich auf die Klischees und Vorurteile gegenueber Rumaenen eingehe, herauslesen kann. In diesem Sinne darfst du sie gerne als literarischen Aufhaenger betrachten und beruhigt sein, dass fuer mich persoenlich nur sehr wenige Vorurteile durch diese Reise abgebaut werden mussten. Die »Mission« von der ich am Anfang spreche bezieht sich dementsprechend eher auf die spaeter erwaehnten deutschen »Politiker« und ihrer Anhaenger, die – ich gebe dir Recht – einen sehr kleinen Anteil der Reisedepeschen-Leserschaft ausmachen duerften. Doch ich hoffe, dass die Gegenueberstellung von Klischee und Wirklichkeit auch fuer vorurteilsfreie Leser ein positives Lesererlebnis ergibt.
Viele Gruesse
SebastianWow, wenn du noch immer mit solchen Vorurteilen hantierst, dann aber los »auf die Strasse« und gen› Osten! Und falls du diesen Aufhänger nur als »guten« Aufhänger literarisch verwendet hast, dann … naja .. die wenigen Leute »zu hause«, die diesem Klischee nacheifeifern, sind wohl kaum diejenigen, welche die Berichte auf »Reisedepeschen« lesen.
Trotzdem liebe Grüsse
Traveling_patHey!!! Ein wirklich schöner Bericht! Werde nächste Woche mit meinem Freund nach Rumänien zu einer Hochzeit fliegen. Die freien Tage werden wir dafür nutzen, Land und Leute etwas näher kennenzulernen!
Liebe Grüße aus Hamburg
Madeleine
Schreibe einen Kommentar