Das Leben ist zu kurz, um schlech­ten Wein zutrin­ken. Das wusste schon der werte Herr Goe­the. Guten Wein, den trinke ich gerne. Wie der Wein in die Fla­sche kommt, weiß ich jedoch nur ungefähr.

Ein Aus­flug zu den Win­zern des 1400-See­len­dorfs Hag­nau am Boden­see soll dies ändern.

Bei mei­ner Ankunft herrscht das wahrste Sau­wet­ter. Kalt und nass ist es, Regen fällt in Strö­men. Trotz­dem strahlt der win­zige Ort zugleich eine große Wärme aus. Hier scheint die Welt noch in Ord­nung zu sein, wie man so schön sagt. Die Men­schen auf den Stra­ßen schauen freund­lich. Vor den schmu­cken und anhei­meln­den Häus­chen ste­hen statt­li­che SUVs, BMWs und Mer­ce­desse. Ältere Tou­ris­ten­paare schlen­dern im Part­ner­look durch die Gassen.

01.Katze 02.Dorfplatz

Trotz des ver­reg­ne­ten Wochen­en­des herrscht Hoch­sai­son in dem idyl­li­schen Dorf, das sich, umringt von Wein­ber­gen und Obst­gär­ten, zwi­schen Fried­richs­ha­fen und Meers­burg an den See schmiegt. Es ist Herbst und im Herbst fin­det die Wein­lese statt, die hier nicht Lese son­dern Wim­meln heißt. Eigens von Hand wer­den die Trau­ben der 155 Hektar gro­ßen Reb­flä­che gepflückt. Ein Ereig­nis, bei dem das ganze Dorf und viele Ern­te­hel­fer auf den Bei­nen sind. 60 Fami­lien haben sich in Hag­nau zu der ältes­ten badi­schen Win­zer­ge­nos­sen­schaft zusam­men­ge­schlos­sen und betrei­ben seit 20 Jah­ren kon­trol­liert umwelt­scho­nen­den und nach­hal­ti­gen Weinbau.

An den Süd­hän­gen am See wach­sen mehr­fach aus­ge­zeich­ne­ter Mül­ler-Thur­gau, Weiß­bur­gun­der, Grauer Bur­gun­der, blauer Spät­bur­gun­der, Ker­ner, Bac­chus, Sau­vi­gnon Blanc, Auxer­rois, Regent und St. Lau­rent. Als Vor­al­pen­weine wer­den die Weine vom Boden­see bezeich­net und diese wer­den von Wet­ter und Wit­te­rung gera­dezu ver­wöhnt. Der Boden­see wirkt wie ein gigan­ti­scher Wär­me­spei­cher und Reflek­tor. Er ver­schafft den Anrai­nern ein fast medi­ter­ra­nes Klima mit lan­ger Vege­ta­ti­ons­zeit. Gepaart mit der beson­de­ren Höhen­lage, den war­men Föhn­win­den von den Alpen und den eis­zeit­li­chen Ver­wit­te­rungs­bö­den bringt die Region fruch­tige und ele­gante Weine mit unzäh­lig fei­nen Aro­ma­stof­fen hervor.

 

Das Wochen­end-Wein­se­mi­nar beginnt mit einer kuli­na­ri­schen Wein­probe am See­ufer mit Blick auf die bereits ver­schneite Schweiz. Nicht nur der Wein, auch der Fisch vom Boden­see ist legen­där. Bei­des soll ich bald zu Genüge ver­kos­tet haben.

Durch den Abend führt die bezau­bernde Anita Schmidt, ihres Zei­chens ehe­ma­lige badi­sche Wein­kö­ni­gin und heu­tige Ver­kaufs­lei­te­rin der Hag­nauer Win­zer­ge­nos­sen­schaft. Im tra­di­tio­nel­len Dirndl und mit viel Charme und Witz führt sie in die Welt des Wei­nes ein. Auge, Nase, Zunge, Abgang — Was ver­rät mir die Farbe? Wie schnup­pere ich am Glas?  Wie ist das Bukett? Der erste Schluck? Der Nachgeschmack?

