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Der Matsch ist dein Feind!

Ich war am Anfang mei­ner Rad­reise und heiss auf Aben­teuer. Nach der küh­len Ein­tö­nig­keit Ungarns hoffte ich es in mei­nem nächs­ten Land end­lich zu fin­den: Rumä­nien – das klang doch geheim­nis­voll und viel­ver­spre­chend. Tat­säch­lich ver­zeich­nete ich keine 48 Stun­den nach mei­ner Ein­reise zwei Oster­eier, meine erste Hun­de­at­ta­cke und ein ver­schlamm­tes Fahr­rad auf der Habenseite.

Dunkle Wol­ken waren am Hori­zont auf­ge­zo­gen wäh­rend ich mich der rumä­ni­schen Grenze näherte. Als die Poli­zis­ten an der Grenz­sta­tion mei­nen Rei­se­pass kon­trol­lier­ten, freu­ten sie sich wie kleine Kin­der, als sie meine usbe­ki­schen und ira­ni­schen Visa im Pass fan­den. Sie hiel­ten mich für ver­rückt mit dem Fahr­rad durch diese Län­der fah­ren zu wol­len – noch dazu unbe­waff­net („Do you have spon­sor­ship, are you get­ting paid for this?“). Gerne erlaub­ten sie mir das Gewit­ter, das nun in vol­lem Gange war, unter der Grenz­sta­tion aus­sit­zen. Einer der Poli­zis­ten brachte mir sogar noch einen Kaf­fee aus dem Stationsautomaten.

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Dunkle Wol­ken an der rumä­ni­schen Grenze

Nach der Gleich­gül­tig­keit mit der mir die Leute in Öster­reich und Ungarn meist begeg­net waren, freute ich mich ziem­lich über die Auf­merk­sam­keit, die ich hier bekam. Ich hatte zu die­sem Zeit­punkt das Gefühl, dass meine Reise noch nicht so rich­tig in Gang gekom­men war und noch nicht das grosse Aben­teuer war, das ich mir erhofft hatte. Als ich den pras­seln­den Regen und die Blitze aus der Tro­cken­heit der Grenz­sta­tion beob­ach­tete, wollte ich gerne glau­ben, dass Rumä­nien erleb­nis­rei­cher wer­den würde. Ich fuhr hin­ein in die vom Gewit­ter gerei­nigte Luft Rumä­ni­ens. Schon nach weni­gen Kilo­me­tern Fahrt durch die fla­che Acker­land­schaft lie­ferte ich mir die erste von unzäh­li­gen Ver­fol­gungs­jag­den mit einer klei­nen Bande Stras­sen­hunde, die mir bel­lend und mit gefletsch­ten Zäh­nen nach­rann­ten und mich trotz ihrer eher pudel­ar­ti­gen Sta­tur ordent­lich erschreck­ten. Dies erin­nerte mich nicht nur an die Stras­sen­hund­pro­bleme Rumä­ni­ens, von denen ich gehört hatte und deret­we­gen ich mir eigent­lich schon vor der Grenze einen Ver­tei­di­gungs­stock hatte zule­gen wol­len, son­dern liess auch meine Lust auf wil­des Zel­ten in die­ser Nacht sinken.

Also nahm ich mir im nächs­ten Dorf ein Herz und fragte einen Mann der gerade sei­nen Hof fegte, ob ich für eine Nacht in sei­nem Gar­ten zel­ten durfte. Der kleine, etwa 60-jäh­rige Mann wil­ligte zunächst etwas zöger­lich ein. Doch ein­mal ent­facht war seine Gast­freund­schaft rie­sig: als ich wenig spä­ter in mei­nem Zelt in dem durch hohe Mau­ern abge­sperr­ten Gar­ten sass, brachte mir mein Gast­ge­ber, der sich als Dan vor­ge­stellt hatte, ein klei­nes Fest­mahl zum Abendessen.

