Kaltes Bier und kastrierte Bullen

An einem frü­hen Frei­tag­mor­gen keh­ren vier Back­pa­cker dem ver­reg­ne­ten Cairns an der Ost­küs­te Aus­tra­li­ens den Rücken zu. Ein Zyklon kommt von Neu­see­land rüber auf die Küs­te zu und alle sind sich einig: Heu­te ist der Tag des Auf­bruchs. Mit „Tre­cker“, mei­nem gelieb­ten, zwan­zig Jah­re alten fahr­ba­ren Unter­satz mit All­rad­an­trieb, einem Ersatz­rei­fen, aus­rei­chend Ben­zin, Was­ser und Nutel­la geht es los.

Inland. Hin­ter­land. Nie­mands­land.

Ers­te Etap­pe: von Cairns über Towns­ville und Char­ters Towers in ein 30-See­len-Dorf namens Prai­rie. Regen fällt unun­ter­bro­chen aus allen Wol­ken, bis wir in Towns­ville ein­mal scharf abbie­gen und dann in das Nir­gend­wo fah­ren, das die Aus­sies den „Busch“ nen­nen.

Die Autos wer­den weni­ger. Die Regen­trop­fen auch.

Ich ler­ne schnell, dass sich ent­ge­gen­kom­men­de Auto­fah­rer im Nir­gend­wo mit einem läs­si­gen Wink des Zei­ge­fin­gers grü­ßen. Nach acht­hun­dert Kilo­me­tern und neun Stun­den kom­men wir auch schon in Prai­rie an und blei­ben über Nacht.

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Prai­rie, das sind ein paar schlich­te Häu­ser, die sich links und rechts des High­ways anein­an­der­rei­hen. Wir schla­gen unser Camp im Gar­ten der ein­zi­gen Knei­pe des Ortes auf und mischen uns am Abend unter die Locals, trin­ken kal­tes Bier und lau­schen Geschich­ten von gif­ti­gen Schlan­gen, sint­flut­ar­ti­gen Regen­fäl­len und lebens­ge­fähr­li­chen Unfäl­len mit Road­t­rains.

Tom, der Bar­be­sit­zer stellt mich sei­ner Toch­ter Lil­ly vor. Sie nimmt mich an die Hand, und zeigt mir ihr Lieb­lings­spiel: Frö­sche auf die Stra­ße schleu­dern und gespannt dar­auf war­ten, dass sie von einem LKW zer­quetscht wer­den.

In ihrem Alter habe ich mit Bar­bie gespielt.

Spä­ter am Abend sit­zen Tom und ich zusam­men an der Bar. Er erzählt vom Leben im Nir­gend­wo. Ich höre zu. Und beob­ach­te, wie er sei­ner Frau einen Blick zuwirft, die schla­fen­de Lil­ly auf dem Arm. Und, ein Lächeln auf dem Gesicht, zuckt er kaum merk­lich mit den Schul­tern und sagt ohne Wor­te:

»Was will ich mehr vom Leben? Ich habe doch alles.«

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Der nächs­te Mor­gen.

Wir haben eine Ein­la­dung von Sam, einem 18-jäh­ri­gen Cow­boy, den wir beim Bil­lard­spie­len im Pub ken­nen gelernt haben. Die Bul­len sol­len heu­te Mor­gen ihr Brand­zei­chen krie­gen – das dür­fen wir nicht ver­pas­sen! Auf der „Rail­view Sta­ti­on“ ange­kom­men, erken­nen wir Sam kaum wie­der. Anstatt Snea­k­ers und Polo­shirt vom Vor­abend trägt er Cow­boy­stie­fel, knall­enge Jeans, ein karier­tes Shirt und ja, er kaut tat­säch­lich auf einem Gras­halm her­um.

Dann: Der Hor­ror. Der Hor­ror.

Es riecht nach ver­brann­tem Fleisch, über­all ist Blut von den Rind­vie­chern und die ver­peil­ten Bul­len lau­fen para­ly­siert durch die Gegend. Sie krie­gen näm­lich nicht nur ein Brand­zei­chen, nein, nein. Sam ent­fernt mit einer gro­ßen Zan­ge und dem Klang bre­chen­der Kno­chen kur­zer­hand auch die bei­den Hör­ner, wäh­rend sein Vater ihnen mit drei ein­fa­chen Hand­grif­fen bei­de Hoden abkneift. Die schleu­dert er dann mun­ter durch die Gegend, damit der vor Freu­de jauch­zen­de Jack Rus­sell »Rus­sell« sie fan­gen kann.

Beim Anblick von die­sem Spek­ta­kel geht es mir im wahrs­ten Sin­ne des Wor­tes »zum Kot­zen“. Ich hät­te wohl bes­ser aufs Früh­stück ver­zich­ten sol­len. Es gab Eier.

Aber am Nach­mit­tag ist es Zeit für die Wei­ter­rei­se. Wir packen unse­re sie­ben Sachen, ver­ab­schie­den uns von Tom und Sam und ich len­ke Tre­cker wie­der auf die end­los lan­ge Stra­ße, die vor uns liegt.

Wei­ter hin­ein ins Nir­gend­wo.

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