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Kam­bo­dschas Koh Rong Sam­loem – Insel­le­ben nach dem Lockdown

Ankunft auf Koh Rong Samloem

„Fuck, fuck, fuck“, mur­mele ich, wäh­rend ich mit mei­nem voll­ge­pack­ten Rei­se­ruck­sack den Strand ent­lang­laufe, der mit jeder Minute, die My Linh und ich län­ger durch den Sand lau­fen, schwe­rer auf mei­nen Schul­tern zu las­ten scheint. Unsere Schuhe haben wir längst aus­ge­zo­gen. Und so lau­fen und lau­fen wir, vor­bei an hohen, schlan­ken Pal­men, an denen grün­lich schim­mernde Kokos­nüsse wach­sen, vor­bei an Hotel­un­ter­künf­ten, vor denen Back­pa­cker faul im Sand lie­gen und die letz­ten Son­nen­strah­len ein­fan­gen. Leb­hafte Ein­drü­cke, wie Schnapp­schüsse eines male­ri­schen Insel­le­bens. Doch so recht genie­ßen kön­nen wir sie mit der Unge­wiss­heit, wie lange wir noch voll­be­packt über die­sen Strand lau­fen müs­sen, nicht.

Von der Insel Koh Rong Sam­loem in Kam­bo­dscha haben wir über einen Blog­ein­trag im Inter­net erfah­ren und sind dem Ruf von schö­nen wei­ßen Sand­strän­den und beleb­ten Strand­ca­fés gefolgt. Die Anreise haben wir uns dabei wesent­lich ein­fa­cher vor­ge­stellt. Inzwi­schen sind wir bereits seit sechs Stun­den unter­wegs, sind zunächst für drei Stun­den in einem hef­tig schau­keln­den Van über eine holp­rige Straße zu der Hafen­stadt Siha­nouk­ville gefah­ren, haben uns dort zwei Stun­den lang die Zeit ver­trie­ben, haben dann ein Schnell­boot zur Insel genom­men, das uns aller­dings – anders als ein­gangs ange­sagt  – an einer völ­lig ande­ren Stelle der Insel und weit ent­fernt von dem von uns gebuch­ten Hos­tel her­aus­ge­las­sen hat. Nun lau­fen wir bereits seit einer hal­ben Stunde über den Strand, auf der Suche nach einem Boot, das uns nach M’Pai Bay brin­gen soll, also an die Stelle der Insel, an der sich auch unser Hos­tel befindet.

End­lich errei­chen wir einen Steg, an dem auch ein paar Boote anle­gen. Wir schauen uns um, doch Ein­hei­mi­sche ent­de­cken wir lei­der nicht. Ein paar Meter vom Steg ent­fernt sehe ich ein Restau­rant. „Ich frage mal in dem Restau­rant nach“, sage ich zu My Linh. Kaum habe ich das Lokal betre­ten, steigt mir der ver­füh­re­ri­sche Duft von Pizza in die Nase, der mich daran erin­nert, dass meine letzte Mahl­zeit bereits einige Stun­den zurück­liegt. Auf gut Glück frage ich den Kell­ner am Ein­gang, ob er jeman­den kennt, der uns auf die andere Seite der Insel nach M’Pai Bay brin­gen kann. „Ich möchte auch dort­hin“, ruft eine Back­pa­cke­rin mit spa­ni­schem Akzent dazwi­schen, die anschei­nend gerade Pizza bestellt hat. „Das Boot legt gleich ab. Da drau­ßen vor dem Lokal steht ein Typ mit einem blauen Shirt, der Tickets für die Über­fahrt ver­kauft. Frag ihn ein­fach, ob ihr noch mit­dürft.“ Das lasse ich mir nicht zwei­mal sagen. „Sie­ben Dol­lar“, nennt die­ser mir als Preis für die Über­fahrt. My Linh und ich über­le­gen nicht lange, ob dies nun ein ange­mes­se­ner Preis ist oder nicht und neh­men ihn sofort an. Kurz dar­auf stei­gen wir gemein­sam mit den ande­ren Back­pa­ckern aus dem Café in das Boot und fah­ren aufs offene Meer her­aus. In die­sem Moment sind wir unend­lich froh dar­über, dass unser Gepäck in einer Ecke auf dem Boot liegt, statt auf unse­rem Rücken zu las­ten und dass wir end­lich wie­der das Gefühl haben vor­an­zu­kom­men. Plötz­lich kommt auch die Sonne unter den Wol­ken zum Vor­schein. Heute Abend ist sie ein glü­hend roter Feu­er­ball, der noch­mal in all sei­ner Pracht leuch­tet, bevor er immer wei­ter hin­ab­sinkt, und  dabei den Him­mel in ein leuch­ten­des Rosa ein­färbt. Die Spa­nie­rin hat ihre Pizza inzwi­schen mit aufs Boot genom­men und kaut sie genüsslich.Wir ver­su­chen den Geruch der Pizza zu igno­rie­ren, der uns umso mehr daran erin­nert, dass wir seit vie­len Stun­den nichts geges­sen haben.

