Was ich ver­gan­ge­nen Som­mer an Bord des Expe­di­ti­ons­schif­fes MS Fram erlebte, über­traf meine Erwar­tun­gen und war alles andere als Stan­dard. Gemein­sam mit 170 Pas­sa­gie­ren erkun­dete ich die West­küste Grön­lands. Auf der größ­ten Insel der Erde, die zu 90 Pro­zent von Eis bedeckt ist, leben ins­ge­samt weni­ger als 55.000 Men­schen. In der Mit­ter­nachts­sonne an Deck ste­hend auf glit­zernde Eis­berge zu schauen, war min­des­tens so auf­re­gend wie der Weck­ruf über Bord­funk: „Guten Mor­gen aller­seits. Wale an Back­bord!“ Die unbe­rührte Natur Grön­lands hat mich total in Bann gezo­gen. Unver­ges­sen auch die Begeg­nung mit Inuit-Kin­dern wäh­rend einer Wan­de­rung. Obwohl ich mich mit den Kids nicht ver­stän­di­gen konnte, hat mich deren Lebens­freude regel­recht mit­ge­ris­sen. Den Höhe­punkt mei­ner Reise erlebte ich in Ilulis­sat. Die Chance, die dritt­größte Stadt Grön­lands per Schiff zu errei­chen, lag auf­grund der Dichte von Eis­ber­gen bei unter 20 Pro­zent. Der Ilulis­sat Eis­fjord ist näm­lich voll­ge­stopft mit rie­si­gen Eis­ber­gen, die vom kal­ben­den Ser­meq-Kujal­leq Glet­scher abbre­chen und von hier aus ins offene Meer schwim­men. Zum Heu­len schön, diese Reise.

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Ich stehe gegen 6 Uhr mor­gens mit einer Tasse Kaf­fee an Deck und bin sprach­los. Fan­tas­ti­sches Wet­ter. Strah­len­der Son­nen­schein. Glas­klare Luft. Milde Tem­pe­ra­tu­ren. Eis­berge zie­hen an mir vor­bei. Was­ser, Eis und Sonne erzeu­gen einen Schim­mer- und Glit­zer­mix, der mir bei­nahe sur­real erscheint. Ist das wirk­lich wahr, was ich hier erle­ben darf? Man­che Eis­berge sehen aus wie schwim­mende Inseln. Fehlt nur noch der Lie­ge­stuhl dar­auf. Andere Eis­berge erin­nern mich an Bau­werke, an über­di­men­sio­nale Kathe­dra­len. Brü­cken schwim­men an mir vor­bei. Und da ein rie­si­ger Kopf! Ich kann ein­deu­tig das Gesicht erkennen.

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Die klei­ne­ren Eis­berge, schol­len­ähn­lich, trei­ben wie Wür­fel­zu­cker im Was­ser. In der mil­den Mor­gen­sonne tan­zen sie auf klei­nen Wel­len, die unser Schiff erzeugt. Ein paar Eis­berge in der Ferne fun­keln wie Dia­man­ten. Ich möchte die­ses Bild fest­hal­ten, die Augen nie wie­der schlie­ßen. Das Wort „gött­lich“ wird der Sze­ne­rie gera­deso gerecht.

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Mit höhe­ren Mäch­ten hat es sicher auch zu tun, dass wir die­sen magi­schen Ort über­haupt errei­chen. Über Bord­funk höre ich, dass es Kapi­tän Rune Andre­as­sen und sei­ner Crew gelun­gen ist, die tücki­sche Pas­sage zu meis­tern. Wir wer­den trotz des vie­len Eises bald Ilulis­sat errei­chen. Wir steu­ern an gigan­ti­schen Eis­ber­gen vor­bei auf den Höhe­punkt unse­rer Reise zu. Spä­ter erfahre ich, dass die Chance hier her zu kom­men bei weni­ger als 20 Pro­zent lag. Ein Schiff, das es vor ein paar Tagen ver­suchte, schei­terte. Wir sind da. Ilulis­sat wir kommen!

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Ilulis­sat ist das grön­län­di­sche Wort für Eis­berge – und genau dafür steht Grön­lands dritt­größte Stadt, in der immer­hin fast 5.000 Men­schen leben. Ilulis­sat liegt am gleich­na­mi­gen Fjord, der seit 2004 den Titel UNESCO Welt­na­tur­erbe trägt.
Der sie­ben Kilo­me­ter breite und 45 Kilo­me­ter lange Ilulis­sat Eis­fjord ist kein nor­ma­ler Fjord. Er ist voll­ge­stopft mit Eis­ber­gen, die sich hier regel­recht stauen. Der Grund? Zum einen, weil das zum Teil 3.000 Meter dicke grön­län­di­sche Inland­eis u.a. über den Ser­meq-Kujal­leq Glet­scher mit gewal­ti­gem Druck und hoher Geschwin­dig­keit an die Küs­ten drückt. Von hin­ten wird also kräf­tig ange­scho­ben. Alle zwei bis vier Wochen kalbt der Glet­scher und gibt rie­sige Eis­blö­cke frei.

