Das Ende der Welt – hier muss es sein… In einem wackeligen Mini-Flugzeug sind wir von Windhoek aus gefühlt viele Stunden über eine Landschaft aus tausend Tafelbergen geflogen, immer weiter gen Norden, dorthin wo sich auf diesem ansonsten bevölkerten Planeten das pure Nichts ausbreitet. Keine Stadt, die wir anpeilen, kein Flughafen, der uns mit Landebahn und Terminal erwartet. Wir sind zu dritt in diesem winzigen Flieger, der eifrig wie eine Hummel durch die Luft brummt. Unsere Pilotin heißt Martha und scheint kaum älter als 18 Jahre zu sein, immerhin blinzelt sie zuversichtlich in die gleißende Sonne. Es würde wackelig werden, hatte sie angekündigt, und tatsächlich sacken wir immer wieder in unvorhersehbare Luftlöcher. Ich denke an nichts und schaue in die dramatische Bergwelt unter mir, von der mich nur eine wenige Zentimeter dicke Blechwand trennt, die mit ihren Nieten aussieht, als hätte sie jemand schnell noch mal zusammengetackert.
Irgendwann liegt vor uns diese weite Ebene, das Hartmann’s Valley, bewachsen mit trockenem Buschmanngras, das dieses Tal wie mit einem goldenen Teppich überzieht. Nichts bewegt sich hier, nur der Schatten unseres Flugzeugs zieht als stummer Begleiter unter uns über das knochentrockene Feld. Martha fliegt einen Bogen und drückt das Flugzeug schließlich auf einen rumpeligen Lehmpfad. Wer nach dem Flug mal zum Klo muss, würde hier stundenlang bis zu einem Baum oder Busch laufen. Darüber scheint sich jemand Gedanken gemacht zu haben, denn es gibt ein kleines Lehmhäuschen mit einer halb aus den Angeln gefallenen Holztür. Darin finde ich tatsächlich eine Porzellantoilette – mir scheint das recht merkwürdig, aber in diesem Moment auch ungemein praktisch.
Nun geht es mit Edvard am Steuer im Land Rover weiter zum Ziel unserer Reise: Serra Cafema, ein Camp am krokodilverseuchten Kunene-Fluss, der hier Namibia von Angola trennt. Der Wagen schwimmt durch den roten Sand, schlingert für Stunden durch eine menschenleere Wüste. Hier und da steht eine knorrige Akazie und ein paar Erdmännchen hocken wie erstarrt in der Hitze. Auch einer Oryx-Antilope scheint diese unwirtlichen Einöde nichts auszumachen. Sie steht auf einem Dünenkamm im flirrenden Licht und schaut zu, wie wir mit unserem Allrad über die Steine rumpeln.
Plötzlich rutscht unser Vehikel über eine Kante und kippt steil nach unten. Ein Anblick, den keiner je vergisst: Die Kulisse ist grandios! In der Ferne jenseits des Kunene-Flusses, der hier Namibia von Angola trennt, schimmern blass-blau die Serra Cafema Berge. Silbrige Anabäume, grün leuchtende Salvatorbüsche und Makalani-Palmen säumen den Kunene-Fluss, der sich wie ein Band durch Sand und grauen Stein schlängelt und sich fünfzig Kilometer westwärts in den Atlantik ergießt. Das Ende der Welt – hier gibt es nichts, keinen Strom, keine Straßen, keinen Funkempfang, keine Orte mit Läden und Tankstellen.
„Ich war schon im Himalaya und in der Antarktis auf der Suche nach einem magischen Ort“, sagt beim Abendessen meine Nachbarin Ginna aus Arizona. „Hier, in the middle of nowhere, habe ich ihn gefunden.“ Dass sie die Magie für Daheim festhalten will, erfahren wir in den nächsten Tagen. Sie und ihr Mann Rex sind mit allerlei Fotoequipment ausgerüstet und fotografieren Stock und Stein, produzieren aber, das muss man sagen, tolle Fotos.
Dieser äußerste Nordwesten Namibias nennt sich übrigens Kunene-Region, falls mal jemand hin will. Eine fast menschenleere Gegend von eigenartiger Schönheit, die regelmäßig Fotografen auf Motivsuche anlockt. Hier ziehen Springböcke und Oryxe auf der Suche nach Grasbüscheln umher, nachts streifen Schakale und Hyänen durch die Wüste, und Löffelhunde horchen mit ihren überdimensionalen Ohren den Sandboden ab. Bis zu einer Tiefe von 50 Zentimeter können sie hören, ob sich unter der Erde gerade ein leckerer Käfer einen schattigen Gang gräbt. Der Kampf ums Überleben ist hier jedenfalls nicht weniger konsequent als anderswo auf der Welt.
