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Der Wahnsinn unter dem Vollmond

Ein grenz­wer­ti­ger Trip führte uns zu den Aus­stei­gern von Ko Samui und spülte uns schließ­lich an den Strand von Haad Rin auf Koh Phan­gan, wo wir dem wahn­wit­zi­gen Tau­mel unter dem trun­ke­nen Voll­mond beiwohnten.

Das erste Mal auf mei­nen Rei­sen bekam ich Besuch von einem Freund aus der Hei­mat: Chris, ein klei­ner drah­ti­ger Irr­wisch, mit dem mich die Liebe zu feucht-fröh­li­chen, abgrün­di­gen und phi­lo­so­phi­schen Gesprä­chen ver­bin­det. Zwei Jahre bil­de­ten wir die Män­ner-Frak­tion in einer chao­ti­schen Wohngemeinschaft.

Wir tra­fen uns in Bang­kok und war­fen einen Blick in die Abgründe der Metro­pole. Doch schließ­lich ließ sich ein län­ge­rer Auf­ent­halt auch unter sozio­lo­gi­schen Grün­den nicht wei­ter recht­fer­ti­gen. Auf Wunsch von Chris beschlos­sen wir unser Karma end­gül­tig zu ver­sauen und nach Koh Samui zu rei­sen. Wie hatte ich ihm nur die Wahl las­sen kön­nen? Viel­leicht hätte ich als Rei­se­lei­ter eine gemä­ßigte Dik­ta­tur durch­set­zen sol­len. Davon hatte doch die­ser Öster­rei­cher geschwärmt, nach­dem er aus dem All gekippt war. Beim Pro­be­flug muss er auf den Kopf gefal­len sein.

Jeden­falls waren wir froh, das wilde Trei­ben der abar­ti­gen Kao­san Road hin­ter uns zu las­sen, und bestie­gen einen Nacht­bus gen Süden. Um die wei­te­ren Abgründe Thai­lands aus­zu­lo­ten, bie­tet sich immer der Kauf einer Package-Tour an – einer Rundum-sorg­los-Ver­sor­gung. Der Nach­teil? Bei sol­chen Dum­ping­prei­sen konnte man nichts Bes­se­res erwar­ten, als wie ein Stück Vieh behan­delt zu wer­den. Außer­dem kam man in den Genuss von bun­ten Bänd­chen, um nicht ver­lo­ren­zu­ge­hen, und dümm­li­chen Anspra­chen zum bana­len Pro­ce­dere, unter­malt von einer grenz­de­bi­len Kindergartenstimmung:

Der Alp­traum des Indi­vi­du­al­rei­sen­den!

Die Mit­rei­sen­den schie­nen mir im Wesent­li­chen aus über­dreh­ten Beau­ty­kö­ni­gin­nen und puber­tä­ren Schwe­den zu bestehen, die ein Prak­ti­kum beim Aben­teuer absol­vier­ten und sich als die schlitz­oh­rigs­ten Typen des gan­zen Erd­balls abfei­er­ten. Unter­wegs gab der ziem­lich moderne Bus sei­nen Geist auf. Ver­wun­der­lich, nicht mal die elends­ten Möh­ren in Indien waren jemals abge­schmiert. Karma.

Nach­dem wir unsere Reise in einem neuen Bus fort­ge­setzt hat­ten, war­tete in den Mor­gen­stun­den sinn­freies Umstei­gen in immer neue Gefährte und wir wur­den mit ohren­be­täu­ben­den Splat­ter­fil­men und hirn­ris­si­gen Agen­ten­fil­men mit Kal­ter-Krieg-Rhe­to­rik gequält. Diese Geräusch­ku­lisse bil­dete einen extre­men Kon­trast zu der fried­li­chen Land­schaft: neb­lige Tro­pen­land­schaf­ten, aus denen Karst­fel­sen her­aus­rag­ten. In der Nähe war der Film the beach gedreht wor­den. Fas­zi­nie­rend, wie viele junge Back­pa­cker den Film sehen, ohne zu begrei­fen, was er ihnen eigent­lich sagen sollte.

Schließ­lich erreich­ten wir den Pier. Die Fähre wurde mit einer irr­wit­zi­gen Zahl von Tou­ris­ten bela­den, die sie auf den drei belieb­tes­ten Inseln im Golf von Thai­land aus­spu­cken würde. Ohne Inter­esse für die Belas­tungs­ka­pa­zi­tät wur­den immer mehr Kof­fer auf den Kahn gewor­fen – als wolle man ihn vor­sätz­lich zum Absau­fen brin­gen. Unser Unter­gang auf­grund des über­mä­ßi­gen Bal­lasts von uns Wohl­stands­jüng­lin­gen wäre eine schöne Meta­pher gewor­den – für den Fort­gang der Geschichte jedoch unglücklich.

 

Koh Samui

 