Ihre Augen fun­keln und sie gerät gera­dezu ins Schwär­men, wenn sie über die ein­zel­nen Weine doziert. Hier erahnt sie eine fruch­tige Note von Zitrus­früch­ten, dort sind es Aro­men von Man­del und fri­scher But­ter. Mal kann ich dies bestä­ti­gen. Mal benö­tige ich all meine Fan­ta­sie um ihren Aus­füh­run­gen zu fol­gen. Auf dem Tel­ler wer­den dazu die feins­ten Köst­lich­kei­ten aus dem Boden­see kre­denzt: Fel­chen, Kret­zer, Zan­der und Hecht geben sich ein Stell­dich­ein. Und wie heißt es so schön: Fisch muss Schwim­men. Nach gut zehn ver­schie­de­nen Wei­nen fängt es auch in mei­nem Kopf zu Wim­meln an und das nahe Hotel­bett wird meine Zufluchtsstätte.

03.Anita Schmidt 04.Fisch

Am nächs­ten Mor­gen geht es hinab in die Tiefe des Kel­lers. Hier wer­den die Trau­ben von den Stie­len getrennt und die Mai­sche abge­presst. Dann ist der Maes­tro, Jochen Zah­ler, der Kel­ler­meis­ter am Werk. Jung und dyna­misch kommt er daher. Bevor er Kel­ler­meis­ter in Hag­nau wurde, hat er schon in Napa Val­ley neue Impulse gesam­melt. Er ist ver­ant­wort­lich für die fach­ge­rechte Ver­ar­bei­tung der Trau­ben, über­wacht den Gär­pro­zess und ist für Qua­li­täts­ver­bes­se­rung des Wei­nes zustän­dig. Aus ein­zel­nen Tanks spru­delt fri­scher Suser, wie der neue Wein hier genannt wird. Die Lehr­linge und Prak­ti­kan­ten hören laut­stark Pop­mu­sik aus dem Radio. Die Stim­mung ist gut. Im alt­ehr­wür­di­gen Prä­sen­ta­ti­onskel­ler wird mir ein Glas Suser zum noch damp­fen­den Zwie­bel­ku­chen gereicht. Ein guter Start in den Tag.

05.Keller 06.Keller2 07.Keller3 08.Keller4

Nun wer­den die Hemds­är­mel hoch­ge­krem­pelt. Es geht hin­aus in den Wein­berg zum Wim­meln. Ein freund­li­cher Hag­nauer Win­zer zeigt mir, wie man das rich­tig angeht. Die Blät­ter und fau­len Bee­ren wer­den ent­fernt, dann wer­den mit einer Hand die ver­blie­be­nen Trau­ben gepackt, wäh­rend die andere Hand den Sten­gel dicht am Holz mit der Ern­te­schere abschnei­det. Die Trau­ben wer­den sachte in den gro­ßen Eimer gege­ben, die emp­find­li­che Bee­ren­haut soll nicht beschä­digt wer­den. Sobald die­ser voll ist, wird er in einen der gro­ßen 330 Kilo­gramm fas­sen­den Kübel geschüt­tet. Diese wer­den mit dem Trak­tor in die Win­ze­rei gefahren.

Die Win­zer legen ein Mord­s­tempo vor. Wir schnei­den und schna­cken und am Ende des Tages weiß jeder und jede, was sie geleis­tet haben.

09.Wimmeln 10.Wimmeln2 11.Wimmeln3

Es gibt kein herz­li­che­res Volk als die Win­zer. Davon bin ich zu 100 Pro­zent über­zeugt. Win­zer lie­ben ihren Beruf und das spürt man. Im Ein­klang mit der Natur, in Gemein­schaft mit Fami­lie und Kol­le­gen pro­du­zie­ren sie eines der wun­der­volls­ten Pro­dukte auf Erden über­haupt. Die Arbeit ist oft müh­sam — ein rich­ti­ger Kno­chen­job im wahrs­ten Sinne des Wor­tes — doch der Ein­satz wird Jahr für Jahr belohnt. Bei den Win­zern aus Hag­nau ist sogar noch der See­blick inklusive.

