Die Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Im dich­ten Wald des Gunung Leu­ser Natio­nal­parks raschelt es im Blät­ter­dach. Ein Orang-Utan Weib­chen manö­vriert sich in akro­ba­ti­scher Geschmei­dig­keit durch die Laub­kro­nen. In ihr zot­te­li­ges rotes Fell krallt sich ein Knirps mit zer­zaus­ter Fri­sur und genießt die Aus­sicht von hoch oben. Wir besu­chen unse­re Ver­wand­ten.

Evo­lu­ti­ons­ge­schicht­lich gehö­ren wir hier auf dem leh­mi­gen Wald­bo­den und die da oben in den Bäu­men zu einer Fami­lie. Wenn man so will, hat­ten wir vor etwa 16 Mil­lio­nen Jah­ren den glei­chen Opa. Noch heu­te tei­len wir mit dem Orang-Utan 97 Pro­zent unse­res Erb­guts. Damit ist er unter den Men­schen­af­fen unser weit ent­fern­tes­ter Ver­wand­ter. Ihn zu beob­ach­ten ist ein biss­chen so wie das Tref­fen mit dem ver­rück­ten Halb­cou­sin, den man nur auf gro­ßen Fami­li­en­fei­ern zu Gesicht bekommt. Man weiß, dass man zusam­men­ge­hört, auch wenn man nicht genau ver­steht war­um. Es ist die­se Nähe – evo­lu­tio­när wie emo­tio­nal – die uns schon beim ers­ten Anblick der Tie­re fas­zi­niert.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Der Gunung Leu­ser Natio­nal­park im Nor­den der indo­ne­si­schen Insel Suma­tra ist die Hei­mat der Suma­tra Orang-Utans, einer von drei exis­tie­ren­den Unter­ar­ten. Im 11.000 km² gro­ßen Natio­nal­park sind ver­mut­lich 12.000 Tie­re sess­haft. Hier im Dickicht leben außer­dem die bei­na­he aus­ge­stor­be­nen Suma­tra-Tiger, Nas­hör­ner und Ele­fan­ten. Der Wald ist eine Bas­ti­on der Arten­viel­falt im von Rodung und Plan­ta­gen­wirt­schaft bedroh­ten Öko­sys­tem des Lan­des. Von der UNESCO zum Welt­na­tur­er­be erklärt, drin­gen jedoch noch immer Wil­de­rer und Holz­fäl­ler in den Natio­nal­park ein und rau­ben, was es zu schüt­zen gilt.

Gleich hin­ter Bukit Lawang, einem Dorf am Rand des Wal­des, erhebt sich damp­fen­der, tief grü­ner Dschun­gel. Glas­kla­re Flüs­se plät­schern dar­in, Zika­den zir­pen in den Bäu­men, Ech­sen schim­mern im Son­nen­licht. Ab und an krächzt ein Nas­horn­vo­gel aus dem Geäst über uns. Es ist tro­pisch feucht. All das für sich wäre schon bezau­bernd genug, um der Natur für ihre Schön­heit und Schaf­fens­kraft zu dan­ken. Doch unse­re Auf­merk­sam­keit gilt den bei­den Zot­teln, Mut­ter und Kind, die sich gemäch­lich ganz in unse­rer Nähe auf Fut­ter­su­che bege­ben.

Das Mut­ter­tier hängt an einem schlan­ken Baum und biegt ihn durch Gewicht­ver­la­ge­rung in alle Rich­tun­gen. So gelangt sie an einen wei­te­ren Stamm, den sie erst vor­sich­tig prüft, um dann mit völ­lig ent­spann­ter Mie­ne den Baum zu wech­seln. Orang-Utans sind Akro­ba­ten, voll­füh­ren spek­ta­ku­lä­re Klet­ter­küns­te. Sie grei­fen mit dem Fuß bis weit über die Schul­tern, hän­gen Kopf­über in schwin­del­erre­gen­der Höhe an dün­nen Ästen, stre­cken ihre Kör­per par­al­lel zum Boden vom Stamm weg, wo sie sich nur noch mit den Füßen fest­hal­ten. Ihre Kraft und Gelen­kig­keit sind unver­gleich­lich. Nicht mal Bruce Lee oder Jean-Clau­de Van Dam­me könn­ten da mit­hal­ten.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Orang-Utans klet­tern. Sie schwin­gen nur sehr sel­ten durchs Geäst. Das über­las­sen sie den toll­küh­nen Gib­bons, die im Natio­nal­park mit rake­ten­haf­ter Geschwin­dig­keit durch die Wip­fel pre­schen. Orang-Utans sind dage­gen Meis­ter effi­zi­en­ter Ener­gie­an­wen­dung. Was nicht not­wen­dig ist, machen sie ein­fach nicht. Trotz­dem sitzt uns die Orang-Utan Dame mit ihrem Baby im form­voll­ende­ten Spa­gat zwi­schen zwei Ästen gegen­über und kaut genüss­lich auf irgend­ei­ner Frucht her­um. Dann greift sie nach jun­gen Blät­tern und Lia­nen, klaubt Insek­ten vom Stamm. So ein Affen­all­tag ist vor allem vom Fres­sen bestimmt.

