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Und am Ende der Straße steht ein Haus am See

Regen pras­selt auf die damp­fende Haut. Schwäne zie­hen nach Süden. Nur ein paar Schritte sind es von der Sauna zum Steg. Auf der Was­ser­ober­flä­che spie­geln sich die Baum­kro­nen. Ein fin­ni­sches Sprich­wort sagt, das Schwitz­bad sei die Apo­theke der armen Leute. Doch wer könnte sich noch mit­tel­los füh­len, wenn er in diese Land­schaft blickt. Ein Pan­orama, das inne­ren Reich­tum schenkt. Ein Fli­cken­tep­pich aus Land und Was­ser. Grün und blau.

Land der Seen

188.000 Seen gibt es in Finn­land und sie zäh­len zu den sau­bers­ten Gewäs­sern Euro­pas. Der größte See ist der Sai­maa. Als die Glet­scher in der Eis­zeit abtau­ten, ent­stand das Wun­der. Sogar das Wall Street Jour­nal kürte den Sai­maa zu den fünf schöns­ten Seen der Welt. Viele kleine Inseln recken wie Rob­ben ihre Buckel aus dem Was­ser. 14.000 Eilande sol­len es sein. In zahl­lose Aus­läu­fer, Buch­ten und Tei­che zer­fa­sert, reicht der Sai­maa bis an die rus­si­sche Grenze. Seine Ufer sind fast 15.000 Kilo­me­ter lang. Eine Stre­cke so weit wie von Deutsch­land bis nach Australien.
An einem die­ser Ufer stehe ich nun und beob­achte die Regen­trop­fen, irgendwo in Ost­finn­land, mit einem Hand­tuch umwickelt.
Wer ins kalte Was­ser springt, taucht ins Meer der Mög­lich­kei­ten, lau­tet ein ande­res Sprich­wort. Man braucht aller­dings eine gehö­rige Por­tion Sisu, um frei­wil­lig ins eisige Nass zu hüp­fen. Sisu ist Fin­nisch und bedeu­tet »Kraft« oder »Beharr­lich­keit«. Ich tunke einen Zeh ins Was­ser und zucke zusam­men. Kein biss­chen Sisu in mei­nem Leib. Ich tapse zurück zur Sauna.
Neun von zehn Fin­nen sau­nie­ren min­des­tens ein Mal die Woche. Angeb­lich bro­deln hier so viele Dampf­bä­der, dass alle fünf­ein­halb Mil­lio­nen Ein­woh­ner darin gleich­zei­tig Plätz fän­den. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es ist durch­aus vor­stell­bar. Denn womit sonst las­sen sich die lan­gen Win­ter aus­hal­ten? Kein Wun­der also, dass sich die Fin­nen aller­hand merk­wür­di­ges Zeug aus­ge­dacht haben. So ent­wi­ckel­ten sie nicht nur die Sauna, son­dern auch den ers­ten Inter­net­brow­ser und das Nokia-Handy. Sie erfan­den Angry Birds, sal­zi­ges Lakritz, Sumpf-Fuß­ball, Gum­mi­stie­fel-Weit­wurf und die Luft­gi­tar­ren-Welt­meis­ter­schaft. Im Som­mer jagen die Fin­nen Mos­ki­tos und ver­lei­hen sich dafür gegen­sei­tig Titel. Jetzt hat der Herbst Ein­zug gehal­ten und es reg­net. Die Sauna duf­tet nach Euka­lyp­tus und durch das kleine Fens­ter sehe ich die Wolken.

Am Nach­mit­tag geht’s raus in den Wald. Mat­leena trägt eine pinke Regen­ja­cke und über­reicht mir ein Körb­chen. »Für die Pilze«, sagt sie und stapft los. In Finn­land gilt seit Jahr­hun­der­ten das soge­nannte Jeder­manns­recht. Jeder darf sich in der Natur frei bewe­gen, Zelte auf­stel­len, Früchte sam­meln und Fische für die eigene Ver­sor­gung angeln. Mat­leena pflückt Blau­bee­ren von einem Strauch und lächelt. Sie ist Spe­zia­lis­tin für Wild­nah­rungs­mit­tel und sie führt Besu­cher­grup­pen durch die fin­ni­sche Flora und Fauna. Der Boden ist nass und schmatzt unter den Füßen. Ein Mär­chen­wald. Moos wächst auf den Stei­nen, Nadel­bäume schau­keln und las­sen heute kaum Licht hin­durch. Ich ent­de­cke einen Pfif­fer­ling und lege ihn in mein Körb­chen. »Da hin­ten«, ruft Mat­leena und deu­tet auf einen Pilz mit rotem Hut. »Den bitte nicht essen«, lacht sie und steckt sich eine Him­beere in den Mund.

