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Ghoms Heiligtum und ein Familienausflug nach Kashan

Maryam fährt uns durch die Stra­ßen Ghoms. Natür­lich kugeln wir Dank ihres chao­ti­schen Fahr­stils wie­der über die Rück­bank. Wer so durch die Stra­ßen bret­tert, muss sein Gefährt im Griff haben, denke ich und hoffe, dass ich mich nicht selbst belüge.

Ghom, mit einer Ein­woh­ner­zahl, die mitt­ler­weile die Mil­lio­nen­grenze erreicht hat, ist die am schnells­ten wach­sende Stadt des Lan­des. Die Luft­ver­schmut­zung ist hoch, der Ver­kehr – nicht nur auf­grund von Maryam – anar­chis­tisch, die Stra­ßen stau­big. Was die Men­schen in die Stadt zieht ist ihre reli­giöse Bedeu­tung für die Schii­ten. Buch­ge­schäfte mit theo­lo­gi­schen Schrif­ten gibt es hier so häu­fig wie Star­bucks Filia­len in New York.

Mit quiet­schen­den Rei­fen lenkt Maryam ihr Auto auf einen Park­platz. Nur noch eine Stra­ßen­kreu­zung trennt uns vom Hei­lig­tum der Stadt: dem Hazrat‑e Masu­meh Schrein. Seit dem neun­ten Jahr­hun­dert ruht hier Fate­meh, die Schwes­ter des ach­ten schii­ti­schen Imams Reza. Auch sie wird als hei­lig verehrt.

Auf dem Park­platz ver­kauft ein jun­ger Mann an einem selbst­ge­bau­ten Stand getrock­nete Früchte, Nüsse und gekochte rote Beete Knol­len. Sein Lächeln wird das letzte Lächeln sein, das wir in der Nähe des hei­li­gen Grab­mals sehen werden.

Ghom, Iran

Dut­zende Gläu­bige und Pil­ger bie­gen mit uns in die Straße, die zum Ein­gang des Schreins führt. Sie alle wir­ken ernst, bei­nahe fei­er­lich. Aus­nahms­los jede Frau ist in ihren Tscha­dor gehüllt. Das isla­mi­sche Klei­dungs­stück, ledig­lich ein lan­ges, schwar­zes Stück Stoff, das um Kopf und Kör­per geschwun­gen wird, begeg­net uns im kon­ser­va­ti­ven Ghom über­all. Obwohl nicht ver­pflich­tend, wird der Tscha­dor von fast allen Frauen frei­wil­lig getra­gen. Hier, rund um den hei­li­gen Schrein, sehen wir nichts ande­res mehr. Maryam hatte uns bereits gewarnt und einen wei­te­ren Tscha­dor in ihr Hand­ge­päck gestopft, denn im Schrein ist der Tscha­dor bindend.

Doch noch bevor wir uns adäquat beklei­den kön­nen, um das Hei­lig­tum zu betre­ten, stoppt ein Motor­rad­fah­rer neben uns und beginnt mit schäu­men­dem Mund zu schimp­fen. Er beschwert sich, dass wir, obwohl bereits nach isla­mi­scher Klei­der­ord­nung bedeckt, nicht auch den Tscha­dor tra­gen. Wir sind irri­tiert, der Typ auf sei­nem Zwei­rad aggres­siv, Maryam kämp­fe­risch. Mit ein paar schar­fen Wor­ten gibt sie dem Mann zu ver­ste­hen, dass er sich um seine eige­nen Ange­le­gen­hei­ten küm­mern solle und zieht uns wei­ter die Straße ent­lang. Grum­melnd und mit gif­ti­gem Blick in unsere Rich­tung setzt der Motor­rad­fah­rer seine Fahrt fort. Ghom ist kon­ser­va­tiv. Aber je näher wir dem Schrein Fate­mehs kom­men, desto kon­ser­va­ti­ver schei­nen die Men­schen. Das hei­lige Zen­trum der Stadt wirkt wie ein schwar­zes Loch auf den libe­ra­len Geist. Es ver­schluckt ihn, auf dass er nie­mals wie­der zur Ent­fal­tung komme.

Schon aus eini­ger Ent­fer­nung sehen wir die gol­dene Kup­pel des Kom­ple­xes in der Nach­mit­tags­sonne fun­keln. Hohe, schlanke Mina­rette ragen davor in den Him­mel. Im Ein­gangs­be­reich herrscht ein reges Gedränge. Män­ner und Frauen strö­men durch geschlech­ter­ge­trennte Berei­che in den Innen­hof. Ohne Tscha­dor gibt es kei­nen Zutritt.

Ghom, Iran

Wie in der per­si­schen Archi­tek­tur üblich, umge­ben Arka­den einen Innen­hof den Iwane, hohe, zum Hof offene Hal­len, schmü­cken. Blaue Kacheln deko­rie­ren die Wände auf denen ver­schnör­kelte Ran­ken, Blü­ten und Blät­ter in sym­me­tri­schen Mus­tern abge­bil­det sind. Ara­bi­sche Inschrif­ten ver­kün­den den Namen des All­mäch­ti­gen. Kleine Men­schen­grup­pen ste­hen um ein Was­ser­be­cken in der Mitte des Hofes, Gläu­bige schlen­dern über den Platz. Mul­lahs, isla­mi­sche Pre­di­ger und Gelehrte, eilen in braune Umhänge gehüllt über den Hof. Die meis­ten von ihnen tra­gen weiße Tur­bane. Ein paare wenige schmü­cken ihr Haupt mit schwar­zem Stoff und deu­ten so ihre direkte Bluts­ver­wandt­schaft mit dem Pro­phe­ten Moham­med an. Die­ses Ahnen­ver­hält­nis ver­hilft ihnen nicht zu einer bes­se­ren Anstel­lung, erhöht aber den Respekt, der ihnen ent­ge­gen­ge­bracht wird, unge­mein. Selbst bei mir funk­tio­niert die­ser Trick. Ein Blick auf die schwar­zen Tur­bane fühlt sich an wie ein Blick in die Geschichte. Viel­leicht sah ja Moham­med genauso aus wie einer die­ser Män­ner, die mit ergrau­tem Voll­bart und schnel­len Schrit­tes in den Schrein laufen.

