Roadtrip in den Märchenwald

Es ist spä­ter Nach­mit­tag. Eigent­lich zu spät für einen Road­trip, den­ke ich und beis­se in den Apfel, den ich als Pro­vi­ant mit­neh­men woll­te. João soll­te vor zwei Stun­den hier sein, um mich abzu­ho­len. Seit andert­halb Stun­den übe ich mich jetzt aber schon in Geduld und ver­su­che mei­ne deut­sche Pünkt­lich­keit der por­tu­gie­si­schen Gelas­sen­heit anzu­pas­sen. Funk­tio­niert erstaun­lich schlecht. Schließ­lich ist das hier mein letz­ter Tag in Lis­sa­bon – der Stadt in die ich mich Hals über Kopf ver­liebt habe. Ihn mit War­ten zu ver­brin­gen, war eigent­lich nicht mein Plan gewe­sen. Aber João, mein ver­rück­ter por­tu­gie­si­scher Freund, hat­te dar­auf bestan­den, dass ich vor mei­ner Abrei­se mit ihm einen Aus­flug nach Sin­tra mache, einem ver­träum­ten Ort in den Ber­gen über Lis­sa­bon, den Lonely Pla­net als »die her­aus­ge­ris­se­ne Sei­te aus einem Mär­chen­buch« beschreibt. Lis­sa­bon­ner kom­men hier schon seit Urzei­ten her, um der Hek­tik der Groß­stadt zu ent­flie­hen. Por­tu­gie­si­sche Köni­ge und Herr­scher aus dem Mor­gen­land ver­brach­ten ihre Som­mer hier und Lord Byron fand in Sin­tra so viel Inspi­ra­ti­on, dass eine Ter­ras­se nach ihm benannt wur­de, denn hier schrieb er »Child Harold’s Pil­ger­fahrt«.
Fah­ren wür­de ich jetzt auch gern. Los­fah­ren näm­lich. Und end­lich braust João mit sei­nem Auto und einem Freund auf dem Bei­fah­rer­sitz um die Ecke. Die Bat­te­rie war leer. Kann ja mal pas­sie­ren. Mit der unter­ge­hen­den Son­ne auf der lin­ken Schul­ter fah­ren wir nun aber am Ufer des Tejo ent­lang, pas­sie­ren Belém, wo es die bes­ten Past­eis de Nata der Stadt gibt und Cas­cais, wo laut João die rei­chen Por­tu­gie­sen leben. Surf­mu­sik plät­schert aus den Boxen, Fahrt­wind pus­tet durchs Fens­ter und in gemüt­li­chen Schlan­gen­li­ni­en win­det sich schließ­lich eine ein­sa­me Stra­ße in die nebel­ver­han­ge­nen Ber­ge.

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Auf dem Weg nach Sin­tra liegt noch ein Mei­len­stein, ein ech­ter. Der »Cabo da Roca« mar­kiert den west­lichs­ten Punkt von Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa. Danach kommt nur noch Meer… und irgend­wann Ame­ri­ka. Der por­tu­gie­si­sche Poet Luís de Camões beschrieb Cabo da Roca einst als »Onde a ter­ra se aca­ba e o mar come­ça – als den Ort, »wo das Land endet und das Meer beginnt.« Auch wir stop­pen an der Lan­des­gren­ze und schau­en in die Fer­ne, wo irgend­wo die Frei­heits­sta­tue ihre Fackel hoch­hält. Als kei­ner guckt, spu­cke ich noch schnell ins Was­ser… viel­leicht schafft es ein Teil von mir ja über den gro­ßen Teich.

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Wie­der im Auto schal­tet João die Musik aus und kur­belt das Fens­ter ganz her­un­ter. »Das hier ist der bes­te Teil des Trips… zumin­dest für mich,« sagt er und biegt in einen Wald­weg ein, auf dem das Auto dann vom Nebel ver­schluckt wird. Magi­sche Wel­ten ver­ber­gen sich meist hin­ter einer gehei­men Pfor­te. Nach Nar­nia kommt man durch einen Schrank, zum Hog­warts-Express über ein gehei­mes Gleis, Ali­ce fällt in einen Kanin­chen­bau und lan­det so im Wun­der­land. Sin­tras Pfor­te ist die­ser Wald und am ande­ren Ende war­ten tat­säch­lich Wun­der. Durch die Baum­wip­fel schim­mern kun­ter­bun­te Schlös­ser und eine alte mau­ri­sche Burg sitzt auf dem Hügel – Schnee­witt­chen und Rum­pel­stilz­chen könn­ten hier jeder­zeit aus dem Unter­holz sprin­gen!

