Gnocchi Carbonara

„Iiit’s a shiiiii­it!“ Ari­an­na schüt­telt den Kopf. Wenn sie für eines kein Ver­ständ­nis hat, dann ist das, wenn jemand tra­di­tio­nel­les Essen nicht wert­schätzt. Bis vor kur­zem war sie Kell­ne­rin bei einem Nobe­lita­lie­ner in Mel­bourne, da hat sie Tag für Tag zäh­ne­knir­schend die absur­den Extra­wün­sche der Gäs­te ent­ge­gen­ge­nom­men. Beson­ders schlimm: Gnoc­chi statt Spa­ghet­ti. „Gnoc­chi Car­bo­n­a­ra, ich bit­te dich! Das ist doch gräss­lich, da haf­tet doch die Soße gar nicht rich­tig dran. Wenn die Leu­te schon zum Ita­lie­ner gehen, dann soll­ten sie auch wirk­lich ita­lie­nisch essen“, sagt die Frau mit dem dun­kel­brau­nen, kinn­lan­gen Haar und der leicht rau­en Stim­me. Dann taucht sie im hüft­ho­hen Was­ser ab und schwimmt ein Stück wei­ter hin­aus.

Es ist 11 Uhr vor­mit­tags auf der thai­län­di­schen Insel Koh Lan­ta. Ari­an­na, die 26-jäh­ri­ge Ita­lie­ne­rin aus Rom, und ich baden. Wir ste­hen auf Zehen­spit­zen am Long Beach im tür­kis­far­be­nen Was­ser. Unse­re Hand­tü­cher lie­gen im Schat­ten eines mit roten Lam­pi­ons geschmück­ten Bau­mes auf Höhe des „Fun­ky Fish“ – der Strand­bar, in der wir heu­te wohl den drit­ten Tag infol­ge ver­sa­cken wer­den. Vor­ges­tern haben wir uns dort beim Früh­stück ken­nen­ge­lernt. Und fest­ge­stellt, dass wir viel gemein­sam haben: Bis vor kur­zem waren wir mit einem Work-and-Tra­vel-Visum im Aus­land, sie in Aus­tra­li­en, ich in Kana­da. Jetzt rei­sen wir bei­de von unse­rem letz­ten Erspar­ten ein paar Wochen um die Welt, bevor wir wie­der nach Hau­se flie­gen. Zurück ins Ver­trau­te, dem wir knapp ein Jahr zuvor ent­flo­hen sind.

In die Heimat mit gemischten Gefühlen

Heu­te ist das Was­ser fri­scher als sonst, zum ers­ten Mal haben wir ein biss­chen Strö­mung. Klei­ne Wel­len spü­len immer wie­der über unse­re Köp­fe hin­weg, wäh­rend wir reden. „In Rom war ich auch mal“, erzäh­le ich, „wun­der­schön! Als wür­de man durch eine Film­ku­lis­se spa­zie­ren.“ Ari­an­na streicht sich die nas­sen Haa­re aus dem Gesicht und zieht die Augen­brau­en hoch. „Ja“, meint sie, „für Tou­ris­ten ist Rom sicher schön. Da zu leben, ist etwas ande­res. Kaum ein Römer kann es sich noch leis­ten, in der Innen­stadt zu woh­nen. Die meis­ten leben außer­halb und ste­hen jeden Tag stun­den­lang im Stau. Auf den Stra­ßen ist stän­dig Cha­os und der öffent­li­che Nah­ver­kehr ist eine Kata­stro­phe. Immer über­füllt.“ Dabei macht sie ein Gesicht, als stün­de sie gera­de im Gedrän­ge eines vol­len Römer Stadt­bus­ses zur Rush Hour statt in der offe­nen Wei­te der Anda­ma­nen­see.

In vier Wochen fliegt Ari­an­na nach Hau­se. Dort­hin, wo ihre Fami­lie und Freun­de sich auf ihre Rück­kehr freu­en. Dort­hin, wo ihr jetzt – nach der Rei­se – nicht nur die Bus­se viel zu eng erschei­nen.

„Sobald ich das Geld für ein Stu­den­ten­vi­sum zusam­men habe, gehe ich zurück nach Mel­bourne. Auch wenn es Mam­ma das Herz bre­chen wird“, sagt sie und betrach­tet ihre Hän­de unter der Was­ser­ober­flä­che. Ihr graut vor dem Gespräch, in dem sie ihrer Mut­ter von ihren Plä­nen erzäh­len wird. Schon damals sei ihr der Abschied schwer gefal­len. Ihr Vater hat die Fami­lie ver­las­sen, als Ari­an­na noch zur Schu­le ging, der Bru­der ist mit sei­ner Fami­lie nach Flo­renz gezo­gen. Das Geld, das ihre Mut­ter als Ver­käu­fe­rin ver­dient, reicht, um in Ita­li­ens teu­rer Haupt­stadt zu über­le­ben – aber zum Spa­ren bleibt nichts.

„Wenn ich in Rom blei­be, sieht mein Leben spä­ter genau so aus. Ich müss­te Jah­re arbei­ten und extrem spar­sam leben, um je wie­der so eine Rei­se wie die­se hier machen zu kön­nen“, sagt die gelern­te Kon­di­to­rin und beschreibt mit dem rech­ten Arm einen Halb­kreis, bevor sie ihn ins Was­ser klat­schen lässt. „In Aus­tra­li­en beträgt der Min­dest­lohn fast 17 Dol­lar pro Stun­de, ich habe sogar 21 bekom­men! Da ist so ein Trip nach ein paar Mona­ten wie­der drin! Da kann ich Geld zur Sei­te legen, um mich spä­ter mal selbst­stän­dig zu machen mit einem eige­nen Laden, in dem ich ita­lie­ni­sches Gebäck ver­kau­fe. Das ist mein Traum“, sagt sie fast ent­schul­di­gend.

Wie lan­ge wir wohl schon im Was­ser sind? Wir sehen uns um. Von der Lie­ge­stel­le sind wir ziem­lich weit abge­trie­ben, zum „Fun­ky Fish“ müs­sen wir am Ufer ein gutes Stück zurück­lau­fen. Im offe­nen Meer zu baden ist auch ein biss­chen wie Rei­sen: Du springst ins kal­te Was­ser. Du lässt dich trei­ben. Und kommst kaum jemals genau da wie­der raus, wo du hin­ein­ge­gan­gen bist.

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Antwort

  1. Avatar von Ela

    Haha, Gnoc­chi Car­bo­n­a­ra ist aber wirk­lich absurd. Da kann ich das Kopf­schüt­teln schon ver­ste­hen 🙂 Ita­lie­nisch in Asi­en geht aber meis­tens nicht so wirk­lich..
    Lie­be Grü­ße,
    Ela

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