Als wir den Hafen errei­chen, ist die Sonne bereits ver­blasst und es hat ange­fan­gen zu däm­mern. Wir lau­fen einen schma­len Holz­steg ent­lang und errei­chen einen Sand­strand. Ich erkenne die sche­men­haf­ten Umrisse von ver­ein­zel­ten Häu­sern, die sich vom dicht bewach­se­nen Dschun­gel gleich dahin­ter abhe­ben. Mit einem Blick auf Google Maps stelle ich erleich­tert fest, dass wir uns dies­mal in M’Pai Bay und damit also an der rich­ti­gen Stelle der Insel befin­den, an der auch unsere Unter­kunft liegt. Bis wir dort sind, müs­sen wir aller­dings noch ein gan­zes Stück wei­ter­lau­fen. Also set­zen wir unsere Wan­de­rung in Rich­tung der Häu­ser fort, lau­fen dies­mal vor­bei an kam­bo­dscha­ni­schen Kin­dern, die Fuß­ball spie­len, an Hüh­nern mit lan­gen, stak­si­gen Bei­nen und an Restau­rants, von denen aller­dings erstaun­li­cher­weise nur einige wenige für Gäste geöff­net zu haben schei­nen. Schließ­lich errei­chen wir einen stei­len, unbe­fes­tig­ten Hügel. Der Boden ist uneben, bestehend aus ver­schie­dens­ten Stein­for­ma­tio­nen und ver­trock­ne­tem Gras. My Linh und ich tau­schen Bli­cke aus. Da müs­sen wir jetzt auch noch mit unse­rem Gepäck hoch­lau­fen? Wir neh­men unsere Kräfte zusam­men und lau­fen den Hügel hoch. Wäh­rend wir uns größte Mühe geben, beim Hoch­lau­fen nicht unglück­lich auf­zu­tre­ten und womög­lich umzu­kni­cken, hören wir plötz­lich das laute Rat­tern eines Fahr­zeugs und erken­nen die Umrisse eines motor­bikes, das den Hügel her­un­ter­rast. Dies wäre eine Fahr­stre­cke, auf der sich Back­pa­cker rei­hen­weise auf die Nase gelegt hät­ten. Der Fah­rer die­ses motor­bikes hin­ge­gen – mit gro­ßer Wahr­schein­lich­keit ein Kam­bo­dscha­ner – umfährt in einem Affen­tempo instink­tiv die Stel­len, an denen er Gefahr läuft, mit sei­nem Fahr­zeug zu stür­zen und kommt sicher am Grund des Hügels an. Wir kön­nen nur schmun­zeln über den Wage­mut der Einheimischen. 

End­lich errei­chen wir das Hos­tel. „Zum Glück haben wir dies­mal ein Ein­zel­zim­mer gebucht“, sage ich zu My Linh, die bestä­ti­gend nickt. Das Zim­mer gehört defi­ni­tiv zu den teu­re­ren, die wir bis­lang auf unse­rer Süd­ost­asien-Reise gebucht haben. Doch der nächste Irri­ta­ti­ons­mo­ment folgt prompt, als wir von dem Rezep­tio­nis­ten zu den Schlaf­sä­len geführt wer­den. Diese befin­den sich zwar in einem über­dach­ten, aber ansons­ten offe­nen Holz­bau. Ledig­lich ein Vor­hang trennt unser Zim­mer vom Außen­be­reich ab. An für sich habe ich nichts gegen offene Schlaf­plätze, die sich nahe an der Natur befin­den. Aller­dings sah es auf dem Foto von der Unter­kunft so aus, als wür­den wir in einem Zim­mer mit vier Wän­den inklu­sive Tür schla­fen und genau dafür sprä­che auch der Preis, den wir pro Nacht für unsere Unter­kunft bezahlen.

Diese Insel gibt uns wirk­lich so einige Fra­gen auf. Unbe­fes­tigte Stra­ßen, nicht ein­ge­hal­tene Abspra­chen. An was für einem Ort auf die­ser Insel sind wir hier eigent­lich gelan­det? So recht wis­sen wir nicht, was wir mit die­sem Ort und unse­ren heu­ti­gen Erfah­run­gen anfan­gen sol­len und wie wir sie ein­ord­nen sol­len. My Linh sieht das ganz ähn­lich wie ich. „Viele Fra­gen“, fasst sie den heu­ti­gen Tag knapp zusam­men. Dann krie­chen wir hin­ter unsere Mos­ki­to­netze ins Bett und sind bald eingeschlafen.

