Rei­se­fie­ber. Eine Unpäß­lich­keit, die, hat sie ein­mal einen Orga­nis­mus befal­len, meist unheil­bar ist. Aber war­um ist die Rei­se­rei eigent­lich so unwi­der­steh­lich? Ich stel­le ein paar Über­le­gun­gen an…

Freiheit fühlen

Zu Rei­sen bewirkt nicht, dass ich auto­ma­tisch ein gelas­se­nes und gelös­tes Gemüt bekom­me. Doch über jede ein­zel­ne Sekun­de mei­ner Zeit ent­schei­den zu kön­nen fin­de ich sehr befrei­end. Die locke­ren Bekannt­schaf­ten, die ent­ste­hen, sind unver­bind­lich und ohne grö­ße­re Ver­pflich­tung für­ein­an­der. Das kann sich im Ein­zel­fall ändern, ist dann aber so gewollt. Jeder ist für sich selbst ver­ant­wort­lich – und im Nor­mal­fall auch dazu in der Lage, sonst wäre er nicht hier. Die­se abso­lu­te Selbst­be­stimmt­heit ist ein ein­zig­ar­ti­ges Gefühl. Mir gefällt es hier nicht? Bin weg!

Para­do­xer­wei­se ist dies bei mir kom­bi­niert mit einer nahe­zu fata­lis­tisch anmu­ten­den Apa­thie was kon­kre­te Pla­nun­gen angeht. So vie­le Din­ge habe ich nicht in der Hand, sie gesche­hen. Ob der Bus kommt oder erst einen hal­ben Tag spä­ter, ich kann nichts tun. Klingt nicht beson­ders frei? Ist es aber für mich. Denn ich zwän­ge mich nicht in ein Pla­nungs­kor­sett. Alles ergibt sich aus dem Moment – und das funk­tio­niert.

Zeit haben

Wenn ich im Kopf mit etwas beschäf­tigt bin, ver­folgt mich das im äthio­pi­schen Hoch­land genau­so wie in der badi­schen Tief­ebe­ne. Trotz­dem hilft es mir enorm, mich in einer frem­den Umge­bung wie­der­zu­fin­den, mit enorm viel Zeit. Stun­den­lan­ge Bus­fahr­ten, men­schen­lee­re Land­schaf­ten, stil­le Aben­de – ver­gan­ge­ne Erleb­nis­se, Freun­de, Bezie­hun­gen flop­pen auf. Ich lache oft und bereue ein biß­chen, und manch­mal schleicht sich eine klei­ne Erkennt­nis ein.

Schönheit sehen

Die Welt hat so viel Schö­nes zu bie­ten! Die Viel­sei­tig­keit in Kul­tur, Spra­chen, Land­schaf­ten und Natur­wun­dern, an beein­dru­cken­den und kurio­sen Men­schen­leis­tun­gen ist unend­lich. Ob skur­ril oder auf­schluss­reich, oder so häß­lich, dass es wie­der gut ist: Es ist zu fas­zi­nie­rend, um es zu ver­pas­sen!

Grenzen überschreiten

Die Gren­ze eines Lan­des zu über­que­ren ist immer span­nend und unvor­her­seh­bar. Jede ist anders, und durch das Nie­mands­land zu schrei­ten bevor man um Ein­lass ins Neue ersucht, ist ver­wun­der­lich auf­re­gend.

Auch per­sön­lich muss ich auf Rei­sen stän­dig das Ver­trau­te ver­las­sen und mich in unbe­kann­tes Ter­rain bege­ben. Etwa mei­ne Schüch­tern­heit über­win­den um Leu­te ken­nen­zu­ler­nen. Ent­schei­dun­gen selbst­stän­dig tref­fen und die Kon­se­quen­zen tra­gen. Ein­sa­me Momen­te ertra­gen. Ekli­ge Insek­ten töten. Bet­teln­de Kin­der knei­fen.

Andersartigkeit akzeptieren

Es gibt über­ra­schend vie­le Arten ein Leben zu gestal­ten, mein Leben. So natür­lich erscheint der gesell­schaft­lich vor­ge­ge­be­ne Weg zu sein, und doch ist er nur eine mög­li­che Vari­an­te unter unzäh­li­gen. Nach­dem ich akzep­tiert habe, dass nicht alles so lau­fen muss wie von zuhau­se gewohnt, war die­se Erkennt­nis unge­mein ent­span­nend.