Auch wir betre­ten den Schrein. Von pom­pö­sen Kron­leuch­tern brei­tet sich strah­len­des Licht im Raum aus, das von Spie­gel­or­na­men­ten an den Wän­den, Decken und Säu­len reflek­tiert wird. Über­all um uns herum glit­zert es. Der Gebäu­de­kom­plex besteht aus meh­re­ren gro­ßen Räu­men, die über breite Flure mit­ein­an­der ver­bun­den sind. Hier wird nicht nur der Hei­li­gen gedacht. Bücher­re­gale säu­men die Wände, die mit reli­giö­sen Schrif­ten gefüllt sind. Davor befin­den sich Stuhl­rei­hen, die bis auf den letz­ten Platz besetzt sind. Ältere Her­ren stu­die­ren die Schrif­ten, blät­tern lang­sam vor und zurück. Reli­giöse Lehre hat nie­mals ein Ende. In einer Ecke sit­zen junge Bur­schen zusam­men. Sie lau­schen den Wor­ten eines Mul­lahs, der mit freund­li­chen Augen und sanf­ter Stimme Got­tes Welt erklärt. Der weiße Tur­ban sitzt dabei wie eine Krone auf sei­nem Kopf. Mit­ten im Hei­lig­tum herrscht eine woh­lige Lern­grup­pen­at­mo­sphäre. Der Schrein ist nicht nur ein reli­giö­ses, son­dern auch ein kul­tu­rel­les Zen­trum. Hier wer­den Fra­gen des Glau­bens erör­tert, aber auch soziale Bin­dun­gen auf­recht­erhal­ten. Der Schrein ist Klas­sen­raum und Stamm­tisch zugleich.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Da man­che Berei­che im Gebäu­de­kom­plex strikt geschlech­ter­ge­trennt sind, ver­lie­ren wir uns bald aus den Augen und ich wan­dere alleine durch die voll­be­setz­ten Hal­len und Räume. Der Schrein der Fate­meh befin­det sich zwi­schen den geschlech­ter­ge­trenn­ten Sek­tio­nen. Trenn­wände ver­hin­dern den Kon­takt von Män­nern und Frauen. Das Grab­mal, ein mit Sil­ber beschla­ge­ner und orna­ment­reich ver­zier­ter hoher Kas­ten, ist mit grü­nem Samt aus­ge­legt. Vor ihm ste­hen die Gläu­bi­gen in lan­gen Schlan­gen, beten mit nach oben geöff­ne­ten Hand­flä­chen, berüh­ren die ver­sil­ber­ten Wände des Schreins, um die Hei­lige um Bei­stand zu bitten.

Meh­rere Innen­höfe, die sich zwi­schen den ver­schie­de­nen Gebäu­den befin­den, gehö­ren zum Kom­plex. Drau­ßen schim­mert der Him­mel bereits in einem tie­fen Blau. Lich­ter­ket­ten sind über den Hof gespannt, leuch­ten zwi­schen den Mina­ret­ten. Bald ist es Zeit für das Gebet. In einer von meh­re­ren Gebets­hal­len ver­sam­meln sich die Gläu­bi­gen. Als diese bis auf den letz­ten Platz besetzt ist und noch immer Men­schen her­ein strö­men, wer­den Tep­pi­che nach drau­ßen vor die Halle gelegt, um noch mehr Gläu­bige am Gebet teil­ha­ben zu las­sen. Stühle ste­hen für die­je­ni­gen bereit, die zum Knien und auf­ste­hen zu alt oder krank sind. Dann beginnt ein Mul­lah mit schwar­zem Tur­ban das Abend­ge­bet. Über Laut­spre­cher wer­den seine Worte durch den gesam­ten Kom­plex getra­gen. In den Gän­gen und Flu­ren, in jedem Raum fal­len die Gläu­bi­gen auf die Knie und voll­füh­ren ihre Rituale. Über ihnen fun­keln die Glas­kris­talle der Kronleuchter.

Mich erwischt das Gebet, als ich gerade in einer gro­ßen Halle stehe, in der sich dut­zende Män­ner mit­ein­an­der unter­hal­ten. In klei­nen Grup­pen ste­hen sie zusam­men, sit­zen hier und da mit ver­schränk­ten Bei­nen auf den dicken Per­ser­tep­pi­chen. Mit dem ers­ten Kna­cken der Laut­spre­cher ver­stum­men die Gesprä­che abrupt. Als dann eine ble­cherne Stimme zum Gebet auf­ruft, befinde ich mich gerade so weit weg vom Aus­gang wie nur mög­lich. Plötz­lich bin ich die ein­zige Per­son, die noch immer auf­recht steht. Vor­sich­tig schlei­che ich zwi­schen den Gläu­bi­gen hin­durch und suche Zuflucht in einem der Innen­höfe, wo ich end­lich meine Beglei­ter wiederfinde.