Ein Ort nur für uns 

Am nächs­ten Mor­gen wache ich vom Rau­schen des Mee­res und vom Tosen des Win­des auf. Ich liebe es, mir mor­gens einen ruhi­gen Ort aus­zu­su­chen, an dem ich mei­nen Kaf­fee trin­ken und war­ten kann, bis sich die­ser sich so lang­sam mit Back­pa­ckern füllt.

Zu unse­rem Hos­tel gehört eine höl­zerne Platt­form, die direkt über den Klip­pen errich­tet wurde. Dort wurde ein Café ein­ge­rich­tet, von dem aus man den bes­ten Blick auf das Meer hat. Die coolste Sitz­ge­le­gen­heit in dem Café ist ein Netz, das direkt über den Mee­res-Klip­pen auf­ge­spannt wurde. In die­sem Moment freue ich mich, dass ich am heu­ti­gen Mor­gen so früh hier bin und die­sen Sitz­platz, der spä­ter am Tag bestimmt von ande­ren Back­pa­ckern ein­ge­nom­men wird, für mich ergat­tern kann. Als ich mich in das Netz hin­ein­lege, habe ich sofort das Gefühl, über dem Meer zu schwe­ben. Wei­ter ent­fernt am Hori­zont schau­keln Fischer­boote. Ich ver­nehme das laute Getöse der Wel­len, die gegen die Klip­pen unter mir pral­len, auf­bers­ten und zurück ins Meer flie­ßen sowie das seichte Rau­schen des Win­des. Irgend­wann kommt My Linh und gesellt sich zu mir. Meh­rere Stun­den ver­ge­hen. Die Zeit scheint mit dem ste­ti­gen Mee­res­rau­schen zu zer­flie­ßen und ver­liert in die­sem Moment ihre Rele­vanz. Als die heiße Mit­tags­sonne vom Him­mel knallt, merke ich, dass etwas selt­sam ist. Ich schaue mich in dem Café um. Das Selt­same ist, dass hier immer noch keine ande­ren Back­pa­cker erschie­nen sind. Nur der Rezep­tio­nist liegt kaum wahr­nehm­bar am Ein­gang der Bar in einer Hän­ge­matte und ist in sein Handy ver­tieft. Sind wir etwa die Ein­zi­gen in die­sem Hos­tel? Hat das Hos­tel nur für uns geöff­net? Es erscheint uns in die­sem Moment erstaun­lich, dass wir die­sen magi­schen Ort, der voll von Men­schen sein sollte, die sich in sei­nem Charme ver­lie­ren, für uns allein haben. 

Kurze Zeit dar­auf beschließe ich im Meer schwim­men zu gehen. Vom Café über den Klip­pen aus füh­ren stei­nerne Stu­fen direkt her­un­ter zu einer Bucht. Ich laufe die vie­len stei­len Stu­fen her­un­ter, bis ich die Klip­pen errei­che. Unten ange­kom­men, krab­bele ich etwas unbe­hol­fen über die glit­schi­gen Küs­ten­fel­sen, die aus dem Was­ser her­aus­ra­gen, bis ich end­lich ins Was­ser glei­ten kann. Das Was­ser fühlt sich ange­nehm kühl auf mei­ner Haut an und bie­tet einen per­fek­ten Kon­trast zu der Hitze, die außer­halb des Was­sers herrscht. 

Ich bin die Ein­zige hier in die­ser Bucht. Als ich hoch­schaue, stelle ich fest, dass das Hos­tel aus mei­nem Blick­feld gera­ten ist. Vor mir ragen ledig­lich hohe Fels­wände auf. Ansons­ten sehe ich nichts wei­ter als das Was­ser, das von der Sonne ange­strahlt wird und in ver­schie­de­nen Blau­tö­nen schim­mert. Wäh­rend ich an der hohen Fels­wand ent­lang schwimme, erscheint es mir nahezu unglaub­lich, dass ich die­sen Ort für mich allein habe. Keine Men­schen­mas­sen, die hier schwim­men gehen, keine Boote mit Back­pa­ckern auf der Suche nach den bes­ten Plät­zen zum Schnor­cheln. Nur ich und das Meer mit sei­ner unglaub­li­chen Unter­was­ser­welt. Als ich unter­tau­che, sehe ich gelbe, bau­chige Fische, die lang­sam durchs Meer glei­ten und rie­sige Schwärme mit klei­nen, oran­ge­nen Fischen, die durch das Was­ser rau­schen, gelb­li­che Was­ser­pflan­zen, die sich sachte hin- und her bewe­gen, Koral­len, die mal in einer gel­ben Tarn­farbe mit der Farbe des San­des ver­schmel­zen und mal in einem durch­drin­gen­den Rot­ton aufleuchten.

