Kathmandu Overkill!

Kath-man-du. Der Name allein klingt schon so ver­hei­ßungs­voll nach Exo­tik. Nach Räu­cher­stäb­chen, Saris, Kühen auf den Stra­ßen, Mön­chen, Ber­gen, Gebets­müh­len. Auch wenn das Exo­ti­sche bloß eine Illu­si­on ist, eine Per­spek­ti­ve des Rei­sen­den, eine Zuschrei­bung, so ist es doch ein star­kes Motiv. Und es ist eines mei­ner Rei­se­mo­ti­ve: die Suche nach dem Ande­ren. Dem Neu­en. Dem Kon­trast. Der Irri­ta­ti­on. Ja, genau: ich will irri­tiert wer­den. Über­rascht. Her­aus­ge­for­dert.

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Kath­man­du lie­fert. Trotz tota­ler Über­mü­dung und Reiz­über­flu­tung sind all mei­ne Sin­nes­or­ga­ne scharf gestellt. Ich bin high von all den Far­ben, den Gerü­chen, dem Gewim­mel. In der Alt­stadt ver­lie­ren wir uns in den Gas­sen und Hin­ter­hö­fen, die sich wie ein Laby­rinth zwi­schen Tha­mel und dem Dur­bar Squa­re win­den. Rost­ro­te Alt­bau­ten aus Back­stein zer­fal­len. Die kunst­voll geschnitz­ten, höl­zer­nen Bal­ko­ne schei­nen am sei­de­nen Faden zu hän­gen. Und doch ver­sprüht gera­de das Kaput­te eine roman­ti­sche Ästhe­tik.

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Der Dur­bar Squa­re ist das his­to­ri­sche Herz Kath­man­dus, ein rie­si­ges Are­al, auf dem Paläs­te und Tem­pel ste­hen. Der „Palast-Platz“ stammt aus der Zeit, in der Nepal eine Ansamm­lung von König­rei­chen war. Es herrscht pul­sie­ren­des Trei­ben. Die sen­gen­de Mit­tags­son­ne zehrt an unse­ren Kräf­ten, wir suchen Schat­ten in einem der Paläs­te. Im Innen­hof herrscht gespann­te Ruhe, die Men­schen bli­cken auf einen höl­zer­nen Bal­kon. Ohne es zu wis­sen, befin­den wir uns im Palast der Kuma­ri Bahal. Die Kuma­ri ist kei­ne Gerin­ge­re, als eine leben­de Göt­tin. Wir schau­en also gebannt nach oben, und tat­säch­lich zeigt sie sich. Ein Mäd­chen, acht Jah­re alt, die Augen tief­schwarz geschminkt, Gold­schmuck und ohne Regung. Stumm und ernst blickt sie vom Bal­kon, bevor sie wie­der in ihre pri­va­ten Gemä­cher ver­schwin­det. Die Schau­lus­ti­gen sind zufrie­den, denn eine pas­si­ve Kuma­ri bedeu­tet, dass ihre Wün­sche erhört wer­den. Lacht die Kuma­ri, ist dies bei­spiels­wei­se eine Vor­her­se­hung von Krank­heit. Reibt sie sich gar die Augen, steht Gevat­ter Tod bald vor der Tür.

Durbar Square Kathmandu

Der Schweiß der Stadt

Kath­man­du for­dert mich. Die­se Stadt düns­tet aus, sie schwitzt, sie ächzt. Men­schen, über­all Men­schen. Kath­man­du platzt aus allen Näh­ten. Über dem Tal­kes­sel hängt eine Wol­ke aus Staub und Abga­sen, der Son­nen­un­ter­gang ver­wan­delt den Him­mel dar­um all­abend­lich in eine mil­chi­ge, blut­oran­ge Sup­pe. Der Ver­kehr steht stän­dig kurz vor einem Infarkt. Der Staub der Stra­ßen fin­det jede noch so klei­ne Pore, nach ein paar Tagen stellt sich bei mir der ers­te Hals­in­fekt, gefolgt von hart­nä­cki­gem Hus­ten, ein. Manch­mal, glau­be ich, will mich Kath­man­du ersti­cken. Oder durch einen Over­kill an Ein­drü­cken platt machen.