Ihr Jun­ges, gera­de ein­mal 16 Mona­te alt, turnt im lang­haa­ri­gen Fell der Mut­ter her­um. Ab und an wagt es sich allein auf einen nahen Ast. Doch die Bewe­gun­gen sind noch tap­sig, unsi­cher. So ganz geheu­er ist dem Klei­nen die gro­ße Frei­heit des Wal­des nicht und nach einer ver­un­glück­ten Klet­ter­ak­ti­on, hängt er schnell wie­der am Bauch der Mut­ter.

Über­haupt sind Orang-Utan Babys sehr anhäng­lich. Das ers­te Lebens­jahr ver­brin­gen sie aus­schließ­lich im Fell der Mut­ter. Danach trau­en sie sich Meter für Meter hin­ein in den Dschun­gel, ohne jedoch den Blick­kon­takt zur Mut­ter zu ver­lie­ren. An ihren Kör­per geklam­mert rei­sen sie durch den Regen­wald, prä­gen sich die Fut­ter­quel­len ein, ent­wer­fen nach und nach eine eige­ne Kar­te des Wal­des. Doch es dau­ert bis zum neun­ten Lebens­jahr, bevor sie die Bin­dung zur Mut­ter wei­test­ge­hend auf­ge­ben und end­lich allein durch die Baum­kro­nen zie­hen.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Orang-Utans, die Menschen des Waldes

Die put­zi­ge Unge­schick­lich­keit der Jung­tie­re wird den Orang-Utans immer wie­der zum Ver­häng­nis. Der Schwarz­markt für Orang-Utan Babys ist groß und weil eine Mut­ter ihr Jun­ges nicht ein­fach her­gibt, wird sie von Wil­de­rern kur­zer­hand erschos­sen. Das ist tra­gisch für den Art­be­stand, denn obwohl Orang-Utans weit über 50 Jah­re alt wer­den kön­nen, gebä­ren die Weib­chen durch­schnitt­lich nur drei bis vier Babys in ihrem Leben.

Orang-Utan im Gunung Leuser Nationalpark

Doch nicht nur die Wil­de­rei gefähr­det die Orang-Utans. Auch ihr Lebens­raum, der mäch­ti­ge Regen­wald, schrumpft immer wei­ter. Ledig­lich 30 Pro­zent Suma­tras sind noch von tro­pi­schem Wald bedeckt. Er muss­te den Mono­kul­tu­ren der Palm­öl- und Kau­tschuk­plan­ta­gen wei­chen. So wie er ver­schwin­det, ver­schwin­det auch das viel­fäl­ti­ge Öko­sys­tem. Orang-Utans sind heu­te nur noch auf Suma­tra und Bor­neo behei­ma­tet. Es gab eine Zeit, da waren die Men­schen­af­fen von Süd­chi­na bis Java und von Viet­nam bis Nord­in­di­en ver­brei­tet. Damals, als es noch schein­bar gren­zen­lo­sen Dschun­gel gab, erhiel­ten die Orang-Utans ihren Namen. Auf Malai­isch bedeu­tet er Mensch des Wal­des. Die Orang-Utans sind hier zuhau­se und gel­ten heu­te als vom Aus­ster­ben bedroht. Wir haben ihr Wohn­zim­mer zer­stört.

Kautschukbauer auf Sumatra, Indonesien

Direkt an der Gren­ze zum Gunung Leu­ser Natio­nal­park haben Bau­ern aus den nahen Dör­fern Kau­tschuk­plan­ta­gen ange­legt. In Reih und Glied ste­hen die schlan­ken hohen Bäu­me neben­ein­an­der. Und wäh­rend etwa einem Meter über dem Boden Latex aus der ange­schnit­te­nen Rin­de tropft, sit­zen oben in den Kro­nen die Affen und laben sich an den Samen der Bäu­me. Orang-Utans sit­zen häu­fig in den hohen Ästen. Dick­bäu­chig knab­bern sie die Samen, so wie wir es mit Kür­bis­ker­nen machen. Auch Tho­mas-Lan­gu­ren besu­chen immer wie­der die Kau­tschuk­plan­ta­gen, denn die Samen der Pflan­zen ver­set­zen sie in einen regel­rech­ten Rausch. Bene­belt und glück­se­lig leh­nen sie dann an den Stäm­men der Kau­tschuk­bäu­me, unfä­hig sich auch nur ein klein wenig koor­di­niert zu bewe­gen.