Uner­war­tete Entdeckungen

Ich bin immer noch völ­lig über­wäl­tigt von mei­nen Unter­was­ser­er­leb­nis­sen, als ich kurz dar­auf beschließe, den Ort noch ein wenig wei­ter zu erkun­den. Ich laufe den stei­len, stei­ni­gen Hügel her­un­ter und stelle dabei fest, dass das Her­un­ter­lau­fen ohne Gepäck zwar ein wenig ange­neh­mer ist als mit, ich aller­dings immer noch höl­lisch auf­pas­sen muss, nicht unglück­lich auf­zu­tre­ten und umzu­kni­cken. Ich pas­siere einige male­risch auf der Meer­seite gele­gene Holz­bau­ten, die wohl ein­mal Bars waren, die aber inzwi­schen geschlos­sen haben und laufe eine Weile am Hafen ent­lang, bis ich schließ­lich eine kleine, schmale Brü­cke erreiche. 

Das Was­ser unter der Brü­cke ist recht flach, sodass ich einen Blick auf den Mee­res­grund wer­fen kann und staune, als ich auf ein­mal voll­ge­lau­fene Boote sehe, die aus dem Was­ser her­aus­ra­gen. Unter den voll­ge­lau­fe­nen Boo­ten befin­det sich auch ein ver­wit­ter­tes Lang­boot, das vor eini­ger Zeit viel­leicht von Tou­ris­ten, viel­leicht aber auch von Fischern genutzt wurde, um über das Meer zu fah­ren. Es glänzt in einem leuch­ten­den hell­blau und ragt nahezu anmu­tig aus dem Was­ser her­aus, ganz so als wäre es noch nicht dafür bereit, für tot erklärt zu wer­den und auf dem Mee­res­grund end­gül­tig zu ver­wit­tern. Es sieht ganz danach aus, als hät­ten die Besit­zer die­ser Boote die Insel über­stürzt ver­las­sen und ihr Hab und Gut ein­fach an Ort und Stelle zurück­ge­las­sen. Eine Back­pa­cke­rin kommt mir ent­ge­gen. Die heiße Mit­tags­sonne hat ihr Schweiß­per­len ins Gesicht getrie­ben. „Geh am bes­ten nicht wei­ter“, ruft sie mir zu. „Dort drü­ben ist es ein­fach nur gru­se­lig.“ Sie deu­tet auf den wild gewach­se­nen Dschun­gel hin­ter der Brü­cke. Mit die­ser Aus­sage macht sie mich aller­dings nur noch neu­gie­ri­ger, sodass ich beschließe, auch noch die Gegend hin­ter die­ser Brü­cke zu erkunden.

Wild wuchernde Grä­ser ran­ken neben hoch gewach­se­nen Pal­men her­vor. Weni­ger natür­lich ist, dass die Gegend mit Müll voll gepflas­tert ist. Mit zer­knit­ter­ten Plas­tik­fla­schen, bun­ten Chips-Ver­pa­ckun­gen und ein­ge­drück­ten Bier- und Cola-Dosen. Ich laufe wei­ter, bis ein zer­fal­le­nes Gebäude in mei­nem Sicht­feld auf­taucht. Als ich näher her­an­trete, sehe ich, dass auf dem Gebäude der Name „Yel­low Moon Hos­tel“ in ver­schnör­kel­ten Let­tern auf­ge­druckt steht. Es hängt ein deut­li­cher Geruch von Moder und Staub in der Luft. Auch wenn von dem eins­ti­gen Hos­tel nur noch das Gerippe übrig ist, ist des­sen frü­here Schön­heit noch immer zu erah­nen. Die Farbe an den Wän­den war einst von einem inten­si­ven hell­blau, nun ver­blasst sie lang­sam. Ich trete an die Stelle, an der ein­mal die Rezep­tion stand. „Check­out 12 am“, steht an der Wand geschrie­ben. Auf den Tre­sen liegt ein ver­ros­te­tes Lade­ka­bel. Wei­ter hin­ten, sehe ich die Stahl­ge­rippe von Hoch­bet­ten, die Glied an Glied neben­ein­an­der ste­hen und nun lang­sam in der schwü­len Insel­hitze zer­fal­len. Das Hos­tel wirkt modern und unter­schei­det sich nicht beson­ders von den Hos­tels, in denen ich bis­lang auf mei­ner Reise über­nach­tet habe. Es scheint nicht allzu lange her zu sein, seit hier Men­schen ein- und aus­ge­gan­gen sind. Ich schätze, dass hier noch vor höchs­tens drei Jah­ren Back­pa­cker emp­fan­gen wur­den. Vor drei Jah­ren, also kurz vor Aus­bruch der Corona-Pan­de­mie. Ich stelle mir vor, wie Back­pa­cker einst hier ein­ge­trof­fen sind, voll freu­di­ger Auf­re­gung, Zeit auf die­ser Insel ver­brin­gen zu kön­nen, wie sie sich gegen­sei­tig neue Kar­ten­spiele bei­gebracht, mit­ein­an­der Bier getrun­ken und sich über ihre Rei­se­pläne aus­ge­tauscht haben.