In dieser mystisch-schönen Einöde hat der Safari-Anbieter Wilderness Safaris ein Camp an den Kunene gebaut – acht reetgedeckte Pavillons mit Blick auf den Fluss und die angolanischen Berge. Wer die Außendusche benutzt, sieht unter sich die Krokodile und auf der anderen Seite Angola, was dem Duschen einen besondere Dimension verleiht. Außer uns gibt es dieser Tage nur noch fünf weitere Gäste. Alle, die hierher kommen, haben die gängigen Highlights im südlichen Afrika schon gesehen, sind in Namibia auf die berühmten Sossusvlei-Dünen geklettert und im Etoscha Nationalpark auf Pirsch nach Löwen, Elefanten und Giraffen gegangen. Wer hierher kommt, der sucht das Ende der Welt, einen magischen Ort. Hier erdenkt sich die Natur eindrucksvolle Strategien, um das Überleben zu sichern. Hier lebt der gefährlichste Skorpion der Welt, es wachsen Pflanzen, die so giftig sind, dass wenige Samen einen Menschen töten und die Krokodile im Kunene sind so aggressiv, dass sich Mensch und Tier kaum ans Ufer trauen, um von dem wertvollen Wasser zu trinken. Bis zu sechs Meter lang werden die urzeitlichen Reptilien, die bewegungslos am Ufer lauern, um dann blitzschnell zuzupacken.
„Der Kampf ums Futter ist so hart, dass die Krokodile sehr gefährlich sind“, sagt Edvard, mit dem wir am Nachmittag, als die Sonne ein wenig gnädiger wird, auf eine kleine Trekking-Tour gehen. In einem ausgetrockneten Flussarm finden wir einen Ant lion, einen winzig kleinen Käfer, der ein Loch in den Sand buddelt und wartet, bis sein Opfer in die Falle tappt. Dann verspritzt er seinen Magensaft und verdaut die Mahlzeit außerhalb des eigenen Körpers. Ein brutaler Kerl. Edvard erzählt uns von vielen Besonderheiten der Natur. Der Regen, der in dieser Gegend fällt, reicht für kaum ein Lebewesen und so trinken die Pflanzen und Tiere vom Tau, den der Westwind als Nebel von der Küste bringt. Tau, der nach Salz schmeckt und weiße Schlieren im Sand hinterlässt. In der Kunene-Region müssen sich auch die Menschen auf besondere Art behaupten. Morgen will Edvard uns zu einem Dorf vom Stamm der Himba bringen, von denen einige hier noch auf traditionelle Weise in der Wüste leben.
„Ihr müsst auf jeden Fall den ältesten Mann der Familie grüßen“, instruiert uns Edvard, bevor wir das Himba-Dorf betreten. Dorf ist nach westlichem Verständnis eine deutliche Übertreibung. Es gibt genau vier Hütten, die so klein sind, dass keiner darin aufrecht stehen kann. Eine Hütte für die Eltern, je eine für die drei noch unverheirateten Töchter. Regel Nummer zwei, die Edvard uns mit auf den Weg gibt: „Ihr dürft nicht zwischen das Heilige Feuer, das am Rinderkraal brennt, und die Haupthütte treten, dann unterbrecht ihr die Verbindung der Lebenden zu den Ahnen.“ Wir halten uns daran und werden verhalten freundlich begrüßt. Die mit Ockerfarbe bemalten Mädchen legen uns ihren selbstgemachten Schmuck an, die Mutter winkt uns zu ihrer Hütte und zeigt, wie sie die Kalebasse schüttelt, um die Milch einzudicken. Nur das männliche Oberhaupt würdigt uns keines Blickes. Er besitzt rund 100 Rinder und gilt als reicher Mann. Eine Touristenschow ist das nicht und doch zeugt das Radio auf der mit Wolldecken geschützten Hütte von westlicher Zivilisation. Und nicht weit entfernt sorgt ein Wassertank, der in dürren Zeiten vom Camp befüllt wird, dafür, dass die Lebenssituation erträglich bleibt. Auch die Himbas jenseits des Flusses in Angola profitieren vom Camp. Ihr nächster Laden ist zwei Tagesmärsche entfernt. Und so winken und rufen sie von der anderen Flussseite, bis die Camp-Mitarbeiter sie per Boot nach Namibia holen. Dort kaufen sie im Mitarbeiterladen einige Dinge für die Grundversorgung – kleiner Grenzverkehr, der auch in die andere Richtung funktioniert.
Wir planen einen Bootsausflug auf dem Kunene. Edvard lacht über unsere Angst vor Krokodilen. Niemals greifen sie ein Boot an – nur die Hand sollte man nicht durchs Wasser gleiten lassen. Der kleine Kahn hüpft über die Stromschnellen, ein Reiher trocknet sein Gefieder in der Sonne, in den Büschen zwitschern die Vögel. „Habt ihr eure Pässe dabei“, fragt Edvard. Wir schütteln die Köpfe – nein, natürlich nicht. „Macht nichts, wir reisen ganz formlos nach Angola ein.“ Edvard steuert das Boot ans Ufer und wir betreten über eine kleine Sandbank angolanischen Boden. Keinen schert es – hier gibt es keine Grenzposten, hier gibt es nichts. Hier ist das Ende der Welt – ein wahrhaft magischer Ort von geheimnisvoller Schönheit.



Vielen Dank an das Namibia Tourism Board und Wilderness Safaris für die Einladung und Edvard für die tolle Zeit.






















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