Nach der Ankunft lie­ßen wir es lang­sam ange­hen, um den Mas­sen einen fai­ren Vor­sprung auf ihrem Weg zu den belieb­tes­ten Strän­den zu geben. Wir lie­ßen uns zunächst in einem Café am Pier nie­der. Kurze Zeit spä­ter ver­sank die Anle­ge­stelle wie­der in den natür­li­chen Däm­mer­schlaf, aus dem sie nur erwachte, wenn gerade eine fri­sche Horde glücks­süch­ti­ger Rit­ter ein­fiel. Kurze Zeit spä­ter bestie­gen wir einen der Pick-ups, die mit zwei Bän­ken als Auf­bau­ten Thai­lands Mas­sen­ta­xis sind. Als wir uns abset­zen lie­ßen, waren wir bereits zu weit gefah­ren. Eine Land­zunge trennte uns von unse­rem Strand. Ich hielt es für eine aus­ge­zeich­nete Idee, die paar Kilo­me­ter zurück­zu­lau­fen. Chris nicht. Doch dies­mal gab es keine Dis­kus­sion. Als wir auf ver­schlun­ge­nen Wegen die Land­zunge erreich­ten, muss­ten wir fest­stel­len, dass wir uns auf einem Pri­vat­strand eines töd­lich schi­cken Resorts mit exor­bi­tan­ten Prei­sen befan­den. Sel­ten waren wir in unse­rem Leben so uner­wünscht; in den Lie­ge­stüh­len lüm­melte die Schi­cke­ria vor ihren Life­style-Cock­tails und genoss ihr sor­gen­lo­ses Leben. FREAKS unse­rer Cou­leur ern­te­ten von der Mischung aus Neu­rei­chen und Geld­adel böse Bli­cke, weil wir es wag­ten, in ihre heile Welt ein­zu­bre­chen. Mit den rie­si­gen Ruck­sä­cken auf dem Rücken, indis­ku­ta­blen Hip­pie­kla­mot­ten am Leib und den däm­li­chen Hüten auf dem Kopf, stamm­ten wir aus einer ande­ren Welt. Es war schon schlimm genug, dass es sol­che Her­um­strei­cher über­haupt gibt; viel­leicht hatte das Kas­ten­sys­tem doch Vor­züge. Um nicht von heim­tü­cki­schen Secu­ri­ty­ty­pen zusam­men­ge­dro­schen zu wer­den, beschlos­sen wir auf ein pro­vo­ka­ti­ves Bad vor ihren Augen zu ver­zich­ten. Auf unser schmie­ri­ges Grin­sen konn­ten wir hin­ge­gen nicht ver­zich­ten. Die stum­men Bli­cke der unfrei­wil­li­gen Gast­ge­ber waren eisig. Ein­zig ein ein­sa­mer Trun­ken­bold in der Strand­bar winkte uns eupho­risch zu und grüßte laut­stark. Ange­sichts der offen­sicht­li­chen Lang­weile war er wohl dank­bar für jede Abwechslung.

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Schließ­lich erreich­ten wir unse­ren Strand. Der Kon­trast hätte kaum grö­ßer sein kön­nen: Waren wir eben durch ein Reich der Deka­denz gestol­pert, präg­ten nun ver­fal­lene Holz­hüt­ten das Bild. Nach­dem wir das zweite post­apo­ka­lyp­ti­sche Hüt­ten-Ensem­ble pas­siert hat­ten, schien sich dort doch so etwas wie Leben zu regen. Ich hatte die Schnauze von der ewi­gen Bet­ten­su­che voll und bat Chris, den Job zu über­neh­men. Wenig spä­ter kam er zurück und hatte eine Hütte klar gemacht. Ich war zunächst wenig begeis­tert. Das hatte nicht mit der Lage zu tun, son­dern viel­mehr mit dem deut­schen Lokal­ko­lo­rit, des­sen Moder uns ent­ge­gen­schlug. Nor­ma­ler­weise meide ich sol­che Enkla­ven wie der Teu­fel das Weih­was­ser. Die münd­li­che Über­lie­fe­rung aus der Mytho­lo­gie der Aus­stei­ger stützte die These des Rei­se­füh­rers, dass es sich um einen Strand han­delte, der sich etwas von den Anfangs­ta­gen der Aus­stei­ger auf der der Insel bewahrt hatte. Ent­spre­chend war die Kund­schaft ein ein­ge­schwo­re­ner Kreis der ers­ten Gene­ra­tion. Immer­hin war unsere Hütte geräu­mig und bot gemüt­li­che Bet­ten. Es gab kei­nen Strom, was uns nicht wei­ter störte. Der Ster­nen­him­mel an einem Ort ohne Licht­ver­schmut­zung ist kei­nes­wegs zu ver­ach­ten. Und wer kann schon behaup­ten, dass in sei­ner Unter­kunft Fle­der­mäuse hausen?

Das Mor­ning Glory besaß eine gemüt­li­che Ter­rasse direkt über dem Meer, und unser Strand­ab­schnitt war kom­plett aus­ge­stor­ben. Da wir die allei­ni­gen Gäste waren, hat­ten wir nun auch unse­ren eige­nen Pri­vat­strand. Nach den tur­bu­len­ten Tagen in Bang­kok genau das Rich­tige. Fortan waren wir von para­die­si­scher Ruhe umge­ben, in der das Rau­schen des Mee­res alles über­tönte. Ein­zig ungüns­tig war die Tat­sa­che, dass es keine Küche gab. Das Gast­haus lag in sei­nen letz­ten Zügen.

Außer Schwim­men, Lesen, Strand­spa­zier­gän­gen und gele­gent­li­chen Streif­zü­gen, um das Ver­hun­gern zu ver­mei­den, fau­lenz­ten wir nur. Das Mor­ning Glory hatte immer­hin Alko­ho­lika, was die gele­gent­li­chen Besu­che zwie­lich­ti­ger Gestal­ten aus der ger­ma­ni­schen Aus­stei­ger­szene erträg­lich machte. Da der Gast König war, wurde zu unse­ren Ehren eine Packung Instant-Kaf­fee­pul­ver gekauft, und so konn­ten wir mor­gens eine dünne Brühe Mucke­fuck genie­ßen. Gele­gent­lich spiel­ten wir auf dem völ­lig ver­ratz­ten Bil­lard­tisch oder sahen uns in der skur­ri­len Devo­tio­na­li­en­halle um, die von einem ver­stö­ren­den Lokal­pa­trio­tis­mus und den Eska­pa­den einer gan­zen Gene­ra­tion von Aus­stei­gern berich­tete. Auch unsere kur­zen Aus­flüge in den Ort waren befremd­lich. Auf der Haupt­straße begrüßte uns ein Schild mit der Auf­schrift: „Tou­rist Police – your first fri­end“ – Hof­fent­lich nicht unser Letz­ter! dach­ten wir uns im Stillen.

An der Haupt­straße lie­fen wir an unzäh­li­gen Bars vor­bei, die vom gro­ßen Gefälle zwi­schen ers­ter und drit­ter Welt pro­fi­tier­ten. Leichte Damen mach­ten uns ihre Avan­cen. Wenn ich die Stamm­kun­den sah, wollte ich spon­tan kot­zen. Meist waren das schmie­rige Typen mit gewal­ti­gen Bier­bäu­chen und dem Charme eines Ein­zellers. Ich mag keine Kli­schees; noch weni­ger, wenn sie sich bewahrheiten.