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Zel­ten in Dans Garten

Ich freute mich nicht nur über die Kohl­rou­la­den, das leckere Zucker­ge­bäck und die bei­den Oster­eier, die ich bekom­men hatte, son­dern auch dar­über end­lich Kon­takt mit der ein­hei­mi­schen Bevöl­ke­rung zu haben. Am nächs­ten Mor­gen durfte ich auch noch mit Dan und sei­ner Fami­lie früh­stü­cken. Neben wei­te­ren lecke­ren Kohl­rou­la­den und Oster­ei­ern musste ich mich auch durche ein gros­ses Stück Leber­pas­tete kämp­fen, von der ich mich durch eine rumä­nisch-deutsch-eng­li­sche-Hände-und-Füsse-Kon­ver­sa­tion mit Dan und sei­nen erwach­se­nen Söh­nen ablenkte. Dan arbei­tete als Ver­käu­fer in einer Tank­stelle, hatte zuhause aber auch einen klei­nen Bau­ern­hof mit des­sen Erzeug­nis­sen er sich und seine Fami­lie teil­weise mit Nah­rungs­mit­teln selbst ver­sorgte. Was für mich sehr roman­tisch klang, war für ihn aber wohl in ers­ter Linie ein Weg, mit den nied­ri­gen rumä­ni­schen Löh­nen aus­zu­kom­men. Nach­dem ich mich von Dan und sei­ner Fami­lie ver­ab­schie­det hatte erwar­te­ten mich Gegen­wind und küh­les Wet­ter. Ich fuhr trotz­dem wei­ter, denn ich konnte es nach der fla­chen Land­schaft Ungarns kaum erwar­ten die Berge der Kar­pa­ten zu sehen. In einem klei­nen Dorf liess mich aber meine leicht ver­al­tete rumä­ni­sche Stras­sen­karte im Stich und ich fragte einen schick geklei­de­ten Mann nach dem Weg. Nach Süden führte aus dem Dorf nur ein extrem schlech­ter Feld­weg rich­tung Kar­pa­ten, der nach dem vie­len Regen der ver­gan­ge­nen Tage mög­li­cher­weise unbe­fahr­bar war. Da die Alter­na­tive über Teer­stras­sen aber 70 Kilo­me­ter Umweg bedeu­tet hätte und die Stre­cke über den Feld­weg nicht län­ger als 15 Kilo­me­ter sein konnte, über­legte ich nicht lange und stürzte mich in die ver­meint­li­che Abkür­zung. Not­falls würde ich das Fah­rad eben 15 Kilo­me­ter weit schie­ben, dachte ich. Und nach etwas mehr Aben­teuer hatte ich mich ja ohne­hin gesehnt.

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Am Anfang war ich noch optimistisch…

Keine 500 Meter nach­dem ich in den Feld­weg ein­ge­bo­gen war, begann ich ein­zu­se­hen, dass der Mann aus dem Dorf kein Biss­chen mit sei­nen von mir hoch­mü­tig igno­rier­ten War­nun­gen über­trie­ben hatte. An Fah­ren war hier schon nicht mehr zu den­ken. Ich schwitzte und keuchte unter der nun schei­nen­den Mit­tags­sonne als ich mein Rad durch tiefe, mit mat­schi­gem Was­ser gefüllte Trak­tor­spur­ril­len zerrte, die mehr einen schlecht gepfleg­ten, gras­über­wach­se­nen Acker als einem Feld­weg glichen.

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Der Feld­weg

Es dau­erte ein biss­chen län­ger bis ich das grösste Pro­blem erkannte: Der kleb­rige Lehm­bo­den geriet in die Zwi­schen­räume zwi­schen Fahr­rad­rah­men, Brem­sen und Rei­fen und blo­ckierte Letz­tere. Ich musste den Matsch immer wie­der mit den Hän­den ent­fer­nen um wei­ter­schie­ben zu kön­nen und war bald in Schweiss und Matsch gebadet.

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Mein Vor­der­rei­fen nach weni­gen Kilo­me­tern: Der Matsch ist dein Feind

Unter dem Man­tra „Der Matsch ist dein Feind“ kam ich leid­lich gut voran indem ich die mat­schigs­ten Stel­len ver­mied. Irgend­wann sah ich einen Wald seit­lich vor mir. Der Mann aus dem Dort hatte mir gesagt, dass der Weg etwa auf Höhe die­ses Wal­des bes­ser wer­den würde. Nach fast zwei Stun­den Schwerst­ar­beit in denen ich etwa fünf Kilo­me­ter vor­an­ge­kom­men war, schien das schlimmste überstanden.

Sel­ten so geirrt.