Der zweite Grund: Im Mün­dungs­be­reich des Eis­fjor­des hat sich eine Art End­mo­räne auf­ge­scho­ben, die wie eine Stau­mauer wirkt. Große Eis­berge schaf­fen den Absprung ins offene Meer nicht sofort, wes­halb es zu einem impo­san­ten Rück­stau kommt. Eis­berge, die hier Schlange ste­hen, haben bereits eine Reise von über 650 Kilo­me­tern hin­ter sich. Sind sie dann im Fjord ange­kom­men, dau­ert es wei­tere 15 Monate bis sie zur Mün­dung und somit ins offene Meer gelangen.

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Die­ses Natur­schau­spiel der Extra­klasse wird in Ilulis­sat ent­spre­chend gut ver­mark­tet. Fast alle Tou­ris­ten, die nach Grön­land rei­sen, besu­chen die­sen magi­schen Ort. Ent­spre­chend gut aus­ge­baut ist die Infra­struk­tur in der Stadt. Es gibt diverse Inter­net­ca­fes, Hotels, Pen­sio­nen, einen Flug­platz und diverse Agen­tu­ren, die ziem­lich kost­spie­lige Arc­tic Adven­tures anbieten.

Wir sind mit Gui­des der Firma „World of Green­land“ unter­wegs. Malte spricht per­fekt Deutsch. Kein Wun­der, er kommt aus Flens­burg. So wie sein Chef, der Fir­men­grün­der, der seit 22 Jah­ren in Ilulis­sat lebt.
Für den heu­ti­gen Tag steht Eis von allen Sei­ten in drei Pro­gramm­op­tio­nen an:
Die Wan­de­rung zu Holms-Bakke – ent­lang des Eisfjordes.
Eine Boots­fahrt zu den Eis­ber­gen an der Stau­kante bzw. im offe­nen Meer. Ein Heli­ko­pter­flug über den Eisfjord.

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Ich habe mich aus Kos­ten­grün­den für die güns­tigste Ver­an­stal­tung, die 5‑stündige Wan­de­rung ein­ge­tra­gen. Sie wird sagen­haft. Es fällt mir ange­sichts der Sze­ne­rie rich­tig schwer, gele­gent­lich auf den Weg zu schauen, so impo­sant ist der Blick auf die Eis­berge, die sich hier im Fjord inein­an­der ver­kei­len und als Ein­heit bis zur Mün­dung treiben.

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Ich bin dank­bar für jede Pause. Ich kann mich ein­fach nicht daran satt sehen. Ein­mal kom­men mir sogar die Trä­nen. Warum das so ist, kann ich gar nicht genau sagen: Diese Schön­heit haut mich ein­fach um. Aber auch die ande­ren Mit­wan­de­rer sind heute deut­lich emo­tio­na­ler. Die sonst geschwät­zi­gen wer­den heute still. Die stil­len plötz­lich red­se­lig. Gestan­dene Män­ner gera­ten ins Schwär­men, man­che wer­den rich­tig phi­lo­so­phisch. Ich denke immerzu daran, dass diese Schön­heit über die Kli­ma­er­wär­mung aller Wahr­schein­lich­keit nach ver­gäng­lich ist. Meine Güte! Was machen wir nur aus die­ser Erde!

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Es gibt Pas­sa­giere, die grei­fen heute beson­ders tief in die Tasche und haben rich­tig Stress, denn sie haben alle drei Mög­lich­kei­ten gebucht. Ein sehr sym­pa­thi­scher Unter­neh­mer aus Tel Aviv etwa. Er ist mit sei­nem Sohn und sei­ner Schwie­ger­toch­ter auf der MS Fram. Ich frage ihn, was er denn heute plant.

„I boo­ked ever­y­thing. We take the Maximum!“

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Ich muss schmun­zeln. Und wenn ich ganz ehr­lich sein darf: Ich beneide den Mann darum, dass er sich die­sen Luxus leis­ten kann. Die­ser Heli­flug, er kos­tet über 500 Euro, ja, der wär’s. Nach der Wan­de­rung zieht es mich auf die Fram. 14.30 Uhr. Men­schen­leer. Alle sind noch unter­wegs. Eigent­lich will ich mich nur schnell umzie­hen und wie­der in die Stadt gehen. Dann aber – diese Stille – bleibe ich an Bord, mache es mir in einem Lie­ge­stuhl bequem. Ich brau­che diese Ruhe jetzt. Dabei wollte ich erst­mals auf die­ser Reise ein paar Bil­der über Face­book tei­len, end­lich Emails che­cken … und dafür in ein Inter­net­cafe gehen.

Mir ist nicht mehr danach. Ich will das alles näm­lich gar nicht tei­len. Momen­tan will ich das Erlebte nur für mich behal­ten. Es erscheint mir wert­vol­ler dadurch.
Ich hüte es wie einen Schatz.