Sehr ver­stört waren wir auch, als wir begrif­fen, warum in den meis­ten Aqua­rien Fische mit über­di­men­sio­na­len Köp­fen schwam­men; sie wur­den mit einem spe­zi­el­len Mega-Head-Gra­nu­lat gefüt­tert; so konn­ten die Fische auf­grund ihrer unna­tür­li­chen Kör­per­pro­por­tio­nen oft nicht vor der Kehrt­wende am Ende ihrer Bahn stop­pen und knall­ten mit einem für Fische beun­ru­hi­gen­den Lärm gegen die Glas­schei­ben. Meine Frage, warum man den armen Krea­tu­ren das antat, wurde mit einem vagen for the good luck beant­wor­tet. Irgend­wann wür­den diese Geknech­te­ten wei­ter mutie­ren und blu­tige Rache neh­men! Unse­ren Segen hat­ten sie.

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Auch der Aus­flug an den vor­geb­lich schöns­ten Strand der Insel war eine Ent­täu­schung. Die Lei­ber lagen dicht an dicht; selbst die wun­der­ba­ren Pal­men mach­ten es schwer zu rea­li­sie­ren, dass dies eine Insel war, die in Thai­land lag und vor dem mas­sen­haf­ten Zuzug von Aus­wan­de­rern und den ein­set­zen­den Tou­ris­ten­strö­men ein klei­nes Para­dies gewe­sen war. Inzwi­schen hatte sie ihren eige­nen Flug­ha­fen. Es erschien uns alles so aus­tausch­bar. Wir hät­ten genauso gut in Anta­lya oder an der Costa Brava sein kön­nen – wenn ich das Kli­en­tel der Resorts, die Sou­ve­nirs, das kuli­na­ri­sche Ange­bot, die Pop-Musik und den Life­style betrach­tete. Kul­tur im Aus­ver­kauf! Wir lie­fen über den gesam­ten Strand­ab­schnitt, ohne irgendwo ein­zu­keh­ren. Nichts hielt uns. Schließ­lich ver­irr­ten wir uns in einem weit­läu­fi­gen Tou­ris­ten­ghetto. Auf­grund der dar­ge­bo­te­nen Deka­denz wurde ich von einem Schub spon­ta­ner Hoff­nungs­lo­sig­keit für die Zukunft unse­rer Spe­zies heim­ge­sucht. Pure Maß­lo­sig­keit. So war es eine Wohl­tat, an den Strand­ab­schnitt zurück­zu­keh­ren, an dem sich Fuchs und Hase gute Nacht sag­ten. Soll­ten doch die ange­sag­ten Typen an den ange­sag­ten Orten die Lie­ge­plätze unter sich ausmachen!

 

Koh Phan­gan

 

Wir hat­ten schon fast beschlos­sen, die berühmt-berüch­tigte Full-Moon-Party auf der Nach­bar­insel Koh Phan­gan sau­sen zu las­sen, als wir einen Nach­barn beka­men: Dirk. Er war nicht ganz unglück­lich, uns ken­nen zu ler­nen. Sein thai­lan­d­er­prob­ter Rei­se­part­ner gehörte einer ande­ren Spe­zies an. Der hatte ihn direkt nach der Ankunft in ein Hotel in Bang­koks berüch­tig­tem Stadt­teil Nana geschleppt. Dort wohn­ten außer den bei­den aus­schließ­lich Pro­sti­tu­ierte. Sein Com­padre lei­erte immerzu sein Man­tra her­un­ter: „this is thai­land“; Dirks Ver­su­che, auf andere Sei­ten der Stadt hin­zu­wei­sen, wur­den igno­riert. Seine bis­he­ri­gen Erfah­run­gen waren ent­spre­chend ein­di­men­sio­nal. Sein Kum­pel war mir so sym­pa­thisch wie Fuß­pilz. Umso erpich­ter war Dirk, zur Party zu fah­ren, und wir beschlos­sen, uns mit ihm zusam­men­zu­tun. Wir buch­ten ein Kom­bi­ti­cket, so dass wir am Mor­gen danach wie­der nach Koh Samui zurück­keh­ren würden.

Mit einer stol­zen Zahl ande­rer Glücks­rit­ter fuh­ren wir mit der unter­ge­hen­den Sonne auf einem Schnell­boot nach Koh Phan­gan. Wäh­rend wir über das Meer glit­ten, spie­gel­ten sich die letz­ten Son­nen­strah­len in den Wel­len, und als die ein­la­dende Sil­hou­ette der bewal­de­ten Nach­bar­insel auf­tauchte, waren wir ein wenig eupho­risch. Das legte sich nach der Ankunft schnell wie­der. Wir waren keine Idio­ten und wuss­ten, dass die Party zu einem ange­sag­ten Event gewor­den war, doch die Strom­li­ni­en­för­mig­keit war den­noch ver­stö­rend. Um an den Haad-Rin-Strand zu gelan­gen, muss­ten wir die engen Gas­sen eines mäßig ein­la­den­den Ortes pas­sie­ren, in dem so ziem­lich jedes erdenk­li­che Sou­ve­nir im Ange­bot war. Vor allem Klei­dung, Acces­soires, Leucht­far­ben und Tat­toos war­te­ten auf ihre neuen Besitzer.

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Viele Par­ty­gäste waren in einem Kauf­rausch, der die Mas­sen an Kon­sum­gü­tern aus rein öko­no­mi­schen Grün­den durch­aus recht­fer­tigte, und sahen dank Leucht-Tat­toos und Kör­per­far­ben aus, als seien sie direkt vom Mars ein­ge­flo­gen. Dazu waren rie­sige Buf­fets mit allen erdenk­li­chen Spei­sen auf­ge­fah­ren. Allein um die Fisch­va­ria­tio­nen bis hin zum Baby­hai auf­zu­ti­schen, hatte man wohl das ganze Meer um die Insel leergefischt.