Den Orang-Utans setzt der Rausch weni­ger stark zu. Die zot­te­li­gen Klet­te­rer zie­hen gemäch­lich in den Urwald zurück. Über­haupt sind die Orang-Utans am liebs­ten in luf­ti­gen Höhen unter­wegs. Dort oben schla­fen sie auch. Jeden Tag bau­en sie sich ein Nest aus Ästen und Blät­tern. Und wenn es reg­net, packen sie ein Dach oben drauf. Hier auf Suma­tra sind die Orang-Utans noch ein biss­chen läs­si­ger, denn sie bau­en sich sogar um die Mit­tags­zeit ein Nest für eine etwa ein­stün­di­ge Sies­ta. Zu viel Spa­gat und Klet­ter­akro­ba­tik macht auch den stärks­ten Affen müde.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark
Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Einzelgänger im Wald

Anders als die übri­gen Men­schen­af­fen leben Orang-Utans auf Suma­tra und Bor­neo über­wie­gend als Ein­zel­gän­ger. Wo sie genü­gend Früch­te und Nah­rung fin­den, füh­len sie sich wohl. Art­ge­nos­sen stö­ren sie nicht unbe­dingt, aber es geht auch ganz gut ohne.

Auf unse­rem Weg durch den Dschun­gel stockt unser Gui­de Jim plötz­lich. Dort vor uns, ganz nah am Pfad, hockt ein gewal­ti­ger Orang-Utan. Wohl 90 Kilo schwer war­tet er auf Damen­be­such. Sei­ne Aus­er­wähl­te schau­kelt über ihm in den Bäu­men und ziert sich noch ein wenig ob der mas­si­gen, dop­pelt so gro­ßen Gestalt ihres Gegen­übers.

Es gehört zu einer der wesent­li­chen Beson­der­hei­ten der Orang-Utans, dass es zwei For­men der geschlechts­rei­fen Männ­chen gibt. Da sind zunächst die jun­gen Wil­den, die eben­so wie die Weib­chen mit etwa zwölf bis drei­zehn Jah­ren fort­pflan­zungs­fä­hig sind. Die dann etwa 40 Kilo schwe­ren Tie­re jagen im Lie­bes­spiel ein­an­der durch die Baum­wip­fel. Ganz anders dage­gen der Orang-Utan vor uns: ein voll­stän­dig aus­ge­wach­se­nes Männ­chen, das wir gut an sei­nem brei­ten Gesicht mit den led­ri­gen, fla­chen Wan­gen erken­nen. Es ist das domi­nie­ren­de Männ­chen in einem etwa zehn Qua­drat­ki­lo­me­ter gro­ßen Teil des Wal­des. Hier, in die­sem Ter­ri­to­ri­um, ist er der Chef. So ein Männ­chen muss kei­nem Weib­chen hin­ter­her­ja­gen. Statt­des­sen impo­niert er ihr ein­fach mit sei­ner Gestalt, sei­nem Aus­se­hen. Vor uns hockt der Geor­ge Cloo­ney des Wal­des.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Der Orang-Utan könn­te aber auch der Bud­dha des Wal­des sein. Dort auf dem Boden sit­zend, den dicken Bauch vor sich betrach­tend, ist er völ­lig unge­rührt von unse­rer Anwe­sen­heit. Die Arme grei­fen läs­sig in die Höhe, das lan­ge strup­pi­ge Fell hängt wie ein Vor­hang von ihnen her­ab. Dann steht er auf, läuft ein paar Meter auf­recht, wobei die über­pro­por­tio­nal lan­gen Armen sein Gewicht am Boden stüt­zen.