Doch dann brach etwas über die Welt her­ein, mit dem kei­ner gerech­net hätte. Ich ver­setze mich zurück in das Jahr 2020, als die Corona-Pan­de­mie aus­brach und sich auf immer mehr Län­der aus­brei­tete. Ich stelle mir vor, wie hier auf der Insel der erste Lock­down begann. Wie am Anfang noch alle davon aus­gin­gen, es han­dele sich hier­bei ledig­lich um eine kurze Zeit­spanne. Wie der Lock­down immer län­ger und län­ger andau­erte. Wie die Lan­des­gren­zen geschlos­sen wur­den und die Back­pa­cker, die in Süd­ost­asien unter­wegs waren, nach und nach zurück in ihre Hei­mat­län­der gebracht wur­den. Wie schließ­lich kei­ner mehr kam. Wie die Eigen­tü­mer hoff­ten, der Lock­down würde bald vor­über­ge­hen und Nor­ma­li­tät ein­keh­ren. Wie diese Hoff­nun­gen immer wie­der ent­täuscht wur­den, bis immer mehr Ein­hei­mi­sche die Insel ver­lie­ßen, weil ihre finan­zi­el­len Res­sour­cen knapp wur­den. Wie der Dschun­gel sich das Hos­tel Stück für Stück zurück­holte. Bis jetzt! Denn seit Früh­jahr hat Kam­bo­dscha die Lan­des­gren­zen wie­der auf­ge­macht. Und des­we­gen sind wir ja auch hier, genau jetzt und gehö­ren zu den ers­ten Back­pa­cke­rin­nen, die die­sem Ort wie­der Leben einhauchen. 

Schwan­kende Preise und neue Fragen

Zur Nach­mit­tags­zeit machen My Linh und ich uns auf den Weg in den Ort, um nach einem Restau­rant zum Essen zu suchen. Schnell stel­len wir fest, dass die meis­ten Lokale geschlos­sen haben. Dar­un­ter befin­det sich selbst ein Lokal, von dem ich mir sicher war, dass es ges­tern Abend bei unse­rer Ankunft noch geöff­net hatte. Nach­dem wir eine Weile wei­ter­ge­lau­fen sind, sehen wir von drau­ßen, dass in einem der Lokale geschäf­tig Per­so­nen hin- und her­lau­fen. Wir betre­ten es, in der Hoff­nung dort etwas zu essen bestel­len zu kön­nen. „Good mor­ning“, begrüßt uns ein Mann mitt­le­ren Alters mit einem unver­kenn­bar bri­ti­schen Akzent gut gelaunt. Er ist gerade dabei, einen Tisch zu ver­rü­cken. „Ent­schul­digt, aber wir haben noch nicht geöff­net“, schiebt er dann hin­ter­her. „Wir machen erst mor­gen das erste Mal nach zwei Jah­ren wie­der auf“, sagt er und strahlt dabei über beide Ohren. „Da wir hier auf der Insel aktu­ell noch nicht so viele Besu­cher haben, haben wir mit den ande­ren Restau­rants einen Plan auf­ge­stellt, dass wir unsere Lokale abwech­selnd öff­nen. Habt ihr Face­book? Dann füge ich euch einer Gruppe hinzu, in der ihr sehen könnt, wel­che Restau­rants jeweils geöff­net sind.“ Dann nennt er uns noch ein Restau­rant, das am heu­ti­gen Tag Essen serviert.

Wir bedan­ken uns bei ihm und machen uns auf den Weg zu dem Restau­rant. Dabei lau­fen wir auch am Strand ent­lang. In einer Strand­bar beob­achte ich eine junge Frau, die auf einer Lei­ter steht und gerade dabei ist, bunte Lam­pi­ons auf­zu­hän­gen. Dabei quatscht sie gut gelaunt mit ihrem Freund, der ihr einen Lam­pion anreicht. Mit einem Mal spüre ich, dass die­ser Ort etwas Magi­sches hat. Die Stim­mung der Insel­be­woh­ner wirkt ener­ge­tisch auf­ge­la­den, voll von freu­di­ger Hoff­nung auf etwas Bevor­ste­hen­des. Und was das ist, scheint auf der Hand zu lie­gen. Auf Back­pa­cker, die die­sen Ort wie­der mit Leben fül­len? Die sich abends im Schein der bun­ten Lam­pi­ons über ihre Rei­se­pläne aus­tau­schen? Die das Geld, das sie mit auf die Insel gebracht haben, für fried nood­les, Acai Bowls und das ein oder andere Bier aus­ge­ben und die durch Corona ver­ur­sach­ten Löcher der ver­gan­ge­nen Jahre stopfen?