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Zudem war die Eimer-Kul­tur ein­ge­zo­gen. Whisky, Wodka und Gin bis zum Abwin­ken. Da hatte ich den Bal­ler­mann erfolg­reich gemie­den und jetzt holte mich diese ekel­hafte Sitte in Thai­land ein. Glück­li­cher­weise hat­ten wir uns auf dem Hin­weg mit ephe­dr­in­hal­ti­gem Whisky-Cola und Ener­gy­drinks gestärkt – sonst wären wir noch mehr abge­turnt gewe­sen. Bis zum Mor­gen wür­den uns 12 Stun­den blei­ben, um das Trei­ben zu betrach­ten oder Teil davon zu wer­den. Noch war nicht viel los. Gut, um uns ein Bild der gan­zen Loca­tion zu machen. Da wir kei­nen Platz fan­den, an dem wir uns dau­er­haft nie­der­las­sen woll­ten, zogen wir streu­nend durch die Gegend.

Zwi­schen 22 Uhr und Mit­ter­nacht füllte sich das Gelände, und gegen 2 Uhr war der größte Teil des Stran­des voll­stän­dig über­lau­fen – an einem Ende konnte man sich kaum noch bewe­gen. Hier­her zog es uns ohne­hin nicht – die Party schien ober­fläch­lich betrach­tet eine gewisse Zwei­tei­lung auf­zu­wei­sen: Der eine Teil wurde von Hip­pies und Goa-Freaks bevöl­kert, die sich haupt­säch­lich an psy­che­de­li­sche Pilze hiel­ten; der andere von aggres­si­ven, durch­ge­knall­ten Typen, die den Mix für die har­ten Poly­to­xi­ko­ma­nen bevor­zug­ten. Augen­schein­lich war die Kom­bi­na­tion bei vie­len nicht auf­ge­gan­gen. Wir waren schließ­lich nicht bei einer Satanisten-Sekte.

Ich hatte den Ein­druck, dass die Party zu viele junge Leute anzog, zu deren Pflich­ten es gehörte, auf ihrer tra­vel on a shoestring hier vor­bei­zu­kom­men – gera­dezu eine Frage der Ehre.

An einem Ende des Stran­des stand Seil­hüp­fen auf dem Pro­gramm. Die Beson­der­heit: das Seil brannte. Trotz hef­ti­ger Ver­bren­nun­gen wagte sich eine Gruppe Hirn­ver­brann­ter immer wie­der hin­ein. Grund­lage konn­ten nur schwere Retar­die­run­gen in Kom­bi­na­tion mit abge­stor­be­nen Sin­nes­zel­len sein.

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Es war nur eine Frage der Zeit, bis wir uns zur Gruppe der Magic-Mush­room-Ver­eh­rer gesel­len wür­den – in die­ser Frage wuss­ten wir, wohin wir gehör­ten. Wie gewöhn­lich nach der Ein­nahme von psy­che­de­li­schen Dro­gen brauchte ich ein wenig, um auf den rich­ti­gen Pfad zu fin­den. So suchte ich mir den (nur im Ver­hält­nis) ruhigs­ten Ort am Strand und beob­ach­tete erst mal die Sze­ne­rie: An mir schrit­ten wild bemalte Men­schen vor­bei. Sie tru­gen über­di­men­sio­nierte Bril­len und merk­wür­dige Kopf­be­de­ckun­gen. Man­che hat­ten sich in Tiger ver­wan­delt, andere waren wohl auf dem Weg zu einem Got­tes­dienst der Gothic-Jün­ger; es gab Hip­pies, die direkt aus den 60ern ein­ge­flo­gen waren, und man­che waren so unkon­trol­liert in den Farb­topf gefal­len, dass jeg­li­che Spe­ku­la­tio­nen über ihre Her­kunft sinn­frei blei­ben musste. Die Pilze ver­stärk­ten diese Ein­drü­cke. Mutan­ten­stadl.

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Fas­zi­niert beob­ach­te­ten wir den Fel­sen, der am Ende des Stran­des wie ein Raum­schiff illu­mi­niert war. Auf ihm thron­ten unwirk­lich erschei­nende Bars, die Chris als eine Platt­form im Video­spiel Don­key-Kong-Island wie­der­erkannte. Auch die Affen fehl­ten nicht.

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Der Trip kam in Wel­len. Chris ver­wan­delte sich in einen grin­sen­den Gum­mi­ball. Er war kaum wie­der­zu­er­ken­nen: Seine Kinn-Mund-Par­tie hatte sich in eine Herz­form ver­wan­delt; genau diese Ener­gie strahlte auch aus sei­nem Innern durch seine Augen. Gepaart mit Wahn­sinn. Ein wild­frem­der Typ kam daher­ge­lau­fen und freun­dete sich in Sekun­den­bruch­tei­len mit Chris an. Höhe­punkt die­ser Hoch­ge­schwin­dig­keits­freund­schaft war die ritu­elle Über­gabe eines gelb leuch­ten­den Neon­hals­ban­des, das Chris fei­er­lich annahm. Offen­sicht­lich erfüllte ihn diese Geste mit Eupho­rie und irrer Freude. Da hat­ten sich zwei gefun­den, um sich kurz dar­auf wie­der auf ewig zu ent­frem­den. Dirk und ich lach­ten Trä­nen ange­sichts der bizar­ren und auf eine selt­same Weise rüh­ren­den Szene. Was sich darin spie­gelte, müsste in einem eige­nen Roman erör­tert wer­den, der lei­der nie geschrie­ben würde. Dies war das FREAK-Königreich.

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Da ver­sagt wohl sogar die bio­me­tri­sche Gesichts­er­ken­nen­ung. Auch der Guide macht einen leicht ver­strahl­ten Eindruck:

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Nach­dem ich mich etwas ruhi­ger fühlte, ent­schied ich mich zu einem Spa­zier­gang über den Strand. Ein­mal in Bewe­gung, ver­wan­delte sich meine Unruhe in ein eupho­ri­sches Grund­ge­fühl. Es machte mir nichts mehr aus, all diese ver­rückt aus­se­hen­den Men­schen um mich zu haben. Im Gegen­teil – ich fühlte mich zuge­hö­rig. So schlen­derte ich den gan­zen Strand ent­lang. Bei den Sata­nis­ten wurde mir die Musik zu hef­tig; ihr Vibe war erdrü­ckend. Die extrem wilde Form, in der man­che tanz­ten, erschien mir fast als feind­se­li­ger Akt. Umso mehr als es fast kei­nen Platz gab. Ich drehte um. Inzwi­schen war ich in einer phan­tas­ti­schen Laune. Ich fühlte tie­fen Frie­den in mir. Tän­zelnd schlüpfte ich durch die Men­schen­menge. Ich genoss es ein­fach, hier zu sein, lauschte der Musik und beob­ach­tete die Menge.