Für wenige Augen­bli­cke ist der Innen­hof fast men­schen­leer. Doch dann ist das Gebet been­det und bald ist der Platz wie­der mit Leben gefüllt. Da sind die in schwarze Tücher gewun­de­nen Frauen, die Män­ner in ihren dicken Jacken und Pull­overn, die Mul­lahs mit ihren brau­nen Umhän­gen, Tur­ba­nen und Akten­ta­schen, die man­che von ihnen unter dem Arm tra­gen. Kin­dern zer­ren an ihren Eltern, wol­len hier­hin und dorthin.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Für uns ist die Schau vor­bei. Wir ver­las­sen den Schrein, kau­fen beim lächeln­den Park­platz­ver­käu­fer gekochte rote Beete und rasen mit Maryam zurück nach Hause und wei­ter zu einer Tante. Natür­lich haben wir eine Ver­ab­re­dung zum Essen. Wir besu­chen Mar­siye, eine ältere Dame mit stren­gem Blick und klu­ger, aber schlich­ter, genüg­sa­mer Aus­strah­lung. Die ganze Fami­lie kommt zusam­men. Zahra ist da, Maryams Schwes­tern Amene und Safieh, Hadi mit sei­ner Fami­lie, Maryams jüngs­ter Bru­der Mehdi und noch viele wei­tere Familienmitglieder.

Als wir ein­tre­ten wol­len, ver­sperrt uns ein dicker Bauch in wei­ßem, ara­bi­schem Gewand, einem Thawb, die Tür. Dar­über wackelt ein fein gestutz­ter Voll­bart, der ein brei­tes Grin­sen umrahmt. Eine spitze Nase zeigt in unsere Rich­tung, lis­tige Augen fixie­ren unsere Gesich­ter. Vor uns steht Ehs­san, ein Sohn Mar­si­yes, der uns freund­lich emp­fängt. Auf dem Arm hält er sei­nen drei­jäh­ri­gen Sohn, mit dem er ohne Unter­lass ara­bisch spricht. Die Spra­che des Islam, so Ehs­san, soll der kleine Mann so schnell wie mög­lich ler­nen, damit er den Koran und die Gebete ver­ste­hen kann. Für Farsi, der Natio­nal­spra­che des Iran, bleibt anschlie­ßend noch genug Zeit. Zunächst hat das viel schwie­ri­gere Ara­bisch Vor­rang. Jah­re­lang lebte Mar­si­yes Fami­lie im ira­ki­schen Nad­schaf, wo Ehs­san Theo­lo­gie stu­dierte. Nun arbei­tet er als Mul­lah, als isla­mi­scher Gelehr­ter, mit wei­ßem Tur­ban in Ghom.

Wäh­rend wir so dahin schwat­zen, brei­ten Akram, Ehs­sans Ehe­frau, und die ande­ren Frauen der Fami­lie einen lan­gen Plas­tik­läu­fer auf dem dicken Tep­pich im Wohn­zim­mer aus. Tel­ler, prall gefüllt mit Salat und Radies­chen, wer­den dar­auf dra­piert, Oli­ven, Essig­gur­ken und sauer ein­ge­leg­tes Gemüse kom­men hinzu. Zwei Drei­li­ter­fla­schen Dugh, ein ira­ni­sches Joghurt­ge­tränk, fin­den dazwi­schen Platz. Dann gibt es mit Sumach, dem sauers­ten Gewürz der Welt, ver­fei­ner­tes Lamm-Kebab, Reis und jede Menge Sangak, duf­ten­des ira­ni­sches Fla­den­brot, und gegrillte Tomaten.

Ghom, Iran

Unsere Tafel auf dem Wohn­zim­mer­bo­den ist rie­sig. Wir sind bei­nahe zwan­zig Per­so­nen. Viele der Onkel und Tan­ten kom­men aus der Stadt, andere aus Tehe­ran. Die wei­teste Anreise hat Zay­nab, eine Enke­lin Mar­si­yes, die gerade erst für ihr Stu­dium aus Syrien, in dem seit mitt­ler­weile vier Jah­ren Bür­ger­krieg herrscht, in den ver­hält­nis­mä­ßig siche­ren Irak zog und nun die Fami­lie im Iran besucht. Ihr tür­ki­senes Kopf­tuch rahmt ein waches, zurück­hal­ten­des Gesicht aus dem kluge Augen blit­zen. Ihr Auf­tre­ten wirkt selbst­si­cher, über­legt, freund­lich – weit ent­fernt von den Bil­dern, die ich mit Syrien oder Irak ver­binde. Gerne hätte ich mich mit ihr unter­hal­ten, doch dazu kommt es nicht. Uns fehlt die gemein­same Spra­che. Statt­des­sen sitze ich neben Ahmad, ein Groß­cou­sin Maryams, der mir mit stolz geschwell­ter Brust erzählt, dass er Mit­glied in einem Rin­ger­ver­ein sei und schon einige Kämpfe gewon­nen habe. Rin­gen ist neben Gewicht­he­ben so ziem­lich die ein­zige Sport­art, in der Ira­ner zur inter­na­tio­na­len Spit­zen­gruppe gehö­ren und so lau­sche ich auf­merk­sam sei­nen enthu­si­as­ti­schen Erzäh­lun­gen über die antike Kampfkunst.