End­lich errei­chen wir das Lokal, das uns der Brite emp­foh­len hat. Drau­ßen vor dem  Restau­rant hängt ein Schild, auf dem in dicken Let­tern „Fried Nood­les – 9000 Riehl“ abge­bil­det steht, was in etwa 2 Euro ent­spricht. Wir set­zen uns hin­ein und bekom­men einen Tel­ler mit damp­fen­den fried nood­les ser­viert. „10600 Riehl“, sagt der Besit­zer, als wir spä­ter bezah­len wol­len. „Das ist nicht der Preis, der drau­ßen auf der Tafel steht“, weise ich ihn hin. Da es hier auf der Insel keine Geld­au­to­ma­ten gibt, an denen wir neues Bar­geld abhe­ben kön­nen, sind wir dar­auf bedacht, nicht mehr Geld aus­zu­ge­ben als nötig. Der Restau­rant­be­sit­zer run­zelt irri­tiert die Stirn. Ich gehe mit ihm nach drau­ßen und zeige ihm den Preis, der dort auf der Tafel geschrie­ben steht. „Ah okay“, sagt er Schul­ter zuckend. Dann gebt mir doch ein­fach 7000 Riehl“, schlägt er vor. Dies ist eine Ansage, die mich nun wie­derum irri­tiert: „Aber das ist weni­ger, als auf dem Schild steht.“ Erneut zuckt er die Schul­tern. „Na gut, okay“, sage ich und gebe ihm die genannte Summe. Das ist nicht die ein­zige Situa­tion, in der uns auf­fällt, wie insta­bil die Preise der locals hier sind. Am dar­auf­fol­gen­den Tag ent­schei­den My Linh und ich uns dazu, unse­ren Auf­ent­halt auf der Insel zu ver­län­gern. Das Pro­blem ist nur, dass unser Bar­geld lang­sam zuneige geht und wir nur auf dem Fest­land neues Geld abhe­ben kön­nen. Im Anbe­tracht unse­rer Erin­ne­run­gen daran, wie auf­wen­dig es für uns war, über­haupt auf diese Insel zu kom­men, steht ein Abste­cher zurück aufs Fest­land nach Siha­nouk­ville außer Frage.

Wir gehen zu dem Rezep­tio­nis­ten unse­res Hos­tels, der sein Handy bei­sei­te­legt und leicht­fü­ßig aus sei­ner Hän­ge­matte springt. „Ihr wollt ver­län­gern? Okay, dann vier Dol­lar für jeden pro Nacht“, sagt er. „Vier Dol­lar?“, fra­gen wir irri­tiert, denn dies ist ledig­lich rund ein Drit­tel des Prei­ses, den wir ursprüng­lich pro Nacht für ein Bett in die­ser Unter­kunft bezahlt haben. „Seid ihr nicht ein­ver­stan­den?“ fragt er. „Doch klar“, ant­wor­ten wir schnell und ver­län­gern unse­ren Auf­ent­halt, anstatt der geplan­ten zwei Nächte um vier wei­tere Nächte. „Manch­mal bin ich mir nicht sicher, ob die uns hier eigent­lich ver­ar­schen wol­len oder nicht“, sage ich im Anschluss zu My Linh. „Ich weiß, was du meinst“, ant­wor­tet sie nach­denk­lich. „Viel­leicht wis­sen sie nicht, wie viel Geld sie von den Leu­ten neh­men kön­nen“, über­legt My Linh. „Ja und sie pro­bie­ren aus, wie viel sie neh­men kön­nen und mer­ken, dass es bei uns nicht viel zu holen gibt“, führe ich ihren Gedan­ken­gang fort. „Manch­mal kommt es mir so vor, als wür­den sie hier zum ers­ten Mal Gäste emp­fan­gen. Dabei kamen doch schon vor Aus­bruch der Corona-Pan­de­mie Besu­cher hier­her. Oder nicht?“