Abenteuer erleben

Das Bekann­te ist sicher und bequem. Man weiß im Grun­de, was gesche­hen kann und wird. Das ist gut und ich will es, oft. Aber span­nend ist es nicht gera­de. Rei­sen bedeu­tet sich stän­dig in kom­plett unbe­kann­ten Orten wie­der­zu­fin­den. Neu­ori­en­tie­rung, wo ist ein Bett, wo bekom­me ich was zu essen, wie kom­me ich her­um und wei­ter? Sich nicht ver­ar­schen las­sen. Das ist anstren­gend. Aber ich bin wach und auf­merk­sam. Schön ist es, weil mit jedem neu­en Dorf, Land­strich, an jedem neu­en Mor­gen wie­der alle Optio­nen offen sind: Alles könn­te pas­sie­ren! Gran­di­os.

Menschen treffen

Das Salz in der Sup­pe und das Sah­ne­häub­chen auf der Erd­beer­tor­te. Men­schen vor Ort ken­nen­zu­ler­nen ist ein ein­zig­ar­ti­ges Erleb­nis und bie­tet Ein­bli­cke über bil­li­ge Pal­men­exo­tik hin­aus. Selbst­lo­se Herz­lich­keit, fast unver­nünf­ti­ge Gast­freund­schaft zu erle­ben, das ist sehr anders als von zu Hau­se gewohnt – und manch­mal fast beschä­mend. Und eini­ge Leu­te ner­ven ein­fach nur höl­lisch. Aber man ist ja tole­rant. Meis­tens.

Kon­tak­te mit Tra­vel­ler­kol­le­gen brin­gen in natür­li­cher Ver­traut­heit den nöti­gen Aus­tausch (man hat so viel gemein­sam, ob man nun aus Kana­da, Frank­reich, Schwe­den oder Neu­see­land kommt), und jede Men­ge gute Lau­ne. Selbst ein öder Ort kann mit guten Leu­ten sen­sa­tio­nell sein.
Hin und wie­der ent­wi­ckelt sich eine Freund­schaft, die die Rei­se über­dau­ert. Eine tol­le Erfah­rung.

 

Der geneig­te Rei­se-Sym­pa­thi­sant mag mir viel­leicht in man­chen Punk­ten wider­spre­chen oder sie anders gewich­ten wol­len – dies ist mei­ne unphi­lo­so­phi­sche Abrech­nung mit dem Rei­se­fie­ber. Hab ich was ver­ges­sen? Ger­ne ergän­zen!

PS: Ein schi­cker Strand zwi­schen­durch ist natür­lich auch nicht zu ver­ach­ten 😉

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  1. Avatar von Nelli

    soooo schö­ne Fotos – da bekom­me ich sofort wie­der Fern­weh! Tol­ler Blog und super Schreib­stil, macht echt Spaß!

    1. Avatar von klys

      freut mich, nel­li!

  2. Avatar von klys

    sehr schö­nes gedicht, lie­be lisa, das werd ich mir mal her­aus­schrei­ben. dan­ke! einen lie­ben gruß zurück vom cici, er ist wirk­lich ein super kerl!

  3. Avatar von lisa
    lisa

    ist es nicht so, dass man zuhau­se, sobald man zeit hat und sich »hän­gen lässt« negag­tiv bewer­tet wird und auf rei­sen eher posi­tiv und als held?
    und mit ein paar krö­ten in der tasche ist man dort in den drit­te­welt­län­dern ein könig,leistet sich ein fahr­zeug, einen fah­rer dazu und zuhau­se: mit­tel­maß———-
    außer­dem erlebt man auf rei­sen in kür­zes­ter zeit um das viel­fa­che mehr, als im all­tags­trott, gute gefüh­le in hül­le und fül­le und ohne erwar­tun­gen .
    ich den­ke über­ra­schun­gen gefal­len kin­der wie erwach­se­nen immer und über­all, doch auf rei­sen sind über­ra­schun­gen an der tages­ord­nung und zu hau­se…
    was ich sagen will, rei­se­fie­ber
    ken­ne ich und auch heim­weh, selbst wenn man nicht weiss, wo die wohl ist.

