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Es nieselt trübe vor sich hin. Wie ein rotes Würmchen winden sich die drei Waggons der Madarail durch grellgrüne Gewächse, die so nah sind, dass sie an die Fenster schlagen. Klein wie ein Regenwurm, ja so fühle ich mich ein bisschen, ragen doch die riesigen Stauden und baumhohen Farne weit über die Eisenbahnwägen. Im Zug in Madagaskar.
Auf der linken Seite öffnet sich manchmal der Blick hinab in die Schlucht, die sich weitet und manchmal wieder ganz schmal zusammenzieht. Ganz unten grünes Wasser, mal ein regelrechter Fluss, dann nur ein Rinnsal, das über felsige Schwellen plätschert. Rechts blicke ich auf eine Blätterwand aus wildem Wein, Ingwer, Bananen.
Auf den Sitzbänken, die mit dunklem Kunstleder bezogen sind, sitzen nur vereinzelt Passagiere. Es ist Winter in Madagaskar, für den Europäer auch hier im Hochland zwar noch immer sommerwarm, doch sie scheinen bitterlich zu frieren: Wollmützen, Jacken, sie ziehen alles über was sie haben. Und nachts wird es tatsächlich frisch, so dass auch ich mich vollbekleidet ins Hotelbett lege, denn das dünne Laken schützt nur notdürftig vor der Kälte der frühen Morgenstunden.
Fast scheint es mir, als wäre ich in eine Welt nur aus Grün gerutscht, wenn nicht immer wieder eine Siedlung zwischen den Bananenstauden auftauchen würde, Hütten gebaut aus Holz, Stroh und manchmal mit einem rostigen Wellblechdach, dazwischen lehmrote Pfade. Und hier kommen die Farben, denn so bunt wie der Regenbogen sind die Menschen angezogen, rot, blau, gelb, und sie rufen und lachen und leuchten.
Zwanzig Mal soll dieser Zug auf seinem wöchentlichen Weg vom Hochland an die Ostküste halten, von Moramanga in die Hafenstadt Toamasina. Schon einer der ersten Stopps, es stehen nur ein paar Hütten herum, dauert gut zweieinhalb Stunden länger als geplant: Ein entgegenkommender Güterzug muss erst in diesen Bahnhof einlaufen, um die eingleisige Strecke frei zu machen. Niemand schimpft, aber als der Pfiff zum Aufbruch ertönt plappern die Zugpassagiere aufgeregt los. Es hätte ja viel schlimmer kommen können…
Wenn der Zug in einen Bahnhof einläuft stehen die Menschen mit Töpfen voll Frittiertem und Obst bereit. Vor allem Bananen, die gibt es hier zuhauf, und als ich mir eine kleine Staude mit einem guten Dutzend kaufe, bezahle ich 300 madagassische Ariari. Das sind 10 Eurocent.
Das ganze Dorf steht bei der Abfahrt aufgereiht und manche winken ihren abreisenden Verwandten. Der Zug ist ein Spektakel.
Wenige Passagiere bleiben länger als zwei oder drei Stopps an Bord. Deswegen wechseln meine Reisegefährten auch ständig – gerade teilte ich noch die vanille-karamellisierten Erdnüsse mit der Omi, die mit einem Goldzahn fröhlich lacht, jetzt kann ich mit dem Biologiestudenten radebrechend die jüngsten Erfolge des FC Bayern feiern.
Es regnet weiterhin, und die Wolkendecke liegt immer noch schwer über den langsam auslaufenden Hügeln. Der Fluss wird immer breiter; mehr und mehr Kokospalmen zeigen, dass es wärmer wird.
Der Zug wird gestürmt. Auf den vier Plätzen, die ich bisher oft für mich allein hatte, sitzen nun neben mir zwei alte Männer, eine zahnlose Großmutter mit ihrem Enkelkind, das mich misstrauisch mustert; außerdem zwei Mädchen, die schon Mütter sind und ihre Babys beim hereinkommen auf den Rücken gebunden hatten. Es ist noch ein Stück bis zur Küste, aber die Wärme der Körper im Zug lässt meinen Geist unwillkürlich in tropischen Träumen abwandern…
Brickaville, oder madagassisch Ampasimanolotra, ist nur ein paar Kilometer von der Küste entfernt. Es ist fünf, und der Zug leert sich merklich. Nach dem Fahrplan sollten wir eigentlich bald in Toamasina ankommen – wir haben aber erst die Hälfte der Strecke geschafft. Die Berge liegen hinter uns, und nun geht es nordwärts die Küste hinauf. Zur Rechten der mit Kokospalmen bestandene Indische Ozean, zur Linken die Pangalanes Seen, die sich wie ein Kanal die Ostküste entlangziehen. Leider kann ich bald davon nichts mehr erkennen. Es dämmert bereits.
Völlige Finsternis. Regen. Der Schaffner befestigt mit etwas Wachs ein paar Kerzen in den Fensterrahmen. Candlelight-Train. Wie romantisch!
Ein Tag im Zug in Madagaskar. Und eine Nacht…
Antworten
[…] Im Zug an die Ostküste Madagaskars von reisedepeschen […]
[…] soll es von Fianarantsoa auch kurz an die Ostküste gehen. Virtuell bin ich schon einmal bei den Reisedepeschen mitgefahren. Die Micheline-Bahn – der Bus auf Rädern – fährt hingegen so selten, dass ich ihn […]
toller bericht. war selbst 2014 mit dem zug von moramanga nach tamatav unterwegs. reisebeschreibung spricht mir aus der seele.
danke, ute!
tolles Video mit einer super Musik…
Das vierte bei vimeo, wie ich sehe. Dürfen wir auf mehr hoffen?das 34. bei vimeo, ungefähr 😉
feines filmchen hast du da zusammengeheftet, johannes. und das schoene ist, es erinnert mich so fabelhaft an meine zugfahrt im vergangenen jahr in burma.
🙂 das freut!
Deine schöne bildhafte Sprache lassen den Reisebericht sehr lebendig werden. Bin gespannt wie es weiter geht
Vielen Dank!
So lebendig geschildert, bebildert und herrlich gefilmt.….wie wenn ich life dabei gewesen wäre.…!!!! Super!!! Und was für unterschiedliche Grün-Töne.…!!! Ich kann nur staunen!
🙂 Danke!!
Sehr schöner Bericht. Ich war noch nie in Madagaskar und bin in der Recherchephase. Freue mich auf weitere Berichte, wie die Küste z.B dann am Tag aussieht. Gute Reise.
Danke! Es kommt noch einiges!
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