Die Per­spek­tive der Einheimischen

Am Abend möch­ten wir noch einen Smoothie aus fri­schen Früch­ten trin­ken. Wir lau­fen eine Weile die schwach beleuch­tete Straße ent­lang, bis wir einen Stand ent­de­cken, an dem Avo­ca­dos, Man­gos, Lychees und Pas­si­ons­früchte zu klei­nen Türm­chen auf­ein­an­der geschich­tet aus­lie­gen. Wir bestel­len beide einen Pas­si­ons­frucht-Avo­cado-Smoothie und  set­zen uns auf die Plas­tik­stühle, die die Ver­käu­fe­rin uns bereit gestellt hat. An dem Stand sitzt auch ein Mann, der uns aus sei­nen wachen Augen auf­merk­sam betrach­tet. „Wo kommt ihr her?“, fragt er und wirkt dabei auf­rich­tig inter­es­siert. „Wir sind Back­pa­cker aus Deutsch­land“, ant­wor­tet My Linh. „Will­kom­men auf Koh Rong Sam­loem. Mein Name ist Nawin.“ My Linh und ich stel­len uns eben­falls vor. „Ihr gehört zu den ers­ten Back­pa­ckern, die ich hier seit Ende des Corona-Lock­downs sehe“, stellt Nawin fest und mir fällt auf, wie gut er Eng­lisch spricht. Ich tau­sche Blick­kon­takt mit My Linh aus, die das Glei­che zu den­ken scheint wie ich. End­lich ein Insel­be­woh­ner, mit dem wir uns sprach­lich gut ver­stän­di­gen kön­nen und dem wir all unsere Fra­gen stel­len kön­nen, die uns seit Tagen umtrei­ben. „Bist du von hier?“ fragt My Linh ihn. „Ich komme aus Thai­land“, ant­wor­tet Nawin.

Er erzählt, dass er als Back­pa­cker für viele Jahre zahl­rei­che Län­der der Welt bereist habe. Viet­nam, Indo­ne­sien, Ecua­dor, um nur einige auf­zu­zäh­len. Vor ein paar Jah­ren dann habe er beschlos­sen, sich ein Land aus­zu­su­chen, um dort sess­haft zu wer­den und habe sich für Kam­bo­dscha ent­schie­den. Hier habe er seine Frau ken­nen­ge­lernt und mit ihr eine Toch­ter bekom­men. Seine Augen schwen­ken auf die schwach beleuch­tete Straße und mir fällt das kleine Mäd­chen mit dem wild in der Luft tan­zen­den Locken auf, das gerade dabei ist, einem Ball hin­ter­her zu jagen. Ein wei­te­rer Mann setzt sich zu Nawin. Die bei­den Män­ner lächeln sich an und wir­ken ver­traut mit­ein­an­der. „Chan hier ist Kam­bo­dscha­ner. Ich kann nur wenige Worte aus der Khmer-Spra­che und Chan spricht kein Eng­lisch. Wir kom­mu­ni­zie­ren, indem wir uns anlä­cheln,“ erklärt Nawin. „Und über Google Trans­late“, fügt er ver­schmitzt hinzu.

„Warum hast du dich von all den Län­dern, die du bereits bereist hast, für Kam­bo­dscha ent­schie­den? Und warum genau für diese Insel?“, frage ich nach einer Weile neugierig.

„Ich möchte hier zukünf­tig als Tauch­leh­rer arbei­ten“, erzählt er. „In Län­dern wie Thai­land gibt es bereits viele Tauch­leh­rer. Die Unter­was­ser­welt ist dort auch bereits in wei­ten Tei­len erschlos­sen. Hier auf Koh Rong Sam­loem sieht das noch anders aus. Vie­les ist hier noch völ­lig uner­schlos­sen. Hier habe ich die Mög­lich­keit, von Grund auf etwas Neues auf­zu­bauen. Aktu­ell gibt es in Kam­bo­dscha noch nicht so viele Rei­sende. Das wird sich in den nächs­ten Jah­ren ändern.“ Wir las­sen seine Worte für eine Weile auf uns wir­ken. Ich denke an Thai­land und an die Scha­ren von erleb­nis­hung­ri­gen Back­pa­ckern, nach Erho­lung suchen­den Pau­schal­ur­lau­bern, und Fami­lien mit Kin­dern die jedes Jahr die Inseln berei­sen und flei­ßig Tausch­scheine absol­vie­ren. Die Anzahl an Tauch­kur­sen, die dort ange­bo­ten wer­den, muss immens sein.

„Gewis­ser­ma­ßen sehe ich mich auch als Leh­rer“, fährt Nawin fort. „Ich bin schon so viel gereist und in der Welt rum­ge­kom­men. Ich möchte den Men­schen, die hier leben, etwas davon wei­ter­ge­ben. Viele der Ein­hei­mi­schen haben schon immer hier gelebt. Doch sie waren noch nie tau­chen. Ich habe letz­tens ein paar Unter­was­ser­auf­nah­men gemacht und sie den Men­schen gezeigt, damit sie sehen, wie wun­der­schön das Meer ist und, dass wir etwas tun müs­sen, um es zu schüt­zen. Dass sie dar­auf ach­ten sol­len, den Müll nicht ein­fach ins Meer zu wer­fen zum Bei­spiel.“ „Seit wann lebst du bereits hier?“, frage ich. „Ich bin vor sechs Jah­ren nach M’Pai Bay her­ge­kom­men. Damals war hier noch viel mehr Dschun­gel. Nur ein paar Fischer leb­ten hier. Zu die­sem Zeit­punkt wurde hier das erste Hos­tel gebaut und Back­pa­cker fin­gen an, die­sen Ort auf ihrer Rei­se­route ein­zu­pla­nen. Kurz dar­auf brach auch bereits die Pan­de­mie über uns her­ein und alles, was gerade erst  neu auf­ge­baut wurde, musste wie­der schlie­ßen.“ Ich denke an die ver­wais­ten Hos­tels, die trotz der dicken Staub­schicht, die sie umgab, modern wirk­ten und an die Ein­hei­mi­schen, deren Preis­set­zun­gen auf uns auf den ers­ten Blick so will­kür­lich wirk­ten, viel­leicht aber auch von schie­rer Uner­fah­ren­heit herrührten.