Unglück­li­cher­weise waren Chris und Dirk nach mei­ner Rück­kehr nicht mehr auf­zu­fin­den. Ich war wohl län­ger weg gewe­sen als gedacht. Ich unter­hielt mich mit einem Kroa­ten. Als ich ihn das erste Mal an die­sem Abend getrof­fen hatte, befand er sich in einem Zustand gren­zen­lo­ser Eupho­rie und kannte nur eine Rich­tung: direkt gera­de­aus. Er war so voll­ge­stopft mit Dro­gen, dass es fast phy­sisch weh­tat, ihn anzu­se­hen. Er wollte unab­läs­sig auf die deutsch-kroa­ti­sche Freund­schaft trin­ken und erzählte wir­res Zeug von sei­nen Dro­gen­ex­zes­sen mit einem bekann­ten deut­schen DJ und sei­ner Crew. Er hatte einen Bun­ga­low direkt am Strand gemie­tet und war von einer Anzahl von Schön­hei­ten umgeben.

Inzwi­schen war es mit ihm rasant bergab gegan­gen und er schwitzte wie ein Schwein. Er faselte irgend­et­was von sei­ner Freun­din, die ihm sei­nen Geld­beu­tel geklaut hatte, und tat­säch­lich rannte da eine bescheu­ert grin­sende Dame mit dem begehr­ten Stück in den freien Raum.

Ich beschränkte mich inzwi­schen auf kurze Aus­flüge, um die Bars auf dem Fel­sen zu erkun­den, und hatte mehr und mehr genug von dem gan­zen Trei­ben. Die Erleb­nisse die­ser Voll­mond­nacht mach­ten mich nach­denk­lich: Neben den strah­len­den Gesich­tern, die ganze Romane von Liebe, Erfül­lung und tie­fem Glück erzähl­ten, las ich in ande­ren den Aus­druck von Des­il­lu­sio­nie­rung, Ent­täu­schung bis hin zur nack­ten Ver­zweif­lung. Uner­füllte Wün­sche nach Liebe, Ver­bun­den­heit und Zärt­lich­keit. Von den tem­po­rär oder dau­er­haft Zer­stör­ten ganz zu schweigen.

Gerade an den ruhigs­ten Abschnitt zog es immer mehr Wracks, die sich zu viel zuge­mu­tet hat­ten; denen die Dro­gen und der Alko­hol aus allen Poren quol­len. Wäh­rend sich in unmit­tel­ba­rer Nähe die einen in Ekstase die Seele aus dem Leib tanz­ten, fie­len sie hier wie die Flie­gen zu Boden. Der Wohl­fühl­fak­tor nahm ab. Einige waren in einem beängs­ti­gen­den Zustand und kamen nur noch zeit­weise zu sich und ver­brach­ten die meiste Zeit in einem Dämmerzustand.

Ich flüch­tete mich in phi­lo­so­phi­sche Gedan­ken: Was waren unsere Motive, die wir hier gelan­det waren, als wären wir ein Volk von Ali­ens? Im Grunde ging es um die glei­che Sehn­sucht, die schon die Hip­pies auf Wan­der­schaft gelockt hatte: die Suche nach Love, Peace and Harm­ony. Doch der Traum von Wood­stock war ver­kom­men. Die eine Party gab es schon lange nicht mehr. Der Indi­vi­dua­lis­mus hatte sich in einen Fluch ver­wan­delt; an ver­schie­de­nen Strand­ab­schnit­ten kon­kur­rier­ten ver­schie­dene Sub­kul­tu­ren. Der ame­ri­ka­ni­sche Traum war zur Kon­kur­renz aller gegen alle ver­kom­men. Das Man­tra one world – one love machte kei­nen zum bes­se­ren Men­schen. Es war hohl geworden.

Viele Goaner waren froh, nicht mehr ganze Nächte lang der abar­ti­gen Musik und den nack­ten Freaks ohne nen­nens­werte Devi­sen aus­ge­lie­fert zu sein. Sie hat­ten die Full Moon Par­tys im Jahr 2000 ver­bannt, und in Thai­land hatte man sich die Hände gerie­ben. Sollte die Party auf Koh Phan­gan jemals ein Geheim­tipp gewe­sen sein, hatte sie sich in einen Alp­traum ver­wan­delt; würde sie nicht einen Bat­zen Geld abwer­fen, würde man uns ekel­hafte Typen alle im Meer ersäu­fen. Heute dür­fen sich die Wert­kon­ser­va­ti­ven auf der Insel über Full, Half, Black und Shiva Moon freuen; und wenn sie immer noch nicht genug haben, kön­nen sie bei jungle expe­ri­ence par­ties dabei zuse­hen, wie die letz­ten Vögel von den Bäu­men gebla­sen wer­den. Und wir?

Die Hin­ter­las­sen­schaf­ten spra­chen eine deut­li­che Spra­che; obwohl uner­müd­li­che Hel­fer den Strand rund um die Uhr von Müll befrei­ten, sah es aus, als hätte die Müll­ab­fuhr den Dreck einer Klein­stadt auf den Strand gekippt. Dazwi­schen lag eine beacht­li­che Anzahl von Dro­gen­lei­chen. Das Meer hatte sich in eine Kloake ver­wan­delt. War dies ein Spie­gel unse­rer Zeit? Würde das unser Erbe sein?