Nach dem Abend­essen bil­den sich kleine Grüpp­chen im Wohn­zim­mer. Gerade haben wir mit dem Auf­räu­men der letz­ten Tel­ler gehol­fen und wol­len uns zu Maryam und ihren Schwes­tern set­zen, als ich höf­lich aber bestimmt in die andere Ecke des Rau­mes gebe­ten werde. Für einen Moment glaube ich nicht, was pas­siert: unsere Gemein­schaft wird nach Geschlech­tern getrennt. Dort die Frauen und Mäd­chen, hier die Män­ner und Jun­gen, dazwi­schen das ganze geräu­mige Wohn­zim­mer. Nun sitze ich also zusam­men mit einem dick­bäu­chi­gen Mul­lah, Hadi, dem mein gan­zes Leben merk­wür­dig vor­kommt, Mehdi, der unsere Art des Rei­sens zwar auch nicht ver­steht, aber den­noch auf­rich­tig an ihrem Gelin­gen inter­es­siert ist und Ahmad, dem Rin­ger. Am ande­ren Ende des Rau­mes genie­ßen die Frauen ihre intime Runde und lockern ihre Tschadors.

Es bleibt Ahmad, mit dem ich mich den Rest des Abends ange­regt unter­hal­ten werde. Zum einen, weil sein Eng­lisch bei wei­tem das Beste aller Anwe­sen­den ist und zum ande­ren, weil mir seine ruhige, kluge Art gefällt. Ahmad sagt was er denkt, aber über das, was er sagt, hat er vor­her gedacht. Von ihm höre ich nicht einen unnö­ti­gen Satz, nicht eine acht­lose Aus­sage. Wir spre­chen über den All­tag des zwei­und­zwan­zig­jäh­ri­gen Infor­ma­tik­stu­den­ten, über Reli­gion, über Inter­net­zen­sur im Iran, über die Zukunft, dar­über was kom­men mag. Dann zie­hen wir auf einem Tablet digi­tal um die Welt. Mit einem Pro­xy­ser­ver star­ten wir Google Street View und ich zeige ihm meine Hei­mat­stadt und das Haus in dem ich ein­mal lebte. Ahmad schüt­telt ent­setzt den Kopf. Für ihn ist es unver­ständ­lich, warum wir uns der­art aus­spio­nie­ren las­sen. Jeder Inter­net­nut­zer könne uns ins Fens­ter schauen, hält er mir mit ungläu­bi­gen Augen vor. Seine Beden­ken sind nicht unbe­grün­det: Wir sagen der Pri­vat­sphäre ja schon seit Län­ge­rem Ade. Im Iran hin­ge­gen sind Google der­ar­tige Rechte unter­sagt: kein Google Street View, kein Google Earth.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Kurz vor Mit­ter­nacht ver­ab­schie­den wir uns. Es war­tet noch eine Ver­ab­re­dung mit Ebtehal, einer wei­te­ren Cou­sine, zu Tee und Safran­eis. Als wir uns anschi­cken zu gehen, drückt uns Ehs­san ein paar isla­mi­sche Glau­bens­hefte in die Hand. Wir sol­len sie in einer ruhi­gen Minute lesen, damit sie uns den Weg wei­sen. Ahmad hin­ge­gen reicht mir sei­nen höl­zer­nen Tas­bih, eine ira­ni­sche Gebets­kette, die mir fortan als Glücks­brin­ger die­nen soll. Dass Maryam, in ihrer auf­ge­dreh­ten Art, ihn zu die­sem Geschenk mit Nach­druck über­re­dete, erfahre ich erst hinterher.

Eine halbe Stunde fah­ren wir durch die dunkle Stadt. Ghom um Mit­ter­nacht ist bei­nahe aus­ge­stor­ben. Als wir end­lich bei Ebtehal, einer Toch­ter von Zahras ältes­tem Bru­der, ankom­men, sind wir bereits total über­mü­det. Ira­ni­sche Gast­freund­schaft for­dert Opfer. Zum Glück haben alle Betei­lig­ten ein Ein­se­hen und die gemüt­li­che Runde mit Tee und Eis­creme löst sich nach rela­tiv kur­zer Zeit wie­der auf. Es dau­ert ja auch nur noch ein paar Stun­den, bis die meis­ten von uns sich wiedersehen.

Am nächs­ten Mor­gen erwa­chen wir früh. Zu früh, wenn man die Eis­creme­ver­pflich­tung von letz­ter Nacht bedenkt. Doch heute sind wir erneut mit einem Groß­teil der Fami­lie ver­ab­re­det. Wir machen einen Aus­flug ins rund 100 Kilo­me­ter ent­fernte Kashan.

Gäh­nend sit­zen wir im Wohn­zim­mer und trin­ken Chai. Wie erwar­tet sind wir die Ein­zi­gen, die zur ver­ab­re­de­ten Zeit fer­tig sind. Alle ande­ren las­sen auf sich war­ten. Mit uns auf der Couch sitzt Reza, ein Bru­der Zahras, und des­sen Sohn Arash. Reza sieht ein biss­chen so aus wie Karl Marx mit dunk­lem Schopf und wahr­schein­lich würde er die­sen Ver­gleich als Kom­pli­ment auf­fas­sen. Reza war lange Zeit akti­ver Kom­mu­nist, auch nach der isla­mi­schen Revo­lu­tion. Als jun­ger Mann muss er im Iran-Irak-Krieg kämp­fen, gerät in ira­ki­sche Kriegs­ge­fan­gen­schaft und wird in sei­ner Hei­mat über Jahre hin­weg für Tod gehal­ten – bis er eines Tages wie­der vor der Haus­tür steht.