100 Jahre Finnland

Regen trom­melt auf das Dach­fens­ter, als ich am nächs­ten Mor­gen erwa­che. Und auch wäh­rend der Bus­fahrt ent­lang der Seen­platte nie­selt es.
Frem­den­füh­re­rin Titta macht Mut: »Das Wet­ter spielt keine Rolle, die Natur ist trotz­dem schön.« Die Mitt­vier­zi­ge­rin schaut aus wie Anfang Drei­ßig und hat Grüb­chen, wenn sie lacht. In Män­ty­harju betreibt sie mit ihrem Mann eine kleine Bed & Break­fast Pen­sion mit quietsch­gel­ben Fas­sa­den und selbst­ge­ba­cken­dem Bee­ren­ku­chen. Und sie zeigt Tou­ris­ten ihr Land. Ein jun­ges Land. 1917 lös­ten sich die Fin­nen vom rus­si­schen Zaren­reich, das im Ster­ben lag, und grün­de­ten ihren eige­nen Staat. Seit 1918 weht die Blau­kreuz­flagge über Finn­land. Wie auch die skan­di­na­vi­schen Flag­gen basiert die fin­ni­sche Flagge auf den Dan­ne­brog, der zu den ältes­ten Ban­nern der Welt zählt. Angeb­lich hiss­ten ihn schon die Wikinger.
Im 2. Welt­krieg hatte Finn­land trotz der Nähe zu Lenin­grad noch Glück im Unglück. Der Fin­ni­sche Meer­bu­sen und die Ost­see bewahr­ten vor dem Schlimms­ten, auch wenn viele Städte unter den Bom­bar­de­ments lit­ten und ein Teil Kare­li­ens an die Sowjet­union abge­tre­ten wer­den musste.

Ankunft im Linn­an­saari Natio­nal Park. Ein Boot bringt uns zu einer der 14.000 Inseln des Sai­maa-Sees. An den Ufern ste­hen Holz­hüt­ten, genannt Mökki. Beschei­den, doch stets mit einer Sauna aus­ge­stat­tet. Das Haus am See, der Lieb­lings­platz eines jeden Fin­nen. Wie könnte es anders sein?
Wir legen an. Kaar­net­saari Island heißt das Insel­chen, auf dem es außer einer Holz­kir­che nicht viel zu besich­ti­gen gibt. Am Lager­feuer brut­zeln wir (Tofu-)Würstchen und trin­ken fin­ni­sches Bier. Titta hat recht behal­ten. Es ist schön. Trotz Regen.

Zurück auf dem Fest­land schmeißt Tanja die Karao­ke­an­lage an. Sie führt ein hüb­sches Well­ness-Hotel direkt am See. Schon im 17. Jahr­hun­dert bewir­tete ihre Fami­lie hier Gäste. Damals war das Resort aber noch kein Spa-Tem­pel, son­dern eine Schenke, die für Rei­ter auf der Durch­reise eine warme Suppe und ein Bett bereit­hielt. Tanja trägt Som­mer­spros­sen und sieht aus wie eine Elfe. Sie ser­viert uns eine Runde Lakritz­schnaps und über­reicht Titta das Mikro­fon. »Jetzt wird gesun­gen!« ruft diese und schmet­tert »Hula Hula«, ein Pop­song des Tee­nie­stars Robin, der wie ein fin­ni­scher Jus­tin Bie­ber daher­kommt. Nach zwei wei­te­ren Run­den Schnaps singe auch ich. Nancy Sina­tras »These boots are made for wal­king«. Titta klatscht im Takt und Tanja tanzt auf dem Tisch. Zum Schluss träl­lern beide die fin­ni­sche Natio­nal­hymne mit so viel Inbrunst, dass sogar ich die Hand auf mein Herz lege. Und mit­gröle. Herr­lich schief und hono­riert mit einem Beloh­nungs­schnaps. Happy Bir­th­day, Finnland!

Auf hoher See

Letz­ter Tag und die Sonne bricht end­lich durch die Wol­ken­de­cke, spru­delt durch die Baum­kro­nen. In Japan gibt es dafür ein eige­nes Wort: »Komorebi«. Es beschreibt das Zusam­men­spiel zwi­schen Son­nen­licht und Blät­tern. Die Fin­nen ken­nen 40 Wör­ter für »Schnee«. Und nur wir Deut­sche wis­sen um die »Wald­ein­sam­keit«. Es scheint, als brächte die Natur die schöns­ten Begriffe hervor.