Ich erreichte die Stelle an der aus den Spur­ril­len ein auf den ers­ten Blick ver­gleichs­weise traum­haft aus­se­hen­der Feld­weg wurde, der sich durch end­lose, grüne Korn­fel­der zog. Dumm nur, dass ich mein Fahr­rad auf dem nas­sen Lehm­weg keine zwei Meter bewe­gen konnte, ehe der Lehm meine Räder kom­plett blo­ckiert hatte. Das war das Ende die­ses Weges für mich. Da war kein lehm­freier Sei­ten­strei­fen auf denen das Rad lau­fen könnte, nur ebenso leh­mige Getreidefelder.

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Der unschein­bare aber unbe­fahr­bare Feld­weg durch die Kornfelder

Von einer klei­nen Anhöhe aus konnte ich kein Ende der grü­nen Fel­der mit dem teuf­li­schen Boden­sub­strat erken­nen. Starr­köp­fig ver­suchte ich noch für ein paar hun­dert Meter mein Rad mit den unver­meid­lich blo­ckier­ten Rei­fen wie einen 50 kg schwe­ren Schlit­ten durch den Matsch zu zie­hen. Es dau­erte zum Glück nicht mehr lange, bis ich die Lächer­lich­keit die­ser Metho­dik ein­sah, meine Nie­der­lage ein­ge­stand und umkehrte. Am Hori­zont sah ich im Süden die Sil­hou­et­ten der Kar­pa­ten im war­men Abendlicht.

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Die Kar­pa­ten im Abendlicht

Meine Arme schmerz­ten vom stun­den­lan­gen Schie­ben und Tra­gen des Rads und meine rechte Wade stand kurz vor dem Ver­kramp­fen. Ich schlug mein Zelt auf der ein­zi­gen lehm­freien Wiese auf und genoss die Ruhe (es dürfte die ein­zige Nacht in Rumä­nien ohne das sonst all­ge­gen­wär­tige Bel­len von Hun­den gewe­sene sein) und den Blick auf die Kar­pa­ten bei Son­nen­un­ter­gang. Wenigs­tens dafür hat­ten sich die Stra­pa­zen gelohnt. Und obwohl in dem Moment, als die Abend­sonne die Getrei­de­fel­der in sanf­tes, oran­ge­nes Licht tauchte und die Berge am Hori­zont bereits blaue Schat­ten war­fen, noch die schmer­zen­den Glied­mas­sen sowie der mor­gen unver­meid­lich bevor­ste­hende Rück- und Umweg meine Gedan­ken beherrsch­ten, begann einem Teil von mir klar zu wer­den, dass Rumä­nien bereits das gehal­ten hatte was ich mir bei der Ein­reise von dem Land ver­spro­chen hatte: Kon­takte mit den Ein­hei­mi­schen und ein­schnei­dende Erleb­nisse mit dem Rad. Doch anders als Oster­eier und Kohl­rou­la­den las­sen sich Aben­teuer im Nach­hin­ein ein­fach bes­ser geniessen.

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Cate­go­riesRumä­nien
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Sebastian Haas

Mit dem Fahrrad in den fernen Osten. Nach 5-jährigem Studium der (Mikro)biologie zieht es mich wieder hinaus auf die Strassen der Welt. Ich suche das grosse Abenteuer alleine auf dem Fahrrad: auf meinem Weg durch die geheimnisvollen und fremdartigen Länder West-, Zentral- und Ostasiens erlebe ich die Freiheit und Einfachheit des Lebens auf dem Rad, kämpfe gegen die Elemente, bewundere die exotische Schönheit der Steppen, Wüsten und Gebirge, und erfahre grenzenlose Gastfreundschaft.

  1. Ich werde nie die 20 cm Matsch unter mei­nen Schu­hen ver­ges­sen, als es in Rumä­nien in Sie­ben­bür­gen das erste Mal seit lan­gen reg­nete. Aber auch hier in Kenia nach dem Regen wie der Sand auf Wegen sich so in Schmier­seife ver­wan­delt, das man mit den Auto eine Stei­gung von 5 % nicht mehr schafft

    1. Es war fuer mich ein ein­schnei­den­des Erleb­nis, das meine Ueber­zeu­gung wider­legt hat, dass man noch jede Strasse mit etwas (Willens)kraft benut­zen kann…

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