Ghom, Iran

Nun sitzt ein Mann neben uns, des­sen grauer Rau­sche­bart weite Teile sei­nes Gesichts bedeckt. Tief­lie­gende Augen schauen schwer­mü­tig in den Raum. Reza ist schweig­sam, das Kämp­fen hat er auf­ge­ge­ben, aber die Ehr­lich­keit ist noch immer in sein Gesicht geschrieben.

Es dau­ert ein paar wei­tere Glä­ser Chai, bis unsere Gruppe voll­stän­dig ist. Gut andert­halb Stun­den spä­ter als geplant bre­chen wir auf. Unsere Kolonne besteht aus vier Fahr­zeu­gen. Natür­lich sit­zen wir wie­der auf Maryams Rück­bank. Reza und Amene beglei­ten uns.

Am Rand der gro­ßen Salz­wüste Dasht‑e Kavir gele­gen, befin­det sich unser Ziel: die alte Han­dels­stadt Kas­han. Rei­che Kauf­män­ner waren hier einst zuhause und ver­wan­del­ten die Stadt in ein archi­tek­to­ni­sches Kleinod. Als wir Kas­han errei­chen, sind wir bereits spät dran, doch unsere Gruppe ist zu groß, als dass wir auch nur im Ansatz dazu in der Lage wären, struk­tu­riert vor­zu­ge­hen. Erst muss hier jemand auf Toi­lette, dann hat dort jemand etwas im Auto ver­ges­sen, dann ver­lau­fen wir uns.

Als wir end­lich unser ers­tes Ziel, den Fin-Gar­ten am Rand der Stadt errei­chen, ist es schon frü­her Nach­mit­tag. Errich­tet im Auf­trag des Safa­wi­den Schah Abbas I im 17. Jahr­hun­dert ist Kas­hans Fin-Gar­ten ein Mus­ter­bei­spiel per­si­scher Gar­ten­ar­chi­tek­tur und natür­lich von der UNESCO als Welt­kul­tur­erbe gelis­tet. Mas­sive Mau­ern aus getrock­ne­ten Lehm­zie­geln umge­ben den Gar­ten. Kho­meini und Kha­menei, sein bis heute herr­schen­der Nach­fol­ger, schauen wäch­ter­gleich über dem Ein­gang auf die Besu­cher herab. Zedern und Oran­gen­bäume ragen in der Grün­an­lage neben sym­me­trisch ange­leg­ten Was­ser­läu­fen und Brun­nen empor. Fon­tä­nen spru­deln in die Höhe. Gepflas­terte Wege und nied­rige Hecken füh­ren durch die Anlage. Blu­men­beete zie­ren die Grün­flä­chen. Ein zwei­stö­cki­ger Pavil­lon schmückt die Mitte des Gartens.

Fin Garten, Kashan

Fin Garten, Kashan, Iran

Durch bun­tes Fens­ter­glas fal­len rote, grüne und gelbe Licht­re­flexe in das Gebäude. Bögen und Kup­peln schmü­cken einen Arka­den­gang, der um den Pavil­lon führt. In erdi­gen Farb­tö­nen sind geo­me­tri­sche Mus­ter an ihre Decken gemalt. Dazu kom­men Skiz­zen in blauer Farbe, die ver­schie­dene Sze­nen aus einem ver­gan­ge­nen Jahr­hun­dert abbil­den. Detail­liert zei­gen sie Rei­ter und Frauen am Fluss, das Leben im Harem und am Hof. Die fei­nen, blauen Zeich­nun­gen ent­lang des Kup­pel­da­ches erin­nern mich an hol­län­di­sche Kunst und die Delf­ter Kacheln. Natür­lich fin­den wir auch hier wie­der jede Menge Blü­ten, Blät­ter und Ran­ken in Blau, Rot und Gold – über­all. Ohne diese Ele­mente kommt die isla­mi­sche Deko­ra­ti­ons­kunst nicht aus. Kleine Vögel sind dazwi­schen gemalt. Im Pavil­lon befin­det sich ein Becken aus dem ein Kanal hin­aus in den Gar­ten fließt. Dut­zende Fische tum­meln sich im fla­chen Was­ser. Immer wie­der ver­ren­ken wir unsere Hälse, legen die Köpfe in die Nacken, nur um die fei­nen Male­reien an den Kup­peln und Decken bes­ser betrach­ten zu können.

Schon wenige Minu­ten nach­dem wir den Gar­ten betre­ten ist es Zeit für das Gebet. Bis auf Reza und Arash macht sich die gesamte Fami­lie für ihre Rituale bereit und ver­schwin­det in einem nahen Gebets­raum. Wir hin­ge­gen schlen­dern durch die Anlage. An der nord­west­li­chen Seite des Gar­tens befin­det sich ein Hamam. Hier wurde Amir Kabir, Minis­ter­prä­si­dent wäh­rend der Herr­scher­dy­nas­tie der Kad­scha­ren, im 19. Jahr­hun­dert ermor­det. Seine Refor­men in der Admi­nis­tra­tion und Bil­dung stie­ßen auf Wider­stand am könig­li­chen Hof und ende­ten letzt­end­lich mit dem Tod des Poli­ti­kers. Ein paar schlechte Attrap­pen stel­len die Gescheh­nisse rund um den Mord im Inne­ren des Bade­hau­ses für die Nach­welt dar.