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Erst am Abend kom­men wir in Sin­tra an und haben das gemüt­li­che Städt­chen fast für uns. Im Win­ter schlum­mert es unter Wol­ken, nur weni­ge Tou­ris­ten ver­ir­ren sich hier­her und wir wan­dern unge­stört durch die alten Gas­sen, vor­bei an moos­be­wach­se­nen Mau­ern und Wunsch­brun­nen. Die Fül­le an jahr­hun­der­te­al­ten Paläs­ten und Schlös­sern wirkt bizarr auf mich und es über­rascht mich nicht, zu hören, dass die­ses Dis­ney­land zum Unesco Welt­kul­tur­er­be erklärt wur­de – Sin­tras Geschich­te platzt immer­hin aus allen Näh­ten! Und wie so oft in den letz­ten Wochen fra­ge ich mich, war­um ich von all dem nichts wuss­te. Von Por­tu­gal, mei­ne ich. Von sei­nen ver­steck­ten Strän­den an der West­küs­te und sei­ner leb­haf­ten Haupt­stadt, von sei­nem unbe­rühr­ten Hin­ter­land und sei­ner beein­dru­cken­den Geschich­te, von sei­nem ein­fa­chen aber so gutem Essen und sei­nen wun­der­vol­len Men­schen – und von Sin­tra natür­lich… der her­aus­ge­ris­se­nen Sei­te aus einem Mär­chen­buch.

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Wer in Lis­sa­bon lan­det und dort kei­nen João mit Auto kennt, dem sei an die­ser Stel­le die Sin­tra-Tour von »We Hate Tou­rism« ans Herz gelegt!

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Antworten

  1. Avatar von Algarve-Entdecker

    Olá Gesa,
    vie­len Dank für die­sen sehr bewe­gen­den Bei­trag!
    Por­tu­gal ist für mich eines der reichs­ten Län­der der Welt – über­reich an Kul­tur, Geschich­te und vor allem an Freund­lich­keit der Men­schen, die die­ses Land so ganz und gar lie­bens­wert machen.
    Warst Du schon am süd­west­lichs­ten Punkt Kob­ti­nen­tal-Euro­pas?

  2. Avatar von Zoe
    Zoe

    Nächs­te Woche heißt es off to Lis­boa für mich 🙂 dan­ke für die­sen Bei­trag… ich wer­de defi­ni­tiv eine tour mit whtt machen. noch irgen­wel­che insi­der tipps? 🙂

  3. Avatar von Gesa

    Chris, welch schö­ne Anek­tdo­te – und was für ein tol­ler Road­trip das gewe­sen sein muss! Vie­len Dank auch für die Hos­tel-Emp­feh­lung… ich kom­me bestimmt drauf zurück!

  4. Avatar von Chris
    Chris

    Wir haben im Mai letz­ten Jah­res eine wun­der­ba­re Rei­se von Nord­spa­ni­en nach Sin­tra gemacht, mit mei­nem schreck­lich schoe­nen, lau­ten und ver­dell­ten Plu­ri­el. Obi­dos und Avei­ro haben wir natuer­lich eben­falls besich­tigt. Sin­tra ist jedoch etwas ganz Beson­de­res. Es stimmt, man kommt sich wirk­lich vor wie in einem Maer­chen, oder einer ver­las­se­nen Film­ku­lis­se. Gewohnt haben wir in einem sehr net­ten und ein­fa­chen Hos­tel in einer tol­len Vil­la, dem Nice Way Sin­tra Palace. Wer kei­nen zu gros­sen Wert auf Luxus legt, aber einer tol­len Atmo­sphae­re ist dort genau rich­tig. Von unse­rem Zim­mer aus hat­ten wir einen tol­len Blick ueber die Land­schaft und die diver­sen Tuer­me der unglaub­li­chen Vil­len und Palace­tes.
    Dort haben wir auch eines Abends im Restau­rant Tas­ca do Xico eine lus­ti­ge Geschich­te erlebt. Wir setz­ten uns gera­de an unse­ren Tisch, als eine wei­te­re klei­ne Grup­pe von Gaes­ten eben­falls am Neben­tisch platz­nimmt. Wir haben die­sen erst kei­ne wei­te­re Beach­tung geschenkt, jedoch kam uns eine der Stim­me, sehr mar­kan­te Lache, unglaub­lich bekannt vor. Es war tat­saech­lich der spa­ni­sche Koch Kar­los Argui­ña­no. Hier super bekannt und beliebt, mit einem 4* Restau­rant und einer eige­nen Koch­show im Fern­se­hen. Ich lie­be Koch­shows und war daher wohl die eini­zi­ge Nicht-Spa­nie­rin dort, die ihn erkann­te. Als wir schliess­lich unser Abend­essen been­det hat­te und bezah­len woll­ten, konn­te ich es mir natuer­lich nicht neh­men las­sen, kurz zu grues­sen. Ich sag­te nichts wei­ter als Guten Appe­tit und lae­chel­te freund­lich in die Run­de. Mein Mann fueg­te scher­zes­hal­ber noch hin­zu: Glau­ben Sie ihr nicht, sie ist mehr fuer Jose And­res (mein Lieb­lings­koch). Unten im Restau­rant bezahlt man und als wir an der Kas­se auf unse­re Quit­tung war­te­ten, frag­ten wir den Besit­zer ganz bei­laeu­fig ob er eigent­lich wis­se, wer gera­de in sei­nem Restau­rant esse, naem­lich einer der bekann­tes­ten Koe­che mit Ster­ne­re­stau­rant Spa­ni­ens. Lei­der haben wir ihn damit natuer­lich ganz ner­voes gemacht und ich weiss nicht, ob er die stei­len Stu­fen mit dem Tablett in der Hand anschlies­send genau­so pro­fes­sio­nell meis­ter­te wie antes. Nich­s­des­do­troz ein gelun­ge­ner Abend, tol­le Leu­te und noch bes­se­res Essen. Mich hat Sin­tra auf jeden Fall fuer sich gewon­nen.