„Wie haben die Men­schen hier die Corona-Zeit über­lebt?“ frage ich neu­gie­rig. „Viele Ein­hei­mi­sche konn­ten sich das Leben hier nicht mehr leis­ten und sind fort­ge­zo­gen. Die meis­ten expats aus Europa sind hier­ge­blie­ben. Sie haben von Erspar­nis­sen gelebt und sich gegen­sei­tig unter­stützt. Ich habe mit mei­ner Frau erst vor zwei Jah­ren ein Restau­rant eröff­net. Das war aller­dings nur wenige Wochen geöff­net, bevor wir es auch schon wie­der schlie­ßen muss­ten.“ Mir fällt auf, dass er alles andere als ver­bit­tert wirkt über die durch Corona gepräg­ten Gescheh­nisse der ver­gan­ge­nen Jahre. Seine Gedan­ken schei­nen statt­des­sen ganz auf das Hier und Jetzt fokus­siert und vol­ler Ver­trauen auf die Zukunft zu sein. Wir sit­zen noch eine Weile mit Chan und Nawin zusam­men und spre­chen über unsere Reiseerlebnisse.

Als wir zurück in unse­rem Hos­tel sind, las­sen wir das Gesagte erst ein­mal auf uns wir­ken. Ich habe auf ein­mal das Gefühl, eine neue Per­spek­tive gewon­nen zu haben, aus der ich unsere Ein­drü­cke von der Insel betrach­ten kann und aus der sie in einem neuen Licht erschei­nen. Es fühlt sich mit einem Mal umso beson­de­rer an, genau zu die­sem Zeit­punkt hier an die­sem Ort sein zu dür­fen, irgendwo zwi­schen den trä­gen Nach­wir­kun­gen der Corona-Pan­de­mie und einem mög­li­chen Schwung an Back­pa­ckern, die hier viel­leicht bald ein­tref­fen und den Ort aus sei­nem Dorn­rös­chen­schlaf rei­ßen wer­den. Viel­leicht… denn zum aktu­el­len Zeit­punkt ist noch völ­lig unge­wiss, ob die Insel bei Back­pa­ckern bekann­ter wer­den wird. Wird der stei­nerne Hügel bald unter einer dicken Teer­schicht glatt geschlif­fen wor­den sein? Wer­den in den ver­wais­ten Hos­tels wie­der Back­pa­cker ein- und aus­ge­hen? Wird die Mee­res­bucht am Hos­tel über den Klip­pen bald voll von Men­schen sein, die die Bucht mit ihren dicken Tau­cher­bril­len nach ein­zig­ar­ti­gen Unter­was­ser­bil­dern absu­chen? Wird man das Rau­schen des Mee­res dann über­haupt noch hören kön­nen? Aktu­ell ist das noch unge­wiss. Aktu­ell zählt nur das Hier und Jetzt. Mos­ki­tos, die im hel­len Licht der Lam­pen tan­zen, das ste­tige Rau­schen des Mee­res, das am heu­ti­gen Abend sanft aus der Ferne klingt, der Rezep­tio­nist, der noch immer in sei­ner Hän­ge­matte liegt, sein Handy aller­dings weg­ge­legt hat und die junge Katze beob­ach­tet, die unter der Lampe sitzt und mit ihrer Pfote nach einem Insekt schlägt.

Wie fas­zi­nie­rend ist es, dass wir beim Rei­sen Moment­auf­nah­men des­sen erle­ben, was Men­schen an völ­lig ande­ren Orten auf der Welt bewegt. Dass diese Aus­schnitte sich  jeder­zeit ändern kön­nen. Denn alles unter­liegt dem Wan­del. Und das ist ja auch der Grund, warum sich Rei­sen lohnt. Warum es sich immer anders anfühlt, einen Ort in einem You­Tube-Video zu sehen, als genau die­sen Ort dann einige Zeit spä­ter sel­ber zu berei­sen. Und ich bin ein­mal mehr froh genau hier zu sein, an die­sem Ort, zu genau die­sem Zeit­punkt, der nie wie­der so sein wird wie in die­sem Moment.

Cate­go­riesKam­bo­dscha

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