    hier möch­te ich dir ger­ne mal was von her­mann hes­se schi­cken:
    ‑gegen­über von afri­ka-
    hei­mat­ha­ben ist gut,
    süß der schlum­mer unter­ei­ge­nem dach,
    kin­der, gar­ten und hund. aber ach,
    kaum hast du vom letz­ten wan­dern geruht,
    geht dir die fer­ne mit neu­er ver­lo­ckung nach.
    bes­ser ist heim­weh lei­den
    und unter den hohen ster­nen allein
    mit sei­ner sehn­sucht sein.
    haben und ras­ten kann nur der,
    des­sen herz gelas­sen schlägt,
    wäh­rend der wand­rer müh­sal und rei­se­be­schwer
    in immer getäusch­ter hoff­nung trägt.
    leich­ter ist wahr­lich alle wan­der­qual,
    leich­ter als frie­de­fin­den im hde­i­mat­tal,
    wo in hei­mi­scher freu­den und sor­gen kreis
    nur der wei­se sein glück zu bau­en weiß.
    mir ist bes­ser, zu suchen und nie zu fin­den,
    statt mich eng und warm an das nahe zu bin­den,
    denn auch im glück kann ich auf erden
    doch nur ein gast und nie­mals ein bür­ger wer­den.

    so und jetzt wünsch ich dir noch tol­le erleb­nis­se zusam­men mit mei­nem freund cici, lie­ben gruß an ihn
    bleibt gesund!

  4. Avatar von Anni

    Du toe­test Insek­ten??? Das pet­ze ich dem Herrn Lama. Ansons­ten: tol­les timing fuer die­sen Ein­trag, ich schreib dir in vier Tagen mal was phi­lo­so­phi­sches zum The­ma »Rueck­kehr«, es wird aus einem Wort bestehen. Einem unnet­ten Wort.

    1. Avatar von klys

      panik? ver­steh ich. alles wird gut, tscha­kaa!

  5. Avatar von Ralf
    Ralf

    »Es ist zu fas­zi­nie­rend, um es zu ver­pas­sen!«

    Mensch du bringst es mal wie­der so auf den Punkt, unfass­bar. Ich habe lan­ge über­legt, aber mir fällt eigent­lich nichts mehr ein was dem hin­zu­zu­fü­gen wäre…

    Viel­leicht noch: »Unver­gess­li­che Erin­ne­run­gen«??? Aber neee, das ist eigent­lich zu sehr in der Ver­gan­gen­heit gedacht und nicht der Grund war­um man es macht, son­dern eher ein net­ter Bonus.

    Viel­leicht »Selbst­ver­wirk­li­chung«? hmm eigent­lich auch nur das Ergeb­nis – ich gebs auf, du hast den Nagel auf den Kopf getrof­fen! 😀

    1. Avatar von klys

      hey ralf, sehr nett, dan­ke 🙂

  6. Avatar von Anita
    Anita

    Fern­weh…

  7. Avatar von Alex der Schwede
    Alex der Schwede

    Ich moch­te beson­ders »eini­ge Leu­te ner­ven ein­fach nur höl­lisch« und »pla­nungs­kor­sett«. Du schreibst so lus­tig Krus­ty. Und die­se Strand ist zu wei­nen 🙂 Beson­ders wenn man in Lon­don wohnt 🙂 Alles gutes/​Mr Le Chif­fre

    1. Avatar von klys

      Wei­ne nicht, wenn der Regen fällt,
      es gibt einen, der zu dir hält.

      Mar­mor, Stein und Eisen bricht, aber unse­re Lie­be nicht.
      Alles, alles geht vor­bei, doch wir sind uns treu.

      Kann ich ein­mal nicht bei dir sein,
      denk dar­an, du bist nicht allein.

  8. Avatar von Katrin
    Katrin

    Ich stim­me voll und ganz zu und ergän­ze »Essen« als eige­nen Punkt…

    1. Avatar von klys

      stimmt. hab ich ver­ges­sen!

  9. Avatar von Kiki
    Kiki

    will auch…

  10. Avatar von Philipp
    Philipp

    Herr Klaus, das liest sich gut.

    1. Avatar von klys

      herr klaus, ich has­se die zeit­ver­schie­bung.

  11. Avatar von siolita

    gut auf den punkt in der mit­te der dart­schei­be gebracht.
    aber schon phi­lo­so­phisch. da könn­te ja auch ein pflas­ter behaup­ten, es wür­de nicht kle­ben.

    1. Avatar von klys

      solan­ge ich dei­ne fern­weh­wun­de etwas abpflas­tern kann bin ich doch schon zufrie­den… 😉

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