Fin Garten, Kashan, Iran

Fin Garten, Kashan, Iran

Fin Garten, Kashan, Iran

Fin Garten, Kashan, Iran

Fin Garten, Kashan, Iran

Als wir das Hamam ver­las­sen, tref­fen wir auch Maryam, Zahra und all die ande­ren wie­der. Im gar­ten­ei­ge­nen Restau­rant essen wir zu Mit­tag. Obwohl wir die ein­zi­gen Gäste sind, beset­zen wir die Gar­ten­ter­rasse fast voll­stän­dig. Natür­lich las­sen wir uns Kebab schme­cken, dazu gibt es gegrillte Toma­ten, Lavash, hauch­dün­nes Fla­den­brot, und ein aus­ge­zeich­ne­tes Kashk‑e Badem­joon, Auber­gi­nen­pü­ree. Mit mehr als einem Dut­zend Per­so­nen, alle gehö­ren zum engen Fami­li­en­kreis, dau­ert auch das Essen lange. So viele Fami­li­en­mit­glie­der über­for­dern mich immer noch. In mei­ner Kind­heit brauchte ich nicht ein­mal alle Fin­ger einer Hand, um die Größe mei­ner Fami­lie anzu­zei­gen. Das hier ist signi­fi­kant anders, irgend­wie spannender.

Wir ver­las­sen den Fin-Gar­ten und besu­chen Kas­hans Alt­stadt. Die ehe­ma­li­gen Anwe­sen der rei­chen Kauf­leute wol­len wir uns anse­hen. Wir las­sen unsere Fahr­zeuge irgendwo auf einem Park­platz ste­hen und schlen­dern durch die stau­bi­gen Gas­sen des Ortes. Lehm­stein­bau­ten erhe­ben sich um uns, über denen zu allen vier Sei­ten geöff­nete Türme, die Bad­girs, ragen. Sie lei­ten noch die leich­teste Brise aus der Wüste durch ein Schacht­sys­tem hinab in die Wohn­räume. Über Zis­ter­nen küh­len die war­men Winde ab und sor­gen für ein ange­neh­mes Klima im Inne­ren der Gebäude. Die Sonne steht bereits tief. An vie­len der höl­zer­nen Ein­gangs­tü­ren, die hier und da ins Mau­er­werk ein­ge­las­sen sind, hän­gen zwei metal­lene Tür­klop­fer. Ein schma­ler Stab und ein schwe­rer Ring. Das Klop­fen des Sta­bes kün­digt den Besuch männ­li­cher Gäste an, wäh­rend das Geräusch des auf­schla­gen­den Rin­ges den Besuch weib­li­cher Gäste vor­aus­sagt. In einer Gesell­schaft, die den offe­nen Kon­takt zwi­schen Män­nern und Frauen, die nicht ver­wandt sind, tabui­siert, bewahr­ten diese Tür­klop­fer die reli­giöse Integrität.

Fin Garten, Kashan, Iran

Fin Garten, Kashan, Iran

Hin­ter den höl­zer­nen Toren und hohen Mau­ern ver­ber­gen sich ele­gante, präch­tige Herr­schafts­häu­ser aus dem 19. Jahr­hun­dert. Zur Zeit der Kad­scha­ren galt Kas­han als eine der wich­tigs­ten Han­dels­städte der Region und viele rei­che Geschäfts­män­ner lie­ßen sich hier nie­der. Heute sind die Anwe­sen dem Ver­fall über­las­sen. Wo frü­her wert­volle per­si­sche Tep­pi­che lagen, wir­belt nun Staub durch men­schen­leere Räume. Doch es gibt auch ein paar Ausnahmen.

Das Haus des frü­he­ren Tep­pich­händ­lers Taba­ta­bei gehört dazu und ist eines der schöns­ten Pri­vat­ge­bäude des Lan­des. Um vier Innen­höfe lie­gen die ehe­ma­li­gen Wohn­räume der wohl­ha­ben­den Fami­lie. Dazu kom­men Quar­tiere für die Die­ner­schaft und Auf­ent­halts­räume für Gäste. Im größ­ten Innen­hof spie­gelt sich das feine Mau­er­werk in einem lang­ge­zo­ge­nen Was­ser­be­cken. Zum Ver­gnü­gen der Kauf­manns­fa­mi­lie ange­fer­tigt, ist das Becken mit­ten in der Wüste vor allem eines: deka­dent. Blu­men­beete befin­den sich vor der zwei­stö­cki­gen Fas­sade des Gebäu­des, die über und über mit Stein­metz­ar­bei­ten ver­se­hen ist. Phan­tas­ti­sche Schnit­ze­reien deko­rie­ren die Wände. Über­all pran­gen Ran­ken- und Blü­ten­mus­ter. Dazwi­schen lockern Spie­gel­ar­bei­ten das Mau­er­werk auf. Hohe Säu­len ragen empor, die Ter­ras­sen und Bal­kone stüt­zen. Bun­tes Glas in Fens­tern und Türen wirft far­bi­ges Licht ins Innere der Räume.

Kashan, Iran

Kashan, Iran

Kashan, Iran

Wir stei­gen Trep­pen hin­auf und wie­der hinab, win­ken von Bal­ko­nen und Mau­er­ni­schen. Maryam hat den meis­ten Spaß. Für sie ist das Her­ren­haus ein gro­ßer Spiel­platz. Auf­ge­regt lässt sie ihre Beine aus dem zwei­ten Stock bau­meln. Dann ent­deckt sie einen ande­ren Vor­sprung, einen wei­te­ren Raum, den sie noch nicht kennt und wird umge­hend zur For­sche­rin. Vor Freude sprin­gend eilt sie davon. So viel Enthu­si­as­mus wie in die­ser Frau steckt, kannte ich bis­her nur von Kin­dern. Ich ver­su­che mir Maryam in einem Gerichts­saal als Anwäl­tin vor­zu­stel­len. Wie mag sie wohl nach dem Abschluss ihres Jura­stu­di­ums vor einem Rich­ter agie­ren? – Ver­mut­lich mit sehr viel Élan.

