Las Pozas: Der surreale Palast im mexikanischen Dschungel

Es ist immer das­sel­be: Sobald mir jemand von dem mexi­ka­ni­schen Ort Xilit­la erzählt, fan­gen die Augen an zu leuch­ten. »So etwas hast du noch nicht gese­hen!«, bekom­me ich in die­sem Zusam­men­hang nicht nur ein­mal zu hören. Ein kom­plett abge­dreh­ter Skulp­tu­ren­gar­ten soll sich dort, mit­ten im Dschun­gel des Bun­des­staa­tes San Luis Poto­si, befin­den. Nach­dem wir ein paar Bil­der gezeigt bekom­men, wer­den wir neu­gie­rig. War­um ist er gera­de dort? Wel­chen Zweck erfüllt er? Wir beschlie­ßen, Xilit­la zu besu­chen.

Der Blick auf die Land­kar­te lässt uns zunächst ein­mal schnau­fen. Xilit­la liegt fern­ab der übli­chen Rei­se­rou­ten in Zen­tral-Mexi­ko. Aber Bus­se gibt es hier zum Glück über­all. So fin­den wir uns nur weni­ge Tage spä­ter auf einer ver­schlun­ge­nen Ser­pen­ti­nen­stra­ße quer durch die ber­gi­ge Sier­ra Gor­da wie­der.

Xilit­la selbst ist ein net­tes, ruhi­ges Berg­dörf­chen. Nichts Auf­re­gen­des soweit. Unser eigent­li­ches Ziel, der Skulp­tu­ren­gar­ten mit dem schmu­cken Namen »Las Pozas«, befin­det sich zwei Kilo­me­ter vom Stadt­zen­trum ent­fernt. Schon am Ein­gang müs­sen wir uns die Augen rei­ben: Solch psy­che­de­li­sche Kon­struk­te haben wir an die­ser Stel­le nicht erwar­tet.

 

 

Die Idee die­ses ver­wun­sche­nen Ortes stammt von einem Mann namens Edward James. Er war nicht nur Mul­ti­mil­lio­när, son­dern auch Freund und Mäzen von Sal­va­dor Dalí. Eini­ge mögen James als ver­kann­tes Genie, ande­re als exzen­tri­schen Spin­ner bezeich­net haben – was er jedoch hier, mit­ten im Nir­gend­wo, geschaf­fen hat, wird ihn nicht so schnell ver­ges­sen machen. In Schott­land gebo­ren, floh er wäh­rend des zwei­ten Welt­krie­ges über den Atlan­tik und woll­te sich auf die­sem Fleck­chen Erde sei­nen ganz per­sön­li­chen Gar­ten Eden erschaf­fen.

Ange­fan­gen hat es mit einer Orchi­deen­zucht und der Idee, einen Unter­schlupf für sei­ne zahl­rei­chen Tie­re zu bau­en. Als Väter­chen Frost zu Beginn der 1960er-Jah­re alle sei­ne Pflan­zen erfrie­ren ließ, ersetz­te James sie kur­zer­hand durch Beton­skulp­tu­ren. Am Pro­jekt »Tier­be­hau­sung« hielt er wei­ter­hin fest. Bald schon schien ihm sein Vor­ha­ben jedoch über den Kopf zu wach­sen.

Mit Hil­fe der ansäs­si­gen Oto­mi-India­ner errich­te­te Edward James stei­ner­ne Pools, Tem­pel und Paläs­te – ohne dabei die Natur in Mit­lei­den­schaft zu zie­hen. Im Lau­fe der Zeit wuchs das Gelän­de um etli­che Gebäu­de an, die Namen wie »Das Haus mit dem Dach eines Wals« oder »Das Haus mit den drei Stock­wer­ken, die eigent­lich fünf sein könn­ten« tra­gen. Die­se glie­dern sich fast schon erschre­ckend gut in die tro­pi­sche Umge­bung ein und wer­den gegen­wär­tig von wild wach­sen­den Urwald­pflan­zen umgarnt.

Nur eines die­ser Bau­ten war als Wohn­haus für Men­schen gedacht. Den Rest bewohn­ten zahl­rei­che Fla­min­gos, Papa­gei­en, Schlan­gen oder Kanin­chen. Kein Wun­der, dass James von den Ein­hei­mi­schen bald nur noch »The Cra­zy Eng­lish­man« genannt wur­de.

 

 

Die Bau­wer­ke in Las Pozas sind durch ver­schlun­ge­ne Wege, Brü­cken, Trep­pen oder auch simp­le Tram­pel­pfa­de mit­ten durch den Dschun­gel ver­bun­den. Man­che füh­ren ins Nichts, ande­re zu wun­der­schö­nen Was­ser­fäl­len und wie­der ande­re zu Gebäu­den, die sich ganz unver­mit­telt zu erken­nen geben. Nicht nur ein­mal ver­lau­fen wir uns bei den unzäh­li­gen Ver­zwei­gun­gen, wäh­rend wir uns fra­gen, wel­che Dro­gen der Erschaf­fer die­ses Gar­tens wohl genom­men haben muss.

Man kann sich an eine Über­sichts­kar­te hal­ten, es macht jedoch viel mehr Spaß, sich durch die­ses grau­grü­ne Laby­rinth trei­ben zu las­sen, das sel­be Gebäu­de zum drit­ten Mal auf­zu­fin­den und trotz­dem etwas Neu­es dar­an zu ent­de­cken. Die üppig wuchern­de Flo­ra und die rie­si­gen umher­schwir­ren­den Schmet­ter­lin­ge sind es wert, auch abseits der fre­quen­tier­ten Pfa­de anzu­hal­ten und einen genaue­ren Blick auf die Umge­bung zu wer­fen.

Las Pozas wur­de nie­mals fer­tig gestellt. James, der sein gesam­tes Ver­mö­gen (man mun­kelt, es sei­en 5 Mil­lio­nen Dol­lar gewe­sen) in die Stadt gesteckt hat, starb noch wäh­rend der Bau­pha­se. Da nie­mand wuss­te, wie es wei­ter­ge­hen soll­te, wur­de auch der Bau gestoppt.

Mehr als zwei Jahr­zehn­te nach sei­nem Tod schlum­mer­te das unvoll­ende­te Lebens­werk von Edward James vor sich hin, bis die Stif­tung Fon­do Xilit­la im Jahr 2008 das Grund­stück über­nahm und es für Besu­cher zugäng­lich mach­te. Seit­dem zieht es zahl­rei­che Ein­hei­mi­sche an. Über die Gren­zen von Mexi­ko hin­aus ist Las Pozas jedoch bis­her kaum bekannt. Gin­ge es nach Fon­do Xilit­la, soll sich das schon sehr bald ändern.

“My House has wings and some­ti­mes in the dead of the night, she sings.”

…so ein bekann­tes Zitat von Edward James, das sich auch auf Las Pozas anwen­den lässt. Irgend­wie schön, irgend­wie poe­tisch, doch am Ende nicht wirk­lich zu fas­sen.

Der Cra­zy Eng­lish­man hat mit Las Pozas ein erfahr­ba­res Stück Kunst und gleich­zei­tig eine wun­der­ba­re Para­bel aufs Leben geschaf­fen. Vie­le Wege ver­lau­fen ins Nichts, eini­ge dre­hen sich im Kreis und wie­der ande­re füh­ren zu einem bestimm­ten Ziel. Eins haben sie jedoch alle gleich: Ent­lang die­ser Wege gibt es enorm viel zu bestau­nen.

 

 

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