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Und trotz­dem blei­ben Ste­fan und ich uns treu und erlau­fen Kath­man­du. Auch wenn es manch­mal ein wenig Eigen­mo­ti­va­ti­on erfor­dert, geht das ech­te Erkun­den einer Stadt mei­ner Mei­nung nach nur zu Fuß. Wer läuft, ist lang­sam genug, um Details zu sehen. Man kann ste­hen­blei­ben, abbie­gen, den Blick schwei­fen las­sen. Manch­mal ent­steht ein Gespräch mit einem Stra­ßen­händ­ler, einem Rik­scha­fah­rer oder Pas­san­ten. Wer läuft, malt eine Kar­te im Kopf und irgend­wann kann man sich ohne Stadt­plan ori­en­tie­ren. Und das Schö­ne ist: wenn Ersti­ckung droht, gibt es meist in der Nähe das nächs­te Cafe, um Luft zu holen.

Von heiligen Bergen und heiligen Kühen

Unse­re Gast­mut­ter in unse­rem Homestay, die sich rüh­rend um uns küm­mert, voll­führt jeden Mor­gen auf der Dach­ter­ras­se ein klei­nes Gebets­ri­tu­al. Ein Räu­cher­stäb­chen brennt, ein wenig Was­ser wird ver­spritzt. Anschlie­ßend drückt sie uns ein Tik­ka, einen roten Punkt, auf die Stirn­mit­te.

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In Nepal erle­be ich etwas, das in mei­nem deut­schen Umfeld kaum Bedeu­tung fin­det: Reli­gi­on im All­tag. Tem­pel sind beleb­te Orte, an jeder Stra­ßen­ecke befin­det sich ein Schrein, es gibt hei­li­ge Ber­ge, hei­li­ge Flüs­se, hei­li­ge Kühe. Mir scheint es, als struk­tu­rier­ten Ritua­le und reli­giö­se Fes­te den All­tag. Sie fügen sich schnör­kel­los wie das mor­gend­li­che Zäh­ne­put­zen ein.

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365 Stu­fen stei­gen wir zum Swa­yambh­u­nath Tem­pel hin­auf, bes­ser bekannt als Mon­key Temp­le. Wie in den Stra­ßen Tha­mels erklingt hier das omni­prä­sen­te Man­tra Om Mani Pad­me Hum, das irgend­wie beru­hi­gend wirkt und gleich­zei­tig zu mei­nem Nepal Ohr­wurm wird.

Wäh­rend der Mon­key Temp­le durch eine spek­ta­ku­lä­re Aus­sicht auf Kath­man­du besticht, kann die Stu­pa von Bod­nath durch schie­re Grö­ße beein­dru­cken.

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In Kath­man­du beginnt und endet unser Nepal-Aben­teu­er. Wir durf­ten die Sher­pa am Fuße des Mount Ever­est ken­nen­ler­nen, die Son­ne über dem Anna­pur­na Gebir­ge auf­ge­hen sehen, einem Dzop­kyo-Trai­ner bei der Arbeit über die Schul­ter schau­en, von einem Berg sprin­gen und min­des­tens Hun­dert Dal Bhat ver­zeh­ren.  Und trotz­dem ver­las­sen wir die­ses Fleck­chen Erde mit gleich viel Ver­wun­de­rung und Stau­nen, wie wir gekom­men sind.

Namas­te, Nepal!