Ein wei­te­res Anwe­sen in Kas­han gehörte dem Schwie­ger­sohn Taba­ta­beis, dem Tep­pich­händ­ler Borou­jerdi. Es heißt, dass, als Borou­jerdi um die Hand der Toch­ter Taba­ta­beis anhielt, die­ser eine ein­zige Bedin­gung stellt. Seine Toch­ter solle nach ihrer Hoch­zeit in einem ebenso präch­ti­gen Haus leben, wie zuvor. Gesagt, getan: 18 Jahre dau­ert der Bau des prunk­vol­len Hauses.

Auch hier sind die Sand­stein­wände mit Schnit­ze­reien ver­se­hen. Ein zwei­stö­cki­ger Iwan ragt in den Innen­hof. Bögen und Kup­peln schmü­cken das Gebäude. Wand­ma­le­reien der berühm­tes­ten ira­ni­schen Künst­ler ihrer Zeit zie­ren die Wände. Bun­tes Fens­ter­glas ist in fei­nen Moti­ven zusam­men­ge­setzt. Ein Bal­kon führt im zwei­ten Stock ein­mal um den mit Bäu­men bewach­se­nen Innen­hof und ver­kün­det noch heute vom Leben in ver­schwen­de­ri­schem Glanz.

Dann schlie­ßen die Tore, die Besich­ti­gungs­zeit ist vor­bei. Fei­er­abend. Wir keh­ren zurück nach Ghom und schon auf dem Weg ist klar, dass der Abend gelau­fen ist. Die kurze Nacht und der lange Tag for­dern nun ihren Tri­but. Zum Glück steht heute keine Ein­la­dung zum Essen mehr an.

Kashan, Iran

Boroujerdi

Kashan, Iran

Kashan, Iran

Am nächs­ten Tag spa­zie­ren wir erneut durch Ghom. Dut­zende schwarze Gewän­der flat­tern um uns herum. Einige Tur­bane, weiße und schwarze, kreu­zen unse­ren Weg. Gelbe Zie­gel­mau­ern ragen in die Höhe. Türen und Tore öff­nen sich zu Woh­nun­gen und Geschäf­ten. Die asphal­tierte Straße reicht von einer Haus­wand bis zur gegen­über­lie­gen­den. In den meis­ten Gas­sen und Sei­ten­stra­ßen der Stadt gibt es keine Bür­ger­steige. Dafür reicht der Platz nicht aus. Dort wo Fuß­wege exis­tie­ren, wer­den sie von grauen und schwar­zen Mar­ki­sen über­spannt. Sie spen­den Schat­ten für die dar­un­ter befind­li­chen Ein­gänge der Geschäfte und die auf­ge­bahr­ten Waren. Pis­ta­zien und Dat­teln fin­den wir hier, Gewürze, Obst, aber auch Klei­dung und gebrauchte Fahr­rä­der, die vor einem Repa­ra­tur­la­den hän­gen. Die blauen Spen­den­käs­ten, die wir bereits aus Qaz­vin und ande­ren ira­ni­schen Städ­ten ken­nen, tau­chen hier in einer noch grö­ße­ren Dichte auf. Frauen strö­men uns ent­ge­gen, schwarze Stoffe schwin­gen mit ihnen durch die Stra­ßen. Kin­der huschen lachend und fei­xend an uns vor­bei. In einer Baby­karre sehen wir die ver­mut­lich jüngste Kopf­tuch­trä­ge­rin des Landes.

Wir betre­ten den Basar. Ghoms Markt­hal­len sind bei wei­tem nicht so ver­wir­rend wie die Märkte in Tehe­ran oder Täbris, dafür sind sie genauso atmo­sphä­risch und genauso kon­ser­va­tiv. Die Basare im Iran sind eine Hoch­burg alt­mo­di­scher Kräfte und Tra­di­tio­nen. Auch der Markt in Ghom steht dem in nichts nach. Dass wir ohne Tscha­dor durch die Gänge lau­fen, bleibt nicht unkom­men­tiert. Im Vor­bei­ge­hen mur­melt ein älte­rer Herr mit zer­furch­tem, ris­si­gen Gesicht und unra­sier­ten Wan­gen, in unsere Rich­tung. Es passt ihm offen­sicht­lich nicht, dass wir so, und damit meint er ohne einen Tscha­dor, aus dem Haus tre­ten durf­ten. Dabei sitzt unsere Klei­dung reli­gi­ons­kon­form. Haar, Knö­chel, Hand­ge­lenke, Hin­tern – alles ist ordent­lich bedeckt und so küm­mern wir uns auch nicht wei­ter um den ver­bit­ter­ten Mann. Statt­des­sen bum­meln wir durch die Gas­sen des Marktgebäudes.