Die Hip­pies und 68er hat­ten Erstaun­li­ches erreicht – sie hat­ten sich von der erz­kon­ser­va­ti­ven Eltern­ge­nera­tion eman­zi­piert und per­sön­li­che Frei­heit erkämpft. Doch trotz vie­ler gemein­sa­mer Ziele waren die bei­den Grup­pen tief unter­ein­an­der zer­strit­ten. Den Hip­pies war der Aktio­nis­mus und die Gewalt­be­reit­schaft in Tei­len der 68er suspekt. Die poli­ti­schen Akti­vis­ten hin­ge­gen ver­ach­te­ten die Hip­pies viel­fach als Fau­len­zer, denen es in ihren Augen nur um Selbst­ver­wirk­li­chung, Dro­gen und Sex ging. Die einen setz­ten ganz auf die per­sön­li­che Revo­lu­tion, die ande­ren dar­auf, die Macht­struk­tu­ren zu infil­trie­ren oder zu zer­stö­ren. Gemein­sam hät­ten sie viel mehr errei­chen kön­nen. Viele der 68er wur­den am Ende ihres Mar­sches durch die Insti­tu­tio­nen selbst zur Insti­tu­tion. Andere radi­ka­li­sier­ten und zer­stör­ten sich selbst. Die Hip­pies hin­ge­gen ahn­ten nicht, was aus ihrem über­bor­den­den Drang zur Selbst­ver­wirk­li­chung wer­den würde.

Längst hat unsere Kon­sum­kul­tur den Traum der Frei­heit per­ver­tiert. Die Sug­ges­tion der all­ge­gen­wär­ti­gen Wer­be­indus­trie stellt die Selbst­ver­wirk­li­chung der­ma­ßen in den Vor­der­grund, dass sie jede Hoff­nung auf ein gelin­gen­des Kol­lek­tiv zer­stört. Wir wer­den mani­pu­liert. Es wer­den immer neue Sehn­süchte geweckt, die immer mehr Frei­heit ver­spre­chen. Tat­säch­lich enden diese vor­ge­fer­tig­ten Träume in Gier, Unzu­frie­den­heit und mehr Unfrei­heit. Die Illu­sion, Mate­ria­lis­mus alleine würde uns glück­lich machen, brei­tet sich wie ein Virus über den Erd­ball aus. Dabei ist es nur eine der Zuta­ten für ein wert-vol­les Leben. Der zuneh­mende Man­gel an ande­ren Wer­ten führt zur Sinn­krise, die wir der­zeit erle­ben. Unsere Wohl­stands­ge­sell­schaft blen­det aus, was der Raub­bau an der Erde anrich­tet. Dabei lie­gen die Fak­ten auf dem Tisch: wir ver­brau­chen mehr Res­sour­cen als wir zur Ver­fü­gung haben. Die Fol­gen wer­den ange­sichts des Kli­ma­wan­dels immer sicht­ba­rer. Setzt sich das west­li­che Lebens­mo­dell glo­bal durch, besteht kaum noch Hoffnung.

Der Hip­pie- und 68er-Gene­ra­tion folgte zu wenig nach. Keine Gruppe konnte mehr ernst­haft an den herr­schen­den Ver­hält­nis­sen krat­zen. Die Dinge schie­nen sich für einige Zeit von ganz allein in die rich­tige Rich­tung wei­ter­zu­ent­wi­ckeln. Rebel­lion erschien unsin­nig. Fand sich eine Form der Abgren­zung in einer Sub­kul­tur, dau­erte es nicht lange, bis ein Trend dar­aus gewor­den war und sie von der Wirt­schaft ver­ein­nahmt wurde. Atti­tüde ersetzte Ein­stel­lung. Inzwi­schen sind viele Errun­gen­schaf­ten wie­der ver­spielt. Hun­ter Thomp­son sah den Anfang vom Ende vor­aus und beschreibt das Ende der 60er in Fear and Loathing in Las Vegas als zurück­rol­lende Welle:

 

“Strange memo­ries on this ner­vous night in Las Vegas. Five years later? Six? It seems like a life­time, or at least a Main Era — the kind of peak that never comes again. San Fran­cisco in the middle six­ties was a very spe­cial time and place to be a part of. (…) No expl­ana­tion, no mix of words or music or memo­ries can touch that sense of kno­wing that you were there and alive in that cor­ner of time and the world. (…) It seems enti­rely reasonable to think that every now and then the energy of a whole gene­ra­tion comes to a head in a long fine flash, for reasons that nobody really under­stands. (…) There was mad­ness in any direc­tion, at any hour. (…) You could strike sparks any­where. There was a fan­ta­stic uni­ver­sal sense that wha­te­ver we were doing was right, that we were win­ning. And that, I think, was the handle that sense of ine­vi­ta­ble vic­tory over the forces of Old and Evil. (…) Our energy would sim­ply pre­vail. (…) We had all the momen­tum; we were riding the crest of a high and beau­tiful wave.

So now, less than five years later, you can go up on a steep hill in Las Vegas and look West, and with the right kind of eyes you can almost see the high-water mark—that place where the wave finally broke and rol­led back.”

 

Viele unter uns bedau­er­ten zutiefst, das Momen­tum der Hip­pies und 68er nicht mit­er­lebt zu haben; mit denen, die seit damals durch die Welt irr­ten, um den Traum wie­der irgendwo auf­zu­spü­ren, teil­ten wir das Wis­sen dar­über, was die zurück­rol­lende Welle ange­rich­tet hatte. Und es war noch schlim­mer gewor­den. Seit dem Zusam­men­bruch des Kom­mu­nis­mus war der Kapi­ta­lis­mus dabei, sich jeder sozia­len Fas­sade zu ent­le­di­gen. Der Sozi­al­staat steht im glo­ba­len Kon­kur­renz­wahn unter mas­si­vem Druck. Längst sind alle Lebens­be­rei­che von der Öko­no­mie durch­drun­gen; nicht mal die Dau­er­krise hat den Aus­wüch­sen des Tur­bo­ka­pi­ta­lis­mus bis­lang Gren­zen set­zen kön­nen. Die Wachs­tums­ideo­lo­gie stellt indes unsere Lebens­grund­lage mas­siv in Frage.

Was war das Zusam­men­tref­fen unse­rer Gene­ra­tion wert, wenn nur noch Selbst­be­frie­di­gung im Vor­der­grund stand und wir keine neuen Fun­da­mente gie­ßen konn­ten? Dabei ste­hen wir am Schei­de­weg: Schaf­fen wir es, einen gerech­ten und nach­hal­ti­gen Umgang mit den rapide schwin­den­den Res­sour­cen unse­res Pla­ne­ten zu erler­nen? Oder schei­tert das mensch­li­che Expe­ri­ment an unse­rer Hybris? Es liegt an uns.