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Antworten

  1. Avatar von Thea Sund
    Thea Sund

    Ja, ich füh­le mich auch wie­der dort­hin ver­setzt und ver­mis­se die beschrie­be­ne Atmo­sphä­re!!!! Auf dem obe­ren Foto erken­ne ich Shi­va-Das wie­der, den wir auch in Pas­hu­pa­ti­nah ken­nen­ge­lernt haben:-)

  2. Avatar von Alex

    Hi Aylin,

    ein sehr leb­haft geschrie­be­ner Arti­kel, ich füh­le mich zurück nach Kath­man­du ver­setzt und tei­le die Erfah­run­gen. In unse­rem Post zum Anna­pur­na Trekk – wir haben den Sturm am Thor­ung La live erle­ben müs­sen – fin­det der ein oder ande­re vll. Inspi­ra­tio­nen für das Aben­teu­er Hima­la­ya http://auszweit.de/annapurna-trek-nepal-reisebericht‑1/

    Wer sich mit Nepal ver­bun­den fühlt, ist außer­dem herz­lich ein­ge­lan­den unse­re Spen­den­ak­ti­on zu unter­stüt­zen, die zuguns­ten des Pro­jekts Solar 50+ statt­fin­det und dazu dient eini­gen armen Fami­li­en am Fuße des Hima­la­ya Solar­anal­gen zur Ver­fü­gung zu stel­len, um die täg­li­chen, stun­den­lan­gen Strom­aus­fäl­le zu über­brü­cken. http://auszweit.de/spendenaktion-nepal/

    Herz­li­che Grü­ße aus Bang­kok
    Alex

  3. Avatar von Andrea
    Andrea

    Vie­len Dank für den wun­der­ba­ren Bei­trag. Es ist zwar schon 8 Jah­re her, dass ich in Kath­man­du war und bis zum Klos­ter Teng­bo­che hin­auf gekom­men bin, aber gera­de beim Lesen habe ich wie­der alles gese­hen, gehört (Om Mani Pad­me Hum) und gero­chen.
    LG Andrea

    1. Avatar von Aylin

      Lie­be Andrea, ja, Kath­man­du bleibt im Gedächt­nis! Das Om Mani Pad­me Hum kann man auch bei You­tube hören- sozu­sa­gen für das ulti­ma­ti­ve Kath­man­du-Fee­ling 🙂 Schön, dass Dir der Arti­kel gefal­len hat. LG, Aylin

  4. Avatar von Philipp Laage

    Sehr schön stim­mungs­voll auf­ge­schrie­ben, dei­ne Ein­drü­cke. Nepal, irgend­wann kom­me ich auch noch mal.

    1. Avatar von Aylin

      Dan­ke­schön, lie­ber Phil­ipp! Du und Nepal, das wird sicher groß­ar­tig! LG, Aylin

  5. Avatar von Marsela

    Eigent­lich mag ich gro­ße Städ­te nicht beson­ders. Und Kath­man­du ist rein theo­re­tisch nicht bes­ser als Delhi oder eine ande­re von Smog und Abga­sen ver­seuch­te Stadt. Und trotz­dem wür­de ich ger­ne wie­der dahin. Auch wenn man im Tha­mel von allem was fährt irgend­wie von der Stras­se weg­ge­hupt wird. Aber die­ses Gewu­sel macht die Stadt aus fin­de ich. Damals http://www.weltreise.name/wr2010/nepal/ haben wir nur Kath­man­du und Pokha­ra gese­hen. Im nächs­ten Jahr reicht es hof­fent­lich für etwas mehr Nepal…

    1. Avatar von Aylin

      Lie­be Mar­se­la, auch wenn es chao­tisch ist, hat Kath­man­du doch etwas Spe­zi­el­les, das dann irgend­wie gefällt. Und ja, in Nepal kann man wirk­lich sehr viel erle­ben- der Hima­la­ya ist einer mei­ner Sehn­suchtsor­te gewor­den! Viel Spaß im kom­men­den Jahr in Nepal 🙂 LG, Aylin

  6. Avatar von xander-rose.de via Facebook

    Die­se Ein­drü­cke kann ich nur bestä­ti­gen! Sehr gut wie­der­ge­ge­ben 😉 Habe übri­gens sehr ähn­li­che Impres­sio­nen in einem Film über Patan (Lalit­pur) fest­ge­hal­ten: http://vimeo.com/81764693

    1. Avatar von Aylin

      Vie­len Dank! Und tol­les Video 🙂

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