Wun­der­schöne Kup­peln erhe­ben sich über unse­ren Köp­fen. Tages­licht fällt von oben in den Basar. Um uns wer­den Tep­pi­che und Schmuck ver­kauft, Kis­sen und Küchen­ge­schirr, feine Kera­mik und Was­ser­ko­cher aus Alu­mi­nium. Tisch­läu­fer und Stoffe wer­den ange­bo­ten, Nüsse und getrock­nete Früchte, Süßig­kei­ten. Grüne Fah­nen hän­gen von der Decke. Sie sym­bo­li­sie­ren sowohl den Islam, als auch den Pro­phe­ten Moham­med. Dane­ben wech­seln Töpfe und Pfan­nen ebenso den Besit­zer wie Glä­ser und Karaf­fen. Ghoms Markt ist das Haus­halts­wa­ren­la­ger der Stadt.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Wir schlen­dern durch die Gas­sen, bestau­nen die feine Archi­tek­tur, die Far­ben und Mus­ter. Dann, als wir den Markt bereits wie­der ver­las­sen haben, ste­hen wir vor der Imam al-Hasan al-Askari Moschee. Es ist eines der ältes­ten reli­giö­sen Gebäude der Stadt. Die Zwie­bel­kup­pel mit ihrem tür­kis- und creme­far­be­nen Strei­fen­mus­ter ist schon von wei­tem zu sehen. Auf dem Vor­platz ste­hen einige Frauen eng zusam­men. In ihre Tscha­dors gehüllt, sehen sie aus wie ein schwar­zer Fel­sen. Im Vor­bei­ge­hen erzählt uns Maryam vom gefähr­li­chen Leben der kon­ser­va­ti­ven, ira­ni­schen Frauen. In der Dun­kel­heit sind sie unter ihren schwar­zen Stof­fen prak­tisch unsicht­bar. Immer wie­der kommt es nachts zu Ver­kehrs­un­fäl­len, weil die Frauen im Tscha­dor von Auto­fah­rern schlicht über­se­hen werden.

Zurück zuhause schlep­pen wir die schwe­ren Ein­kaufs­ta­schen, die wir auf dem Markt gefüllt haben, in die Küche. Dort berei­tet Zahra gerade neues Halva zu und wir schauen ihr gerne über die Schul­ter. Aus Zucker, Mehl und Öl kne­tet sie eine cre­mig-zähe Masse, die nach ein paar Stun­den im Kühl­schrank unsere liebste ira­ni­sche Süßig­keit wird. Von nichts ande­rem könnte ich so viel essen, wie vom Halva aus Zahras Hand und wir wer­den reich­lich mit der kleb­ri­gen Masse versorgt.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Die Tage in Ghom flie­gen dahin und unsere Gast­ge­ber las­sen uns nicht zie­hen. Wir ver­schie­ben unsere Wei­ter­reise von einem Tag auf den nächs­ten, so gut geht es uns mit Maryam und ihrer Fami­lie. Wir sit­zen im Wohn­zim­mer, trin­ken Chai, las­sen uns Halva schme­cken, schie­ßen Erin­ne­rungs­fo­tos. Letz­te­res ent­wi­ckelt sich immer wie­der zu einer Mis­sion. Wir kön­nen nicht ein­fach so ein Foto knip­sen. Immer muss etwas Ess­ba­res auf dem Tisch lie­gen, das auch unbe­dingt auf den Bil­dern zu sehen sein muss. Schließ­lich soll es spä­ter nicht hei­ßen, man hätte uns schlecht bewir­tet. So wer­den stän­dig Obst­scha­len neu dra­piert, damp­fen­der Chai nach­ge­schenkt und noch mehr Süßig­kei­ten gebracht.

Irgend­wann fin­den wir den­noch die Kraft zum Auf­bruch. Schnell sind uns Maryam und ihre Geschwis­ter, Onkel und Tan­ten, die gesam­ten Fami­lie ans Herz gewach­sen. Gerade des­halb wird unsere Ver­ab­schie­dung zu einem merk­wür­dig Erleb­nis. Ich möchte über­schwäng­lich Lebe­wohl sagen und darf doch nicht eine mei­ner Gast­ge­be­rin­nen berüh­ren, geschweige denn umar­men. Weder Maryam, noch Zahra. So ver­su­che ich meine Dank­bar­keit für die ange­nehme Zeit in Worte und Ges­ten zu packen und habe doch das Gefühl ihr nicht aus­rei­chend Aus­druck ver­lei­hen zu können.

Ghom, Iran

Ghom, Iran

Als wir uns schon auf der Tür­schwelle befin­den, folgt uns Zahra mit einer Schale vol­ler Was­ser, die sie hin­ter uns auf der Straße kippt. Das Was­ser, so erklärt uns Maryam, ist ein Abschieds­gruß. Möge unsere Reise so leicht und frei von Hin­der­nis­sen sein, wie der Lauf des Was­sers. Gerührt von so viel Zunei­gung ver­las­sen wir Ghom, die hei­lige, die kon­ser­va­tive Stadt und rei­sen wei­ter durch den Iran. Dies­mal auf dem Weg nach Isfa­han, der Stadt der tra­di­tio­nel­len Künste und größ­ter Tou­ris­ten­ma­gnet des Landes.

Cate­go­riesIran
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Morten & Rochssare

Per Anhalter und mit Couchsurfing reisen Morten und Rochssare ab 2011 zwei Jahre lang zwischen Feuerland und der Karibik kreuz und quer durch Südamerika. Seit 2014 trampen die beiden auf dem Landweg von Deutschland nach Indien und weiter nach Südostasien. Von ihren Abenteuern und Begegnungen erzählen sie auf ihrem Blog und in ihren Büchern „Per Anhalter durch Südamerika“ und „Per Anhalter nach Indien“, jeweils erschienen bei Malik National Geographic.

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