Der Bau­m­akro­bat wirkt auf dem Boden etwas behä­big. Tat­säch­lich stei­gen Orang-Utans auch so gut wie nie aus den Kro­nen her­ab, denn hier am Boden lau­ert ihr ein­zi­ger natür­li­cher Feind, der Suma­tra-Tiger. Doch für manch schwe­re Männ­chen sind jun­ge, schma­le Bäu­me nicht sta­bil genug. Wenn kein trag­fä­hi­ger Baum in Reich­wei­te ist, bleibt ihnen nichts ande­res übrig, als der unge­lieb­te Weg über die Erde.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Mina, trauriger Star im Nationalpark

Zu zwei­fel­haf­tem Ruhm hat es hier im Wald aber nicht der schö­ne Cloo­ney, son­dern Mina, die Schreck­li­che, gebracht. Eine Wege­la­ge­rin, ein Rau­bein – so erzählt man es sich. Auch wir kom­men nicht an ihr vor­bei. Ihr klei­nes, nur etwa einen Qua­drat­ki­lo­me­ter umfas­sen­des, Ter­ri­to­ri­um liegt auf einer der wich­tigs­ten Kreu­zun­gen im Wege­sys­tem des Natio­nal­parks.

Über Mina gibt es eini­ge Schau­er­ge­schich­ten. Aggres­siv soll sie sein, Tou­ris­ten jagen und Gefan­ge­ne neh­men, die sie nur gegen Löse­geld-Bana­nen ein­zu­tau­schen bereit ist. Orang-Utans gel­ten als sehr intel­li­gent und Mina ist es alle­mal. Sie kennt die Wege, kennt die Tou­ren, kennt die Gui­des. Sie weiß, wo es etwas zu holen gibt. Und die Gui­des wis­sen, dass Mina es weiß.

Mina gehört zu einer Grup­pe von etwa 20 aus­ge­wil­der­ten Orang-Utans im Natio­nal­park. Sie wur­de aus ille­ga­ler Gefan­gen­schaft befreit, in einer Auf­zucht­sta­ti­on auf­ge­päp­pelt und anschlie­ßend aus­ge­wil­dert. Alle Orang-Utans, die wir bis­her gese­hen haben, waren halb­wil­de Tie­re. Wir kamen über­haupt nur des­halb so nah an sie her­an, weil sie an die Anwe­sen­heit von Men­schen gewöhnt sind.

Doch Mina hat sich nicht an die Men­schen gewöhnt. Sie hat von Men­schen gelernt. Eine Nar­be quer über der Stirn zeigt die Lek­ti­on, die Mina bis heu­te prägt. Mitt­ler­wei­le weiß sie, dass man ihr nichts mehr antut. Nun rächt sie sich mit Wege­la­ge­rei.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark

Die Füt­te­rung von Orang-Utans ist im Gunung Leu­ser Natio­nal­park mitt­ler­wei­le ver­pönt, doch für Mina gilt eine Aus­nah­me – zum Schutz der Tou­ris­ten, nicht zum Schutz des Affen. Kommt sie zu nah, wird sie mit Bana­nen oder Oran­gen abge­lenkt.

Wir erle­ben Mina jedoch als ent­spann­te älte­re Damen in ihren frü­hen Vier­zi­gern. Läs­sig hängt sie zwi­schen den Bäu­men, starrt uns eine Wei­le an, so als wür­de sie fra­gen: „Was soll die­ses Affen­thea­ter?“ Ihr Inter­es­se an einem Kon­flikt mit uns scheint gering. Ein etwa drei­jäh­ri­ges Jung­tier beglei­tet sie, ver­mut­lich Minas letz­ter Nach­wuchs.

Unse­re Wan­de­rung durch den Natio­nal­park wird schweiß­trei­bend. Im ber­gi­gen Urwald geht es steil berg­auf und genau­so steil wie­der berg­ab. Wir beob­ach­ten Gib­bons, die geschmei­dig durch das Blät­ter­dach schwin­gen, ein Schweins­af­fe kreuz unse­ren Weg, Tho­mas-Lan­gu­ren hän­gen trä­gen in den Ästen.

Am Abend pras­selt ein tro­pi­scher Regen­guss auf das Dach unse­res Dschun­gel­camps. Wir sit­zen bei Ker­zen­schein und Tee und sind noch immer fas­zi­niert von den Begeg­nun­gen des Tages.  

Die Orang-Utans beein­dru­cken uns und wir sind froh, so einen ver­rück­ten Halb­cou­sin in der Fami­lie zu haben.

Orang-Utans im Gunung Leuser Nationalpark
Gunung Leuser Nationalpark

Wir wur­den von Bukit Lawang Jungle Trek­king zu die­ser 2‑tägigen Dschun­gel-Tour im Gunung Leu­ser Natio­nal­park ein­ge­la­den. Der Inhalt die­ses Arti­kels und unse­re Mei­nung sind davon nicht beein­flusst.

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