  5. Avatar von Gesa

    Sascha, ihr wer­det nicht ent­täuscht sein! Gera­de die Gegend um Lis­sa­bon ist wun­der­voll, aber auch im Nor­den gibt es viel zu ent­de­cken – vor allem auch Por­to nicht ver­ges­sen! Gute Rei­se!

  6. Avatar von Sascha

    Klingt nach einem guten Ziel. Por­tu­gal ist für Mai eins unse­rer mög­li­chen Rei­se­zie­le. Das ist Inspi­ra­ti­on, die ich mir wün­sche.

  7. Avatar von Gesa

    Hal­lo Fabi­an,

    Ja! Por­tu­gal ist groß­ar­tig – und vor allem Lis­sa­bon ist immer eine Rei­se wert! Dein Arti­kel hat mir auch sehr gut gefal­len 🙂

  8. Avatar von Fabian

    Super Stim­mung aus dem mys­ti­schen Sin­tra – war vor drei Jah­ren dort, wäh­rend einer Lis­sa­bon-Exkur­si­on von Sala­man­ca aus: http://www.fabianvoegtle.de/wp/?p=580

    War lei­der kurz, eine zu gro­ße Grup­pe und mie­ses Wet­ter – will unbe­dingt bald mal wie­der zurück nach Por­tu­gal!

  9. Avatar von Gesa Neitzel

    @ Ren­ar­tis: Ja! Euro­pa ist nicht von schlech­ten Eltern, habe ich hier drü­ben in Asi­en auch gemerkt 🙂

    @Mimi: Schön, dass es dir da oben genau­so gut gefal­len hat. Komm unbe­dingt auch mal im Herbst zurück – die Gerü­che, die Far­ben, die Geräu­sche sind zau­ber­haft!

  10. Avatar von RenArtis

    Dan­ke für die Inspi­ra­ti­on! Da freu­en wir uns doch glatt wie­der auf Euro­pa! 😉

  11. Avatar von Mimi
    Mimi

    Ich war letz­tes Jahr im Früh­jahr auch in Lis­sa­bon und Sin­tra stand ganz oben auf der Lis­te.
    Der Ort ist auch gut mit dem Zug zu errei­chen. Bei uns hat es geschüt­tet, es war ver­ne­belt, es hat gewin­det. Eigent­lich Wet­ter, über das man sich im Urlaub nicht beson­ders freut. Aber in Sin­tra hat uns das nicht gestört. Ganz im Gegen­teil, die­ses Wet­ter hat Sin­tra noch mys­ti­scher gemacht. Durch den bota­ni­schen Gar­ten lau­fen, im Gar­ten der Quin­ta da Regalei­ra sit­zen, unter der Grot­te, dabei zuschau­en wie der Regen in den Teich pras­selt. Den stei­len Weg ganz hoch zur Spit­ze des Cas­te­lo dos Mou­ros erklim­men und die wun­der­ba­re Aus­sicht genies­sen und sich anschlies­send die Beloh­nung im Quei­ja­das da Sapa abzu­ho­len. Schön wars…

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