Wann wür­den wir end­lich unsere eige­nen Fun­ken erzeu­gen und unsere Welle los­tre­ten? Eine neue Vision begrün­den, nach der die Welt so lechzte? Es war höchste Zeit, den Öko­no­men, den Lob­by­is­ten, den PR-Hei­nis und den Groß­kon­zer­nen mäch­tig in den Arsch zu tre­ten! Occupy kann erst der Anfang gewe­sen sein…

Bei vie­len Back­pa­ckern steht der Spaß im Vor­der­grund. Man­che schmü­cken ihren Lebens­lauf mit ihren Rei­sen. Doch immer mehr haben andere Gründe los­zu­zie­hen oder erken­nen sie unter­wegs: Sie suchen nach einem ande­ren Leben, sie spü­ren, dass es so nicht wei­ter­ge­hen kann. Sie stel­len den Fort­schritt um jeden Preis in Frage. Das knüpft an alte Tra­di­tio­nen an und gibt ein wenig Hoff­nung, dass wir wie­der eine kri­ti­sche Masse errei­chen kön­nen. Doch lei­der las­sen sich noch immer viele blen­den, machen am Ende die fast iden­ti­schen, vom Lonely Pla­net vor­ge­zeich­ne­ten Erfah­run­gen und ver­fan­gen sich in Kon­sum­fal­len. Nir­gendwo ließ sich das bes­ser beob­ach­ten als bei die­sem Mas­sen­event. Alter­na­tiv war hier nichts. Es war ein feuch­ter, kapi­ta­lis­ti­scher Traum.

Ich war kurz davor, die Insel alleine zu ver­las­sen, als Dirk und Chris doch wie­der auf­tauch­ten. Chris faselte ein wenig para­noid davon, dass ich die Bes­tien am ande­ren Ende des Stran­des mei­den sollte. Nach kur­zer Zeit hatte er das wie­der ver­ges­sen und tanzte wie der Teu­fel zu einer Schranz­mu­sik, die meine Ein­ge­weide erzit­tern ließ. Dirk und ich lie­ßen ihn tan­zen und ich zeigte ihm die Bars auf dem Fel­sen, von denen aus man zu guter Musik einen erha­be­nen Blick über den illu­mi­nier­ten Strand hatte. Die Fas­sade war schön.

Das war das Ende. Chris wollte nicht mehr weg, aber wir konn­ten ihn schlecht da las­sen; wahr­schein­lich wäre er für immer ver­schol­len geblie­ben. Auf diese Legen­den­bil­dung konn­ten Freunde und Fami­lie ver­zich­ten. Am Ende fiel das alles auf den Rei­se­lei­ter zurück.

Am hoff­nungs­los über­füll­ten Pier muss­ten wir eine Stunde unter Ober­klasse-Freaks ver­brin­gen, wäh­rend die Mor­gen­sonne uns blen­dete und unser ver­faul­tes Fleisch auf Tem­pe­ra­tur brachte. Viele von denen, die ein Ner­ven­lei­den ent­wi­ckelt hat­ten oder kör­per­lich deran­gier­ter waren als ein Ver­lier im Kampf gegen den Rie­sen Walu­jew, lie­ßen sich von win­di­gen Mafiosi gegen tüch­ti­gen Auf­schlag auf pom­pöse Schnell­boote zie­hen und ent­schwan­den mit einem höh­ni­schen Grinsen.

Am Ende waren wir froh, von den Inseln wie­der weg­zu­kom­men und die wider­li­chen Typen, die sich kaum erwach­sende Thai-Frauen für den gan­zen Urlaub gebucht hat­ten, hin­ter uns zu las­sen. Und mit ihnen die glücks­süch­ti­gen Nach­wuchs­rit­ter, die ihre Schlach­ten auch ohne uns gran­dios schla­gen wür­den. Doch am Ende wer­den wir sie für den Wan­del brau­chen. Noch fehlt viel an Bewusst­sein. Aber andere arbei­ten jetzt gerade im Innen und Außen für den gro­ßen Moment unse­rer Gene­ra­tion. Die Frage ist nur, ob wir am Ende genug sein wer­den. Wenn ja, haben wir wie­der allen Grund zum Feiern.

 

Lust auf mehr Gonzo-Jour­na­lis­mus? Die Rei­se­de­pe­sche lost in transit(ion) berich­tet von mei­nen eige­nen Ver­feh­lun­gen bei mei­nem ers­ten Besuch in Bang­kok und dem Fall in den Abgrund: one night makes a hard man hum­ble

Cate­go­riesThai­land
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  3. Ulrike says:

    Bin ich froh, dass ich auf Koh Phan­gan schon 1992 war! Damals gab es auch schon die Full­moon-Par­ties, aber nicht so schlimm. Ich habe diese ver­mie­den und in para­die­si­scher Umge­bung eine Medi­ta­ti­ons­retreat gemacht. Wenn ich so einen Arti­kel lese, möchte ich am liebs­ten heu­len. Und kot­zen. Back­pa­cker, Aus­stei­ger – abscheu­li­ches Volk! Dabei betrachte ich mich selbst – immer noch – als Back­pa­cker. Fremdschämen!

    1. Ich wollte mit mei­nem Arti­kel weder Back­pa­cker noch Aus­stei­ger gene­rell ver­ur­tei­len. Das wäre zu ein­fach. Es gibt eine Menge tol­ler Men­schen, die ich in all den Jah­ren ken­nen­ler­nen durfte. Was mich aller­dings immer mehr abge­sto­ßen hat, ist das arro­gante Selbst­ver­ständ­nis eini­ger, die auf den Haupt­ver­kehrs­adern der Back­pa­cker unter­wegs sind und sich als beson­ders alter­na­tiv füh­len, obwohl sie von der glei­chen Markt­lo­gik gesteu­ert sind wie zuhause auch. Auch wenn er fürs Rei­sen hilf­reich ist – ich kann den Lonely Pla­net nicht mehr sehen. Es wäre so viel schö­ner, wenn sich der Tou­ris­mus stär­ker ver­teilt und die Rei­sen­den Kon­takte und Erleb­nisse machen, die ihr Welt­bild wirk­lich berei­chern und etwas über sich und den All­tag der Ein­hei­mi­schen ler­nen können.