12.2.Bodensee 12.Winzer

Wind und Nie­sel­re­gen haben sich gelegt und end­lich bricht die Sonne durch die Wol­ken­de­cke. Der Boden­see fun­kelt majes­tä­tisch. Die weiße Flotte der Aus­flugs­schiffe dreht ihre letz­ten Run­den vor der Win­ter­pause, in der Ferne locken die schnee­be­deck­ten Gip­fel des Schwei­zer Alpen­vor­lands. Hier oben auf der Wil­helms­höhe erho­len wir uns nach geta­ner Arbeit bei einem Glas Glüh­wein und einem Stück haus­ge­mach­ten Rot­wein­ku­chen und ich lasse mei­nen Blick über das far­ben­frohe Reben­meer und den Glo­cken­turm wie­der und wie­der auf die meer­ähn­li­che Was­ser­ober­flä­che schweifen.

In mei­nem Kopf male ich mir immer deut­li­cher ein Sze­na­rio aus, das ein ruhi­ges, ent­schleu­nig­tes Leben am Boden­see beinhal­tet. Mit den Hän­den arbei­ten, Wein trin­ken und Fisch essen. Hach.

13.Wilhelmshoehe 14.Wilhelmshoehe2

Ein lau­ter Knall und eigen­tüm­li­che Geräu­sche rei­sen mich aus mei­nen Tag­träu­men. Die Hag­nauer Vogel­ab­wehr hat zuge­schla­gen. Von einem Hoch­sitz aus über­wa­chen frei­wil­lige Rent­ner aus dem Ort die Reb­flä­chen. Nähert sich ein Vogel oder gar ein Schwarm, zün­den sie die Abwehr­ma­schi­ne­rie. Natür­lich kommt kein Tier zu Scha­den. Von der Wiege bis zur Bahre. Alle machen sich im Dorfe nützlich.

15.Rentner

Der Boden­see ist das zen­trale Ele­ment im Leben der Anwoh­ner rund um den See. Er stif­tet Iden­ti­tät, Arbeit und Wohl­stand. Die Dör­fer leben von Tou­ris­mus, Fische­rei und dem Wein- und Obst­an­bau. Die Men­schen wir­ken glück­lich, kom­men schnei­dig daher und haben eine gesunde Gesichts­farbe. Die kommt von der Arbeit an der fri­schen Luft. So wie bei der Fische­rin Heike Wind­ner, die ich auf eine ihrer Tou­ren auf den See beglei­ten darf.

16.Dorf

Eine steife Briese weht mir ins Gesicht. Wir hei­zen über die Was­ser­ober­flä­che, Was­ser schwappt über Bord. Das ist kein Job für Weich­eier. Die Netze, die die Fische­rin tags zuvor aus­ge­legt hat, müs­sen ein­ge­holt wer­den. Alles Hand­ar­beit. Der Fang ist dürf­tig. Die Sai­son nähert sich dem Ende. In den Herbst- und Win­ter­mo­na­ten zie­hen sich die Fische in grö­ßere Was­ser­tie­fen zurück und die Win­ter­ruhe beginnt.

Zurück an Land ser­viert die Fische­rin eigens frisch geräu­cherte Fel­chen und Saib­ling. Eine Delikatesse.

17.Heike 18.Heike2

Dazu ein letz­ter Schluck Wein aus Hag­nau. Prosit!

19.Prost

Herz­li­chen Dank an die Gemeinde Hag­nau am Boden­see für die Einladung!

Cate­go­riesDeutsch­land
  1. Camper says:

    Hey,
    Sehr schö­ner Bei­trag und ich erfreue mich immer öfters an dei­nen Bei­trä­gen und dann kriegt man direkt immer Lust auf Urlaub. Lei­der scheint es wohl Wet­ter tech­nisch nicht so super gelau­fen zu sein. Ist halt Deutschland.

    1. Ricarda says:

      Trotz schlech­ten Wet­ters hatte ich eine wun­der­bare Zeit bei tol­len Gastgebern.
      Danke für dein Lob – das freut mich sehr :-)

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