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Gegen 15.30 Uhr kommt Klaus, einer mei­ner Fram-Freunde unmit­tel­bar nach sei­nem Flug mit dem Heli wie­der an Bord. Er zeigt mir ein Video, das er dabei gedreht hat. Ich komme aus dem Stau­nen nicht mehr her­aus. Irgend­wie bin ich trau­rig, dass ich den Flug nicht gebucht habe. Werde ich jemals in mei­nem Leben wie­der hier sein? Noch ein­mal die Mög­lich­keit bekom­men, die­sen Ort zu besu­chen? Bei strah­lend schö­nem Wet­ter? Wie lange wird es das alles über­haupt noch geben? Was bin ich für ein Trot­tel, wie kann ich mir das – nur des Gel­des wegen – ent­ge­hen las­sen? Wie­der kom­men mir die Trä­nen. Dann weint auch Klaus.

Was ist nur los? Was stellt diese Insel, die­ses viele Eis nur mit uns an?
Klaus stot­tert, schluchzt und erzählt mir schließ­lich von einer flam­men­den Rede, die ein Guide heute gehal­ten hat: Über Kli­ma­wan­del, Glet­scher­schmelze, Umwelt­schutz und die Ver­ant­wor­tung jedes ein­zel­nen gegen­über die­sem Planeten.
„We take the Maximum.“

Der Satz, über den ich noch vor ein paar Stun­den schmun­zeln musste, ist plötz­lich nicht mehr amü­sant. Dass ich „nur“ gewan­dert und nicht geflo­gen bin, beru­higt mich plötz­lich fast.

Wir soll­ten auf unter­schied­lichs­ten Ebe­nen unse­res Lebens ler­nen zu verzichten.
Ich nehme es mir ganz fest vor.

 

 

Noti­zen aus Ilulissat 

➡ Eis­berge aus dem Ilulis­sat Eis­fjord schaf­fen es auf ihrer lan­gen Reise über die Baf­fin Bucht zum Teil bis nach New York.

➡ Obwohl die Eis­berge auf ihrer Reise immer klei­ner wer­den und sich schließ­lich auf­lö­sen, kön­nen sie Schif­fen gefähr­lich wer­den. So gesche­hen 1912, als an Bord der Tita­nic über 1.500 Men­schen den Tod fan­den. Der Eis­berg, den die Tita­nic rammte, kam aus Ilulissat.

➡ Die End­möräne unter Was­ser, die bei Ilulis­sat den Stau ver­ur­sacht, heißt: Isfjellbanken

➡ Der Ilul­li­sat Eis­fjord ist einer der weni­gen Punkte, an denen die Eis­kappe Grön­lands das Meer erreicht. Der Ser­meq-Kujal­leq Glet­scher ist auch einer der aktivs­ten und schnells­ten Glet­scher der Welt, er bewegt sich mit über 20 Meter pro Tag, wobei er 35 Kubik­ki­lo­me­ter Eis pro Jahr ans Meer abgibt. Das sind 10% des Eises von Grön­land, und mehr als jeder andere Glet­scher außer­halb der Ant­ark­tis.

➡ Jedes Jahr machen die Bewoh­ner von Ilulis­sat am 13. Januar die Wan­de­rung zur Anhöhe Holms Bakke, um die Sonne nach den dunk­len Win­ter­mo­na­ten das erste Mal wie­der zu begrüßen.

➡ „Fräu­lein Smil­las Gespür für Schnee“ – Der Film zum gleich­na­mi­gen Roman von Peter Høeg wurde u.a. in Ilulis­sat und in den Bava­ria Film­stu­dios gedreht.

Auf mei­ner Reise ist ein Online-Tage­buch ent­stan­den. Wer es von vorne bis hin­ten lesen mag, bitteschön: 

http://msfram.johannastoeckl.de/

 

Die Reise wurde von Hur­tig­ru­ten Deutsch­land unterstützt.

Cate­go­riesGrön­land
Johanna Stöckl

Kälte verträgt sie besser als Hitze.
Sie liebt den Winter, mag den Schnee und reist – zum Teil auch beruflich – viel.
Wenn sie sich zwischen einem Wochenende in den Bergen und ein paar Tagen am Strand entscheiden müsste, wäre ihre Wahl klar: Berge!
Johanna lebt und arbeitet in München, wo sie als Journalisten hauptsächlich über Outdoorsport schreibt.

  1. Susanne says:

    Beein­dru­ckend, schön zu lesen und toll anzu­se­hen. Ich bin froh, dass Du das Erlebte nur vor­über­ge­hend für Dich behal­ten hast. Ich werde mir auf jeden Fall auch das Tage­buch anschauen.

  2. Eliss says:

    Der Ham­mer, mein Dolo­mi­ten Urlaub war auch sehr geil, aber das toppt ja alles. Klasse Bil­der und wie das Licht fällt, unglaub­lich schön.

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