Im Hafen von Hel­sinki war­tet ein Schiff der Finn­li­nes. Als ein­zige Ree­de­rei ver­bin­det sie ganz Nord­eu­ropa auf dem Was­ser­weg. An Deck win­ken Pas­sa­giere und im Bauch des Frach­ters wer­den jeden Tag Toma­ten, Lakritze, Last­wa­gen, Möbel und sogar ein­mal ein Zir­kus­löwe über die Ost­see geschippert.
Ich sitze an der Bar und bestelle ein Bier. Das Meer plät­schert an den Bug und ein est­ni­scher Brum­mi­fah­rer pros­tet mir zu. Kein Ani­ma­teur brüllt ins Mikro­fon und for­dert Applaus, kein Zau­be­rer zeigt belang­lose Tricks, keine Tanz­truppe zwingt zum Hüft­schwung. Hier herrscht Ruhe an der Reling. 30 Stun­den. So lange dau­ert die Reise zurück nach Travemünde.
Kapi­tän Jussi mag diese See­fahrts­ro­man­tik. »Bei uns ticken die Uhren anders. Wir wol­len kein Hal­li­galli-Kreuz­fahrt­schiff sein. Das passt auch nicht zu Finn­land. Die Pas­sa­giere sol­len sich entspannen.«


24 Kno­ten schafft sein Schiff. Und trotz der manch­mal rauen Winde sei noch nie jemand über Bord gegan­gen, meint Jussi lachend und klopft drei­mal aufs Holz. Scha­den kann es nicht.
In der Küche wir­belt der­weil Chef­koch Peter an den Töp­fen. 300 Men­schen sit­zen im Restau­rant und wol­len ver­kös­tigt wer­den. Für die Fahrt von Deutsch­land nach Finn­land und zurück lan­den rund 40 Kilo Lachs, 30 Kilo Rind­fleisch und acht Kis­ten Brot in den Mägen der Gäste. Seit mehr als drei Jahr­zehn­ten kocht Peter schon auf hoher See. »Nicht mehr lange und ich gehe in den Ruhe­stand«, sagt er, »aber das Meer wird mir feh­len.« Er schmun­zelt und rückt seine Mütze zurecht.


Wer Peter ver­ste­hen will, muss nur aus dem Fens­ter schauen. Satt­rot ver­sinkt die Sonne im Was­ser, treibt die Pas­sa­giere an die Reling. Und wer braucht bei die­sem Anblick eigent­lich noch ein Unterhaltungsprogramm?

Anreise mit dem Schiff:

Finn­li­nes
Von Tra­ve­münde nach Hel­sinki in 30 Stunden

Übernachtung:

Ant­to­l­an­hovi Art & Design Villas
Hovin­tie 224, 52100 Ant­tola, Finland

Hotel & Spa Resort Järvisydän
Poro­sal­men­tie 313
58900 Ran­ta­salmi, Finland

B & B Pinus
Työ­vä­en­tie 35b
52700 Män­ty­harju, Finland

Tipp:

Fin­ni­sche Blau­beer­scho­ko­lade von Karl Fazer

Cate­go­riesFinn­land
  1. Tarja says:

    Liebe Nadine,
    das gibt schön die Stim­mung von Kare­lien im Herbst wie­der und erin­nert mich an meine eige­nen Erleb­nisse, als ich mona­te­lang alleine durch Finn­land gereist bin.
    Hat Spaß gemacht zu lesen.
    Tarja

  2. Florian says:

    Ein echt guter Blog. Deine Erfah­run­gen sind bemer­kens­wert und die Auf­nah­men sind dir sehr gelun­gen. Ich werde dich in Zukunft öfter mal suchen. VG aus Sankt Jakob im Defereggental

  3. Björn says:

    Dum­mer­weise habe ich zu früh auf „Abschi­cken“ getippt. Was soll´s? Ich würde die Fahrt mit dem Schiff wohl weg­las­sen und den Flie­ger neh­men, aber sonst ist meine Lust auf Finn­land jetzt noch grö­ßer gewor­den. Danke dafür! 

    Die weni­gen Fin­nen, die ich bis­her ken­nen­ler­nen durfte, waren mir übri­gens auch alle sehr sym­pa­thisch. Der tro­ckene Humor, die Witze über die Schwe­den und die Lust ein paar Bier zu trin­ken, sta­chen immer hervor.

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