  4. Anatol says:

    Sehr Guter Arti­kel – genau des­halb fährt man da auch nicht hin…
    .. son­dern in die Guys Bar oder ins Eden unweit von Haad Rin in der nächs­ten Bucht…

    Wenn man die PickUp Truck Fahrt durch den Dschun­gel über­lebt, ist das schon­mal ein gutes Zeichen!
    Ein­mal ist aller­dings der Rei­fen geplatzt,..

    1. Hallo Ana­tol! Danke Dir! Ich musste wohl hin­fah­ren, um fest­zu­stel­len, dass dies ein groß­ar­ti­ger Ort für Gonzo-Jour­na­lis­mus ist ;-) Liebe Grüße! Oleander

  5. Julius says:

    Die irr­wit­zige Sze­ne­rei hat meine Sin­nes­wahr­neh­mun­gen und Moral­vor­stel­lun­gen vor 3 Tagen schwer übers Knie gehauen und ich sehe mich bei bei viele was du sagst an dem sel­bi­gen Strand ste­hen und grübeln.
    Hat mir sehr gefal­len die Repor­tage, vie­len dank dafür! 

    Lie­ben Gruss aus Thailand,
    Julius

    1. Hallo Julius!

      Ich hatte den Ein­druck, dass vor Ort nur wenige nach­ge­dacht haben. Die meis­ten ande­ren Gäste schie­nen mir eher vom Blitz getrof­fen oder vom Affen gebis­sen. Manch einen hätte ich gerne übers Knie gehauen ;-)
      Durch­aus beru­hi­gend, dass es auch ande­ren vor Ort ähn­lich geht; die meis­ten Berichte im Netz haben ja einen ganz ande­ren Tenor à la „fett, die kras­seste Party aller Zei­ten“ oder ähn­li­che Sinnergüsse…
      Freut mich sehr, dass Dir der Text gefal­len hat! 

      Liebe Grüße!

      Ole­an­der

  6. Wow. Ich kenne dich zwar nicht aber irgend­wie habe ich das intrin­si­sche Gefühl, dass wir uns mal unter­hal­ten sol­len. Ich glaube wir hät­ten uns viel zu erzäh­len. Viel­leicht lau­fen wir uns ja tat­säch­lich irgendwo auf der Welt mal über den Weg.

    Danke für die­sen Text!

    Viele Grüße aus Neuseeland,
    Christian

    1. Hallo Chris­tian!

      Schön, dass Dir die­ser Text gefällt; er liegt mir ganz besonn­ders am Herzen.
      Das wäre natür­lich fein, wenn wir uns mal über den Weg lau­fen soll­ten. Die beson­de­ren Begeg­nun­gen mit „Gleich­ge­sinn­ten“ sind mir unter­wegs ähn­lich wich­tig wie das Allein­rei­sen mit den damit ver­bun­de­nen inten­si­ven Erfah­run­gen. Ansons­ten melde Dich doch ein­fach mal per elek­tron­si­cher Post!

      Liebe grüße nach Neuseeland!

      Ole­an­der

  7. Patric says:

    Hey Ole­an­der, wann hat es dich denn nach Thai­land verschlagen?
    Koh Pan­gan war damals auch auf mei­ner „Asia on a Shoestring“-Reise ein Thema! Ist aber schon lange her :-)
    Ansons­ten danke für den Text.
    Liebe Grüsse aus Kirgistan
    Patric

    1. Hallo Patric! Ich war im Jahr 2011 bei die­ser omi­nö­sen Full-Moon-Party. Anfang des Jah­res war ich das letzte Mal in Thai­land. Mir hat es dort aber nie beson­ders gefal­len, ich fand Laos und Kam­bo­dscha wesent­lich reizvoller.
      Apro­pos Kir­gi­si­stan: ich habe kürz­lich erst wie­der ein Buch von Ait­ma­tow voll­endet. Wun­der­ba­rer Schriftsteller!
      Viel Glück auf Eurem Weg Rich­tung Mon­go­lei! Liebe Grüße, auch an Tanja, Oleander

    1. Danke, Mar­kus, ein sehr schö­nes Bild! Wol­len wir hof­fen, dass die Blu­men in Sene­gal genauso wie­der sprie­ßen wie nach dem gro­ßen Wan­del, den wir hof­ent­lich noch erle­ben wer­den! Liebe Grüße! Oleander

  8. Was für ein groß­ar­ti­ger Text, Ole­an­der! Du triffst für mei­nen Geschmack genau den rich­ti­gen Ton. Zieht rich­tig rein, die Geschichte. Und die Fra­gen, die du am Ende auf­wirfst, sind natür­lich zwin­gend zu stel­len. Gro­ßes Erzählkino!

    1. Vie­len Dank, Phil­ipp! Ich habe lange um die­sen Text gerun­gen. Er spie­gelt einige mei­ner ganz zen­tra­len Erfah­run­ge­nen und Lebens­fra­gen. Umso mehr freue ich mich über Deine tolle Rück­mel­dung! Liebe Grüße, Oleander

  9. Jan Henkel says:

    …einer der bes­ten Arti­kel die ich hier seit lan­gem gele­sen habe. Dein Schreib­stil bringt alles auf den Punkt. Wünschte mich selbst so aus­drü­cken zu kön­nen, bei mir sind es eher die Bil­der durch die ich spreche.

    1. Vie­len Dank, Jan! Ist doch am Ende wun­der­bar, dass wir ver­schie­dene Wege und Medien nut­zen, um uns aus­zu­drü­cken; das macht die Kunst viel­schich­tig und kraft­voll. Und umso mehr Ebe­nen ent­ste­hen, um Andere mit Bot­schaf­ten zu errei­chen. Schön, dass Dich meine Zei­len abge­spro­chen haben! Ganz liebe Grüße, Oleander

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